Kunstausstellung auf der documenta fünfzehn, Kassel, Deutschland, 17. Juni 2022. (Birte Fritsch/CC BY 2.0)
Deutsches Kunstfestival stellt sich geschlossen hinter die Palästinenser und wehrt sich gegen Antisemitismusvorwürfe
Kuratoren und Künstler der renommierten documenta-Ausstellung sahen sich mit einer Flut von Anschuldigungen konfrontiert, auch von deutschen Beamten, weil sie palästinensische Kollektive und Ausstellungen zur Palästina-Solidarität beherbergten.
Hebh Jamal - 24. Oktober 2022 - Übersetzt mit DeepL
Schon Monate vor der Eröffnung war die documenta fifteen - die 15. Ausgabe eines der größten Kunstfestivals der Welt - Gegenstand einer groß angelegten Hetzkampagne der deutschen Medien. Die Organisatoren des Festivals, das vom 18. Juni bis zum 25. September in Kassel stattfand, wurden des Antisemitismus beschuldigt, vor allem im Zusammenhang mit Fragen zu Palästina und Israel.
Die Documenta fünfzehn war die erste Ausgabe der Veranstaltung, die hauptsächlich von Künstlern aus dem globalen Süden kuratiert wurde. Ruangrupa, ein in Jakarta ansässiges Künstlerkollektiv, wurde ausgewählt, die diesjährigen Exponate zu kuratieren, und zwar auf der Grundlage der Kernwerte von Lumbung - dem indonesischen Begriff für eine kommunale Reisscheune -, die einen starken Schwerpunkt auf Kollektivität, gemeinsame Nutzung von Ressourcen und Nachhaltigkeit legen.
Während Palästina-Israel in der monatelangen Ausstellung nur eine marginale Rolle spielte, sah sich ruangrupa einer Flut von Kritik ausgesetzt, auch von deutschen politischen Vertretern, weil sie angeblich antisemitische Kollektive präsentierten und Druck ausübten, eine Ausstellung palästinensischer Künstler zu schließen.
Da die Auseinandersetzungen um die Teilnahme palästinensischer Künstler am Festival bereits vor dessen Eröffnung im Juni begannen - zusammen mit Drohungen und Kampagnen gegen die Künstler selbst - war es vor der Eröffnung des Festivals nicht ganz klar, ob es für sie sicher sein würde, ihre Werke zu zeigen.
Ein Tsunami von Anschuldigungen
Im Januar 2022 erschien im Internet ein Blogbeitrag, in dem die Kuratoren und mehrere Künstler, die auf der documenta fünfzehn ausstellen sollten, des Antisemitismus bezichtigt wurden. Der Blog trägt den Namen "Bündnis gegen Antisemitismus Kassel", obwohl er anscheinend von nur einer Person betrieben wird. Er steht in Verbindung mit der antideutschen Bewegung, die historisch gesehen Teil der radikalen Linken des Landes ist und starke pro-israelische Ansichten vertritt.
Der Beitrag verurteilte die Einladung des palästinensischen Kollektivs "The Question of Funding" (TQoF) zur documenta 15 und beschuldigte die Künstler, Nazi-Sympathisanten zu sein, weil sie zuvor in leitenden Positionen im Khalil Sakakini Cultural Center, einer bekannten gemeinnützigen Kunst- und Kulturorganisation mit Sitz in Ramallah im besetzten Westjordanland, tätig waren.
Die Anschuldigungen konzentrierten sich auf die Behauptung, dass Khalil Sakakini, ein fortschrittlicher palästinensischer Pädagoge und nationalistischer Führer, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aktiv war, selbst ein Antisemit und Unterstützer des Nationalsozialismus war, und stützten sich auf falsche und dekontextualisierte Zitate aus Wikipedia. Obwohl diese Behauptungen von der palästinensischen Geschichtsschreibung, Journalisten und dem israelischen Historiker Tom Segev widerlegt wurden, wurden die zur documenta eingeladenen palästinensischen Künstler - wie Yazan Khalili, der das Zentrum 2015 leitete - allein durch die Assoziation mit Sakakinis Namen als antisemitisch dargestellt.
Der Blog warf den Künstlern außerdem vor, "Hass auf Israel zu fördern", nachdem einige des Künstlerteams, darunter Khalili, zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes gehörten, in dem sie die Anti-BDS-Resolution (Boykott, Desinvestition und Sanktionen) des Deutschen Bundestages von 2019 als Bedrohung der Kunst- und Meinungsfreiheit bezeichneten. Zahlreiche deutsche Medien griffen die Geschichte auf und wiederholten die Behauptungen des Blogs ohne zu hinterfragen.
An anderer Stelle wurde das TQoF des Antisemitismus beschuldigt, weil es Mohammed Al-Hawajris "Guernica Gaza"-Serie ausstellte, die berühmte Werke der europäischen Kunst - darunter Picassos Guernica, das einen Nazi-Bombenangriff während des Spanischen Bürgerkriegs darstellt - adaptiert, um israelische Militärgewalt gegen Palästinenser darzustellen.
Die Kuratoren der Documenta, ruangrupa, reagierten im Mai auf diese Anschuldigungen und erklärten, der Medienansturm sei ein "böswilliger Versuch, Künstler zu delegitimieren und sie aufgrund ihrer ethnischen Herkunft und ihrer mutmaßlichen politischen Positionen präventiv zu zensieren". Sie fügten hinzu: "Der Versuch, einzelne palästinensische Künstler als Antisemiten zu verleumden, entweder direkt oder durch 'Schuld durch Assoziation', ist genau die Art von Rufmord [sic], die man oft in rechtsextremen und rechtsgerichteten Diskursen sieht."
Gleichzeitig räumte ruangrupa einen Vorfall von Antisemitismus ein, der nichts mit den palästinensischen Künstlern zu tun hatte. "People's Justice", eine Installation des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, zeigte Abbildungen von Figuren, die traditionelle antisemitische Tropen enthielten, Figuren mit stereotypen antisemitischen Merkmalen wie einen Soldaten mit einem Schweinegesicht und einem Davidstern sowie einen Mann mit Payot (Seitenhaaren) und scharfen Zähnen. Das Gemälde hatte auf einem Gerüst in der Kasseler Innenstadt gehangen, bevor es abgehängt wurde.
"Wir entschuldigen uns für die Enttäuschung, die Scham, die Frustration, den Verrat und den Schock, den dieses Stereotyp bei den Zuschauern und dem gesamten Team verursacht hat", so ruangrupa in einer Erklärung. "Die Wahrheit ist, dass wir es kollektiv versäumt haben, die Figur in dem Werk zu erkennen, die klassische Stereotypen des Antisemitismus hervorruft. Wir räumen ein, dass dies unser Fehler war. In Absprache mit Taring Padi unterstützen wir die Entscheidung, das Werk im Hinblick auf ihre Grundsätze und Werte zu entfernen: in engem Kontakt mit den Bürgern zu arbeiten und die Unterschiede zu respektieren, einschließlich aller ethnischen Gruppen und Religionen.
Die palästinensischen Künstlerinnen und Künstler wurden jedoch weiterhin angegriffen. Rückblickend auf den "Tsunami" von Anschuldigungen sagte Khalili gegenüber +972, dass es "sehr hart für mich und den TQoF" war. Aber es sollte noch schlimmer kommen.
Im Mai desselben Monats brachen Unbekannte in den Ausstellungsraum von TQoF auf der documenta 15 ein, beschmierten die Wände mit dem Inhalt eines Feuerlöschers und sprühten "187" - den Abschnitt des kalifornischen Strafgesetzbuches, der sich auf Mord bezieht und manchmal als verschlüsselte Todesdrohung verwendet wird. Auch der Name "Peralta" wurde auf Dutzende von Flächen gesprüht, vermutlich in Anspielung auf Isabel Peralta, eine spanische faschistische Aktivistin, der vor kurzem die Einreise nach Deutschland wegen ihrer neonazistischen Ansichten verweigert wurde.
"In diesem Moment waren viele von uns und ein Großteil der deutschen Öffentlichkeit schockiert, dass diese Hetzkampagnen tatsächlich real sind und zu Angriffen führen können", sagte Khalili. "Wir haben auf diese Kampagnen reagiert, indem wir sagten, dass die grundlose Wiederholung von Lügen als Tatsachen zu einer echten Gefahr führt. Dennoch begann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der das Festival in diesem Jahr eröffnete, seine Ausführungen mit einer Verurteilung der palästinensischen Künstler und documenta-Kuratoren.
"Ich habe die Diskussion im Vorfeld dieser documenta sehr genau verfolgt, über das, was wir von der Kunst erwarten müssen, und auch über den zum Teil rücksichtslosen Umgang mit dem Staat Israel", sagte Steinmeier und fügte hinzu: "Die Anerkennung Israels ist die Grundlage und Voraussetzung dieser Debatte." Er kritisierte, dass "offenbar keine jüdischen Künstler oder Künstler aus Israel" auf dem Festival vertreten waren, und kritisierte "Vertreter des globalen Südens" für den Boykott von Veranstaltungen mit Israelis.
Laut Lara Khaldi, einer palästinensischen Kulturarbeiterin und Mitglied des künstlerischen Teams der documenta fünfzehn, waren die Palästinenser, die das Festival besuchten, "schockiert" über die Intervention des Präsidenten. "Wir hatten eigentlich erwartet, dass er sich für die Misshandlung einiger Gruppen in Deutschland uns gegenüber entschuldigen würde, für den Rassismus, den auch andere Kollegen erfahren haben, anstatt ihn zu ermutigen und uns für noch mehr Verleumdung anfällig zu machen", sagte sie. "Wir haben uns zu keinem Zeitpunkt dieser Erfahrung sicher gefühlt."
Historische Propaganda
Die Vorwürfe des Antisemitismus auf der documenta 15 betrafen auch das in Ramallah und Brüssel ansässige palästinensische Kollektiv Subversive Film (SF). Das Projekt, das unter die Lupe genommen wurde, war "Tokyo Reels" - eine Reihe von frisch restaurierten Filmen, die ursprünglich zwischen den 1960er und 80er Jahren gedreht wurden und die japanische und palästinensische antiimperiale Solidarität thematisieren. SF, ein Filmforschungs- und -produktionskollektiv, das sich zum Ziel gesetzt hat, historische Werke mit Bezug zu Palästina und der Region neu zu beleuchten, zeigte die Tokyo Reels während des gesamten Festivals.
In ihrem ersten ausführlichen Interview seit der documenta-Affäre erklärten SF dem Magazin +972, warum das Material aus Japan so wichtig ist und warum sie die Antisemitismus-Vorwürfe entschieden zurückweisen.
Das Projekt entstand im Jahr 2019, als SF ihren Film "Off Frame aka Revolution Until Victory" in Japan zeigte. Eine Frau im Publikum sprach die SF-Mitglieder Reem Shileh und Mohanad Yaqubi an, überreichte ihnen einen Zettel und bat darum, sie zu treffen, bevor sie das Land verlassen. Nach einer schnellen Übersetzung erkannten sie, dass es um eine Liste von Filmen ging, die sie in ihrem Besitz hatte - einige davon waren dem SF bekannt, andere nicht.
Einige Tage später übergab die Frau SF eine Kiste mit 20 Filmrollen, U-Matic-Kassetten, Büchern, Postern und anderen Dokumenten, die die Geschichte der politischen Mobilisierung und Solidarität Japans mit Palästina darstellen. Die Filme wurden von palästinensischen, arabischen, japanischen und amerikanischen Filmemachern und Journalisten gedreht und von verschiedenen politischen Gremien, Fernsehsendern und dem Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) in Auftrag gegeben. Das Material wurde in den 1970er und 80er Jahren von einer japanischen Solidaritätsgruppe gesammelt, die sich längst aufgelöst hat, deren ehemalige Mitglieder die Sammlung jedoch über drei Jahrzehnte lang bewahrt haben.
Mit Tokyo Reels wollte SF darüber nachdenken, wie das transnationale "militante Kino", das bis in die 1960er Jahre zurückreicht, ausgegraben und restauriert werden kann. Dieses Unterfangen ist bei palästinensischen Filmen besonders schwierig, da viele Materialien entweder während der Kriege zerstört oder in den israelischen Staatsarchiven weggesperrt wurden und palästinensischen Historikern und Künstlern unzugänglich sind.
