Über Generäle und Admirale
Von Uri Avnery,
02.06.2007
“NICHTS IST so
sehr erfolgreich wie ein Erfolg”, sagt ein typisch
amerikanisches Sprichwort. Die israelische - auch
typische - Version heißt: “Nichts ist so erfolgreich wie
ein Desaster.”
Es scheint,
niemand habe irgendwelche Chancen, hier eine Wahl zu
gewinnen, bis er nicht zweifellos bewiesen hat, ein
totaler Versager zu sein. Deshalb ist es glatt möglich,
dass es bei den nächsten allgemeinen Wahlen nur zwei
Kandidaten für den Job des Ministerpräsidenten gibt:
Benjamin Netanyahu und Ehud Barak.
Erinnern wir uns:
Netanyahu wurde 1996 zum Ministerpräsidenten gewählt.
Nach kaum der Hälfte seiner Amtszeit, wurde er gestürzt.
Um ihn zu ersetzen, wählte eine große Mehrheit Ehud
Barak. Das ganze Land tat einen fast hörbaren Seufzer
der Erleichterung, und Volksmassen begrüßten ihn auf Tel
Avivs Rabin-Platz als den Mann, der Israel von einem
Alptraum befreit hatte. Kaum zwei Jahre später wurde
Barak von einer noch größeren Mehrheit abgesetzt.
Jeder erwartet,
dass die Kadima-Partei bei den nächsten Wahlen so
plötzlich verschwindet, wie sie vor anderthalb Jahren
auftauchte - so wie die Rizinus-Staude im Buch Jonas
(4,10), die “in einer Nacht heranwuchs und in einer
Nacht verdarb”. Doch wenn - durch ein Wunder - Ehud
Olmert ebenfalls für den Posten des Ministerpräsidenten
kandidieren sollte, werden wir damit die Wahl zwischen
drei dokumentierten Versagern haben.
In andern
Demokratien verschwinden solche Leute nach den Wahlen:
in England züchten sie dann Rosen, in den USA halten sie
für hohe Honorare Vorträge. Hier hingegen werden sie
immer stärker.
EINIGE SCHLAUE
Public Relations-Schreiberlinge fanden ein Ersatzwort
für das Wort “Versagen”. Ab jetzt sprecht nicht mehr von
“Versagen”, sondern von “Erfahrung “.
Netanyahu, Barak
und Olmert werden nicht müde, diesen einen Satz zu
wiederholen: “Ich habe aus Erfahrung gelernt.”
Was haben sie
gelernt? Das ist ein Geheimnis. Wie bemitleidenswert
sind doch ihre Rivalen, die keine Erfahrungen gemacht
haben. Wodurch und durch wen lernten sie? Welche
Erfahrungen haben sie? Diese drei waren schon einmal
Ministerpräsidenten. Sie sind durch Krisen gegangen. Es
stimmt schon, aus jeder Krise haben sie ein einziges
Chaos gemacht. Aber was soll´s? Alles wird zum Besten
dienen. Das nächste Mal wird es kein Versagen geben.
Sie können ein
Vorbild nachahmen. Yitzhak Rabin wurde 1974 zum
Ministerpräsidenten gewählt. Er war es drei Jahre lang,
bis seine Regierung stürzte (weil ein Geschwader
Kampfflugzeuge, die uns die USA schenkte, zu Beginn des
heiligen Sabbat hier ankam.) Seine Amtszeit war düster.
Sie wurde durch Korruptionsaffären seiner Parteikollegen
ruiniert. Rabin ist in dieser Zeit bei keinem
bedeutenden Test durchgefallen, aber geglänzt hat er
auch nicht.
Als er 14 Jahre
später das zweite Mal ins Amt des Ministerpräsidenten
kam, gelang ihm eine der größten Veränderungen in der
Geschichte des Staates. Er erkannte die Palästinensische
Befreiungsorganisation (PLO) an und erreichte das
Oslo-Abkommen. Viele glauben heute, dass er einer der
größten Ministerpräsidenten in den Geschichte Israels
war.
Aber er war eine
Ausnahme. Die Regel wurde von Marschall Charles Francois
Dumouriez definiert, als er nach der Restauration der
Monarchie über die Höflinge der bourbonischen Könige
sagte: “Sie haben nichts vergessen und nichts gelernt.”
IN DER VERGANGENEN
Woche fanden die Vorwahlen in der Laborpartei statt, die
sich selbst sozialdemokratisch nennt und - wenn sie sich
überhaupt noch gelegentlich daran erinnert - auch
behauptet, die “Führung des Friedenslagers” zu sein.
Fünf Kandidaten
kämpfen darum, die Führung der Partei zu übernehmen.
