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21. September 2005

Dortmunder Erklärung

Wer die israelische Staats- und Regierungspolitik für tabu erklärt, fördert Haß und Diskriminierung

 Deutsche Lobbyisten für die israelische Regierung haben Forderungen zur „Bekämpfung des Antisemitismus“ veröffentlicht: Politische Handlungen gegen die israelische Staats- und Regierungspolitik sollen ab sofort als antisemitisch gelten. Das fordern:

Dr. András Kain, RAUL WALLENBERG LOGE BERLIN (B´nai B´rith)
Samuel Laster, DIE JÜDISCHE (www.juedische.at)

Margitta Neuwald-Golling, Vice President EUROPEAN COUNCIL of WIZO FEDERATIONS (Women International Zionist Organisation)
Thomas von der Osten-Sacken, WADI e.V.
René Pollak, ZIONISTISCHE ORGANISATION FRANKFURT
Jörg Rensmann, PROJEKT ARCHIV e.V.
Boris Ronis, HANS ROSENTHAL LOGE BERLIN (B´nai B´rith)
Ralf Schroeder, TYPOSKRIPT.NET (www.typoskript.net)
Sacha Stawski, HONESTLY CONCERNED (www.honestly-concerned.org)

 Quelle: NGO-Forderungskatalog – Bekämpfung des Antisemitismus (Resolutionsentwurf), http://www.honestly-concerned.org/NGO-FORDERUNGSKATALOG.htm, seit Anfang September 2005 im Netz

 

 Die Dortmunder Erklärung richtet sich gegen die Forderungen dieser Lobbygruppe.
Die Erklärung ist aus einem Treffen in Dortmund am 4. September 2005 entstanden und richtet sich an die deutsche Öffentlichkeit.

 

1. Zusammenfassung der Dortmunder Erklärung

Kritik der israelischen Staats- und Regierungspolitik muß ebenso möglich sein wie die Kritik jeder anderen Staats- und Regierungspolitik. Opposition bis hin zum politischen Kampf gegen jedwede Staats- und Regierungspolitik gehört zum Recht jedes Bürgers. Propagandisten grundsätzlicher Zurückhaltung gegenüber einem Staat und einer Regierung dagegen schüren den Haß und fördern die Diskriminierung, die einzudämmen sie vorgeben.  

 

2. Diffamierung der Gegner als Antisemiten

Die eingangs genannte Gruppe deutscher Lobbyisten für die israelische Regierung behauptet und fordert:
Das sich Bahn brechende Ressentiment gegen Israel ist als Kern des modernen Antisemitismus zu ächten.

Die Lobbygruppe übersieht dabei die jüdisch-israelische Opposition, die gemeinsam mit Palästinensern und nicht-israelischen Juden und Nicht-Juden gegen die israelische Staats- und Regierungspolitik vorgeht. Scharon diffamiert seine politischen Gegner als Antisemiten (siehe Anmerkung). Das tut auch die deutsche Lobbygruppe. Ohne sich klar dazu zu bekennen, meint die Gruppe mit Israel die Politik und die Politiker, für die sie ihre Lobbyarbeit betreibt.

 

3. Die Berliner Erklärung gegen Antisemitismus

Die Lobbygruppe beruft sich mit ihrer Forderung nach Ächtung auf die Berliner Erklärung gegen Antisemitismus vom 29. April 2005. Diese Erklärung enthält einmal das Wort Israel. Der Passus lautet:

Die OSZE-Teilnehmerstaaten ... 3. erklären unmissverständlich, dass internationale Entwicklungen oder politische Fragen, darunter auch jene in Israel oder andernorts im Nahen Osten, niemals eine Rechtfertigung für Antisemitismus sind. ( siehe http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/friedenspolitik/berlin.pdf )

Die Verfasser der Berliner Erklärung unterscheiden klar zwischen politischen Entwicklungen und Fragen in Israel einerseits, und Antisemitismus andererseits. Dem ist zuzustimmen. Die deutsche Lobbygruppe für die israelische Politik beruft sich bei ihrer Vermischung von Antisemitismus und  Opposition gegen die israelische Regierung auf eine Erklärung, die dafür kein Argument liefert.

 

4. Die EUMC-Definition des Antisemitismus

Die Lobbygruppe erklärt des Weiteren:

Bundestag und Bundesregierung, Parlamente und Regierungen in den Ländern sowie alle weiteren hier relevanten Instanzen werden .. aufgefordert, die EUMC-Definition des Antisemitismus für die eigene Arbeit als verbindliche Grundlage anzusehen.   

