Über diese
Ungerechtigkeiten nicht zu sprechen, würde nicht nur falsch sein. es
würde die Bedrohung vor Terror ignorieren, die uns alle angeht. Ken
Livingstone, Freitag, 4. 3. 2005 ( The Guardian)
Rassismus ist eine
einzigartige, reaktionäre Ideologie, die die größten Verbrechen in
der Geschichte rechtfertigt: den Sklavenhandel, die Auslöschung
aller ursprünglichen Bewohner der Karibik, die Eliminierung jedes
Eingeborenen von Tasmanien, Apartheid. Der Holocaust war der letzte
„industrialisierte“ Ausdruck von rassistischer Barbarei.
Rassismus dient den meisten reaktionären Bewegungen als
Schwelle ( cutting edge). Eine Ideologie, die zu behaupten
anfängt, dass ein menschliches Wesen weniger wert sei als ein
anderes, ist der abschüssige Steilhang, der in Auschwitz endet.
Deshalb verachte ich Rassismus.
Kein ernst zu
nehmender Kommentator hat behauptet, dass mein Kommentar gegenüber
einem Reporter vom Evening Standard im letzten Monat vor
den Rathaus antisemitisch war. Deshalb bin ich froh, dass Henry
Grunwald, Präsident des Zenralrates der britischen Juden auf diesen
Seiten akzeptierte, dass Ken L. ernst zu nehmen sei, wenn er
aussagt, dass er den Holocaust als das schlimmste Verbrechen des
letzten Jahrhunderts ansieht.“
Der Beitrag des
jüdischen Volkes zur menschlichen Zivilisation und Kultur ist
unübertroffen und außergewöhnlich. Man denke nur an Einstein, Freud
und Marx, um sich bewusst zu machen, dass die menschliche
Zivilisation ohne die Errungenschaften des jüdischen Volkes
nicht wieder zu erkennen wäre. Dasselbe gilt auch für die jüdischen
Leistungen im heutigen London.
Als Bürgermeister
habe ich mich auf höchster Ebene für Polizeiaktionen gegen
antisemitische Attacken eingesetzt, und meine Verwaltung hat
eine Reihe von Initiativen unterstützt, in denen es um die Bedeutung
der jüdischen Gemeinden geht, einschließlich der
Anne-Frank-Ausstellung im Rathaus und Maßnahmen, um die
Weiterentwicklung im nördlichen London abzusichern.
Während der 1970er
Jahre arbeitete ich gut mit dem Zentralrat zusammen, wenn es
um Kampagnen gegen die Nationalfront ging. Die Probleme begannen
erst, als ich als Führer des Großlondoner Stadtrates die
Forderung zurückwies, ich solle nur jüdische Organisationen
finanziell unterstützen, die er vorschlug. Der Zentralrat war nicht
damit einverstanden, dass ich auch Kampagnen jüdischer
Organisationen unterstützte, die sich für die Rechte von Schwulen
und anderen einsetzten, die mit der Politik der israelischen
Regierung nicht einverstanden waren.
Die Beziehungen zum
Zentralrat nahmen eine dramatische negative Wende, als ich mich
gegen Israels illegale Invasion des Libanon aussprach, die in den
Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und
Shatila gipfelten. Der Zentralrat war auch gegen meine Beteiligung
an der erfolgreichen Kampagne ( 1982), um die Labourpartei zu
überzeugen , dass die PLO die legitime Stimme des palästinensischen
Volkes sei.
Das grundsätzliche
Problem, in dem wir gegensätzlicher Meinung sind – wie Henry
Grundwald bestätigen kann – ist nicht der Antisemitismus, den meine
Verwaltung erbittert bekämpft, sondern die Politik der israelischen
Regierungen.
Um künstlich
fabrizierte Missverständnisse zu vermeiden, die Politik der
israelischen Regierungen ist nicht analog zum Nationalsozialismus.
Sie zielt nicht auf die systematische Auslöschung des
palästinensischen Volkes in der Art wie die Nazis die
Vernichtung der Juden betrieben.
Israels Expansion
schließt aber ethnische Säuberung ein. Palästinenser, die seit
Jahrhunderten im Lande lebten, wurden durch systematische Gewalt und
Terror, der ethnische Vertreibung beabsichtigte, vertrieben. So
entstand der Staat Israel. Die Methoden der Stern- und Irgungruppen
waren dieselben wie des bosnischen Serbenführer Karadzic: die
Menschen durch Terror vertreiben.
Heute setzt die
israelische Regierung den Diebstahl von palästinensischem Land für
Siedlungen fort. Militärische Überfälle in die umliegenden Länder
und die Nichtanerkennung der Rückkehrrechte der Palästinenser, die
durch Terror vertrieben wurden. Ariel Sharon, Israels
Ministerpräsident, ist ein Kriegsverbrecher, der im Gefängnis und
nicht im Amt sein sollte. Israels eigene Kahan-Kommission
stellte fest, dass Sharon Mitverantwortung für die Sabra und Shatila
Massaker hatte.
Sharon fährt fort,
Terror zu organisieren. Mehr als dreimal so viele
Palästinenser als Israelis sind im gegenwärtigen Konflikt getötet
worden. Mehr als 7000 Gefangene sitzen in Israels Gefängnissen.
Um diese Wahrheiten
zu verschleiern, haben all jene um Israels gegenwärtige Regierung
einen Ausweg in der Dämonisierung gefunden. Die ursprünglichen Ziele
waren die Palästinenser und nun sind es die Muslime. Z.B gilt das
Nahost Medien Forschungsinstitut, das von einem früheren Oberst des
israelischen Geheimdienst geleitet wird, als Quelle für
objektive Information – in Wirklichkeit übersetzt es
ausgewähltes Material aus dem Arabischen, wo Muslime und Araber im
schlechtesten Licht erscheinen..
Die israelische
Regierung hilft heute, ein völlig verzerrtes Bild von Rassismus und
religiöser Diskriminierung in Europa zu verbreiten, was darauf
hinausläuft, dass der Hass und die Diskriminierung der Juden
am schlimmsten sei.
Alle rassistischen
und antisemitischen Angriffe müssen natürlich niedergeschlagen
werden. Die Wirklichkeit aber ist die, dass die meisten
rassistischen Attacken in Europa heute gegen Afrikaner,
Asiaten und Muslime gehen – sie sind vor allem die Ziele der
extremen Rechten.
Seit
20 Jahren haben israelische Regierungen versucht, jeden, der
überzeugend Kritik an der Politik Israel übt, als Antisemiten
hinzustellen.
Das
Gegenteil ist der Fall: dieselben universalen menschlichen Werte,
die den Holocaust als größtes rassistisches Verbrechen
des 20. Jahrhunderts anerkennen, fordern die Verurteilung der
Politik der israelischen Regierungen – nicht aus den absurden
Gründen, Nazis zu sein oder weil sie Vergleiche mit dem Holocaust
ziehen, sondern weil ethnische Säuberung, Diskriminierung und Terror
unmoralisch sind .
Sie
heizen auch die Angst und die Gewalt/ den Terror in aller Welt an .
Wenn ein Bürgermeister von London sich nicht gegen solche
Ungerechtigkeiten ausspricht, wäre das nicht nur falsch
– sondern würde auch die Bedrohung (vor Terrorakten) ignorieren, die
die Sicherheit aller Londoner in Frage stellt.
(dt. Ellen Rohlfs)