Für eine Definition von
anti-palästinensischem Rassismus
Jaap C. Bosma - 16.10.2018
Letzten Monat schrieben Phillip
Weiss und Donald Johnson in
einem Post, dass ein Standard
für anti-Palästinismus hilfreich
wäre, damit:
"... die Leute anfangen zu
realisieren, wie abscheulich die
Beschuldigungen wegen
Antisemitismus sind, die benützt
werden, um eine rassistische
Sache zu unterstützen. Aber es
wird nichts geschehen, wenn sich
die Leute nur verteidigen."
Das veranlasste mich, über eine
Definition von
anti-palästinensischem Rassismus
und wie sie von Aktivisten für
die Rechte der Palästinenser
genutzt werden kann,
nachzudenken.
Bei der IHRA-Definition von
Antisemitismus denkt man an ein
Modell für eine Definition, aber
abgesehen von Beispielen für die
Nutzung erscheint sie mir unklug
zu sein. Die IHRA-Definition ist
bewußt vage gehalten und soll
legitime Kritik
fälschlicherweise des Rassismus
bezichtigen. Die Definition, die
wir suchen, hat das nicht nötig,
da der zionistische Rassismus
real ist und es viele gute
Beispiele dafür gibt. Unsere
Definition sollte klar und die
Beispiele dazu unwiderlegbar
sein.
Man sollte an den Zweck denken,
dem eine solche Definition
nützen kann, und Beispiele
suchen, die für diese Zwecke
geeignet sind. Beispiele könnten
den Leuten helfen zu
realisieren, dass die
zionistischen Privilegien für
Juden rassistisch sind, und
sollten die drei höchst
wichtigen Forderungen von BDS
legitimieren, sie sollten klar
machen, dass die einzige reale
Lösung des Konflikts volle
Gleichberechtigung von Juden und
Palästinensern ist. Wie Peter
Cohen neulich schrieb:
"Wenn der
traditionelle Rahmen des
palästinensischen Widerstands (struggle)
als ein Konflikt zwischen
Völkern um die Kontrolle über
das Land von einem Kampf (struggle)
des Volkes für
Gleichberechtigung und
grundlegende Menschen- und
Zivilrechte ersetzt wird, wird
das eine Vision sein, die man in
der Tat schwer zurückweisen
kann."
Ich stimme dem aus ganzem Herzen
zu. Vorteile der
Forderung nach voller
Gleichberechtigung sind, dass
sie eine sehr goße Legitimität
hat, dass sie als Dach für die
drei Forderungen von BDS dienen
kann, und dass sie nicht
verhandelbar ist, entweder (die
geforderte) volle
Gleichberechtigung oder keine
Lösung. Letzteres ist wichtig,
denn wir wollen eine "Lösung"
wie die Oslo-Vereinbarungen
vermeiden, die auf Kompromissen
mit den Rechten der
Palästinenser basierten und
unbeschränkt mit der Ausbreitung
ungleicher kolonialer
Beziehungen endeten. Wenn BDS
genügend Druck auf Israel
ausübt, könnte Israel die PA
verleiten und Druck zu etwas
Ähnlichen auf sie ausüben.
Deshalb sollte der Druck auf
Israel seinen Fokus nicht auf
Kompromisse mit den Rechten der
Palästinenser richten, sondern
auf die Akzeptanz voller
Gleichberechtigung für Juden und
Palästinenser. Volle
Gleichberechtigung sollte der
Prüfstein für jede Lösung sein.
Die Beispiele sollten dies
verdeutlichen, indem sie den
zionistischen Rassismus und
Israels Apartheidregime
aufzeigen, die beide am besten
durch volle Gleichberechtigung
aufgelöst werden.
Eine Definition von
anti-palästinensischem
Rassismus wird ohne Zweifel von
Zionisten angegriffen und als
antisemitisch angeprangert
werden. Das stellt bestimmte
Anforderungen an die Definition.
Erstens sollte sie so klar und
präzise wie möglich sein.
Zweitens sollten die Beispiele
so unwiderlegbar wie möglich
sein, außerdem wäre es unklug,
mehr Beispiele als für die
Zwecke nötig einzubeziehen.
Drittens sollten die Definition
und die Beispiele von
Erklärungen und Erläuterungen
begleitet sein, die die
Beispiele verdeutlichen und
rechtfertigen, die falls nötig
erklären, dass ein Beispiel
nicht antisemitisch ist, und die
Argumente vorbringt, die die
Zionisten widerlegen müssen, um
ein Beispiel zu entkräften. Wir
kennen alle die zionistische
Kreativität, wenn es um falsche
Beschuldigungen wegen
Antisemitismus geht, und wir
sollten dem zuvorkommen.