Unter ihnen sind ein früherer Generalstabschef, zwei
Generäle, ein Admiral, zwei frühere Chefs des
Geheimdienstes (einer vom Mossad, einer vom Shin Beth)
und ein Verteidigungsminister. (Einige von ihnen haben
mehrere Posten bekleidet)
Baraks Wahlspruch
lautete: “Nur ich kann den nächsten Krieg führen!” In
der ersten Runde gewann er einen bedeutenden Sieg über
seinen Hauptrivalen, Ami Ayalon (36,6% zu 30,6%). In der
nächsten Woche werden die beiden sich in der zweiten
Runde gegenüber stehen.
Worin
unterscheiden sich die beiden? Beide wurden in Kibbuzim
geboren und verließen diese vor langer Zeit. Sie haben
recht ähnliche Ansichten über nationale und soziale
Probleme. Ist der Hauptunterschied zwischen ihnen der,
dass der eine ein General und der andere ein Admiral
ist? (der Titel stammt aus dem arabischen Amir
al-Bakhar, Fürst des Meeres).
GLÜCKLICHERWEISE
muss ich bei diesen Vorwahlen nicht wählen. Ich bin und
war nie ein Mitglied der Laborpartei gewesen - in keiner
ihrer vielen Inkarnationen.
Aber damit bin ich
nicht aus dem Schneider. Ich muss mich selbst fragen:
wenn ich ein Mitglied dieser armseligen Partei wäre, wen
der beiden würde ich wählen?
Ich wäre nicht in
der Lage, Ehud Barak zu wählen, selbst wenn ich es
wünschte - meine Hand würde mir nicht gehorchen.
Ich nannte ihn
einen “Friedensverbrecher” - im Unterschied zum
“Kriegsverbrecher”. Ein Friedensverbrecher ist eine
Person, die ein Verbrechen gegen den Frieden begeht. Ich
bin davon überzeugt, dass Barak für das größte
Verbrechen gegen den israelisch-palästinensischen
Frieden verantwortlich ist, viel schlimmer als jede von
David Ben-Gurion, Golda Meir, Yitzhak Shamir und Ariel
Sharon begangene Sünde.
Im Jahr 2000
überzeugte Barak Präsident Clinton, eine Konferenz in
Camp David abzuhalten. Clinton setzte Yasser Arafat
unter Druck, an ihr teilzunehmen. Die ganze Initiative
war eine Mischung von Arroganz und Ignoranz (die
arabische Welt betreffend) - zwei von Baraks
offenkundigen Charaktereigenschaften. Nichts war im
Voraus vorbereitet worden, kein Komitee versuchte, die
Bereiche einer Übereinkunft und der
Meinungsverschiedenheiten auszuloten, keiner zerbrach
sich den Kopf über eine Tagesordnung, die diskutiert
werden sollte.
Yossi Sarid,
damals Minister in Baraks Regierung, bestätigte in
dieser Woche, was ich damals behauptet hatte: Barak
hatte ein Angebot mitgebracht, vom dem er glaubte, die
Palästinenser könnten dem nicht widerstehen. Tatsächlich
aber war es weit von dem Minimum entfernt, das ein
palästinensischer Führer möglicherweise hätte
akzeptieren können. Um seine Schande zu verbergen,
erfand Barak den Vorwand, dass es ihm vor allem darum
gegangen sei, Arafat zu “entlarven”.
Aber Baraks
wirkliches Verbrechen war nicht seine Haltung während
der Konferenz, sondern danach. Als er nach Hause kam,
verbreitete er ein Mantra, das aus fünf Sätzen bestand:
“Ich machte noch nie da gewesene großzügige Angebote /
ich drehte jeden Stein um, um den Frieden zu
ermöglichen/ die Palästinenser lehnten alles ab / es
gibt niemanden, mit dem man verhandeln kann / wir haben
keinen Friedenspartner.”
Dieses Mantra, das
Tausende Male in den Medien wiederholt wurde, kann
leicht verstanden werden und befreit jeden davon,
Verpflichtungen, Konzessionen oder Anstrengungen zu
machen. Es zerstörte in den Menschen den Glauben an den
Frieden und fügte dem israelischen Friedenslager
riesigen Schaden zu. Das Friedenslager wurde zu einer
öden Wüste, in der es nur noch ein paar kleine Oasen
gibt. Das hat sich bis zum heutigen Tag nicht verändert.
Zu diesem
Hauptverbrechen kamen noch ein paar kleinere hinzu: die
bewusste Aufgabe von Friedensverhandlungen mit Syrien
kurz vor dem Endabkommen; keine Dialogbereitschaft mit
der Hisbollah und Syrien am Vorabend des Abzuges aus dem
Südlibanon; das massenhafte Töten arabisch-israelischer
Bürger durch die Polizei im Oktober 2000; die Ariel
Sharon gewährte Erlaubnis, den Tempelberg zu besuchen -
die Provokation, die die zweite Intifada ausbrechen
ließ.