Gemeint ist folgender Passus aus einem Papier des European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC):

Arbeitsdefinition: "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die man als Judenhass bezeichnen kann. Rhetorische und physische Manifestationen von Antisemitismus sind gegen jüdische oder nicht-jüdische Individuen und/oder gegen ihr Eigentum, gegen Institutionen der jüdischen Gemeinden und gegen religiöse Einrichtungen gerichtet."

Außerdem können solche Manifestationen gegen den Staat Israel, angesehen als jüdische Gemeinschaft, gerichtet sein.

Quelle: http://eumc.eu.int/eumc/material/pub/AS/AS-WorkingDefinition-draft.pdf Working definition: “Antisemitism is a certain perception of Jews, which may be expressed as hatred toward Jews. Rhetorical and physical manifestations of antisemitism are directed toward Jewish or non-Jewish individuals and/or their property, toward Jewish community institutions and religious facilities.” 

In addition, such manifestations could also target the state of Israel, conceived as a Jewish collectivity.

DeutscheÜbersetzung: Materialdienst des Evangelischen Arbeitskreises Kirche und Israel in Hessen und Nassau,
 http://www.lomdim.de/md2005/04/04.html )

 

In der Arbeitsdefinition selbst ist von Israel nicht die Rede. Das EUMC fügt seiner Arbeitsdefinition die Bemerkung an, daß Handlungen gegen den Staat Israel auf Judenhaß beruhen können. Das EUMC behauptet nicht, daß Handlungen gegen den Staat Israel per se antisemitisch sind. Daß „das Ressentiment gegen Israel .. als Kern des modernen Antisemitismus“ anzusehen sei“, wie die Lobbygruppe postuliert, ist der EUMC-Definition nicht zu entnehmen.

 

5. Die Erläuterungen des EUMC zu seiner Antisemitismus-Definition fußen auf Nationalismus.

 Einige Erläuterungen zur EUMC-Arbeitsdefinition von Antisemitismus sind jedoch ebenso falsch und gefährlich wie die Schlüsse, die die deutsche Lobbygruppe bereits aus der Definition ziehen zu können behauptet. So führt das EUMC als zeitgenössisches Beispiel für angeblichen Antisemitismus an: 

Die Beschuldigung, Staatsbürger jüdischer Herkunft seien loyaler eingestellt gegenüber Israel oder vermeintlichen jüdischen Prioritäten weltweit als gegenüber den Interessen ihrer eigenen Staaten.

Quelle: http://eumc.eu.int/eumc/material/pub/AS/AS-WorkingDefinition-draft.pdf ; (Übersetzung: Materialdienst des Evangelischen Arbeitskreises Kirche und Israel in Hessen und Nassau, http://www.lomdim.de/md2005/04/04.html )

Jüdische deutsche Staatsbürger, in ihrer großen Mehrzahl nicht deutsch-national gesonnen, dürften tatsächlich kaum bestreiten, daß ihnen die jüdische, die israelische oder irgendeine andere Sache mehr am Herzen liegt als die deutsche. Die  Bekundung dieser Tatsache für antisemitisch zu halten, zeugt einzig und allein von nationalistischen Vorstellungen beim EUMC. Die Unterzeichner der Dortmunder Erklärung teilen mit ihren jüdischen Mitbürgern die Zurückhaltung gegenüber dem Rechtsnachfolger des Nazi-Staats. Sie erscheint uns geradezu als Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben im Lande. 

 

6. EUMC-Definition und -Erläuterungen sind unverbindlich.

Die Lobbygruppe fordert  „nationales Monitoring, orientiert an der verbindlichen EUMC-Definition“. Tatsächlich hat die Leiterin des EUMC, Beate Winkler, der Tageszeitung Le Monde erklärt, das neue Dokument befände sich noch  im Versuchsstadium und ist ohne gesetzlichen Wert in der Europäischen Union.

 Le nouveau document est encore "au stade expérimental et n'a pas de valeur légale" au sein de l'Union, a déclaré au Monde la directrice de l'EUMC, Beate Winkler.

Quelle : Joëlle Stolz : Pour l'Observatoire européen du racisme, critiquer Israël peut être de l'antisémitisme Article paru dans l'édition du 21.05.05 http://www.lemonde.fr/web/article/0,1-0(at)2-3214,36-652095(at)51-650350,0.html

 

 

7. Israelfeindschaft wird als Straftatbestand herbei fantasiert.

Die deutsche Lobbygruppe fordert schärfste Ahndung von  „Israelfeindschaft“, wobei sie, wie dargelegt, unter Israel die israelische Staats- und Regierungspolitik versteht. Die Unterzeichner der Dortmunder Erklärung halten diese Forderung für demokratiefeindlich.