So wurden beispielsweise fast alle Bilder und Filme eines umfangreichen Archivs im Libanon beschlagnahmt, als die israelische Armee während der Invasion 1982 die Büros der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Beirut stürmte. Einige Filme, die später von SF entdeckt und auf der documenta gezeigt wurden, wurden zwischen 1967 und 1982 vom PLO-Büro in Beirut nach Japan geschickt; wie das Material dorthin kam, ist bis heute unbekannt.
Ein vorläufiger Bericht, der im September veröffentlicht wurde und von einem "wissenschaftlichen Beratungsgremium" verfasst wurde, das von den documenta-Gesellschaftern ausgewählt wurde, um den Antisemitismus auf dem Festival zu untersuchen, empfahl, Tokyo Reels zu schließen. Das Gremium behauptete, die Filme seien "mit antisemitischen und antizionistischen Fragmenten durchsetzt" und stellten "historische Propaganda" dar, die den Terrorismus verherrliche. Das Komitee warf SF auch vor, die Archivfilme nicht in den richtigen Kontext zu setzen, um ihre "historischen Falschdarstellungen" zu korrigieren.
Obwohl sieben Akademiker in der Untersuchungskommission aufgeführt waren, haben nur fünf von ihnen den Bericht unterzeichnet. Dr. Nicole Deitelhoff, die Vorsitzende des Ausschusses, reagierte nicht auf die Bitte von +972 um einen Kommentar. Nach dem Bericht des Gremiums forderte auch die deutsche Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth, die Schließung von Tokyo Reels und stimmte den Ergebnissen des Ausschusses zu.
"Wir wollten in erster Linie die Geschichte dieser Solidaritätsbewegungen verstehen und der Welt zeigen, dass es ein solches Gedächtnis gibt", erklärten die Mitglieder von SF gegenüber +972 und fügten hinzu, dass der documenta-Beirat den Wert der Archivfilme eindeutig missverstanden habe. "Dieser Bericht selbst war nicht wissenschaftlich", fuhren sie fort. "Es war klar, dass sie nicht gründlich studiert haben, worum es bei Tokyo Reels geht".
Khaldi vom künstlerischen Team der documenta glaubt, dass das Komitee stark voreingenommen gegen alles war, was auch nur im Entferntesten die Palästinenser unterstützt. "Aus der Sprache des vorläufigen Berichts geht hervor, dass das Komitee eher auf die Medien als auf die Kunstwerke geschaut hat", erklärte sie gegenüber +972.
"Diese Filme sind archiviert, sie können nicht bearbeitet werden, sie können nicht verändert werden", fuhr sie fort. "SF erklärte nur den Kontext, in dem diese Filme entstanden sind, da das palästinensische Kino aus der Geschichte geraubt wurde. Das militante Kino ist ein sehr bekanntes und beliebtes akademisches Genre in der Filmwissenschaft. Meiner Meinung nach sind die SF die Wissenschaftler auf diesem Gebiet, nicht die Mitglieder des Untersuchungsausschusses".
SF glaubt auch, dass die Forderung des Ausschusses nach Kontextualisierung ein Vorwand ist, um eine bestimmte Meinung zu artikulieren, die dem deutschen Mainstream-Diskurs gefällt. "[Es ist] lächerlich", sagten sie. "Für das 'Expertengremium' besteht ihre Vorstellung von Kontextualisierung darin, diese Filme als reine Propaganda abzutun. Es spielt für sie keine Rolle, dass wir die Archive tatsächlich kontextualisiert haben, [weil] es nicht so war, wie sie es wollten."
Khaldi argumentiert, dass die Empfehlung, Tokyo Reels zu schließen, in Wirklichkeit eine Beleidigung für die Fähigkeit der deutschen Öffentlichkeit war, sich an einem konstruktiven Gespräch über die Filme zu beteiligen. "Die Prämisse, eine historische Installation zu schließen, ist herablassend", sagte sie. "[Die Deutschen] sollten in der Lage sein, selbst zu entscheiden, zu hinterfragen und sich mit dem Kunstwerk zu beschäftigen, anstatt von politischen Akteuren diktiert zu werden."
Die SF veröffentlichte zusammen mit vielen Künstlern, Kollektiven und Kuratoren der documenta eine Erklärung, in der sie die Einrichtung des wissenschaftlichen Beirats kritisierte. "Wir sind wütend, wir sind traurig, wir sind müde, wir sind vereint", hieß es in der Erklärung. Die Unterzeichner stuften den Bericht als rassistischen Zensurversuch ein und nannten ihn "bösartig" und "problematisch".
In ihrer Erklärung kritisierten die Künstlerinnen und Künstler der documenta auch, dass das Komitee die umstrittene Definition der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA) für Antisemitismus als Rechtfertigung für ihre Anschuldigungen heranzieht. Die IHRA wurde von vielen Aktivisten und Wissenschaftlern als sehr weit gefasste Definition kritisiert, die Kritik am israelischen Staat als Beispiel für vorurteilsbehaftetes und antisemetisches Verhalten anführt.
"Das wissenschaftliche Beratungsgremium schafft einen Rahmen, der eine unvermeidliche Verurteilung der Lumbung, ihrer Struktur, der palästinensischen Künstler und ihrer Werke und letztlich der documenta 15 als Ganzes zur Folge hat", heißt es in der Erklärung. "Welche Art von akademischer Integrität ignoriert absichtlich Geschichte und Fakten im Dienste rassistischer und hegemonialer Agenden?"
Das Klima der Unterdrückung in Deutschland
Charlotte Wiedemann ist Journalistin und Schriftstellerin mit den Schwerpunkten Rassenbeziehungen und postkoloniales Denken und Autorin eines kürzlich erschienenen Buches über die Erinnerung an den Holocaust, in dem sie die Notwendigkeit betont, nicht-europäische Perspektiven einzubeziehen. Wiedemann verglich die documenta-Affäre mit früheren Fällen, in denen ungerechtfertigte Antisemitismusvorwürfe die Meinungsfreiheit in Deutschland beeinträchtigt und den öffentlichen Diskurs sowie den notwendigen Kampf gegen echten Antisemitismus schwer geschädigt haben.
"Meiner Meinung nach gab es ein bestimmtes antisemitisches Bild, das zu Recht entfernt wurde", sagte Wiedemann gegenüber +972 und bezog sich dabei auf die Installation von Taring Padi. "Die Debatte wurde also grob und absichtlich übertrieben, offensichtlich aus politischen Gründen: um Stimmen zu delegitimieren, die Israels Besatzungspolitik und Menschenrechtsverletzungen kritisch gegenüberstehen."
Alice Garcia, Rechtsberaterin des European Legal Support Center, warnte ebenfalls vor den Auswirkungen dieser Anschuldigungen. "Die Debatten und Angriffe auf die documenta-Ausstellung verdeutlichen das extreme Klima der Unterdrückung in Deutschland, nicht nur gegen Verfechter der palästinensischen Rechte, sondern auch gegen jede Einzelperson oder jedes Kollektiv, einschließlich Künstler, die eine vom westlichen Mainstream-Diskurs über Palästina-Israel abweichende Sichtweise zum Ausdruck bringen", sagte Garcia in einer Erklärung an +972.
Der deutsche Journalist Hanno Hauenstein, der akribisch über die documenta-Skandale berichtet hat, schlug vor, dass die Entwicklung des deutschen Diskurses über Antisemitismus teilweise die konservativen Angriffe auf die kritische Rassentheorie in den Vereinigten Staaten nachahmt. "Was wir hier sehen, ist zum Teil eine weiße liberale Reaktion auf diese 'rassische Abrechnung' und epistemische Revolution von Bewegungen wie Black Lives Matter und postkolonialer Theorie, die institutionellen Rassismus anprangern", sagte er gegenüber +972.
Obwohl die Kampagnen gegen die fünfzehn Künstler der documenta vorgaben, Antisemitismus zu bekämpfen, was an und für sich ein lobenswertes Ziel wäre, glaubt Hauenstein, dass sie dennoch ein Beweis für eine gefährliche Doppelmoral in der deutschen Kunstwelt sind, die dazu dient, Palästinenser zum Schweigen zu bringen und gleichzeitig die dunkle Geschichte einiger deutscher Künstler auszulöschen. "Man könnte argumentieren, dass es, wenn es um die persönliche Beziehung zu unseren eigenen Familien geht, insbesondere zu den reichen Familien der Nazi-Nachfahren, nicht viel Selbstreflexion oder wirkliche Konsequenzen gegeben hat", sagte er.
Ein Beispiel dafür ist die deutsche Milliardärin und Kunstsammlerin Julia Stoschek, die das Nazi-Erbe ihres Urgroßvaters Max Brose lange ignoriert und in jüngsten Interviews sogar verteidigt hat. Im Kasseler Museum für Sepulkralkultur ist noch immer eine Figur mit dem Titel "Der Tod und der Jude" ausgestellt, die die Ermordung Jesu durch einen jüdischen Mann ohne jegliche Beschreibung oder Kontext darstellt.
Darüber hinaus enthält die Online-Sammlung der Staatlichen Kunstsammlung Dresden - deren Direktorin Marion Ackermann in den wissenschaftlichen Expertenausschuss berufen wurde, der später behauptete, auf der documenta 15 habe eine "antizionistische, antisemitische und israelfeindliche Stimmung" geherrscht - mehrere antisemitische Zeichnungen, Puppen und Texte von deutschen Künstlern aus dem 20. Jahrhunderts. Die meisten dieser Werke sind immer noch online zu sehen und wurden bis vor kurzem unkommentiert digital ausgestellt.
"Hier ist ein meist unbewusster Mechanismus im Spiel", so Hauenstein gegenüber +972, "bei dem der Antisemitismus von 'Ausländern' oder so genannten Anderen - also Menschen, die als etwas von der deutschen Identität abweichend angesehen werden - sehr stark betont wird, während gleichzeitig der angeborene deutsche Antisemitismus von Leuten wie Hans-Georg Maaßen [ehemaliger Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz] oder Thilo Sarrazin [Politiker und ehemaliger Banker] oft ignoriert oder selten kritisiert wird."
Die Medien sind nicht der einzige Richter
Die Kampagne, die sich gegen die Organisatoren des Festivals richtet, scheint nicht aufzuhören, obwohl die Ausstellung letzten Monat zu Ende ging. Gegen die Entscheidung der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) im Januar, den ruangrupa-Künstlern Reza Afisina und Iswanto Hartono eine Gastprofessur zu verleihen, gab es im Oktober heftige Proteste: Bürger, Politiker und Medien forderten, die Entscheidung wegen Antisemitismus zu widerrufen.
Ein Bundestagsausschuss der CDU forderte den Präsidenten der Hochschule, Martin Köttering, sogar auf, schriftlich zu belegen, dass die beiden nicht antisemitisch sind. "Die HFBK hätte schon im Sommer die Reißleine ziehen müssen", sagte Anke Frieling, wissenschaftspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. "Künstlerische Freiheit ist nicht gleich Antisemitismus", fügte sie hinzu und nannte eine Pro-BDS-Resolution und Kritik an Israel als Beleg für ihre Vorwürfe.
Bei ihrer ersten öffentlichen Veranstaltung als Gastprofessoren Anfang des Monats wandten sich Afisina und Hartono an das Publikum: "Wir möchten allen Hamburgerinnen und Hamburgern ganz klar sagen: Wir sind keine Antisemiten. Wir sind keine Feinde des Staates Israel. Wir wollen uns gegen Rassismus, Diskriminierung, Gewalt und Unterdrückung von Menschen auf der ganzen Welt einsetzen", sagten sie.
Dies reichte nicht aus, um viele in der Menge zu überzeugen, denn im Hörsaal der Universität brachen laute Proteste aus, bei denen die Demonstranten Köttering aufforderten, "die Nazis rauszuwerfen". Afisina erklärte später, die beiden seien "traurig, auf diese respektlose Weise empfangen worden zu sein".
Trotz der Verleumdungskampagnen, der politischen Angriffe und der Bemühungen, die Künstler der documenta zum Schweigen zu bringen, war das diesjährige Festival gut besucht und übertraf mit über 700.000 Besuchern während der 100 Tage die Erwartungen der Organisatoren. Künstler und Organisatoren hoffen, dass das Publikum trotz des Schattens der Antisemitismusdebatte in der Lage war, die Exponate auf beeindruckende Weise aufzunehmen.
"Ich bin sicher, dass das Publikum anders dachte", sagte Khaldi. "Warum ist dies die zweitmeistbesuchte documenta? Weil die Menschen das Gespräch und die Debatte sehen wollten, die im ganzen Land ausgestrahlt wird, um dann selbst zu entscheiden. Letztendlich sind die Medien nicht der einzige Richter".