Hier der Vorschlag für eine
Definition mit begleitenden
Beispielen und Erläuterungen:
"Anti-palästinensischer
Rassismus ist Hass oder
Diskriminierung von
Palästinensern als Palästinenser
oder Palästinensern als eine
Gruppe"
Beispiele berücksichtigen, sind
aber nicht beschränkt darauf,
dass
1) das palästinensische Recht
auf Selbstbestimmung im
historischen Palästina
bestritten wird, während
gleichzeitig das jüdische
Recht auf Selbstbestimmung
im historischen Palästina
bekräftigt wird,
2) das "Rückkehrrecht" der
palästinensischen Flüchtlinge
der Nakba
von 1948 dorthin bestritten
wird, wo jetzt Israel ist,
während gleichzeitig
Juden aus der ganzen Welt
ein "Rückkehrrecht" nach Israel
zugestanden
wird,
3) die Palästinenser einem
repressiven Militärrecht
unterworfen werden, das
ihnen grundlegende
Menschen- und Zivilrechte
verweigert, während Juden
im selben Territorium dem
normalen Zivilrecht unterliegen,
4) einem (möglichen zukünftigen)
palästinensischen Staat die
gleichen Rechte
und die selbe Souveränität
wie sie jeder andere Staat hat,
abgesprochen
werden,
5) palästinensischen Bürgern
gleiche Rechte wie den anderen
Bürgern im
selben Staat verweigert
werden, z.B. durch dutzende
diskriminierende
Gesetze, diskriminierende
Politik bezüglich Land oder
Wohnsitz
(Aufenthaltsstatus),
diskriminierende Wohnungs- und
Entwicklungspläne,
ethnisches Profiling oder
diskriminierende
Budgetzuweisungen,
6) über das palästinensische
Volk oder einen Teil von ihm ein
Apartheidregime
durchgesetzt
wird,
7) Palästinenser dämonisiert
oder entmenschlicht werden,
indem
feindselige
Generalisierungen gemacht
werden, die nicht auf Fakten
beruhen, z.B. indem
Palästinenser allgemein
fälschlich als Terroristen,
rückständig, weniger
menschlich oder als
demografisches Problem
bezeichnet werden,
8) die Existenz des
palästinensischen Volkes
geleugnet wird,
9) das große Ausmaß der
ethnischen Säuberung der
Palästinenser 1948 und
seither geleugnet wird,
10) Palästinenser fälschlich des
Antisemitismus beschuldigt
werden, z.B. indem
Kritik an der Behandlung
der Palästinenser durch Israel
oder Aktivismus
für Freiheit,
Gerechtigkeit und
Gleichberechtigung für
Palästinenser
als Antisemitismus ohne
einen kontextuellen Beweis für
Antisemitismus bezeichnet
wird.
Erklärungen und
Verdeutlichungen:
Die Definition folgt dem Muster
"anti-X Rassismus ist Hass gegen
X als X", wobei X die
Opfergruppe bezeichnet. Seit der
anti-palästinensische Rassismus
nicht in erster Linie als Hass,
sondern eher über die
zionistische Privilegierung von
Juden als Gruppe vor den
Palästinensern als Gruppe
denunziert wird, berücksichtigt
die Definition dies durch
Einbeziehung von
"Diskriminierung" und "als
Gruppe".
Die Beispiele wurden nicht
herausgegriffen, um die
Abgrenzung zwischen dem, was
Rassismus darstellt und was
nicht, zu illustrieren, sondern
als unbestreitbare Beispiele von
anti-palästinensischem
Rassismus. Die Beispiele stellen
auch keine vollständige Liste
dar, da es sehr viel mehr
Beispiele gibt.
Wenn auch die Beispiele keine
unbestreitbaren Beispiele für
Rassismus sind, für den Israel
Schuld hat, hat oder hatte
Israel in großem Ausmaß Schuld
an ihnen allen. Da sie in der
Gesetzgebung verankert sind, ist
Israel unbestreitbar schuldig in
den Beispielen 2, 3 und 5, die
mit drei Forderungen der
BDS-Bewegung (Boykott,
Investitionsentzug und
Sanktionen) übereinstimmen. BDS
fordert Freiheit und
Gerechtigkeit für die
Palästinenser und möchte
anstelle von Rassismus und
Apartheid volle
Gleichberechtigung (Gleichheit)
für Juden und Palästinenser.
