Zum
Antisemitismusbericht des amerikanischen Außenministeriums
Antisemitismuskeule als
amerikanische Doktrin?
Das amerikanische Außenministerium
sieht Antisemitismus in der Welt auf dem Vormarsch. Das geht aus einem
Bericht hervor, den das State-Departement
in Washington vergangene Woche vorstellte,
der jedoch in Deutschland
nur mäßige Resonanz fand. Der Bericht konzentriert sich hauptsächlich
auf Antisemitismus-Vorfälle in Europa und auf dem eurasischen Kontinent.
In Osteuropa kämen antisemitische Attacken vor allem aus traditionell
rechtsradikalen Kreisen, in Westeuropa spielten auch radikalisierte
Muslime eine immer größere Rolle.
Ein Bericht der objektiv und analytisch
rassistische und diskriminierende Tendenzen in Europa aufdeckt ist gut
und sinnvoll. Antisemitismus muss wie jede Form von Rassismus mit allen
Mitteln bekämpft werden. Die Aufzeichnung und Analyse rassistischer
Straftaten ist daher sinnvoll und wichtig. Ein gutes Beispiel war die
neue Studie des EU-Zentrums zur Beobachtung von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit, die im Dezember vergangenen Jahres erschien.
Doch der Antisemitismus-Bericht des
State Departments ist weder objektiv, noch analytisch. Er dient
lediglich der nachträglichen ideologischen Unterstützung seit Jahren
praktizierter amerikanischer Nahost-Politik.
Deutlich wird dies vor allem an dem
Versuch Antisemitismus zu definieren. Zunächst wird festgestellt, dass
es bisher keine weltweit akzeptierte Definition des
Antisemitismusbegriffes gibt. Dennoch versucht das amerikanische
Außenministerium seine Sichtweise der Begriffsdefinition zu erläutern:
Mit der Ansicht, Antisemitismus richte
sich hauptsächlich gegen Juden als religiöse oder ethnische
Gemeinschaft/Individuen, geht die amerikanische Administration mit der
allgemeinen Sichtweise des Begriffs konform. Besondere Beachtung findet
im Außenministerium jedoch die Gratwanderung zwischen legitimer Kritik
an israelische Politik und Kommentaren mit antisemitischem Charakter.
Dabei nimmt die US-Regierung eine
eindeutige Position ein: „Die Dämonisierung Israels oder die
Herabwürdigung israelischer Führungspersonen, sei es manchmal durch den
Vergleich mit Nazi-Führern oder durch den Gebrauch von Nazi-Symbolen sie
zu charakterisieren, weist eher auf eine antisemitische Haltung als auf
eine berechtigte politische Kritik bezüglich eines kontroversen
Sachverhalts hin.“
Diese Definition zugrunde legend, kommt
die amerikanische Regierung zu der Überzeugung, dass globaler
Antisemitismus in den vergangenen Jahren in vier Ausprägungen
hervorgetreten sei:
1.Das traditionell anti-jüdische Vorurteil, dass die Jüdische
Gemeinschaft Regierungen, Medien, die internationale Geschäfts- und
Finanzwelt kontrolliert.
2.Starke Anti-Israelische Haltungen, die die Grenze zwischen
objektiver Kritik israelischer Politik und Antisemitismus überschreitet.
3.Eine anti-jüdische Haltung, die in einer immer größer werdenden
muslimischen Bevölkerung in Europa zum Ausdruck kommt, die sich auf eine
langjährige Antipathie sowohl gegen Israel als auch Juden gründet, und
eine muslimische Opposition zu den Entwicklungen in Israel und den
besetzten Gebieten sowie seit jüngstem im Irak.
4.Kritik sowohl an den Vereinigten Staaten als auch an der
Globalisierung, die sich über Israel und über Juden im allgemeinen
ergießt, die wiederum mit beidem identifiziert wird.
Zwei Dinge sind an dieser Einteilung
klar abzulesen:
1.Antiisraelische, Antijüdische, Antizionistische und
Anti-Amerikanistische Tendenzen, an sich unterschiedliche Begriffe,
werden unter dem Antisemitismus-Begriff subsumiert.
2.Die schmale Gratwanderung zwischen Kritik an der israelischen
Regierung und ihrer Politik und Antisemitismus bleibt weiter nebulös.