Von Beginn der documenta an hielt die Lumbung-Gemeinschaft durch die aggressive Kampagne eindeutig zusammen. Sie stellten Arbeiten zur Palästina-Solidarität aus, waren sich in ihren Erklärungen einig und unterstützten die angegriffenen palästinensischen Künstler unerschütterlich. "Das Wichtigste an den 100 Tagen der documenta war, dass die Künstler die Einheit bewahrt haben", so SF gegenüber +972.
"Es gab so viele Versuche, uns zu spalten und einzelne Kollektive dazu zu bringen, uns zu denunzieren, aber zum Glück ist das nicht passiert", fügten sie hinzu. "So konnten wir den Ansturm bis zum Ende überleben und alle unsere Ausstellungen irgendwie am Laufen halten. Die Einheit des Globalen Südens war definitiv die größte Lektion, die wir daraus gelernt haben." Quelle
Ruangrupa-Mitglieder (hinten, von links) Farid Rakun, Mirwan Andan, Indra Ameng, Ajeng Nurul Aini, Ade Darmawan, Iswanto Hartono, Daniella Fitria Praptono, vorne sitzend von links nach rechts: Reza Afisina, Julia Sarisetiati
Ruangrupa-Interview
"Wir hatten nie das Ziel, perfekt zu sein"
Saskia Trebing - 22.09.2022
Am 25. September endet die Documenta Fifteen. Hier spricht das kuratorische Team von Ruangrupa über die Eskalation der Antisemitismus-Debatte, die umstrittenen "Tokyo Reels" und sein Kassel-Fazit
Im Großraumbüro im Kasseler Ruru-Haus herrscht auch wenige Tage vor Ende der Documenta noch reger Betrieb. Zum Abschluss soll noch einmal die ganze Ausstellungen mit Performances und anderen Veranstaltungen aktiviert werden. Der öffentliche Fokus liegt jedoch auch zum Abschluss der Weltkunstschau auf der Debatte um Antisemitismus, die in den letzten Wochen noch einmal eskaliert ist.
Ein von den Gesellschaftern der Documenta (der Stadt Kassel und dem Land Hessen) eingesetzte Expertengremium hatte vor knapp zwei Wochen gefordert, die Filmvorführungen des Kollektivs Subversive Film wegen antisemitistischer und gewaltverherrlichender Elemente zu stoppen. Dabei handelt es sich um ein Archiv historischer propalästinensischer Filme, die zum Teil anti-israelische Propaganda beinhalten und dem jüdischen Staat laut Expertenkommission einen "faschistischen Charakter" unterstellen. Ruangrupa reagierte ungewöhnlich scharf mit einem offenen Brief, in dem von Zensur und rassistischen Tendenzen des Gremiums die Rede ist.
Im Abschlussinterview mit dem Kuratoren-Team der Documenta Fifteen gibt es also auch viel Aktuelles zu besprechen. Zum Gespräch versammeln sich die Ruangrupa-Mitglieder Farid Rakun und Indra Ameng sowie Ayşe Güleç vom Artistic Team.
Farid Rakun, Indra Ameng und Ayse Güleç, mit welchem Gefühl sehen Sie dem Ende der Documenta entgegen? Melancholie oder Erleichterung?
Farid Rakun: Für uns ist es traurig, deshalb haben wir viel Programm geplant, nicht nur, aber auch für die letzten Tage. Wir wollen dieses Gefühl verstärken: Die Arbeit ist getan, es ist Zeit, nach Hause zu gehen. Viele Ausstellungen werden eröffnet und dann sich selbst überlassen. Das ist nicht das, was wir wollten. Lumbung wird weitergehen, aber damit es weitergeht, braucht jeder von uns jetzt Ruhe und Raum für sich selbst. Viele von uns sind erschöpft und können nicht mehr klar denken, geschweige denn Entscheidungen treffen. Ich würde es verstehen, wenn auch das Publikum erschöpft ist. Nach einer Weile werden wir entscheiden, wie es weitergehen soll.
Indra Ameng: Wir haben immer gesagt, dass das Ende der 100 Tage in Kassel nur ein Schritt auf unserem Weg ist. Wir treffen uns mit einigen Künstlern, um zu sehen, wie die Arbeit, die wir hier gemacht haben, weitergehen kann.
Die Ausstellung endet in einer extrem aufgeheizten öffentlichen Debatte, und es scheint, dass die Dinge in den letzten Wochen noch einmal eskaliert sind. Das wissenschaftliche Komitee, das von den Documenta-Gesellschaftern eingesetzt wurde, hat empfohlen, das Werk "Tokyo Reels" des Kollektivs Subversive Film wegen antisemitischer Elemente aus der Ausstellung zu nehmen. Daraufhin haben Sie und viele der Documenta-Teilnehmer in einem offenen Brief geantwortet, der in seinem Ton viel schärfer war als die zuvor. Darin bezeichneten Sie das Eingreifen der Kommission als "rassistisches Abdriften in einer schädlichen Zensurstruktur". Warum ist die öffentliche Diskussion so spektakulär gescheitert?
FR: Zunächst einmal finden hier in Kassel durchaus Diskussionen statt. Wir hatten gerade ein Panel mit Taring Padi, Richard Bell und Kiri Dalena, wo sie über Propaganda und Ikonografie gesprochen haben. Viele Künstler sind hier, um zu reden, wir sind hier, um zu reden. Die Diskussion mit den Politikern ist jedoch in eine Sackgasse geraten. Für uns geht es darum, wie dieses Gremium eingesetzt wurde - von oben herab. Wir verweigern uns nicht einem Gespräch, wir haben Diskussionen mit einigen Wissenschaftlern und Journalisten. Aber als die Idee aufkam, einen Beirat einzusetzen und ihn wissenschaftlich zu nennen, wussten wir, wohin das führen würde. Wir wussten, dass die rote Linie, von der wir gesagt haben, dass sie nicht überschritten werden darf, überschritten werden würde.
Wo genau verläuft diese rote Linie? Hättte es nicht hilfreich sein können, bei einem so komplexen und sensiblen Thema wie Antisemitismus auf Expertise von außen zurückzugreifen?
FR: Die Installation von oben war die eine Linie. Und eine andere war, das Gremium wissenschaftlich zu nennen. Das kommt aus der kolonialen Geschichte. Die Wissenschaft kann benutzt werden und wurde dazu benutzt, um Menschen zu labeln und zu delegitimieren. Das ist nichts Neues. Wir verstehen, dass die Politiker ein solches Gremium brauchen, damit sie nicht ganz allein zu einer Schlussfolgerung kommen müssen. Aber die Art und Weise, wie das umgesetzt wurde, vermittelte uns den Eindruck, dass das Gremium letztlich ein verlängerter Arm der Politik war. Das ist für viele von uns traumatisch, auch für uns aus Indonesien. Wenn der Staat etwas tut, um seine Macht durch andere, in diesem Fall durch Wissenschaftler, auszuweiten, ist das sehr beunruhigend.
Man kann es auch so sehen, dass die Installation dieses Beirats nur notwendig war, weil Sie eine Grenze überschritten haben. Sie haben auf der Documenta Werke gezeigt, die in Teilen als antisemitisch bewertet wurden.
FR: Wir müssen erst klären, über welche Werke wir reden. Zu Taring Padi: Ja, wir verstehen das, und wir haben uns mehrfach entschuldigt. Auch wenn uns im Nachhinein die Frage gestellt wurde, ob das Banner hätte bleiben sollen und wir diese sehr schwierigen Debatten vor Ort hätten führen sollen. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Bei Subversive Film gibt es sicherlich viele Dinge, über die man reden kann. Aber wir haben schon in unserem offenen Brief gesagt, dass es sich um Archivmaterial handelt und man sehen muss, woher es kommt. Die Sache ist die, dass wir uns zusammen mit den Künstlern sehr viel Mühe mit den "Tokyo Reels" gegeben haben. Wie man sie präsentiert, wie man sie kommentiert. Wäre der Bericht der Kommission nicht öffentlich geworden, hätte es vielleicht eine Chance gegeben, eine Lösung zu finden, mit der alle leben können. Aber dann gab es eine Pressemitteilung und jemand hat sie getwittert, und alles wurde Orwell-artig.
Ayse Güleç: Das Komitee wurde uns als Unterstützung vorgestellt, um mit den Konflikten dieser Documenta umzugehen. Aber als der Bericht herauskam, war er hauptsächlich eine Wiederholung dessen, was einige Medien bereits veröffentlicht hatten. Insofern ist es bedauerlich, dass die Ergebnisse keine neuen Erkenntnisse bringen, die man diskutieren könnte.
Mitglieder der Expertengruupe haben gesagt, dass sie versucht haben, direkt mit Ihnen zu sprechen, bevor ihre Ergebnisse veröffentlicht wurden.
FR: Auch hier geht es um die Art und Weise, wie die Gruppe eingesetzt wurde. In dieser Konstellation war es nicht möglich, sich auf Augenhöhe auszutauschen. Das haben wir dem Aufsichtsrat immer wieder erklärt. Sie haben von ihrem Recht gebrauch gemacht, dieses Gremium trotzdem einzurichten. Also haben wir von unserem Recht gebrauch gemacht und gesagt: Ok, wir sind davon unabhängig.
Warum bewerten Sie die jetzige Situation so anders als bei Taring Padi? Auch da gab es in den Tagen nach der Installation des Banners großen öffentlichen und politischen Druck.
FR: Taring Padi waren damit einverstanden, das Bild zu entfernen. Und wir stehen auf der Seite der Künstler. Außerdem war es ein Fall von kollektivem Versäumnis. Wir hatten die Figuren nicht gesehen. Bei Subversive Film ist das anders. Die Künstler wussten und wir wussten, was sie zeigen, und wir haben uns bewusst um die Präsentation gekümmert. Subversive Film wollte die Arbeit nicht entfernen, also sind wir wieder auf der Seite der Künstler. Es gibt bereits Kontextualisierungen, die im Laufe der Ausstellung vorgenommen wurden, und es gibt Kontextualisierungen in der öffentlichen Diskussion. Wir sprechen schon sehr viel über diese Filme.
Die Werke mehrerer Documenta-Kollektive drehen sich auch darum, wie schädlich die Propaganda in ihren Heimatländern für ihre künstlerische Arbeit ist. Auch die "Tokyo Reels" enthalten Elemente von pro-palästinensischer Propaganda. Warum sollte eine Documenta dieses Material zeigen, das viele Menschen in seiner Agitation gegen Israel ebenfalls als gefährlich empfinden?
FR: Ein Archiv des palästinensischen Kampfes gibt es nicht. Es ist ausgelöscht worden. Die "Tokyo Reels" sind also ein Teil des unvollkommenen Archivs, das gerade aufgebaut wird. Es handelt sich nicht um Propaganda eines palästinensischen Staates. Die Sprache der Propaganda zu verwenden, ist etwas anderes als Staatspropaganda, denke ich. Es wird immer deutlicher, dass Archive nicht neutral sind. Sie sind umkämpftes Terrain, und es ist wichtig, das zu zeigen.
AG: Es handelt sich auch nicht um Material, das für die Gegenwart gemacht ist, sondern um historische Dokumente, die die Frage aufwerfen, was wir daraus lernen können. Deshalb sind die Filme auch in der Ausstellung zu sehen. Sie sind nicht neutral, aber wir neigen dazu, zu vergessen, dass auch Archive anderer Institutionen wie Universitäten oder Bibliotheken oder die Archive historischer Museen nicht neutral sind. So etwas wie ein neutrales Archiv gibt es nicht, und die Kunst kann genau das zeigen.
IA: Einige der Werke auf der Documenta sind zu Propagandazwecken entstanden, zum Beispiel Richard Bell oder Taring Padi. Aber die Werke repräsentieren niemals eine Staatsmacht. Sie wurden geschaffen, um die Bedürfnisse einer Community zum Ausdruck zu bringen.
Ihre Art des kollektiven Kuratierens hat dazu geführt, dass niemand genau wusste, was in Kassel gezeigt werden würde, und dieser Kontrollverlust war von Ihrer Seite gewollt. Man kann es aber auch so sehen, dass diese Strategie eine Verweigerung von individueller Verantwortung bedeutet. Alle möglichen problematischen Inhalte hätten so auftauchen können. Würden Sie nach den Erfahrungen dieses Sommers etwas anders machen?