Beispiel 1 bezieht sich auf die
Quelle des zionistischen
anti-palästinensischen
Rassismus, die Idee, dass
Palästina dem jüdischen Volk und
nicht dem palästinensischen Volk
gehört, und dass Juden ein
größeres Recht haben dort zu
leben. Diese Idee legitimiert
die Kolonisierung (Besiedlung)
Palästinas durch europäische
Siedler, sowie (das Land) der
einheimischen Bevölkerung
wegzunehmen. 2018 wurde dieses
zentrale zionistische Dogma in
einem Grundgesetz, dem "Nation
State Law" festgeschrieben.
Die Art und Weise, in der das
Beispiel formliert ist,
vermeidet es "Einen
demokratischen Staat"
rassistisch zu nennen (weil er
beiden Völkern die
Selbstbestimmung verwehrt), weil
es nicht rassistisch ist,
sondern auf voller
Gleichberechtigung
(Gleichstellung) basiert.
Beispiel 2 bezieht sich auf die
palästinensischen Flüchtlinge
der Nakba, die Bürger vom
Mandats-Palästina waren oder
ihre Nachkommen sind und als
solche ein Rechts haben, Bürger
seines Rechtsnachfolgers,
Israels, zu sein. Es bezieht
sich auch auf das offen
rassistische israelische
"Rückkehrrecht" und das "Gesetz
über die Staatsangehörigkeit",
das das Recht Staatsbürger
Israels zu sein, Juden in der
ganzen Welt zugesteht (die
keineMandats-Bürgerschafts-Verbindung
zu dem Land haben), es aber
palästinensischen Flüchtlingen
zu verweigern. Der Grund für
diese Ungleichbehandlung ist
eindeutig rassistisch: nämlich
ob die ethnische Zugehörigkeit
eine jüdische ist oder nicht.
Einige Zionisten bezeichnen das
Beharren auf dem
palästinensischen
"Rückkehrrecht" als
antisemitisch, weil es die
jüdische Mehrheit Israels
gefährden und deshalb dem
jüdischen Volk das Recht auf
Selbstbestimmung streitig machen
würde. Das ist falsch, weil 1)
das palästinensische
"Rückkehrrecht" einfach
existiert und nichts mit
Antisemitismus zu tun hat, und
2) eine mögliche jüdische
Minderheit letztlich nicht durch
palästinensische Flüchtlinge
verursacht wird, sondern durch
die zionistische Entscheidung,
einen jüdischen Staat in einem
Land, das bereits von den
Palästinensern bewohnt wird, zu
errichten, und 3) im Fall einer
massenhaften Rückkehr von
Flüchtlingen Israel
Möglichkeiten hat, eine jüdische
Mehrheit zu behaupten, z.B.
indem es (ziemlich logisch)
Teile seines Territoriums mit
einer palästinensischen Mehrheit
an die Palästinenser abtritt.
Beispiel 3) bezieht sich auf die
rassistische israelische Praxis
in den besetzten
palästinensischen Gebieten mit
Ausnahme von Ost-Jerusalem.
Beispiel 4) bezieht sich auf die
"Zielsetzung" des
"Friedenprozessen", (nämlich)
eine "Zwei-Staaten-Lösung", und
die Äusserungen mehrerer
israelischer Premierminister,
dass der resultierende
palästinensische Staat eine
begrenzte Souveränität haben
werde, "weniger als ein Staat"
sein werde, oder dass Israel
eine "Sicherheitskontrolle" über
ihn behalten werde. Eine
nicht-rassistische Lösung
verlangt Gleichheit, also
Gleichheit des palästinensischen
Staates mit jüdischen Staat.
Beispiel 5) bezieht sich auf die
institutionalisierte
Diskriminierung der
palästinensischen Bürger von
Israel, sowohl durch dutzende
israelische Gesetze [1] als auch
in der Praxis.
Israel ist ein zionistischer
Staat mit jüdischen Privilegien
und Diskriminierung der
Palästinenser als die Norm, und
ein solcher Staat hat ein
grundlegendes Rassismusproblem.
In normalen Demokratien ist
völlige Gleichheit aller Bürger
die Norm und gibt es Gesetze,
die Diskriminierung nach Rasse
oder Ethnizität verbieten.
Israel kann sein grundlegendes
Rassismusproblem loswerden,
indem es volle Gleichheit
(Gleichberechtigung) zur Norm
macht [2] und ein jüdischer
Staat bleibt, d.h. ein Staat mit
jüdischer Mehrheit.