ICH HABE NOCH eine
eigene Geschichte, die ich hier zum ersten Mal erzähle.
Sie wirft - so glaube ich - einiges Licht auf die Natur
Baraks und seiner Leute.
Nach dem
Fehlschlag von Camp David und dem Ausbruch der neuen
Intifada fand wieder eine allgemeine Wahl statt: Barak
gegen Sharon. Alle Meinungsumfragen sahen eine gewaltige
Niederlage für Barak voraus.
Am Wahltag
klingelte etwa um 4 Uhr nachmittags mein Telefon. Die
Person am andern Ende stellte sich mit Tal Silberstein
vor, Baraks Hauptberater. Er sagte, er rufe mich im
Namen seines Chefs an. Er erzählte mir, während der
letzten paar Stunden habe eine dramatische Veränderung
zugunsten von Barak stattgefunden und bat mich darum,
meinen Einfluss bei Führern der arabischen Gesellschaft
geltend zu machen, damit diese die arabischen Bürger
dazu veranlassen mögen, zu den Wahlen zu gehen und für
Barak zu stimmen. “Das ist alles, was wir zum Sieg
benötigen”, sagte er. (Allgemein vermutete man, dass die
meisten arabischen Bürger sich nicht an der Wahl
beteiligen würden, um gegen Baraks Rolle bei den
Oktoberereignissen 2000 zu protestieren [während denen
13 arabische Bürger bei unbewaffneten Demonstrationen
von der Polizei erschossen wurden].)
Ich rief das
Knessetmitglied Azmi Bishara an und erzählte ihm von
diesem Telefongespräch. “Zum einen ist es zu spät, und
zweitens glaube ich ihm nicht”, antwortete er mir. Und
er hatte Recht: die Veränderung hatte niemals
stattgefunden; zu dieser Stunde stand die überwältigende
Niederlage schon fest. Baraks Mann erzählte mir eine
unverschämte Lüge, um seine Niederlage ein bisschen
weniger desaströs zu machen.
DIE FRAGE lautet
nun, würde ich dann Ayalon wählen?
Der “Fürst des
Meeres” hat ein paar Pluspunkte. Zusammen mit Sari
Nusseibeh (Rektor der Universität von Ost-Jerusalem)
veröffentlichte er 2002 eine Erklärung von Prinzipien
für einen israelisch-palästinensischen Frieden. Diese
ging nicht so weit wie die spätere Genfer Initiative
(geschweige denn wie der Gush Shalom-Entwurf für ein
Friedensabkommen, das dieser Initiative vorausging). Es
war sicherlich ein positiver Schritt in die richtige
Richtung. Leider fehlte eine ernsthafte Fortsetzung. In
der Folge war es, als hätte Ayalon alles darüber
vergessen. Er nahm an keiner Protestaktion gegen die
anhaltende Besetzung, gegen den Mauerbau und die
Erweiterung der Siedlungen teil.
Im Gegenteil: mehr
als einmal erklärte er, dass er zutiefst mit den
Siedlern verbunden sei, sie verstehe und respektiere,
sie seien heute die wirklichen Pioniere etc. Klar, das
könnte eine De-Gaulle-artige Finte sein - aber wer weiß?
Wahr ist, niemand
kennt wirklich seine Ansichten und Pläne. Wir wissen
nur, dass er die meiste Zeit seines Leben im
militärischen Bereich verbracht hat. Dort wurden sein
Charakter und seine Weltanschauung geprägt. Es ist ganz
unmöglich zu erfahren, ob er dort Erfolg hatte oder
Fehlschläge erlebte.
Ayalon hat schon
gezeigt, dass seine Entscheidungen sehr, sehr
unberechenbar sind. Er hat sich schon mehrfach
widersprüchlich verhalten. Seine Opponenten reden von
ihm, als von einem der mal hier, mal dorthin ginge. Nur
eines ist sicher über ihn: es gibt nichts Sicheres über
ihn zu sagen.
Ein europäisches
Sprichwort heißt: “Der mir bekannte Teufel ist besser
als der mir unbekannte.” Einige der schwankenden Wähler
werden wohl in diesem Sinne wählen.
Ein Freund sagte
mir: “Barak ist berechenbar. Ayalon ist unberechenbar.
Vielleicht ist Barak deshalb besser.”
Diesen Spieß kann
man umdrehen. Sicher ist, dass nichts Gutes von Barak
kommen wird. Vielleicht wird auch nichts Gutes mit
Ayalon kommen, aber wenn eine Person unberechenbar ist,
weiß man gar nichts. Ayalon könnte auch eine
Überraschung zum Guten hin werden. Und fast jede
Überraschung würde besser sein als die augenblickliche
Situation.
Glücklicherweise
muss ich dies nicht entscheiden.
Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom
Verfasser autorisiert
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