Ente des Tages: Antisemitismus und das
Bestreiten des jüdischen
Selbstbestimmungsrechts
17.10.2018
-
Joel
Dörfler
Bei
einer
wirklich
atemberaubenden
Mixtur
von
Spitzfindigkeit
und
Dreistigkeit
wie
der
Arbeitsdefinition
von
Antisemitismus
der
International
Holocaust
Remembrance
Alliance
(IHRA)
ist
es
schwer
zu
überbieten,
dass
"dem
jüdischen
Volk
das
Recht
auf
Selbstbestimmung
abzusprechen,
dass
z.B.
die
Behauptung,
der
Staat
Israel
sei
ein
rassistisches
Unternehmen",
ein
maßgebliches
Kennzeichen
von
Antisemitismus
ist.
Aber
weil
diese
These
jetzt
ein
endlos
wiederholtes
zionistisches
Gesprächsthema
geworden
ist;
und
weil
das
US-Außen-
und
das
US-Bildungsministerium
die
"Arbeitsdefinition"
der
IHRA
übernommen
hat,
während
ihre
Übernahme
in
den
Anti-Semitism-Awareness
Act
zur
Zeit
im
Kongress
noch
anhängig
ist
-
ist
es
unbedingt
erforderlich,
die
verschiedenen
Gelegenheiten
zu
analysieren,
bei
denen
die
Einsatz
der
"Selbstbestimmung"
der
IHRA
gefährlich
verwirrend
ist.
Um
mit
dem
Offensichtlichsten
zu
beginnen:
Wenn
das
Bestreiten
des
jüdischen
"Selbstbestimmungsrechts"
ein
Beweis
für
Antisemitismus
ist,
wie
sollen
wir
dann
das
gleiche
Recht
der
Einheimischen
nennen,
die
Jahrhunderte
lang
in
Palästina
gelebt
haben?
Netanyahus
Likudpartei
hat
niemals
einen
souveränen
palästinensischen
Staat
gutgeheißen.
Noch
aufschlussreicher
ist
jedoch,
dass
die
große
Mehrheit
der
Israelis
eine
Art
"Zwei-Staaten-Lösung"
aus
rein
pragmatischen
Gründen
und
nicht
als
ein
Recht
befürwortet
hat.
Befürworter
haben
vorgebracht,
dass
zwei
Staaten
die
"demografische
Gefahr"
für
Israels
jüdischen
Charakter
beseitigen
würden.
Sie
behaupteten,
es
würde
das
Ausmaß
an
Gewalt
verringern
und
Frieden
zustande
bringen.
Sie
behaupteten,
ein
palästinensischer
Staat
würde
es
Israel
ermöglichen,
weiterhin
(sic!)
ein
demokratischer
Staat
zu
sein.
Was
alle
diese
angeblich
"aufgeklärten"
Argumente
gemeinsam
haben,
ist
die
Annahme,
dass
Israel
(d.h.
die
israelischen
Juden)
aus
Gründen
des
Eigeninteresses
einigen
Palästinensern
irgendeinen
Staat
zugestehen
sollte.
Die
Idee,
dass
Palästinenser
das
"Recht"
auf
einen
Staat
haben,
ein
Recht,
das
sich
aus
dem
Prinzip
der
nationalen
Selbstbestimmung
ableitet,
und
die
Anerkennung,
dass
solch
ein
Recht,
wie
alle
Rechte,
für
israelische
Juden
nicht
Sache
von
"zugestehen"
oder
"aushandeln"
ist
–
das
war
niemals
Teil
dieser
Debatte.
Es
ist
eine
wirklich
umwerfende
Heuchelei
in
der
Behauptung,
dass
das
Bestreiten
eines
jüdischen
Rechts
auf
"Selbstbestimmung"
niederträchtiger
Antisemitismus
ist,
während
das
Bestreiten
desselben
Rechts
der
Palästinenser
berechtigt
oder
wichtig
ist.
Aber
das
ist
nur
ein
Teil
des
Problems.
Nach
der
IHRA
ist
es
ein
verräterisches
Zeichen,
wenn
das
Bestreiten
eines
jüdischen
Rechts
auf
Selbstbestimmung
als
Ausdruck
von
ruchlosem
Antisemitismus
von
der
Behauptung
begleitet
wird,
der
Staat
Israel
sei
ein
"rassistisches
Unternehmen".
Die
Logik
dahinter
ist
gelinde
gesagt
verworren.