FR: Wir können es von unserer Seite her gar nicht anders machen. Und unser Konzept ist ja auch der Grund, warum diese Documenta so viel Spaß macht. Das lässt sich nicht trennen. Was wir gelernt haben, ist, wie eine traditionsreiche Institution wie die Documenta funktioniert und wie politisch aufgeladen sie ist. Wir wissen nicht, ob wir noch einmal die Gelegenheit haben werden, etwas so Großes zu machen, vielleicht nicht. Aber es war wichtig zu verstehen, dass etwas, das als nationaler Schatz angesehen wird, etwas ganz anderes ist als ein unabhängiges Kunst-Event.
War die Documenta dann jemals der richtige Ort für das Lumbung-Experiment? Sie ist öffentlich finanziert, wird von Politikern genau beobachtet und ist letztlich eine ziemlich bürokratische Institution. Hätten Sie mehr Freiheit gebraucht?
AG: Wir wollten es in genau diesem Rahmen machen. Woanders wäre es vielleicht einfacher gewesen, aber wir wollten es hier machen.
IA: Als wir berufen wurden, haben wir Lumbung bereits in Jakarta praktiziert und wollten sehen, ob es auch in Kassel möglich ist. Viele Leute haben mir gesagt, dass das Konzept durch die Covid-Krise noch mehr an Bedeutung gewonnen hat. Wir müssen herausfinden, wie wir zusammenarbeiten und Ressourcen gemeinsam nutzen können. Wie wollen wir Veranstaltungen wie die Documenta in Zukunft planen? Werden wir es auf die klassische Art und Weise machen, oder ist es nicht notwendig, alle Strukturen, die sich als dysfunktional erwiesen haben, zu überdenken?
Viele Documenta-Projekte wie die Vernetzung zwischen den Kollektiven, politische Interventionen und Veranstaltungen in verschiedenen Ländern haben stattgefunden, bevor die Ausstellung in Kassel eröffnet wurde. War es überhaupt wichtig für Sie, ob die Documenta Fifteen der deutschen Öffentlichkeit gefällt? Oder hatten Sie schon erreicht, was Sie erreichen wollten, indem Sie all diese Künstler zusammengebracht haben?
FR: Vielleicht ist gefallen nicht das richtige Wort. Wir können das nicht kontrollieren, und wir machen nie etwas, um gemocht zu werden. Die Frage war eher, ob in diesen 100 Tagen der Documenta etwas nützlich war oder vorangetrieben wurde. Für uns ging es nie darum, Zustimmung zu gewinnen, sondern darum, wie unsere Praxis die Menschen so weit wie möglich einbeziehen kann. Was die Öffentlichkeit daraus macht, ist eine andere Frage. Wir haben alle möglichen Reaktionen erhalten, und wir waren uns sicher, dass es Kritik geben würde. Wir sind nicht perfekt, und wir hatten nie das Ziel, perfekt zu sein. Aber einige Leute haben es verstanden und sind wirklich auf unser Konzept eingegangen. Ich glaube, sie hatten eine angenehme Erfahrung. Diese Documenta ist nicht die Hölle auf Erden. Wenn sie für verschiedene Menschen auf unterschiedliche Weise nützlich sein kann, ist das völlig in Ordnung.
AG: Partizipation ist in der Kunstwelt schon seit vielen Jahren wichtig, aber was wir machen, geht über die Einladung zur Teilnahme hinaus. Die Art und Weise, wie die Ausstellungsräume aktiviert werden, die Zusammenarbeit zwischen den Künstlern und zwischen den Künstlern und den Menschen vor Ort ist etwas Besonderes. Sobald man die Ausstellung betritt, ist man Teil des Prozesses, und das kann man spüren und erleben.
IA: Unsere Idee ist es, Beziehungen aufzubauen. Das ist etwas anderes, als gemocht zu werden.
Kritik kam ja nicht nur von außen. Soweit ich weiß, sind zwei Kasseler Initiativen aus der Kooperation mit der Documenta ausgestiegen, auch Hito Steyerl hat ihre Arbeit zurückgezogen.
FR: Diese drei Fälle hatten mit dem Thema Antisemitismus zu tun, und alle hatten natürlich ein Recht auf ihre Entscheidungen. Die Debatte hat viele Kollateralschäden verursacht, und wir alle haben darunter zu leiden: wir selbst, die Künstler, die Mitglieder der Gemeinschaft vor Ort, sogar der Aufsichtsrat und die Documenta selbst. Was wir aber tun können, ist, Beziehungen zu pflegen und mit den Menschen in Kontakt zu bleiben, die noch mit uns in Kontakt treten wollen. Im Fall von Hito Steyerl haben wir aus den Medien von ihrem Rückzug erfahren, da konnten wir nichts mehr tun.
Der Aufbau eines Netzwerks oder "Ökosystems" in Kassel war Ihnen wichtig. Haben Sie sich von dieser Seite weiterhin unterstützt gefühlt?
IA: Ja. Wir hatten jeden Tag Ausstellungen und Veranstaltungen von Kasseler Freunden im Ruru-Haus. Viele der Künstler haben mit Initiativen aus Kassel zusammengearbeitet. Die Menschen hier haben uns sehr unterstützt.
Es gab aber auch offene Briefe von den Kunstvermittlern, den sogenannten Sobat-Sobat, und vom Aufsichtspersonal der Ausstellung. In beiden Fällen wurden prekäre Arbeitsbedingungen und mangelnde Anleitung durch die Institution kritisiert. Galt das Lumbung-Konzept des Teilens und der Wertschätzung doch nicht für alle?
FR: Diese Themen sind Teil einen uraltes Problem, nicht nur auf der Documenta, sondern im Kunstsektor im Allgemeinen.
Aber es hätte doch Ihr Anspruch sein können, es anders zu machen.
FR: Wir haben es versucht. Aber ja, es gibt Grenzen für die Dinge, die wir vorantreiben können. Nicht jeder Teil einer idealen Lumbung-Situation war in der Realität dieser Documenta möglich. Die Arbeitsbedingungen für Teile des Teams waren eines dieser Dinge. Wir sind noch im Gespräch mit Sobat-Sobat, den Guards und der Documenta-Geschäftsführung. Aber wir bedauern, dass wir keine richtige Lösung finden konnten, auch, wenn es nichts Neues ist.
Auch Künstler haben über unangenehme Erfahrungen in Kassel berichtet, einige waren sogar rassistischen Übergriffen ausgesetzt. Haben Sie das Gefühl, dass Sie den Teilnehmern dieser Documenta ein sicheres Umfeld bieten konnten?
FR: Wir hätten ein sichereres Umfeld haben können. Das fängt bei der Gastfreundschaft und den Reisearrangements an. Letztendlich leiden wir unter der sehr bedauerlichen Unfähigkeit, wirklich Gastgeber zu sein. Und ja, ich muss sagen, wir hätten es besser machen müssen.
IA: Die Feindseligkeit hatte auch etwas mit der Eskalation der öffentlichen Debatte zu tun. Sie hat ein Gefühl der Unsicherheit für die Künstler geschaffen. Auch für uns.
Es gibt Stimmen, die sagen, die Documenta sei gescheitert. Wie ist Ihre Einschätzung? Haben Sie trotz allem erreicht, was Sie sich erhofft haben?
FR: Wir sind stolz auf das, was wir bis jetzt erreicht haben. Was Hoffnungen und Ziele anbelangt, die haben wir seit dem Ausbruch von Covid aufgegeben. Schon vor der Pandemie waren wir für alles offen, aber dann wurde uns klar, dass alle Erwartungen vergeblich sind und wir einfach mit dem weitermachen mussten, was möglich war.
IA: Das ist nicht nur eine Floskel: Wir haben während dieser Ausstellung und unter sehr schwierigen Umständen wirklich unser Bestes gegeben. Wir wissen, dass man manches hätte anders machen können, aber wir haben immer versucht, uns so gut wie möglich um alle zu kümmern.
AG: Bis vor einigen Monaten haben wir wegen Covid hauptsächlich in digitaler Form gearbeitet. Und wir haben es geschafft, daraus eine physische Lumbung-Situation hier in Kassel zu schaffen. Man spürt, dass die Künstler im Geist des Lumbung zusammenarbeiten. Das ist wirklich stark.
Ist Kassel jetzt verbrannte Erde für Sie?
FR: Nein, das würde ich nicht sagen. Wir würden gern wiederkommen. Und unsere Mitglieder Reza Afisina und Iswanto Hartono, die seit zwei Jahren hier leben, haben Ihren Aufenthalt verlängert.
Vor dem Kasseler Hauptbahnhof hat Dan Perjovschi den Spruch "Ich bin froh, Teil der letzten Documenta zu sein" auf den Boden gemalt. Mehr als ein Scherz?
AG: Dan Perjovschi nutzt gerne das, was in der Luft liegt und spielt mit der Angst der anderen. Diese Prognose ist etwas, das von außen kommt und immer in der Luft liegt, bevor die Ausstellung geschlossen wird.
Documenta Rassismus-Krise
Interview mit dem Documenta15-Künstler Hamja Ahsan über Rassismus in Deutschland, die Bedeutung von #HandsOffDocumenta und die Klassenimplikationen von Brathähnchen
Phil Butland - 28/08/2022
Hallo Hamja, vielen Dank für das Gespräch mit uns. Könntest du zunächst sagen, wer du bist und was du in Berlin machst?
Mein Name ist Hamja Ahsan. Ich bin ein Künstler, der in London geboren und aufgewachsen ist. Ich wurde von der Documenta15-Ausstellung als einer der wenigen Einzelkünstler aus Großbritannien ausgewählt. Ich habe eine neue Serie von Arbeiten über Halal-Hähnchenketten gemacht, die in London allgegenwärtig sind. Jetzt bin ich in Berlin, um über Halal-Hähnchen zu recherchieren und im weiteren Sinne über den Platz der muslimischen Diaspora in Berlin.
Außerdem interessiere ich mich generell für Brathähnchen und ihre Beziehung zu Klasse und Rasse. In London steht Brathähnchen für schwarze und braune Menschen der Arbeiterklasse. Es wird oft von Politikern benutzt, um Glaubwürdigkeit zu erlangen. Als der Tory-Politiker Rory Stewart versuchte, Bürgermeister von London zu werden, ließ er sich beim Essen von Brathähnchen filmen.
Wie haben Sie Deutschland gefunden?
Die Teilnahme an der Documenta15 hat mir bewusst gemacht, wie schlimm Rassismus, rechte Politik und das Wiederaufleben der Nazis hier sind. Ich habe geglaubt, dass Deutschland ein zivilisierterer Ort ist als Großbritannien, einfach weil viele weiße Hipster aus der Kunstwelt nach Berlin und Leipzig gehen und sagen, dass das Leben dort so viel besser ist.
Jetzt ist mir klar geworden, dass Deutschland eigentlich ein ziemlich repressiver Ort ist, wenn man Palästinenser oder Muslim ist oder nicht zur Nazi-Blutfamilie gehört. Ich bin schockiert über einige der Dinge, die hier passiert sind, vor allem im Zusammenhang mit der Documenta. Die Tatsache, dass sich die Bundeskanzlerin in die Ausstellung eingemischt hat, ist verblüffend. Ich habe mit einigen türkischen Freunden gesprochen, die hier leben, und sie sagten, Erdogan sei autoritär, würde sich aber niemals in die Istanbuler Biennale einmischen.
Was ich an der deutschen Kunstwelt merkwürdig finde, ist die Verflechtung mit der Parteipolitik. Der Oberbürgermeister von Kassel ist ein ehemaliger Polizist von der SPD, der die Stadt mit einem ethnisch gesäuberten Teil Palästinas von 1948 verbunden hat. Er hat keine Ahnung von Kunst, und selbst die Mitarbeiter machen sich über ihn lustig. Und doch mischt er sich in das ein, was Künstler sagen können.
Ich dachte, Deutschland sei ein Ort der künstlerischen Freiheit, aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist der einzige Ort, an dem ich von SPD-Mitgliedern verfolgt, beschimpft und als Terrorist bezeichnet wurde. Es ist der einzige Ort, an dem ein buchstäbliches Familienmitglied von Adolf Hitlers Kabinett - Beatrix von Storch von der AfD - uns ziemlich treffend als Extremisten bezeichnet hat. Das ist für mich sehr schockierend und beängstigend.
Die Documenta ist so etwas wie die Olympiade oder das Mekka der Kunst und hätte die beste Erfahrung meines Lebens sein sollen. Aber sie hat sich in das Schrecklichste, Kafkaeskste und Orwellsche verwandelt. Die Bürokratie und die Art und Weise, wie niemand Verantwortung übernimmt, ist sehr tief in der deutschen Gesellschaft verankert, in der viele nette Menschen mit ein bisschen blondem Haar und blauen Augen tatsächlich einen Nazi-Großvater haben.