 

8. Lobbygruppen der israelischen Staats- und Regierungspolitik sollen den angeblichen Kampf gegen Antisemitismus prägen.  

Die deutsche Lobbygruppe will, daß Lobbygruppen wie die ihre für die israelische Staats- und Regierungspolitk das Monitoring, die Überwachung und Auswertung des angeblichen Kampfes gegen Antisemitismus übernehmen. Sie beruft sich eingangs auf das American Jewish Committee und empfiehlt im Text die bei der EUMC-Arbeit „vertretenen NGOs“.

Zu den im EUMC vertretenen Organisationen zählt die US-amerikanische Anti-Defamation League (ADL). Sie hat die oben genannte nationalistische Vorstellung, wer Juden jüdische oder pro-israelischen Prioritäten zuschreibe, sei Antisemit, ins EUMC eingebracht und verwendet die Antworten auf eine entsprechende Interview-Frage als angebliches Indiz für Antisemitismus. Die Ergebnisse dieser Pfuscherei sind in die EUMC-Berichte über Antisemitismus in Europa eingeflossen.

Die Behauptung im Fragebogen von 2002, zu der Stellung zu nehmen war, lautete: »Juden sind Israel gegenüber loyaler als diesem Land gegenüber.« Quelle: Manifestations of anti-Semitism in the European Union. First Semester 2002. Synthesis Report on behalf of the EUMC, European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia by Werner Bergmann and Juliane Wetzel, Zentrum für Antisemitismusforschung / Center for Research on Antisemitism, Technische Universität Berlin. Vienna, March 2003 www.spiegel.de/pdf/0,5534,3553,00.html

Die Anti-Defamation League verlieh Silvio Berlusconi 2003 den Distinguished Statesman Award – den Preis als hervorragendem Staatsmann. Der Preis, so der ADL-Vorsitzende Abraham Foxman, komme Berlusconi zu für seinen Einsatz im Kampf gegen den Antisemitismus. Wenige Tage zuvor hatte Berlusconi behauptet, Juden sei in Italien unter Mussolini nichts passiert. Von der Öffentlichkeit auf den Widerspruch hingewiesen, meinte Foxman, Berlusconi stünde fest an der Seite Israels und habe Bushs Irak-Krieg unterstützt. Für seine Mussolini-Bemerkung habe sich Berlusconi entschuldigt.

Quellen: International Herald Tribune, Despite his gaffe, Jewish group will honor Berlusconi, AP-Bericht vom 19. September 2003)   http://rasa.iht.com/articles/110482.html und http://www.haaretz.com/hasen/spages/344943.html

Bei der ADL ist der Antisemitismus eine Waffe im Kampf für die Bush-Scharon-Linie in der Weltpolitik. Wie es gerade in diese Linie paßt, bläßt die Anti-Defamation League den Antisemitismus auf oder redet ihn klein.  

9. Schlußbemerkung

 Die Unterzeichner der Dortmunder Erklärung setzen sich gegen Haß und Diskriminierung ein. Ein Teil ihres Einsatzes richtet sich gegen die Lobbygruppen für die israelische Staats- und Regierungspolitik, wie die US-amerikanische Anti-Defamation League und die deutsche Lobbygruppe mit ihrem NGO-Forderungskatalog auf der Internetseite von honestly-concerned.

 Anmerkung:

 Von den zahllosen Belegen für Scharons Diffamierung politischer Gegner als Antisemiten sei nur eine Reuters-Meldung aus Jerusalem vom 13. November 2003 zitiert:

Der israelische Premierminister Ariel Scharon erklärte, ausländische Kritik am israelischen Einsatz von Gewalt gegen den dreijährigen Aufstand der Palästinenser sei motiviert durch eine neue Form von Antisemitismus.

„Rund um die Welt wird Israel immer wieder kritisiert, weil es sein Recht auf Selbstverteidigung unter Anwendung exzessiver Gewalt ausübe“ sagte Scharon auf Englisch jüdischen Aktivisten aus Kanada am letzten Mittwoch.

Diejenigen, die Israels „Recht auf Selbstverteidigung durch Gewaltanwendung“ zurückwiesen, würden tatsächlich auch sein „Geburtsrecht auf Existenz“ in der angestammten Heimat leugnen, fügte er hinzu.

„Bedauerlicherweise beobachten wir diese Erscheinung bei vielen Nationen in der Weltgemeinschaft, und ich würde sagen, das ist eine neue Form von Antisemitismus“, sagte Scharon.  

