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„Mit Freunden wie diesen …“
Uri Avnery, 17.Dezember 2011
MEIN GOTT, was für seltsame Typen sind doch diese
republikanischen Anwärter für die US-Präsidentschaft!
Was für ein jämmerlicher Haufen von Dummköpfen
und ausgesprochen Verrückten! Oder bestenfalls was für ein Haufen
von Betrügern und Zynikern!
Ist dies das Beste, was eine große und stolze
Nation hervorbringen kann? Wie erschreckend der Gedanke, dass einer
von ihnen tatsächlich die mächtigste Person der Welt werden könnte –
mit dem Finger am Abzug einer Atombombe!
DOCH LASSEN Sie mich auf den gegenwärtigen
Läufer an der Spitze konzentrieren. (Die Republikaner scheinen die
Läufer an der Spitze wie die Socken zu wechseln)
Es ist Newt Gingrich. Erinnert man sich an ihn?
Der Präsiden des Abgeordnetenhauses, der eine außereheliche Affäre
mit einer Praktikantin hatte, während er zur selben Zeit die
Campagne anführte, die versuchte, gegen Präsident Bill Clinton ein
Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, weil er eine Affäre mit einer
Praktikantin hatte.
Aber darum geht es mir heute nicht. Worum es
jetzt geht, ist, dass dieser intellektuelle Gigant – nach Isaak
Newton, dem vielleicht größten Wissenschaftler, benannt - eine
große historische Wahrheit entdeckt hat.
Der ursprüngliche Newton entdeckte das Gesetz der
Schwerkraft. Newt hat etwas nicht weniger Welterschütterndes
entdeckt: Dass die Palästinenser ein „erfundenes“ Volk sind.
Dem möchte ein bescheidener Israeli wie ich im
besten hebräischen Slang antworten: „Guten Morgen, Eliyahu!“ So
ehren wir (nämlich) die Leute, die eine große Entdeckung gemacht
haben, die leider schon vor langem von anderen gemacht wurde.
VON IHREM aller ersten Anfang an stritt die
zionistische Bewegung die Existenz des palästinensischen Volkes ab.
Es ist wie ein Glaubensartikel.
Der Grund ist eindeutig: wenn da ein
palästinensisches Volk bestünde, dann wäre das Land, das die
Zionisten zu übernehmen im Begriff sind, nicht leer. Der Zionismus
würde dann eine Ungerechtigkeit historischen Ausmaßes begehen. Da
sie sehr idealistische Personen waren, fanden die ursprünglichen
Zionisten einen Weg aus diesem Dilemma: sie leugneten einfach ihre
Existenz. Der entscheidende Slogan hieß: „Ein Land ohne Volk für
ein Volk ohne Land.“
Wer waren denn diese seltsamen Menschen, denen
sie begegneten, als sie in das Land kamen? Oh, das waren eben
Leute, die zufällig gerade dort waren, aber kein Volk. Sozusagen
Vorübergehende. Später erzählte man sich die Geschichte: Nachdem wir
die Wüste zum Blühen gebracht und ein wüstes und vernachlässigtes
Land in ein Paradies verwandelt hatten, kamen Araber aus der ganzen
Region in Scharen ins Land. Und jetzt haben sie die Unverschämtheit
– ja, die Chuzpeh – zu behaupten, dass sie ein palästinensisches
Volk seien!
Viele Jahre nach der Gründung Israels war dies
noch die offizielle Linie, der zufolge Golda Meir in erstklassiger
Manier ausrief: „So etwas wie ein palästinensisches Volk gibt es
nicht!“
( In der Knesset erwiderte ich darauf: „Frau
Ministerpräsidentin, vielleicht haben Sie recht. Vielleicht gibt es
wirklich kein palästinensisches Volk. Aber wenn Millionen Menschen
fälschlicher Weise glauben, dass sie ein Volk sind und sich wie ein
Volk verhalten, dann sind sie ein Volk.“)
Eine riesige Propagandamaschine wurde - in
Israel und im Ausland – in Gang gesetzt, um zu beweisen, dass es
kein palästinensisches Volk gebe. Eine Dame mit Namen Joan Peters
schrieb ein Buch („From Time Immemorial“ („Aus undenklicher Zeit“),
das bewies, dass das Gesindel, das sich selbst „Palästinenser“
nennt, nichts mit Palästina zu tun hat. Sie sind nichts als
Eindringlinge und Gesindel. Das Buch war unglaublich erfolgreich -
bis es einige Experten beiseite nahmen und bewiesen, dass das ganze
Gebäude überzeugender Beweise vollkommener Unsinn war.