Ich habe meine Kunst überall auf der Welt ausgestellt. Ich habe viel Zeit im ehemaligen Jugoslawien verbracht, vor allem in Slowenien. Ich war ein paar Mal in Trumps Amerika. Aber ich habe das Gefühl, dass meine bürgerliche und verfassungsmäßige Freiheit an diesen Orten besser geschützt ist als in Deutschland.
In den USA kann ich an eine Eliteuniversität gehen und offen über Palästina sprechen. Als ich dagegen von der Documenta nach Hause kam, wurde ich fast jeden Tag beschimpft und belästigt. Die Leute nannten mich einen Terroristen, und das ist mir noch nie passiert. Ich war nicht einmal ein großer Palästina-Aktivist. Es stand nicht ganz oben auf meiner Liste der Ziele.
Die Medien rund um die Documenta scheinen von jeder Form der Realität völlig abgekoppelt zu sein. Die Ausstellung ist extrem vielfältig - sie ist fantastisch. Jeder sollte sie besuchen. Sie zeigt alles von Kinderbetreuung über Neurodiversität bis hin zu Ökologie. Und ein kleiner Teil der Ausstellung befasst sich mit der Politik in der MENA-Region.
Ich war sehr schockiert, als ich die Parlamentsdebatte verfolgte, die mir fast schon geistesgestört vorkam. Die AfD hat im Parlament gesagt, dass sie die Documenta nicht mag, weil es dort zu viele Muslime gibt. Ich war schockiert, dass man so etwas im Parlament sagt. Ich war auch schockiert darüber, wie groß die AfD ist.
Deutschland hat im Ausland ein gutes, weiches Image. Aber während jeder George Floyd kennt, jeder das Massaker von Christchurch kennt, weiß niemand in der anglophonen Welt von den NSU-Morden oder Hanau. Keiner weiß von der Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke.
Was am meisten beunruhigt, ist die Komplizenschaft von Staat und Medien. Ich wusste nicht, was die Axel-Springer-Presse ist - aber es ist nicht nur die Springer-Presse: Auch die DW, das deutsche Pendant zur BBC, hat eine Geschichte des Mobbings ihrer arabisch-muslimischen braunen Mitarbeiter.
Kürzlich hat die DW 7 palästinensische Journalisten entlassen, die erfolgreich vor Gericht gegen ihre Entlassung klagen.
Ja, es sind also nicht nur die Rechtsextremen. Ich erfuhr von der Anti-Deutschen und wie sie das Mitarbeiternetzwerk der Documenta infiltriert hatte. Einige von ihnen hatten mich wegen Dingen ausspioniert, die ich vor drei Jahren gesagt hatte, und wegen Nachrichten aus den arabischen Nachrichtenmedien, die ich weitergegeben hatte.
In Deutschland wird mir vorgeworfen, ich sei Mitglied der Taliban, einer sunnitischen Organisation, und einer marxistischen Guerillagruppe, der PFLP [Volksfront zur Befreiung Palästinas], die säkular und atheistisch ist, sowie der Unterstützung der schiitischen Miliz und der Hisbollah im Libanon und Irak. Ich habe keines dieser Länder besucht. Ich war nur in Bangladesch.
Es gibt eine Denkfabrik in Wien namens MENA Watch, die ein Interview mit diesem Mann vom Bündnis gegen Antisemitismus in Kassel führt. Das Bündnis scheint ein einsamer, besessener Mann mit einem Blog und 13 Twitter-Followern zu sein. Er hat die Namen von Künstlern aufgelistet, die pro-palästinensisch sind und die er als antisemitisch ansieht. Die deutschen Medien halten diesen einsamen, seltsamen Typen für eine Art Autorität, obwohl er keine journalistische oder akademische Integrität besitzt.
Die deutschen Medien haben ein Bild gezeichnet, das nichts mit der Realität zu tun hat. Wenn man auf die Documenta geht, erwartet man das Deutschland der 1930er Jahre, einen zweiten Holocaust und all diese sehr seltsamen Dinge. Tatsächlich aber wird die Ausstellung täglich von Zehntausenden von Besuchern besucht. Es ist ein sehr freudiges Ereignis.
Die AfD hat versucht, die Documenta zu verhindern und zu schließen. Das letzte Mal gefiel ihnen die Documenta14 nicht, weil sie zu flüchtlingsfreundlich war. Sie griffen den nigerianischen Künstler Olu Oguibe und sein Denkmal für Flüchtlinge an, das eine Zeile aus der Bibel über die Aufnahme von Fremden in vier verschiedenen Sprachen enthält.
Jetzt sind sie gekommen, um die Documenta erneut anzugreifen und zu versuchen, sie zu schließen. Aber dieses Mal scheinen alle getäuscht worden zu sein, und die AfD hat Pro-Israelis angeworben. Es war seltsam, dass die Enkelin von Hitlers Finanzminister uns als Extremisten bezeichnete.
Sie ist gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Beziehungen. Für eine weiße Europäerin ist das unglaublich archaisch. Sie ist so extremistisch, dass sie Le Pen als zu sozialistisch oder zu links bezeichnet, was zeigt, wie gestört und extrem sie ist.
Dann besucht sie unsere Ausstellung und postet darüber - hauptsächlich über Black Lives Matter - und bezeichnet das als Extremismus. Für mich ist das eher ein Zeichen für sie und den Zustand Deutschlands. Die Tatsache, dass sie dort einfach reinspazieren kann, ohne dass jemand mit der Wimper zuckt, ist beunruhigend und zeigt die Komplizenschaft Deutschlands und die Gleichgültigkeit und mangelnde Parteilichkeit gegenüber tatsächlichen, echten Nazis und Faschisten.
Für diejenigen, die die Documenta-Kontroverse nicht verfolgt haben: Sie begann mit Werken, die das indonesische Kollektiv ruangrupa zeigte.
Eigentlich begann sie schon viel früher. Es gab bereits mehrere Versuche, die Documenta zu stören und zu stören. Die AfD hatte ganz unverhohlen gesagt, dass es zu viele muslimische Namen gäbe. Ich bin wahrscheinlich der frommste Muslim auf dem ganzen Festival. ruangrupa sind keine frommen Muslime. Sie verkaufen auf dem Festival ihren eigenen Gin und eine Biermarke. Sie sagen vielleicht Salaam und so, aber sie sind nicht sehr muslimisch.
Was zuerst geschah, war, dass ein islamfeindlicher Künstler dieses Ding namens #Documenta1933 auf alle öffentlichen Gebäude in Kassel projizierte. Er hat Bilder von ihnen als Nazis und Homophobe angebracht. Aber es gibt viele queere Kollektive aus der ganzen Welt in der Ausstellung, also ist das einfach Unsinn. Er macht das nur, weil er Vorurteile gegen Menschen aus muslimischen Ländern hat. In Wirklichkeit ist Beatrix von Storch viel anti-queerer. Sie ist mit Bolsonaro befreundet, der ebenfalls vehement gegen Toleranz und Vielfalt ist.
Das war der erste Versuch, aber er war ein ziemlicher Flop. Der Mann hat zwar eine Menge Twitter- und Instagram-Follower, aber man stellt fest, dass viele von ihnen gefälscht sein müssen, weil einige seiner Beiträge nur zweimal retweetet wurden.
In der Arbeit von Taring Padi ging es viel um West Papua und Indonesien, aber das Kunstwerk enthielt den Slogan "West Papuan Lives Matter"; sie unterstützen die westpapuanische Bewegung. Allerdings wurde dies von der deutschen Polizei demoliert, als sie das so genannte "Antisemitismus"-Wandbild entfernte.
Danach gab es jede Menge Versuche, die Documenta zum Scheitern zu bringen, wie zum Beispiel Tweets darüber, dass die Documenta Hitlers Lieblingsausstellung sei. Aber diese würden nur einen Retweet oder so bekommen. Es gab Versuche, die Ausstellung zu diskreditieren, bevor sie begann.
Der erste größere Vorfall war wohl, dass in den Ausstellungsraum WH22 eingebrochen wurde und dieser mit Neonazi-Graffiti beschmiert wurde. Der Name des spanischen Neonazi-Jugendführers Peralta, der für islamfeindliche Hetze gegen arabische Migranten bekannt ist, wurde rund um meinen Ausstellungsraum beschmiert.
Nach den Bombardierungen des Gazastreifens im letzten Jahr gab es eine neue Welle des kulturellen Bewusstseins für BDS [Boykott, Desinvestition, Sanktionen]. Plötzlich waren viele Kulturschaffende so empört über den unmenschlichen Massenmord und die Zerstörung der Zivilbevölkerung, dass sogar Fußballspieler der Premier League wie Sadio Mane anfingen, palästinensische Flaggen zu schwenken.
Dadurch entstand ein neuer Mainstream im Untergrund. Selbst Dua Lipa, die Sängerin aus London, postete über Gaza. Alle Künstler, die in die engere Wahl für den Turner-Preis gekommen waren, gaben eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie sich über die brutalen Angriffe auf Palästina empörten. Als Reaktion darauf versucht die israelische Botschaft, sich gegen diese kulturelle Mainstream-Welle zu wehren.
Damit war die Documenta wahrscheinlich das wichtigste Schlachtfeld für Antirassismus und Solidarität mit unterdrückten Menschen in der Kunst. Wir sollten das nicht auf sich beruhen lassen. Wir sollten ein Höchstmaß an Solidarität zeigen, zum einen für die künstlerische und kreative Freiheit, ohne Einmischung der SPD oder der deutschen Außenpolitik. Es ist auch unser bürgerliches und verfassungsmäßiges Recht, uns mit Menschen zu solidarisieren, die entmenschlicht und verroht wurden.
Bemerkenswert an der Diskussion um die Documenta war, wie schnell sie sich von einer Diskussion über die indonesischen Werke wegbewegte, von denen wohl einige potentiell problematisch waren. Aber innerhalb von ein paar Tagen ging es gar nicht mehr um sie. Es ging um BDS und Künstler, die Palästina unterstützen.
Es begann mit BDS, aber es kam nicht sehr weit. Es gab eine ziemlich orchestrierte Medienoperation, bei der sie zwei kleine Details aus einem 20 Jahre alten Gemälde über den indonesischen Völkermord an linken Menschen im größten muslimischen Land der Welt, das unter der Suharto-Diktatur stand, herausnahmen.
Taring Padi war ein Kollektiv, das nach dieser Diktatur gegründet wurde. Sie schufen ein riesiges Wandgemälde, das ein wenig wie ein Hieronymus Bosch- oder Where's Wally? Gemälde. Und in diesem "Where's Wally?"-Gemälde haben sie zwei Figuren ausgewählt. Die eine war ein Mossad-Agent als Schwein. Daneben gab es noch andere Geheimdienste, wie den MI5 und die CIA, die alle als Tiere dargestellt wurden.
Das Schwein in ihrem Werk ist das gleiche, das der Black-Panther-Künstler Emory Douglas für die Darstellung von Polizisten verwendet. Es geht um Imperialisten und Kapitalisten. Das sind Leute, die sagen, dass sie sich um Klassenpolitik und Klassenkampf kümmern, nicht um Rasse.
Es war also in keiner Weise antisemitisch. Tatsächlich waren sowohl Westdeutschland als auch Großbritannien an diesem Völkermord und an viel Schlimmerem beteiligt. Der Westen war mitschuldig am Massenmord an einer halben bis einer Million Linken und hat nie Reparationen gezahlt. Deutschland hat sich nie entschuldigt.
Die andere kleine Figur ist eine Karikatur eines SS-Soldaten. Aber auch die SS war an diesem Völkermord beteiligt. Ich denke dabei an Künstler wie Harold Offeh und Barbara Walker, die ebenfalls so etwas wie rassistische Karikaturen geschaffen haben, die aber im Kontext ihrer Arbeit stehen. Es gibt Schichten von Ironie. Es gibt keinen Hass.
Wenn man sich die Arbeit von Taring Padi ansieht, propagieren sie immer multireligiöse Allianzen. Sie verwenden immer jüdische, christliche und muslimische Symbole zusammen. Aus ihrer Arbeit geht ganz klar hervor, dass sie eine Anti-Nazi-Partei sind. Die Art und Weise, in der sie in den Medien als Nazi-Propagandisten dargestellt werden, ist eine völlige Lüge.