Es
gibt
Leute,
die
behaupten,
dass
europäische,
nordafrikanische,
äthiopische,
jemenistische,
nordamerikanische
und
irakische
Juden
kein
Recht
auf
"Selbstbestimmung"
in
Palästina
hatten
oder
haben,
aber
bestreiten,
dass
Zionismus
und
der
Staat
Israel
ein
"rassistisches
Unternehmen"
ist.
Sind
diese
Leute
Antisemiten?
Andere
Leute
behaupten,
dass
die
Juden
der
Welt
tatsächlich
ein
Recht
auf
nationale
Selbstbestimmung
in
Palästina
haben,
aber
darauf
bestehen,
dass
das
zionistische
Projekt
in
der
Praxis
durchwegs
"rassistisch"
gewesen
ist.
Sind
diese
Leute
Antisemiten?
Und
es
gibt
noch
andere,
die
sowohl
der
Meinung
sind,
dass
Israel
rassistisch
ist,
als
auch
dass
die
Juden
der
Welt
kein
Recht
auf
Selbstbestimmung
in
Palästina
haben.
Sind
diese
beiden
Ansichten
antisemitischer
als
nur
eine?
Warum?
In
Wahrheit
ist
keine
dieser
Auffassungen
eo
ipso
antisemitisch,
wenn
wir
Antisemitismus
so
verstehen,
wie
er
immer
verstanden
worden
ist:
z.B.
als
unverbesserlichen
Hass
auf
Juden
und
eine
Überzeugung,
dass
Juden
genetisch
böse
und
eine
unverselle
Bedrohung
sind.
Die
Behauptung,
dass
"Völker"
ein
"Recht
auf
Selbstbestimmung"
haben,
ist
ein
relativ
neu.
Sie
war
Teil
eines
neuen
nationalistischen
Diskurses,
der
im
19.
Jahrhundert
in
Mittel-
und
Osteuropa
aufgetaucht
ist;
sie
erhielt
durch
Woodrow
Wilson
globale
Geltung
sowie
am
Ende
des
1.
Weltkrieges
durch
Lenin;
und
sie
wurde
als
Prinzip
des
internationalen
Lebens
nach
dem
2.
Weltkrieg
mehr
oder
weniger
festgelegt.
Es
wurde
unter
anderem
ausdrücklich
in
der
Resolution
2625
der
UN-Generalversammlung
(1970)
genannt,
die
feststellte,
dass
"alle
Völker
das
Recht
haben
frei,
ohne
äußere
Einmischung
über
ihren
politischen
Status
zu
entscheiden
und
ihre
wirtschaftliche,
soziale
und
kulturelle
Entwicklung
zu
verfolgen...
und
[dass]
jeder
Staat
verpflichtet
ist,
dieses
Recht
zu
respektieren".
In
dieser
Idee
eines
"Rechts"
auf
nationale
Selbstbestimmung
liegt
viel
Inspirierendes,
aber
auch
viel
Unklares
und
Problematisches.
Zu
den
offensichtlichsten
Problemen
gehört
a)
die
Schwierigkeit
zu
bestimmen,
was
ein
"Volk"
konstituiert;
b)
die
Schwierigkeit
die
Identität
dieser
speziellen
"Völker"
zu
bestimmen,
die
ihr
mutmaßliches
"Recht"
auf
Selbstbestimmung
ausüben
sollen,
und
c)
die
Schwierigkeit
zu
präzisieren,
was
es
für
"ein
Volk"
bedeutet,
seinen
eigenen
Staat
zu
besitzen.
Keines
dieser
Probleme
ist
leicht
zu
lösen.
Sollen
die
Basken
als
"Volk"
gelten,
das
ein
Recht
auf
nationale
Selbstbestimmung
hat?
Oder
die
Bretonen?
Die
australischen
Aborigines,
die
Lakota
Sioux,
Afro-Amerikaner?
Und
was
ist
mit
Juden?
Was
genau
macht
sie
zu
einem
"Volk"
so
wie
es
z.B.
die
Norweger
sind?
Ist
es
anti-baskisch
oder
antisemitisch
zu
behaupten,
dass
Basken
oder
Juden
keine
"Völker"
sind,
die
ein
politisch-territoriales
"Recht"
auf
Selbstbestimmung
haben?
Welche
Kriterien
sollten
für
die
Beantwortung
dieser
Fragen
herangezogen
werden?
Der
"Begriff
Volk"
ist
in
nicht
nur
in
der
Theorie
problematisch.
Das
"Recht
auf
Selbstbestimmung"
wird
in
der
aktuellen
Welt
der
internationalen
Politik
nur
sehr
selektiv
anerkannt.
