Der
Trennungsplan
(Das Durcheinander ordnen)
Uri Avnery, 7.8.04
Ariel Sharons Trennungsplan
hat schon auf allen Ebenen ein Chaos verursacht:
Er hat eine anhaltende
Kabinettskrise ausgelöst, Desorientierung der öffentlichen Meinung,
Verwirrung im Sicherheitsapparat, bewaffnete Auseinandersetzungen
zwischen palästinensischen Organisationen. Die israelischen
Friedenskräfte sind durch einander geraten wie alle anderen .
Einige von ihnen unterstützen genau wegen dieses Planes Sharon und
wollen sich sogar seiner Regierung anschließen, andere denunzieren
Sharon und den Plan
Lasst uns einige Ordnung in
das Chaos bringen!
1. Was besagt der Plan?
Nach Sharon selbst plant er, die Siedlungen im Gazastreifen
aufzulösen – und wahrscheinlich auch zu zerstören – die Siedler und
die Armee zu evakuieren und das Land den Palästinensern zu
überlassen. Nach dem Plan wird die israelische Armee an der
Philadelphi-Achse als einer unüberwindlichen Barriere zwischen dem
Gazastreifen und Ägypten festhalten.
Als symbolische Geste sieht der Plan auch die Auflösung von
drei kleinen unwichtigen
Siedlungen am nördlichen Rand der
Westbank vor.
2. Wird der Plan ausgeführt werden?
Das ist keineswegs sicher. Der Plan war nicht das Ergebnis einer
sorgfältig ausgearbeiteten Teamarbeit. Er war eher eine
Improvisation, um Präsident Bush zu gefallen. Sharon wusste, dass
der rechte Flügel und die Palästinenser dagegen sind, und dass er
so den Boden unter den Füßen der Laborpartei wegzieht. Die Regierung
hat offiziell beschlossen, den Plan im Prinzip zu bestätigen, hat
aber noch nicht entschieden, irgendeine Siedlung aufzulösen. Um das
zu tun, ist eine weitere Regierungsresolution nötig.
In der Zwischenzeit geht die Sache nur schleppend voran. Es ist
anzunehmen, dass die Armee einen Plan vorbereitet. Sie besteht aber
darauf, dass das Wegbringen der Siedler Aufgabe der Polizei sei. Das
Justizministerium ist beauftragt worden, dafür die nötigen Gesetze
abzufassen. Ein Komitee ist vermutlich dabei, eine gestaffelte
Kompensationsliste aufzustellen. Das Tempo des Fortschritts weist
auf keine eilige Ausführung hin.
Am wichtigsten aber ist, dass man sich keinerlei Mühe macht, um die
öffentliche Meinung für den Trennungsplan zu gewinnen. Die Gegner
dieses Planes, die Siedler und ihre Verbündeten, arbeiten mit großem
Eifer und haben schon einen Sieg beim Referendum der Likudmitglieder
errungen; sie haben eine große Menschenketten-Demo organisiert; sie
bereiten weitere große Aktionen vor; sie manipulieren die Medien mit
großer Geschicklichkeit. Sie können zu jeder Zeit Zehntausende
Siedler und Leute vom rechten Lager mobilisieren; sie haben fast
unbegrenzte Geldmittel zur Verfügung, die sie von
amerikanisch-jüdischen Millionären und christlichen Fundamentalisten
erhalten.
Außer Schweigen gibt es nichts, das diesem Propagandamoloch
entgegenwirkt. Der Likud mobilisiert nicht seine Mitglieder für
eine Kampagne, um den Plan zu unterstützen. Die Laborpartei ist mit
internen Streitereien beschäftigt, ob sie der Regierung beitreten
soll oder nicht . Und der linke Flügel weiß nicht, was er von der
ganzen Affäre halten soll. Die Unterstützer des Planes trösten sich
mit dem Wissen, dass bei allen Meinungsumfragen, die Mehrheit den
Plan unterstützt. Aber dies ist eine wacklige Mehrheit, nicht
begeistert und mit sich selbst im Unklaren. Sie ist noch nicht in
einer wirklichen Krise getestet worden. Sie kann sich leicht
verflüchtigen.
3. Gibt es einen Zeitplan ?
Überhaupt nicht.
Sharon und seine Leute sprechen unverbindlich über den Beginn der
Evakuierung im März 2005 und dass diese Angelegenheit Ende desselben
Jahres abgeschlossen sei. Sieht man sich die Sache genauer an, dann
ist dies leeres Geschwätz. Seit Yitzhak Rabin bemerkte, dass es
„keine heiligen Daten gebe“ hat sich kein israelischer Führer mehr
an vereinbarte Zeitpläne gehalten. Man neigt dazu, schwierige
Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben.