Beispiel 6) bezieht sich darauf,
dass Israel ein Apartheid-Regime
etabliert hat, das laut Richard
Falk und Virginia Tilley die
Vorherrschaft über das
palästinensische Volk als Ganzes
(hat) [3]. Es bezieht sich auch
auf die Situation in den
besetzten palästinensischen
Gebieten, in der sich jeder in
der Apartheid Konvention
aufgelistete exemplarische
"unmenschliche Akt" (außer
Genozid) von Israel routinemäßig
und systematisch praktiziert
wird.
Beispiel 7) bezieht sich auf den
alltäglichen anti-arabischen und
anti-palästinensischen Rassismus
in der israelischen
Gesellschaft, z.B. in den
israelischen Schulbüchern [4].
Beispiel 8) bezieht sich auf die
Vorstellung, dass
palästinensische Araber oder
Palästinenser eigentlich Araber
sind, die überall in der
arabischen Welt leben können,
aber nicht zu Palästina gehören,
das dem jüdischen Volk gehört.
Diese Idee hat legitimiert, dass
Palästina durch europäische
Siedler kolonisiert und das Land
der einheimischen Bevölkerung
weggenommen wurde. Wenn die
palästinensische Nation im 19.
Jahrhundert vielleicht auch
nicht existiert hat, existiert
sie sicherlich seit 1948.
Beispiel 9) bezieht sich auf die
palästinensische Nakba von 1948,
die ethnische Säuberung von mehr
als 700.000 Palästinensern.
Während es noch umstritten ist,
ob Vertreibungen durch
israelische militärische
Aktionen eine systematische und
beabsichtigte
Vertreibungspolitik darstellten,
ist es unumstritten, dass
zionistische militärische
Angriffe die Hauptursache für
die Flucht waren [5]; es ist
unumstritten, dass während und
seit 1948 aufeinanderfolgende
israelische Regierungen (die
Vollendung der) ethnischen
Säuberung betreiben, indem sie
die Rückkehr der Flüchtlinge
verhindern. Es ist auch
unumstritten, dass der Zionismus
ein starkes Motiv für die
ethnische Säuberung der
Palästinenser hatte und hat:
einen jüdischen Staat zu
schaffen und zu bewahren [6],
und dass David Ben Gurion und
andere zionistische Führer
"nichts Unmoralisches" im, wie
sie es nannten, "unfreiwilligen
(compulsory) Transfer" sahen
[7].
Beispiel 10) folgt der
IHRA-Definition des
Antisemitismus und seinen
möglichen Beispielen, die
angibt, ob Kritik an Israel
antisemitisch ist oder von den
"Rahmenbedingungen (overall
context)" abhängt, d.h. davon,
ob es einen antisemitischen
Kontext gibt oder nicht.
Zionisten ignorieren oft die
Bedingtheit der Beispiele der
IHRA.
Fußnoten:
[1] laut der Menschenrechts-NGO
Adalah diskriminieren mehr als
65 israelische Gesetze direkt
oder indirekt palästinensische
Bürger in Israel und/oder
Palästinenser, die in den
besetzten Gebieten leben:
https://www.adalah.org/en/content/view/7771,
aufgerufen am 2. Oktober 2018.
[2] ein Gesetz für volle
Gleichheit (Gleichberechtigung),
"Basic Law: A Country for All
Its Citizen", vorgeschlagen von
Balad, aber vom Präsidium der
Knesset 2018 verworfen,
https://knesset.gov.il/spokesman/eng/PR_eng.asp?PRID=13904,
aufgerufen am 2. Oktober 2018.
[3] Richard Falk, Virginia
Tilley, "Israeli Practices
towards the Palestinian People
and the Question of Apartheid",
ESCWA, United Nations, Beirut,
2017, z.B.
[4] laut Prof. Nurit
Peled-Elhanan sind die erwähnten
Beispiele in den israelischen
Schulbüchern weit verbreitet (common),
"Palestine in Israeli School
Books: Ideology and Propaganda
in Education", I.B. Tauris,
2013.
[5] e.g. Benny Morris, "Righteous
Victims – A History of the
Zionist-Arab conflict, 1881 –
2001", Vintage Books, 2001,
p.257.
[6] laut Benny Morris "... war
Transfer unvermeidbar und in den
Zionismus eingebaut – denn er
wollte ein Land, das 'arabisch'
war, in einen 'jüdischen ' Staat
umwandeln, und ein jüdischer
Staat hätte nicht ohne
Vertreibung der arabischen
Bevölkerung entstehen können;
...", "The Birth of the
Palestinian Refugee Problem
Revisited", Cambridge University
Press, 2004, p. 60.
[7] Benny Morris, "Righteous
victims...", p.144.
Quelle:
https://mondoweiss.net/2018/10/towards-definition-palestinian/
Übersetzung: K. Nebauer
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