Es
gibt
schätzungsweise
35
Millionen
Kurden,
die
in
einem
zusammenhängenden
Gebiet
der
heutigen
Türkei,
des
heutigen
Iran,
Irak
und
Syrien
leben.
Die
meisten
dieser
Volksgruppen
betrachten
sich
selbst
als
"Kurden",
aber
keine
von
ihnen
ist
derzeit
in
der
Lage,
ihr
"Recht"
auf
nationale
Selbstbestimmung
de-jure
auszuüben.
Auch
nicht
die
Tibeter
und
nicht
die
Igbo
von
Nigeria,
nicht
die
Tschetschenen,
usw.
Wie
sollen
wir
die
bezeichnen,
die
dagegen
sind,
dass
sie
das
tun?
Und
dann
ist
da
die
Frage:
Welche
Folgen
hat
die
Ausübung
des
"Rechts
auf
Selbstbestimmung",
im
Sinne
von:
was
"erlaubt"
es?
Soll
z.B.
angenommen
werden,
dass
ethnische
Polen
"Inhaber"
von
Polen
sind?
Ist
es
in
der
Weise
ihr
Staat,
dass
polnische
Bürger,
die
nicht
ethnische
Polen
sind,
im
polnischen
nationalen
"Haus"
effektiv" Gäste"
sind,
ob
willkommen
oder
nicht?
Noch
vor
wenigen
Jahren
waren
aufmerksame
(nachdenkliche)
Beobachter
der
Meinung,
dass
diese
Art
von
völkischem,
"integralem"
Nationalismus
ein
Ding
der
Vergangenheit
war.
Aber
das
ist
nicht
mehr
so.
Wie
zahlreiche
Kommentatoren
beobachtet
haben,
lebt
der
rassisch-native
Nationalismus
auf
erschreckende
Weise
wieder
auf,
nicht
nur
in
Ungarn
oder
Polen,
sondern
auch
in
Trumps
Amerika.
Wie
Eva
Illouz
treffend
beobachtet:
"Israel
hat
in
der
Tat
für
das
Modell,
das
diese
Nationen
anstreben,
Pionierarbeit
geleistet:
durch
Begründung
der
Staatsbürgerschaft
auf
ethnischer
und
religiöser
Zugehörigkeit
und
die
energische
Bekämpfung
"ethnischer,
religiöser
oder
rassischer
Schwächung
(dilution)
seines
Landes
durch
Immigranten
oder
universelle
Rechte".
Über
Jahre,
ja
Jahrzehnte
hinweg
hat
sich
der
Staat
Israel,
noch
vor
der
Verabschiedung
des
schädlichen
"Nation-State"-Gesetzes
durch
die
Knesset,
in
Shlomo
Sands
Worten
betrachtet
als
"der
kollektive
Besitz
der
Juden
der
Welt,
ob
sie
Gläubige
sind
oder
nicht,
anstatt
als
ein
institutioneller
Ausdruck
demokratischer
Souveränität
der
Gesamtheit
der
Bürger,
die
in
ihm
leben".
Aber
in
dem
seltsamen
moralischen
Universum
der
IHRA
stellt
das
Infragestellen
des
"Rechts
der
jüdischen
Menschen"
ihre
"Selbstbestimmung"
auf
eine
so
offensichtlich
reaktionäre
Weite
auszuüben
"Delegitimierung"
dar,
und
"Delegitimierung"
ist
ein
Beweis
von
Antisemitismus.
Die
Schlussfolgerungen
sind
wirklich
bizarr.
Wie
Nathan
Thrall
aufgezeigt
hat,
gehören
nach
dieser
Logik
die,
"die
der
Meinung
sind,
Israel
sollte
ein
Staat
für
alle
seine
Bürger
sein,
mit
gleichen
Rechten
für
Juden
und
Nicht-Juden",
eo
ipso
in
die
Kategorie
der
delegitimierenden
Antisemiten,
und
praktisch
sind
alle
Palästinenser
(und
ein
Großteil
der
ultra-orthodoxen
Juden
in
Israel,
die
aus
religiösen
Gründen
ablehnen)
[ebenfalls]
des
Antisemitismus
schuldig,
weil
sie
wollen,
dass
Juden
und
Palästinenser
weiterhin
in
Palästina
leben,
aber
nicht
in
einem
jüdischen
Staat".
Das
Prinzip
der
nationalen
Selbstbestimmung
ist
eindeutig
verwirrend.
Es
gibt
sehr
wenige
Völker,
die
konsequent
hinter
seiner
Anwendung
stehen.