Erstunterzeichner der Dortmunder Erklärung:

Erhard Arendt (Das Palästina Portal)
Anis Hamadeh (Anis Online)
Klaus Hartmann, Offenbach am Main (Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes)
Dr. Izzeddin Musa (Gesellschaft zur Humanitären Unterstützung der Palästinenser e.V. - G.H.U.P.)
Claudia Karas (Aktionsbündnis für einen gerechten Frieden in Palästina)
Elisabeth Schneider (Linkspartei Landesvorstand Hessen und Kreisvorstand Frankfurt/Main)
Thomas Immanuel Steinberg  (Gewerkschaftlicher Arbeitskreis Frieden Hamburg) 

 

  Weitere Unterzeichnerinnen der Dortmunder Erklärung

8. Andreas Friedrich (www.Profi-reporte.de)
9.
Sigrid Thies
10. Klaus von Raussendorff (Vereinigung für internationale Solidarität (VIS) e.V)
11. Joachim Guilliard (Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg)
12. Ruedi Bosshart (Zürich/Schweiz)
13. Prof. Dr. Georg Meggle (Institut für Philosophie, Universität Leipzig)
14. Shraga Elam (Israelischer Journalist und Friedensaktivist, Zürich/Schweiz)
15.
Annette Klepzig
16. Günter Schenk (Collectif judéo-arabe et citoyen pour la paix, Strasbourg)
17.
Ellen Rohlfs
18. Abraham Melzer
19. Ruth Asfour, Offenbach am Main
20. Gertrud Nehls
21. Martin Saelzer
22. Elisabeth Wöckel
23. Dr. Viktoria Waltz (Universität Dortmund)
24. Samieh Jabbarin (attac und Palästinakomitee, Stuttgart)
25. Dipl.Theol. Winfried Belz (Heidelberger Friedensratschlag)
26. Markus Bernhardt, Berlin
27. Andreas Grünwaldt (Solidarität International, Nürnberg)
28. Sylviane Lang
29. Gerold Lang
30. Udo Gesterkamp (Allensbach, theopenunderground.de)
31. Robert Hartwig, Bergisch Gladbach
32. Hanna Braun (ehemalige israelische Staatsbürgerin, geboren in Deutschland)
33. Hanno de Buhr, Berlin
34. Fuad Hamdan, München, Jüdisch-palästinensische Dialoggruppe, Palästina Komitee, Dritte Welt Zentrum
35. Josef Reichart
36. Günter Ackermann, Webmaster www.Kommunisten-online.de 
37. Stefan Hernold, Göttingen
38. Tilo Schönberg, Webmaster, www.0815-info.de
39. Hans PH Neidhardt, München
40. Samy Yildirim, Zaandam, Niederlande
41. Christoph Steinbrink, München
42. Konrad Betz, Radevormwald, abgesehen von Punkt 5: Ich glaube, dass die Mehrheit der deutschen Juden sich von derlei  Dingen gar nicht betroffen fühlt.
43. Knut Mellenthin
44. Arne Hoffmann, Medienwissenschaftler und Autor ("Warum Hohmann geht und Friedman bleibt")
45. Josef Gabriel Twickel
46. Amos Borngesser, Dipl.Inf., Berlin
47. Dipl.Theol.Esther Thomsen (Deutsch-Palästinensischer Frauenverein e.V.)
48. Michael Hula, selbständiger Rechercheur, Wien
49. Raid Sabbah, palästinensischer Filmemacher und Schriftsteller
50. Dr. Sibylle Hoffmann, Journalistin
51. Dieter Elken, Rechtsanwalt (Strausberg)
52. Meno Hochschild, Webmaster www.ak-marxismus.de
53.
Hartmut Barth-Engelbart, Schriftsteller, Musiker, (Kinder-)Liedermacher
54. PD Dr. J.M. Becker, Marburg
5
5. Dr. Hans Christoph Stoodt, Pfarrer, Frankfurter Bündnis gegen den Krieg (Sprecher), Anti-Nazi-Koordination Frankfurt
      (Sprecher)
56. Rudolf Stratmann
57. Peter Silbereisen, Wiesbaden
58. Waltraut Schauer, Frauen in Schwarz, Wien
59. Ulricke Herrmann, Ilsfeld
60. Juliane Spitta  
 

Die Unterschriftensammlung, vor dreieinhalb Monaten von sieben Erstunterzeichnern begonnen, ist abgeschlossen. Der Dank geht an alle, die sich beteiligt haben.

 

 

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