Darüber hinaus waren sie eigentlich naiv. Als Brite habe ich zwei allgemeine Wahlkämpfe mit Jeremy Corbyn erlebt, ich kenne also die Spielregeln. Ich hatte das Gefühl, dass Taring Padi Jeremy Corbyn war. Wie Corbyn versuchten sie, ihre Kritiker zu beschwichtigen.
Damit öffneten sie der Verfolgung und Unterdrückung der anderen Künstler, mich eingeschlossen, Tür und Tor. Am nächsten Tag erhielt ich eine Nachricht mit dem Bild eines Hundes, in der es hieß: Du bist der Nächste auf unserer Liste. Ich bekam sehr bedrohliche Nachrichten aus Deutschland.
Der nächste große Medienrummel drehte sich um ein algerisches Frauenkollektiv von Wissenschaftlern, das ein digitales Archiv mit Illustrationen von Kindern hatte, die von israelischen Besatzungssoldaten missbraucht wurden. Darunter war auch ein Bild von Naji al-Ali, dem palästinensischen Künstler, der Handala geschaffen hat. Nun wird versucht, dieses Bild aus der Ausstellung zu entfernen.
Die Künstler der Documenta haben diese großen Zoom-Treffen, die für künstlerische Freiheit und Solidarität mit den Unterdrückten stehen, viele von ihnen sind Künstler aus dem globalen Süden. Sie haben Kolonialismus, Besatzung, Imperialismus, faschistische Putschregierungen usw. miterlebt.
Ich bin eindeutig gegen Antisemitismus. Ich denke, jede Kunstinstitution sollte die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus annehmen. Aber ich habe den Eindruck, dass sie nicht einmal über Antisemitismus sprechen. Worüber sie reden, ist Loyalität und Treue zur deutschen Außenpolitik.
Und die Vorstellung, dass unsere Künstler, die Sie als Gäste eingeladen haben, mit Ihrer Außenpolitik übereinstimmen müssen, scheint mir eine sehr faschistische Art zu sein, Kunst zu machen. Das ist ein Ausmaß an exekutiver Kontrolle, wie ich es noch nirgendwo erlebt habe.
Das Narrativ in der deutschen Presse war zunächst: "Seht her, hier ist eine postkoloniale Ausstellung. Wir lassen Menschen aus dem Globalen Süden ausstellen". In dem Moment, in dem die Leute aus dem Globalen Süden anfingen, Dinge zu sagen, die nicht den festgelegten Regeln entsprachen, begann die Presse, die Künstler anzugreifen.
Deutschland ist sehr stolz auf die Documenta, aber wenn man sich die Geschichte genauer ansieht, wurden die ersten Documentas von Nazis kuratiert. Und dann hat die Documenta10, die von einer Französin, Catherine David, kuratiert wurde, eine kleine Kontroverse ausgelöst. Sogar der besessene Betreiber des Antisemitismus-Blogs in Kassel sagt, sie sei antisemitisch.
Aber nach der Documenta11 im Jahr 2002 änderte sich die Situation. Schwarze und braune Menschen wurden mehr in den Mittelpunkt gerückt. Und das hat mich inspiriert. Seitdem habe ich davon geträumt, bei der Documenta dabei zu sein.
In den letzten 20 Jahren, als die Documenta progressiver und internationaler wurde und mehr schwarze und braune Gesichter das Sagen hatten, wurde die deutsche Gesellschaft immer regressiver und rechtsfaschistischer. Pegida begann, die AfD wurde zu einer riesigen Bewegung. Es gab all diese Nazi-Massenmorde. Heute ist die rechtsextreme Gewalt in Deutschland auf einem 20-Jahres-Hoch.
Es schien also, als würde sich die deutsche Gesellschaft in eine Richtung entwickeln und die Kunstwelt in eine andere, was zu einer Bruchlinie führen würde. Und genau das erleben wir heute.
Hinzu kommt, dass antisemitische Vorfälle zunehmen, und die Reaktion der politischen Mitte und eines Teils der Linken besteht darin, zu versuchen, jeden Künstler auszuschließen, der mit BDS in Verbindung gebracht wird.
Ja. Ich war in Deutschland sehr vorsichtig, weil Kamila Shamsie, der britischen pakistanischen Schriftstellerin, ein Preis weggenommen wurde. Meine Freundin, die palästinensische Künstlerin Larissa Sansour, ist sehr düster über den Zustand Deutschlands mit Angriffen gegen Mohammed Al-Kurd und Achilles Mbembe, den brillanten schwarzen Philosophen.
Wir alle sehen uns als Teil dieses umfassenderen Krieges gegen Kulturschaffende, die sich mit den Unterdrückten solidarisieren wollen, bestraft.
Was würden Sie jemandem in Deutschland antworten, der sagt: "Ja, aber BDS ist dasselbe wie die Nazis, die sagten: 'Kauft nicht bei Juden'"?
Das ist eindeutig Unsinn, und sie sollten genauer hinschauen. In Großbritannien unterstützt jeder progressive Mensch, ob liberal oder links, BDS. Die meisten Gewerkschaften unterstützen BDS.
Schauen wir uns den Abriss von Häusern an. Ein britisches Unternehmen, Caterpillar, wird eingesetzt, um die Häuser von Menschen mit Bulldozern abzureißen. Ich glaube nicht, dass irgendein Mensch auf der Welt sagen würde, dass es für einen Staat akzeptabel ist, das Haus eines Menschen mit Bulldozern zu zerstören. Aus diesem Grund boykottieren wir Caterpillar. Es stellt sich auch die Frage des internationalen Rechts. Siedlungen sind illegal. Als Vorbild diente die südafrikanische Bewegung, die sehr erfolgreich war.
Einige meiner besten Lehrer sind israelische Juden. Tanya Reinhart hat das erste Buch geschrieben, das ich über Israel/Palästina gelesen habe. Dann ist da noch Gideon Levy. Sogar innerhalb Israels gibt es eine Bewegung namens Boykott von innen. Es gibt israelische Juden, die in Berlin leben und BDS unterstützen. Wenn man sieht, dass ein Haus abgerissen wird, gibt es Leute, die das für inakzeptabel halten und die für BDS sind. Und es gibt Leute, die das für akzeptabel halten, und das sind die Anti-BDS-Leute.
Ich habe dieses Beispiel auf der Documenta. Ich treffe die Mitarbeiter, und es sind sehr nette junge Leute, die sich für Kunst interessieren. Sie kommen sehr nett rüber. Sobald man dann sagt, dass Israel ein Apartheidstaat ist, werden sie plötzlich ein bisschen gereizt und seltsam. Sie können etwas nicht schlucken, das drei Menschenrechtsorganisationen - Amnesty International, B'Tselem und Human Rights Watch - bestätigt haben. Ich finde, das weiße Deutschland muss einfach ein bisschen ehrlicher zu sich selbst sein.
Die andere schreckliche Tendenz ist, dass es zwar einen schrecklichen Anstieg antisemitischer Angriffe gibt, aber dafür Nazis, Faschisten und White Supremacists verantwortlich sind, während muslimische Minderheiten zum Sündenbock gemacht werden. Deutschland braucht nur in den Spiegel zu schauen.
Wie geht es für die Documenta und für Sie weiter?
Jeder auf der Documenta hat eine Guillotine über seinem Kopf hängen. Viele sind traumatisiert, viele sind depressiv. Es ist eine Krise der geistigen Gesundheit. Als ich nach Hause kam, konnte ich nicht funktionieren; ich wusste nicht, was in der Presse über mich geschrieben worden war. Die Leute verfolgten mich und verleumdeten mich. Es gab Neonazi-Graffiti.
Es war verrückt. Einige meiner Arbeiten sind noch immer nicht richtig installiert. Sie haben ihr stolzestes kulturelles Exportgut entgleisen lassen und gestört, um ein Bündnis mit einer illegalen Besatzung durch ein Apartheidregime aufrechtzuerhalten. Ich weiß immer noch nicht, was nächste Woche über mich gesagt werden wird. Jeden Tag passiert etwas Neues, Schockierendes und Beunruhigendes.
Einige von uns sind körperlich angegriffen worden. Frauen in Algerien, die die brillantesten afrikanischen Wissenschaftlerinnen sind, werden verfolgt, beschimpft und verleumdet. Die Leute denken, Deutschland sei ein so gastfreundlicher Ort, und ich stelle das Gegenteil fest. Aber ich werde nicht zulassen, dass die Rassisten gewinnen. Deshalb bin ich zurück in Deutschland.
Wenn ich in London mit einem Palästina-T-Shirt auf die Straße gehe, will mir jeder ein High-Five geben. Wenn ich das in Kassel mache, höre ich, dass sie sagen: "Da kommt der Documenta-Künstler. Lasst sie uns lebendig verbrennen. Die Documenta sollte für deutsche Künstler sein." Da bin ich froh, dass ich kein Deutsch spreche oder verstehe.
Ich bewundere die Widerstandsfähigkeit der arabischen Diaspora in Berlin, und ich hoffe, dass Deutschland und die kolonisierten Menschen eines Tages gemeinsam an einer dekolonialen Zukunft arbeiten können. Quelle
Die Documenta und die Grenzen der Kunstfreiheit
19 Juli 2022
Nach dem Rücktritt der Documenta-Geschäftsführerin soll nunmehr in Ruhe besprochen werden, was schief gelaufen ist auf der Kunstausstellung in Kassel. Findet die Kunstfreiheit tatsächlich ihre Grenzen in dem Schutz gegen Antisemitismus, wie Kulturstaatsministerin Claudia Roth zitiert wird? Zumindest in dieser Pauschalität trifft diese Aussage nicht zu.
Meinungsfreiheit
Meinungsäußerungen drücken sich in Wort, Schrift oder Bild aus und können dabei antisemitische Stereotypen enthalten. Ihre Grenzen sind weit gesteckt und müssen allgemeiner Art sein, dürfen sich also nicht gegen bestimmte Meinungen richten. Geschützt sind auch Meinungen, „die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und wie weit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar sind. Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien“.1) Erst wenn die Grenzen friedlicher Auseinandersetzungen überschritten werden, ist Schluss.
Das hat das BVerwG jüngst für Veranstaltungen bekräftigt, auf denen die Forderungen der palästinensischen BDS Bewegung gegenüber Israel zur Diskussion gestellt werden sollen. Solange von ihnen keine Störungen des öffentlichen Friedens zu erwarten sind, müssen Kommunen auch für sie Räume zur Verfügung stellen, sofern sie diese generell für Diskussionen gewidmet haben. Sie können das nicht mit den Hinweis auf (tatsächlichen oder vermeintlichen) israelbezogenen Antisemitismus der BDS-Forderungen verweigern mehr >>>
Wie wenig der gemachte Skandal um die Documenta
mit "Werten" und jüdischen Positionen gemein hat.
Schon wieder einigen Funde eindeutiger Diffamierung,
des eindeutigen Missbrauch des Holocaust.
Die falschen Freunde Israels in Aktion:
Ist die documenta noch zu retten?
Offener Brief an den documenta 15-Aufsichtsrat, an die Bundesregierung und an die Medien
Von Werner Ruf, Ingo Wandelt & Rainer Werning - 27. 7. 2022
Wir, die Unterzeichner dieses Offenen Briefes, sind besorgt darüber, dass die international renommierte Kunstausstellung documenta womöglich das letzte Mal in ihrer gewohnten Art stattfindet. Ruangrupa, das diesjährige indonesische Kurator*innen-Team der documenta, verfolgte das ehrgeizige Ziel, endlich einmal dem „Globalen Süden“ des Planeten eine Stimme zu verschaffen. Es sollten aus seiner Sicht Blicke auf eine postkoloniale Welt gelenkt werden, die zuvor durch Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus und andere Formen von erfahrener Unterdrückung und Ausbeutung geprägt worden war. „Lumbung“, die Reisscheune als Hort einer gemeinschaftlich verwalteten und genutzten Lebensressource, hätte als Leitidee einer vitalen interkulturellen Kommunikation dienen können.
Die lobenswerte Idee, Menschen der vormaligen Dritten Welt für sich selbst sprechen zu lassen, birgt natürlich die „Gefahr“, dass in unserer eigenen Geschichtsschreibung unbeachtete Tatsachen plötzlich relevant werden, die beharrlich be- und verschwiegen blieben. Wer besitzt die Deutungshoheit über das, was „dort unten“ geschah und geschieht? Wenn „die aus dem Süden“ Deutungsmacht erhalten, wird dann nicht möglicherweise „unser“ über Jahrhunderte gepflegtes Weltbild mitsamt dem darin transportierten Herrschaftsanspruch infrage gestellt?