Als ich heute morgen Yasser Arafat traf, bemerkte er: „Israel
brauchte sechs Stunden, um den Libanon zu verlassen – warum benötigt
Sharon 17 Monate, um den Gazastreifen zu verlassen.?“
4. Was ist Sharons wirkliche Absicht?
Der Plan passt zu seinem großen Entwurf, ganz ( oder fast ganz) Erez
Israel in einen jüdischen Staat zu wandeln (unter Erez Israel (das
Land von Israel) versteht man in Israel heute das frühere
Mandatsgebiet Palästina, das Land zwischen Mittelmeer und Jordan)
Für Sharon ist Gaza ein unbedeutendes Stück Land ( weniger als 1,5%
des Landes) das einen unverhältnismäßig hohen Teil von Israels
Militär und seinem finanziellen Budget verschlingt. Was für ihn
wichtig ist, ist „Judäa und Samaria“ - die Westbank, die 16 mal
größer ist. Er hofft, dass der Abzug aus Gaza es ihm möglich macht,
mehr als die Hälfte der Westbank zu annektieren und die
Palästinenser in einige Enklaven einzusperren, die praktisch von
einander getrennt und auf die Gnade Israels angewiesen sind. Am
Ende ist es sein Ziel, das Leben für die Palästinenser so
unerträglich zu machen, dass sie allesamt das Land verlassen.
5. Wenn es so ist, gibt es auch eine positive Seite des
Trennungsplans?
Im Friedenslager gibt es einige Stimmen, die darauf bestehen, den
Plan zu unterstützen, weil er zum 1. Mal einen Präzedenzfall mit der
Evakuierung von Siedlungen in Erez Israel schafft. Gefühlsmäßig und
politisch würde dies sicher eine große Wirkung haben. (Das Gebiet um
Yamit, wo mehrere Siedlungen im Zusammenhang mit dem Friedensvertrag
mit Ägypten evakuiert wurden, wird nicht als Teil von Erez Israel
angesehen)
Die Friedenskräfte, die den Plan unterstützen, behaupten, dass die
langfristigen Absichten Sharons irrelevant sind. Was allein wichtig
ist, ist was im Augenblick tatsächlich geschieht – und tatsächlich
sollen 7500 Siedler aus dem Gazastreifen entfernt werden – falls es
geschieht.
6. Kann der Plan andrerseits Schaden anrichten?
Ein Abzug, der von Friedensverhandlungen unabhängig, also getrennt
geschieht, kann sehr gefährlich sein.
Sharons Leute sagen, es sei ihnen völlig egal, was nach dem
israelischen Rückzug im Gazastreifen geschieht. So behaupten sie
wenigstens. Hinter der Szene plant die militärische und politische
Führung die Einsetzung eines lokalen Warlords, der den Gazastreifen
unter israelischer ( und deshalb auch unter amerikanischer und
ägyptischer) Kontrolle regiert. Der bevorzugte Kandidat ist Muhammad
Dahlan, der frühere Chef der politischen Polizei im Gazastreifen.
Wenn dies geschieht, kann der lokale „starke Mann“ sehr leicht so
enden, wie Bashir Jumail, der unter israelischer Herrschaft im
Libanon regieren sollte. Er wurde bald ermordet. Der von Israel
eingesetzte Warlord mag abgesetzt werden, und die tatsächliche Macht
im Gazastreifen wird in die Hände bewaffneter Organisationen
übergehen, die fortfahren, mit allen Mitteln gegen Israel zu
kämpfen, einschließlich mit Raketen. Die israelische Armee wird das
Gebiet wieder besetzen – und die ganze Geschichte fängt dann
wieder von vorne an.
Wenn andrerseits das Experiment gelingt, wird der Gazastreifen ein
„Autonomes Gebiet“ unter israelischer Kontrolle werden, verwaltet
von einem lokalen starken Mann. Es wird dann ziemlich ähnlich den
südafrikanischen Bantustans während der Apartheidzeit sein. Das
palästinensische Volk wird dies natürlich als eine existentielle
Bedrohung ansehen und mit allen Mitteln dagegen kämpfen.
7. Kann der Plan vom Friedenslager unterstützt werden?
Nur wenn die folgenden Bedingungen erfüllt werden:
(Eins) Die israelische Regierung muss erklären, dass die
Westbank und der Gazastreifen eine territoriale Einheit darstellen –
so wie es im Oslo-Abkommen festgelegt wurde.
(Zwei) Der Trennungsplan muss mit einer Neuaufnahme der
Friedensverhandlungen zwischen der Regierung Israels und der
gewählten Führung des palästinensischen Volkes verknüpft werden.
(Drei) Der Trennungsplan muss in Übereinstimmung mit der
Palästinensischen Behörde erfüllt werden, und das Gebiet muss in
ordentlicher Weise übergeben werden. Das Abkommen sollte
Vereinbarungen einschließen, die die Sicherheit auf beiden Seiten
einschließt, vielleicht von einer internationalen Friedenstruppe
unterstützt.
(Vier) Die „Philadelphi-Achse“ muss abgebrochen werden. Land-,
Luft- und Seeverbindungen zwischen dem Gazastreifen und der Welt
müssen geöffnet werden, vielleicht unter internationaler
Überwachung.
(fünf) Alle Gebäude und die Infrastruktur der Siedlungen müssen
intakt an die palästinensische Behörde oder eine internationale
Institution übergeben werden. Ihr Wert mag dann berücksichtigt
werden, wenn man das Flüchtlingsproblem beilegt.
(sechs) Ein präziser Zeitplan über die Ausführung aller Phasen
des Abzugs muss festgelegt werden
PS. Als ich Arafat heute fragte, ob er davon überzeugt ist, dass der
Abzugsplan tatsächlich erfüllt werden wird, antwortete er: „Wir
hoffen!“
„Ich fragte nicht, ob Sie dies hoffen, sondern ob Sie davon
überzeugt sind!“ beharrte ich.
Arafat lächelte und wiederholte: „Wir hoffen es!“
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
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