Die
Linke
neigte
historisch
dazu,
internationale
Prinzipien
zu
fördern
und
misstrauisch
auf
die
meisten
Arten
von
Irredentismus
oder
atomisierenden
Partikularismus
zu
blicken,
hat
aber
auch
enthusiastisch
antikoloniale
Kämpfe
für
die
nationale
Befreiung
in
Algerien,
Vietnam,
Angola,
Mozambique
und
Palästina
unterstützt.
Die
Rechte
tendierte
historisch
dazu,
die
Fortdauer
der
von
Weißen
dominierten
Siedler-Regime
zu
unterstützen,
die
sich
mit
nativen
Beschwörungen
rassischer
Reinheit
zu
Hause
fühlen
und
essentialisierenden
Vorstellungen
des
Begriffs
von
Volk
(peoplehood)
beipflichten,
aber
mit
dem
universalistischen
Idealismus
von
Wilson
nicht
zufrieden
sind.
Während
der
1990er
Jahre
schienen
sowohl
die
Linken
als
auch
die
Rechten
nicht
recht
zu
wissen,
wie
sie
auf
die
Desintegration
Jugoslawiens
und
der
Sowjetunion
und
die
Gründung
zahlreicher
neuer
Nationen
reagieren
sollten.
In
der
Tat
scheint
es
letzten
Endes,
dass
Positionen
und
Einstellungen
zu
"Nationalismus"
und
"nationale
Selbstbestimmung"
kontextbezogen,
in
zeitlicher
Hinsicht
fließend
und
nicht
immer
beständig
sind.
Was
hat
all
dies
mit
Antisemitismus
zu
tun?
Wenn
es
eine
schlüssige
Linie
der
Gedankengänge
im
gegenwärtigen
zionistischen
Mantra
gibt,
dann
ist
es,
dass
das
Bestreiten
"des
Rechts
des
jüdischen
Volkes
auf
nationale
Selbstbestimmung"
Antisemitismus
ist,
weil
es
"selektiv"
(lies:
voreingenommen)
beschworen
wird.
Juden
werden
angeblich
anders
als
andere
Völker
behandelt.
Juden
werden
für
spezielle
Kritik,
Beschämung
und
Delegitimierung
"herausgegriffen"
(ausgewählt).
Und
warum?
Antismitismus
à la
21.
Jahrhundert.
Lassen
wir
die
Tatsache
beiseite,
dass
der
allzu
bekannte
zionistische
Refrain
vom
"herausgegriffen"
(ausgewählt)
immer
sehr
problematisch
war,
um
nicht
zu
sagen
unaufrichtig.
Es
ist
an
den
Haaren
herbeigezogen,
wenn
behauptet
wird,
alle
würden
(abgesehen
von
den
Fieberträumen
von
Alan
Dershowitz)
ernsthaft
meinen,
dass
alle
"Völker"
der
Welt
ein
Recht
auf
nationale
Selbstbestimmung
haben
außer
für
die
Juden!
Aber
es
scheint
tatsächlich
das
zu
sein,
was
die
derzeitige
zionistische
Vorwurf
(punch
line)
suggeriert.
Inzwischen,
wieder
in
der
Welt
der
Realität,
ziehen
die
israelische
Regierung
und
ihre
Verbündeten
alle
Hebel
ihrer
Propaganda
in
einem
hektischen
und
aggressiven
Bemühen
Kritik
an
und
aktiven
Widerstand
gegen
die
israelische
Politik
gegenüber
den
Palästinensern
zu
stoppen.
Eine
wesentliche
Rolle
in
der
derzeitigen
Kampagne
spielt
die
gespenstische
Bedrohung
durch
den
"Neuen
Antisemitismus",
der
von
denen
angeführt
wird,
die
die
Rechte
der
Palästinenser
verteidigen.
(Der
Antisemitismus
von
Orban
und
seinesgleichen
wird
heruntergespielt
oder
ignoriert.)
Und
in
der
Erfindung
dieser
"neuen"
Art
antisemitischer
Bedrohung
wollten
seine
Veranstalter
Israel
schamlos
in
den
Mantel
universeller
Prinzipien
einzuhüllen,
indem
sie
sich
auf
Wilsons
"Selbstbestimmung"
berufen.
Die
Propagandisten,
die
nützlichen
Idioten,
Mitläufer
und
echten
Gläubigen,
die
diese
Sprache
sprechen,
werfen
konzeptionelle
Spaghettis
an
die
Wand
in
der
Hoffnung,
dass
einige
davon
kleben
bleiben.
Es
ist
wichtig,
dass
wir
dafür
sorgen,
dass
sie
nicht
kleben
bleiben.
Quelle
Übersetzung:
K.
Nebauer