Ich selbst habe viele hundert Stunden meines
Lebens versucht, israelische und ausländische Zuhörer davon zu
überzeugen, dass es ein palästinensisches Volk gibt, mit dem wir
Frieden machen müssen. Bis eines Tages der Staat Israel die PLO als
einzige Vertreterin des „palästinensischen Volkes“ anerkannte, und
das Argument wurde beiseite gelegt.
Bis Newt daherkam und wie ein verspäteter Jesus
die Toten auferweckte.
OFFENSICHTLICH ist er viel zu beschäftigt, um
Bücher zu lesen. Er war zwar einmal ein Lehrer für Geschichte. Aber
seit vielen Jahren ist er sehr beschäftigt, der Sprecher des
US-Kongresses zu sein, und macht sein Glück als Berater großer
Gesellschaften, und nun versucht er, Präsident zu werden.
Andernfalls würde er wahrscheinlich auf ein
brillantes historisches Buch von Benedict Anderson gekommen sein: „Imagined
Communities“ das behauptet, dass alle modernen Nationen erfunden
worden sind.
Der Nationalismus ist ein relativ neues Phänomen.
Wenn eine Gemeinschaft sich entscheidet, eine Nation zu werden, muss
sie sich neu erfinden. Das bedeutet auch, eine nationale
Vergangenheit zu erfinden, indem historische Fakten (und
Nicht-Fakten) neu gemischt werden müssen, um ein zusammenhängendes
historisches Bild einer Nation zu schaffen, die es seit der Antike
gibt. Armin, der Cherusker, Mitglied eines germanischen Stammes, der
seine römischen Dienstherren betrog, wurde ein „Nationalheld“.
Religiöse Flüchtlinge, die in Amerika landeten und die einheimische
Bevölkerung zerstörten, wurden eine Nation. Mitglieder einer
ethnisch-religiösen Diaspora verwandelten sich in eine „jüdische
Nation.“ Viele andere taten mehr oder weniger dasselbe.
Newt würde tatsächlich auch vom Lesen des Buches
vom Tel Aviver Universitätsprofessor Shlomo Sand, einem koscheren
Juden, profitieren. Der Titel seines Buches spricht für sich
selbst: „Wann und wie wurde das jüdische Volk erfunden?“
Wer sind also die Palästinenser? Vor über hundert
Jahren schrieben zwei junge Studenten in Istanbul, David Ben Gurion
und Yitzhak Ben Zvi (Zukünftiger Ministerpräsident und Präsident
von Israel ) , eine Abhandlung über die Palästinenser. Die
Bevölkerung dieses Landes hat sich nie verändert, sagten sie. Eine
kleine Elite wurde manchmal deportiert. Die Städte und Dörfer sind
geblieben, wie ihre Namen belegen. Die Kanaaniter wurden Israeliten
, dann Juden und Samaritaner, dann christliche Byzantiner. Mit der
arabischen Eroberung nahmen sie langsam die Religion des Islam und
die arabische Sprache an. Dies sind die Palästinenser von heute.
Ich neige dazu, ihnen zuzustimmen.
INDEM ER die glatte zionistische Propaganda
nachplappert – die jetzt von den meisten Zionisten verworfen wird –
behauptet Gingrich, dass es kein palästinensisches Volk geben kann,
weil es nie einen palästinensischen Staat gab. Die Menschen dieses
Landes sind nur „Araber“ unter ottomanischer Herrschaft gewesen.
Na, und? Ich hörte einmal von französischen
Kolonialherren, es gebe kein algerisches Volk, weil es nie einen
algerischen Staat gegeben habe, es habe nie ein vereintes Land, das
Algerien hieß, gegeben. Gibt es irgendeinen, der jetzt an dieser
Theorie interessiert ist?