Das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi zeigte ein aus vielen hundert Bildern bestehendes, wimmelbildartiges Banner, das bereits vor zwei Jahrzehnten entstand. Es wurde seitdem vielerorts gezeigt, ohne Proteste auszulösen. Zwei auf diesem Banner befindliche Bildausschnitte wurden zum Anlass genommen, die documenta 15 vorschnell politisch zu instrumentalisieren beziehungsweise sie als „antisemitisch“ zu denunzieren. Mit dem Resultat, dass sie insgesamt in Bausch und Bogen verdammt, ja sogar ihr sofortiger Abbruch gefordert wurde. Selbst hochrangige deutsche Politiker*innen glaubten in diesen Bildausschnitten eine Existenzgefährdung des Staates Israel zu erkennen, während andere einen Besuch in Kassel bewusst mieden.
Das Künstlerkollektiv von Taring Padi hat indes frühzeitig erklärt, dass es sich bei der inkriminierten „Banner-Installation People’s Justice (2002) um einen Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt (handelt), die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt. Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner ist Ausdruck dieser Erfahrungen. Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, z. B. für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren (…).“
So ist das Schweinsgesicht mit einem Helm, auf dem MOSSAD steht, nur eines von mehreren ähnlich behelmten Figuren mit Kürzeln wie KGB, CIA, INTEL, 007, die in ihrer Gesamtheit für internationale Geheimdienste stehen. Diese dienten als Korsettstangen des Regimes von General Suharto (1965-1998). Über dessen blutigen antikommunistischen Feldzug schrieb bereits die Wochenzeitschrift DIE ZEIT am 3. November 1967:
„Die rächende Armee hat nicht gezögert, die einmalige Chance zur Vernichtung ihres einzigen Rivalen wahrzunehmen. Mit offizieller Billigung, ausgeführt von der Armee, von militanten Jugendgruppen der Moslems und der PNI (Partai Nasional Indonesia), begann dann der wohl größte Massenmord seit Hitlers Tagen. Er kam einem Pogrom der PKI-Anhänger (der seinerzeit weltweit drittstärksten Kommunistischen Partei Indonesiens – die Autoren) gleich und wurde schließlich – außer Kontrolle geraten – zu einem nationalen Amoklauf, wobei Privatfehden und allgemeine soziale Konflikte unter dem bequemen Deckmantel des Antikommunismus bereinigt wurden.“
Der zweite inkriminierte Bildausschnitt zeigt ein Gesicht mit Haifischzähnen, die Zigarre eines Kapitalisten im Mund, den Kopf bedeckt mit einem Hut, auf dem SS-Runen zu sehen sind. Ebenso sind Konturen von Schläfenlocken erkennbar. Steht das etwa für den „hassenswerten, raffgierigen Juden“ oder einen gewieften Makler, der symbolhaft das Finanzkapital repräsentiert, das die Reichtümer und Bodenschätze der Länder der „Dritten Welt“ an der Börse verhökert? Die SS-Runen am Hut zielen wohl auf die Menschenfeindlichkeit und Brutalität des angeklagten kolonialen Systems. Wird hier „der Jude“ angegriffen oder das internationale Finanzsystem? Das Interpretationsproblem verlagert sich eher ins Auge des westlichen, genauer deutschen Betrachters, als dass es eine eindeutige Aussage über „das Judentum“ wäre. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die inkriminierte Figur europäische Kleidung trägt. In diesem Sinne spricht selbst der israelische Soziologe Moshe Zuckermann von einem „rein deutschen Eklat“. Jedenfalls sind beide inkriminierten Bildausschnitte kein antisemitisches Werk, sondern strikt anti-suhartoistisch intendiert. Diese Grundintention des Banners kommt dem westlichen Auge offensichtlich nicht einmal in den Sinn.
Die Verortung der SS-Figur erfolgt in unmittelbarer Nähe zu zombieähnlichen Kreaturen, ebenfalls mit Reißzähnen. Im Gesamtkontext sprechen starke Indizien dafür, dass es sich hier tatsächlich um eine SS-Figur handelt und keineswegs um die Herabsetzung „des Juden“ als besondere Inkarnation des Bösen. Ein Intimus von Suharto und gleichzeitig dessen Biograf war nämlich kein Geringerer als der hartgesottene Nazi, SS-Obersturmbannführer und Kriegsverbrecher Rudolf Oebsger-Röder. Unter dem Namen O. G. Roeder war dieser Mann für die eigentliche in- wie ausländische Imagepflege Suhartos als stets „lächelndem General“ verantwortlich. Nach dem 2. Weltkrieg war Röder unter anderem hauptberuflich für die Organisation Gehlen (daher das O.G. vor dem Namen), dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND), tätig. Später arbeitete er in Jakarta sowohl für den BND als auch als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung.
„Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind. Wir sehen sie so, wie wir sind“, schrieb einst die Schriftstellerin Anaïs Nin. „Wir“ haben „hier“ einen gefährlichen Cocktail aus Vorverurteilungen, hasserfüllter Ablehnung, zutiefst reaktionären Reaktionen, politischem Opportunismus und Vandalismus gemixt. Was dazu führte, dass ausländische Gäste, ja selbst Kurator*innen und Künstler*innen der diesjährigen documenta physisch gefährdet waren. All das hat nicht nur dieser internationalen Kunstschau beträchtlichen Schaden zugefügt. Darüber hinaus erschallen sogar laute Rufe nach Beschneidung der Kunstfreiheit und Zensur – wohlverstanden, im Sommer 2022!
Anlässlich des 70-jährigen Bestehens diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Republik Indonesien ist es an der Zeit, dass zumindest im politischen Berlin die Archive mit Blick auf die vielfältige (west-)deutsche Unterstützung des Suharto-Terrorregimes und im Sinne stets beschworener Transparenz und „wertebasierter Außenpolitik“ geöffnet werden.
Wir fordern insbesondere den Aufsichtsrat der documenta 15 auf, unverzüglich alles in seinen Kräften Stehende zu tun, dass gesittete Umgangsformen und eine den Namen verdienende Dialogkultur mit entsprechenden öffentlichen Foren regen Gedankenaustausches die verbleibende Zeit der documenta 15 prägen. Wir erwarten überdies, ein eventuell avisiertes Beratergremium mit zumindest einem/einer Südostasienwissenschaftler*in zu besetzen.
Edermünde/Wuppertal/Königsdorf am 27. Juli 2022
Prof. Dr. Werner Ruf, em. Politologe & Friedensforscher mit dem Schwerpunkt internationale Beziehungen
Dr. Ingo Wandelt, Ethnologe & Indonesist
Dr. Rainer Werning, Sozialwissenschaftler & Publizist mit den Schwerpunkten Südost- und Ostasie
Diese Karikatur stammt aus den "Archives of Women's Struggle in Algeria":
Eine blonde Frau tritt einem mit Hakennase gezeichneten Juden in den Unterleib.
Neuer Skandal auf der Documenta:
Weitere antisemitische Bilder aufgetaucht
Documenta
Israelische Soldaten, gekennzeichnet mit dem Davidstern, werden in der Broschüre von 1988 als entmenschlichte Roboter abgebildet. - (ist das so unzutreffend?) Foto: RIAS Hessen
Wenn diese Darstellungen oben antisemitisch sind, sind es dann nicht die realen Handlungen der okupations Armee auch oder noch eher? Dazu schweigt die Lobby
So entlarven sich in ihrer Hysterie, in ihrem Eifer sich reinzuwaschen, die falschen Freunde Israles.
Da könnte man noch hunderte andere Bilder zeigen.
Was die Hasbaraabteilungen der Zionisten zur Zeit treiben,
könnten man auch mit:
"sich ins in das eigene Knie schießen" bezeichnen.
Vor dem Museum Fridericianum war bereits wenige Tage nach Beginn der documenta ein Werk des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit antisemitischen Motiven zunächst verhüllt und kurz darauf abgehängt worden. Nun hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen (RIAS Hessen) auf weitere Elaborate mit israelbezogenem Antisemitismus auf der documenta hingewiesen, und zwar im Museum Fridericianum selbst - im Herzen der Kunstschau in Kassel.
Dort sei eine 34 Jahre alte faksimilierte Broschüre eines algerischen Frauenkollektivs mit antisemitischen Darstellungen israelischer Soldaten ausgelegt worden, hieß es. Bei dem Kollektiv handele sich um »Presence des Femmes«, das 1988 (dem zweiten Jahr der ersten Intifada) in Algier ein Sonderheft zu Palästina herausbrachte.
Von der documenta in Kassel gab es am Mittwoch auf eine entsprechende Anfrage der Jüdischen Allgemeinen zunächst keine Stellungnahme. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sagte Henriette Sölter, die Pressechefin der documenta, man habe die Bilder »strafrechtlich und ikonographisch« untersucht und sie, so die Online-Ausgabe der FAZ vom Mittwoch, nicht als antisemitisch befunden. mehr >>>
Die Documenta und die
Grenzen der Kunstfreiheit
Lothar Zechlin - 19 Juli 2022
Nach dem Rücktritt der
Documenta-Geschäftsführerin soll nunmehr
in Ruhe besprochen werden, was schief
gelaufen ist auf der Kunstausstellung in
Kassel. Findet die Kunstfreiheit
tatsächlich ihre Grenzen in dem Schutz
gegen Antisemitismus, wie
Kulturstaatsministerin Claudia Roth
zitiert wird? Zumindest in dieser
Pauschalität trifft diese Aussage nicht
zu.
Meinungsfreiheit -
Meinungsäußerungen drücken sich in Wort,
Schrift oder Bild aus und können dabei
antisemitische Stereotypen enthalten.
Ihre Grenzen sind weit gesteckt und
müssen allgemeiner Art sein, dürfen sich
also nicht gegen bestimmte Meinungen
richten. Geschützt sind auch Meinungen,
„die auf eine grundlegende Änderung der
politischen Ordnung zielen, unabhängig
davon, ob und wie weit sie im Rahmen der
grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar
sind. Das Grundgesetz vertraut auf die
Kraft der freien Auseinandersetzung als
wirksamste Waffe auch gegen die
Verbreitung totalitärer und
menschenverachtender Ideologien“.1) Erst
wenn die Grenzen friedlicher
Auseinandersetzungen überschritten
werden, ist Schluss.
Das hat das BVerwG jüngst für
Veranstaltungen bekräftigt, auf denen
die Forderungen der palästinensischen
BDS Bewegung gegenüber Israel zur
Diskussion gestellt werden sollen.
Solange von ihnen keine Störungen des
öffentlichen Friedens zu erwarten sind,
müssen Kommunen auch für sie Räume zur
Verfügung stellen, sofern sie diese
generell für Diskussionen gewidmet
haben. Sie können das nicht mit den
Hinweis auf (tatsächlichen oder
vermeintlichen) israelbezogenen
Antisemitismus der BDS-Forderungen
verweigern. Dieser Schutz des
Grundrechts entfalle erst „wenn
Meinungsäußerungen die rein geistige
Sphäre des Für-richtig-Haltens
verlassen“, indem sie „den öffentlichen
Frieden als Friedlichkeit der
öffentlichen Auseinandersetzung
gefährden und so den Übergang zu
Aggression oder Rechtsbruch markieren“.
Die Grenze besteht also nicht gegenüber
der Meinungsäußerung, sondern gegenüber
einer unfriedlichen Form, in der sie zum
Ausdruck gebracht wird.2)
…und Kunstfreiheit
Genau mit dieser Friedlichkeitsgrenze
argumentiert der Urheberrechtler Peter
Raue. Die Arbeit „People’s Justice“ des
indonesischen Künstlerkollektivs Taring
Padi sei „von der Meinungsfreiheit nicht
gedeckt, sie scheitert selbst an den
Schranken der Kunstfreiheit, und zwar
krachend. Die Darstellung […] erfüllt in
Gänze und ohne Zweifel den […]
Tatbestand der Volksverhetzung. […Sie]
hätte keine Sekunde auf der Documenta
gezeigt werden dürfen“, so urteilt er im
Feuilleton der Süddeutschen Zeitung.3)
Kunstfreiheit eröffnet einen größeren
Freiheitsraum als die Meinungsfreiheit.
Anders als diese kann sie nicht schon
durch allgemeine Gesetze, sondern nur
durch die Verfassung selbst,
insbesondere konkurrierende Grundrechte
Dritter, beschränkt werden. Man muss
sich über die Gründe für diese
„Privilegierung“ der Kunst aufklären, um
ihre Grenzen bestimmen zu können. Sie
liegen in den Besonderheiten der Kunst
gegenüber bloßen Meinungsäußerungen.