Insofern hält die Zusammenfassung des
Berichts nichts Neues für den Leser parat. Ersteres ist seit langem Teil
der amerikanischen Nahost-Strategie und zweites scheint von der
amerikanischen Regierung gewollt. Denn es versetzt die Regierungen der
USA und Israels in die Lage, eine gegen die Nahost-Politik der beiden
Regierungen gerichtete Opposition, sei sie europäisch oder muslimisch,
jederzeit als antisemitisch zu deklarieren.
Das Ziel, mit diesem Bericht über
weltweiten Antisemitismus aufzuklären hat die amerikanische
Administration damit kräftig verfehlt. Das Gegenteil wurde stattdessen
erreicht: Statt klar zu trennen trägt sie bewusst zur Verwaschung der
Begriffe bei. Schließlich ist nicht jeder Araber Moslem und nicht jeder
Moslem Araber. Genauso wenig ist jeder Israeli Jude oder jeder Jude
Israeli. Globalisierungsgegner, Menschenrechtsorganisationen,
oppositionelle Juden in Israel, Europa und USA, Muslime jedweder
Nationalität oder Hautfarbe, hochrangige Persönlichkeiten aus Politik,
Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur: Alle geraten so unter
antisemitischen Generalverdacht. Die Antisemitismus-Keule als
amerikanische Doktrin?
Wem das bekannt vorkommt, erinnert sich
sicherlich an das Zitat des bekannten israelischen Friedensaktivisten
Uri Avnery, der schon 2002 vor einer ähnlichen Entwicklung in Israel
gewarnt hat:
„Die
Sharon-Regierung ist wie ein riesiges Labor, in dem der Virus
Antisemitismus gezüchtet und in die ganze Welt exportiert wird.
Antisemitische Organisationen, die jahrelang an den Rändern der
Gesellschaft, abgelehnt und verachtet, dahinvegetierten, wachsen und
gedeihen plötzlich. Antisemitismus, der sich seit Ende des 2.
Weltkrieges schamhaft versteckt hielt, reitet nun auf einer großen Welle
der Opposition zu Sharons Politik der Unterdrückung.
Und Sharons
Propaganda-Agenten gießen Öl in die Flammen. Indem alle Kritiker seiner
Politik als Antisemiten bezeichnet werden, brandmarken sie große
Gemeinschaften. Viele ordentliche Leute, die keinerlei Hass gegen Juden
empfinden,, die aber die Drangsalierung der Palästinenser verabscheuen,
werden jetzt als Antisemiten bezeichnet. So wird dem Wort die Schärfe
genommen und so etwas wie Ansehen verliehen.“
Um aufklären zu können, muss man
differenzieren können. Das scheint jedoch nicht das Anliegen dieses
Berichts gewesen zu sein. Fehlende Differenzierung führt zu Stereotypen,
die es bei der Bekämpfung von Rassismus jedweder Art doch gerade zu
verhindern gilt. So müsste es ein Anliegen jeder Regierung sein, nicht
nur Antisemitismus zu verhindern, sondern Rassismus und seinen Anfängen
im allgemeinen gänzlich den Kampf anzusagen. Doch bei der Verhinderung
von Rassismus und Diskriminierung steht die USA als selbsternannter
Schwertführer der Moral nicht gerade in vorderster Front. In der
Vergangenheit wurden radikale Muslime im Nahen und Mittleren Osten
jahrelang von der amerikanischen Regierung als Kämpfer gegen die
Sowjetunion oder andere „Mächte des Bösen“ ausgebildet und finanziell
unterstützt.
Wer Diktatoren unterstützt und radikale
Strömungen finanziert sollte sich nicht als Moralapostel in der Welt
darstellen und sich, wie in diesem weltweiten Bericht über
Antisemitismus, von der Berichterstattung ausnehmen. Eine offene Kritik
an der eigenen Politik würde der Glaubwürdigkeit der Regierung Bush
sicher mehr nützen.
Davon abgesehen, wäre ein Bericht über
die Verfolgung und Diskriminierung von Muslimen in der Welt sicherlich
auch ein sinnvolles Projekt.
Jamal Karsli, MdL
Landtag NRW
Platz des Landtags 1
40221 Düsseldorf