Der Name „Palästina“ wurde von einem griechischen
Historiker vor 2500 Jahren erwähnt. Ein „Fürst von Palästina“ wird
im Talmud erwähnt. Als die Araber das Land eroberten, nannten sie es
„Filastin“ wie heute noch. Die arabische Nationalbewegung ging über
die ganze arabische Welt, einschließlich Palästina – zur selben Zeit
wie die zionistische Bewegung – und kämpfte um Unabhängigkeit vom
ottomanischen Sultan.
Jahrhunderte lang wurde Palästina als ein Teil
von Groß-Syrien angesehen. Die Region war im Arabischen als „Sham“
bekannt . Es gab keine formelle Unterscheidung zwischen Syrern,
Libanesen, Palästinensern und Jordaniern. Aber als nach dem
Zusammenbruch des Ottomanischen Empire die europäischen Mächte die
arabische Welt unter sich aufteilten, wurde ein Staat mit Namen
Palästina unter britischem Mandat eine Tatsache und die arabischen
Palästinenser sich eine separate Nation mit einer eigenen
Nationalflagge aufbauten. Die meisten Menschen in Europa, Asien,
Afrika und Lateinamerika taten dasselbe - ohne Herrn Gingrich um
eine Bestätigung zu bitten.
Es wäre sicher paradox , wenn Mitglieder der
„erfundenen“ palästinensischen Nation von Mitgliedern der
„erfundenen“ jüdisch/israelischen Nation, geschweige denn von einem
Mitglied der „erfundenen“ amerikanischen Nation anerkannt oder
bestätigt werden müsste, nebenbei von einer
Person, deren Vorfahren deutschen, englischen, schottischen und
irischen Ursprungs waren.
Vor Jahren gab es eine kurzlebige Kontroverse
über palästinensische Schulbücher. Es wurde behauptet, sie seien
antisemitisch und hetzen zum Mord auf. Dies wurde beiseite gelegt,
als klar wurde, dass alle palästinensischen Schulbücher von
israelischen Besatzungsbehörden bereinigt worden waren und die
meisten von der früheren jordanischen Regierung übernommen wurden.
Aber Gingrich schreckt nicht davor zurück, auch diese Leiche wieder
auferstehen zu lassen.
Alle Palästinenser – Männer, Frauen und Kinder –
seien Terroristen, behauptet er, und die palästinensischen Schüler
lernten in der Schule, wie man uns arme und hilflose Israelis
umbringe. Was würden wir ohne solch einen beherzten Verteidiger
wie Newt tun? Leider wurde in dieser Woche ein Foto von ihm
veröffentlicht, auf dem er Yassir Arafat die Hand schüttelt.
Und, bitte, zeigt ihm nicht die Schulbücher, die
in einigen unserer Schulen benützt werden, besonders in den
religiösen!
IST ES nicht Zeitverschwendung, über diesen
Unsinn zu schreiben?
Es mag so scheinen. Man kann aber die Tatsache
nicht ignorieren, dass der Verbreiter dieser Dummheiten, morgen der
Präsident der USA sein könnte. Bei dieser wirtschaftlichen Situation
wäre es nicht unwahrscheinlich.
.
Was den Augenblick betrifft, fügt Gingrich den
nationalen Interessen der USA großen Schaden zu. An diesem
historischen Zeitpunkt wundern sich die Massen an allen
Tahrir-Plätzen der arabischen Welt über die Haltung Amerikas.
Newts Antwort trägt zu einem neuen tiefer gehenden
Anti-Amerikanismus bei.
Leider ist er nicht der einzige extreme Rechte,
der versucht, Israel zu umarmen. Israel ist in letzter Zeit das
Mekka für alle Rassisten der Welt geworden. In dieser Woche wurden
wir durch den Besuch von dem Ehemann von Marine Le Penn beehrt, dem
Führer der französischen Nationalfront. Eine Pilgerreise zum
jüdischen Staat ist jetzt ein Muss für jeden aufstrebenden
Faschisten.
Einer unsrer alten Weisen prägte den Satz: „ Ein
Star geht nicht wegen nichts zu einem Raben – sie sind nicht meiner
Art“.
Danke - tut mir leid – sie sind nicht mein Typ.
Und um ein anderes Sprichwort zu zitieren: Mit
Freunden wie diesen - brauchen wir dann noch Feinde?
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
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