Der größere Freiheitsraum hat zunächst
zur Folge, dass es dem Staat
(Gesetzgebung, Justiz, Kulturverwaltung)
verwehrt ist, die Grenze zwischen
Kunst/Nicht Kunst zu definieren. Das
wäre als „staatliches Kunstrichtertum“
ein Eingriff in die Eigengesetzlichkeit
des Sachbereichs Kunst. Die Justiz muss
aber einen Begriff von Kunst haben, wenn
sie mit ihren Entscheidungen deren
Freiheit garantieren und damit auch ihre
Grenzen bestimmen soll. In diesem
Dilemma4) behilft sie sich mit einem
Ensemble verschiedener Zugänge, zu denen
auch ein formaler oder struktureller
Kunstbegriff gehört. Der stellt auf
Merkmale im Kunstbereich evolutionär
entstandener Gattungs- oder Werktypen ab
(Roman, Theaterstück, Bilder u.a.), ohne
damit deren selbstbestimmte
Weiterentwicklung einzuschränken. Ein in
sich abgeschlossener Katalog an
Gattungstypen ist damit nicht verbunden,
vielmehr bleibt auch das Entstehen neuer
Werktypen möglich. Zu solchen, auf eine
lange Tradition zurückgehenden Gattungen
gehört auch der Werktypus politischer
Agitationskunst („Agitprop“), dem das
inkriminierte Banner zuzurechnen ist.
Liegt ein solcher Werktyp vor, ist der
Aussagegehalt eines beanstandeten Werkes
als Ausdruck der Kunstfreiheit in einer
„kunstspezifischen Betrachtung“,5) also
im Lichte seiner gattungsspezifischen
Besonderheiten, zu beurteilen. Satire
zum Beispiel darf, entgegen dem
Ausspruch von Tucholsky, zwar nicht
„alles“, aber mehr oder anderes als die
bloße Meinungsäußerung, weil das
Gattungsmerkmal „satirespezifische
Zuspitzung“ mit der Erwartung verbunden
ist, das Verständnis der Aussage bei den
RezipientInnen zu relativieren. In
dieser gattungstypischen Relativierung
des Aussagegehaltes liegt der Grund für
die
Privilegierung der Kunst. >>>
Abgebautes
Ausstellungsstück von Taring Padi auf
der Documenta, Friedrichsplatz Kassel @Baummapper
C BY-SA 3.0 de
Die Documenta, Indonesien
und das Problem der geschlossenen
Universen
24. Juli 2022 - A.
Dirk Moses Documenta, Stellungnahmen 2 -
Übersetzt mit DeepL
Im Juni 2022 öffnete die internationale
Kunstausstellung Documenta in Kassel
ihre Pforten für die Besucher und löste
schnell eine Kontroverse über eines der
ausgestellten Gemälde aus: "Die
Gerechtigkeit des Volkes". Fast sofort
meldeten sich Wissenschaftler aus aller
Welt zu Wort. Einige dieser Reaktionen
werden hier in der Reihe "Documenta"
gesammelt. Eine deutsche Version dieses
Artikels wurde in Geschichte der
Gegenwart veröffentlicht. Wir haben die
Erlaubnis des Autors und des Verlags
erhalten, eine englische Version
anzubieten.
Das Kunstkollektiv Taring Padi wurde
1998 nach dem Sturz der Suharto-Diktatur
gegründet. Es ist explizit radikal und
engagiert sich für Antimilitarismus,
Anti-Neoliberalismus, Arbeiter-, Bauern-
und Frauenbewegungen sowie für den
Umweltschutz. Ihr größtes Gemälde, "People's
Justice" (Volksjustiz), malte sie 2002,
um sich gegen die Diktatur zu wenden.
Das Gemälde zeigt ein Volkstribunal mit
den Richtern an der Spitze und den
Feinden des Volkes auf der linken Seite.
Darunter befinden sich karikaturistische
Figuren, die westliche Mächte
repräsentieren, die Suhartos Regime
unterstützten. "People's Justice" ist
seit zwanzig Jahren auf internationalen
Kunstfestivals zu sehen, erstmals 2002
in Adelaide, Südaustralien. Die
Kuratoren der documenta 15 wählten das
Gemälde für einen prominenten Platz in
der Ausstellung aus, um die Besucher mit
dem Thema der Wiedergutmachung der
Verletzungen durch (Neo)Kolonialismus
und Kapitalismus zu konfrontieren. Bis
dahin scheint niemandem die
antisemitische Figur eines karikierten
orthodoxen Juden unter den vielen
anderen Figuren auf der überfüllten
Leinwand aufgefallen zu sein.
Verständlicherweise löste das Bild in
Deutschland Empörung aus, wurde bald
abgedeckt und dann entfernt.
Wenn das Gemälde und sein Standort auf
der documenta darauf abzielte, Westler
für die Unterstützung der
Suharto-Diktatur anzuklagen, so ist es
an den Künstlern, dem indonesischen
Kunstkollektiv ruangrupa, das die
documenta kuratiert, der
documenta-Leitung und den für Kultur
zuständigen lokalen, regionalen und
nationalen Politikern abgeprallt. Nun
nutzen viele Journalisten und andere
Politiker, von der CDU/CSU bis zur AfD,
die Gelegenheit, ihre Kampagne gegen ein
neu entdecktes Feld des
Postkolonialismus zu intensivieren,
obwohl sich Taring Padi eher als
linksextreme Künstleraktivisten denn als
Teil einer globalen postkolonialen
Bewegung versteht. Die Kritiker nutzen
das Gemälde auch, um die
palästinensischen Künstler auf der
documenta als antisemitisch anzugreifen
und die geringe künstlerische
Unabhängigkeit der deutschen
Kulturinstitutionen ins Visier zu
nehmen. Es ist sogar die Rede davon, den
deutschen Kulturbetrieb vom
Antisemitismus zu säubern, was für die
Kritiker auch die Sympathie für die
Rechte der Palästinenser einschließt.
Niemand hält die Darstellung auf dem
Gemälde für vertretbar, auch nicht
Taring Padi selbst, das sich
entschuldigt und antisemitische
Absichten abgestritten hat. Es gibt noch
eine weitere Figur auf dem Gemälde, die
als antisemitisch gilt: ein
uniformiertes Schwein, das den Staat
Israel repräsentiert und auf dessen Helm
"Mossad" steht. Es erscheint zusammen
mit anderen, nahezu identischen Figuren
anderer nationaler Geheimdienste,
einschließlich der Australian Security
Intelligence Organisation (ASIO ist auf
dem Helm zu lesen). Als Australier kann
ich gut verstehen, warum "unser" Spion
auf dem Bild zu sehen ist (obwohl auf
dem Bild eigentlich der Australian
Security Intelligence Service [ASIS] zu
sehen sein müsste, da er für die
internationale Sicherheit zuständig
ist). Wie Israel und die Bundesrepublik
Deutschland war Australien ein
langjähriger Unterstützer der
mörderischen "neuen Ordnung" von
Suharto, die mit der völkermörderischen
"Säuberung" von über 500.000
indonesischen Kommunisten in den Jahren
1965-1966 begann und bis 1998 durch
brutale militärische Unterdrückung, auch
von Islamisten, regierte. In diesen
Zeitraum fällt auch die von manchen als
Völkermord bezeichnete Besetzung
Osttimors von 1975 bis 1999. Die
allgemeine Abneigung gegen den Westen,
einschließlich des Mossad, die sich aus
der "Enttäuschung, Frustration und Wut
politisierter Kunststudenten" speist,
wie Taring Padi den Kontext des Gemäldes
erklärt, ist kaum überraschend. Aber
warum hat Taring Padi den Mossad mit der
antisemitischen Karikatur des orthodoxen
Juden in Verbindung gebracht? Trotz
mehrerer Interviews kennen wir die
Antwort auf diese Frage immer noch
nicht, und leider ist das Mitglied des
Kollektivs, das das Bild gemalt hat,
nicht mehr am Leben.
Der historische Kontext bietet
Anhaltspunkte. Antisemitismus ist in der
indonesischen Kultur kein Fremdwort.
Seine Wurzeln reichen mindestens 100
Jahre zurück. Phantastische
Vorstellungen über Juden lassen sich bis
in die 1920er Jahre zurückverfolgen, als
die wenigen Juden in
Niederländisch-Ostindien - die aus den
Niederlanden, Osteuropa, Armenien, dem
Irak und China stammten - Handel
trieben, sich in Freimaurerlogen trafen
und 1927 eine zionistische Vereinigung
gründeten, so der verstorbene
Wissenschaftler Jeffrey Hadler von der
University of California Berkeley. In
seinem 2004 erschienenen Buch
unterscheidet er zwischen dem damals in
Indonesien weit verbreiteten "Anti-Israelismus"
und dem, was er als "echten
Antisemitismus" bezeichnet, der über die
niederländische Nazibewegung und die
nazifizierten einheimischen Deutschen
aus Europa importiert wurde. Zuvor
hatten holländische Kolonialbeamte
chinesische Kaufleute zum Sündenbock
gemacht, weil sie sich "wie Juden"
verhielten, und so die antisemitische
Saat verpflanzt.
Im Zuge der Entkolonialisierung wurden
Juden auf verschiedene Weise weiter
"fremd" gemacht, indem sie sowohl als
Weiße als auch als Angehörige einer
größeren Außenseitergruppe, der
Chinesen, bezeichnet wurden. Da viele
Juden keine Bürger feindlicher Länder
waren, wurden sie nach der Eroberung
Niederländisch-Ostindiens durch die
Japaner im Jahr 1942 nicht
zusammengetrieben. Als die Gestapo
nachfragte, wer inhaftiert worden war,
wurde ihnen gesagt: "alle feindlichen
Staatsangehörigen mit Ausnahme der
beiden weißen Rassen, Juden und
Armenier". Sie zwangen die Japaner,
Juden aus neutralen Ländern zu
inhaftieren. Die Briten und die
besiegten japanischen Streitkräfte
bewachten sie dann in den Gefängnissen
im anschließenden Kampf mit den
nationalistischen Kräften Indonesiens,
wodurch die Juden in der antikolonialen
Vorstellung auf der Seite der
Unabhängigkeitsgegner standen.
Niederländische jüdische Soldaten
beteiligten sich an den niederländischen
"Polizeiaktionen" gegen den
Unabhängigkeitskampf und unterstützten
gleichzeitig den zionistischen Kampf in
Palästina. Wie (andere) Europäer
verließen die meisten Juden das künftige
Indonesien und entsprachen damit dem
allgemeinen Muster, dass Juden die sich
entkolonialisierenden Gesellschaften in
Richtung der kolonialen Metropole, deren
Staatsbürgerschaft sie besaßen, in
andere westliche Länder oder in den neu
gegründeten Staat Israel verließen. Die
wenigen niederländischen Juden, die nach
der indonesischen Unabhängigkeit 1949
blieben, entschieden sich häufig dafür,
die niederländische Staatsbürgerschaft
beizubehalten und unterstrichen damit
den Eindruck, dass Juden weiße Europäer
waren, die mit der ehemaligen
Kolonialmacht verbunden waren. Erst
Sukarnos Verstaatlichungspolitik zwang
nach 1957 zu einer Entscheidung für die
lokale Staatsbürgerschaft. Bis dahin
konnten nur 30 Familien gezählt werden.
Diese winzige Gemeinschaft war ein
bequemer Sündenbock, um den
antichinesischen Rassismus zu
kanalisieren. Chinesen können in
zweierlei Hinsicht als Beispiel für eine
allgegenwärtige jüdische Bedrohung
dienen: Sie verkörpern "jüdische"
kapitalistische Züge und handeln als
Agenten "der Juden". Der Antisemitismus
in Indonesien ist zu einem großen Teil
eine Abstraktion, die durch die Chinesen
vermittelt wird. Die tatsächliche Gewalt
richtet sich also gegen die Chinesen. Im
Zuge der asiatischen Finanzkrise im Jahr
1998 wurden bei Ausschreitungen 1.000
Chinesen getötet. Der antichinesische
Rassismus hält bis heute an. Zuvor,
während des Unabhängigkeitskampfes in
der zweiten Hälfte der 1940er Jahre,
hatten Nationalisten Chinesen und
indonesische Eurasier wegen
vermeintlicher Illoyalität gegenüber der
Sache der Unabhängigkeit massakriert.
Auch Juden und Israelis werden
regelmäßig in einen Topf geworfen. In
einem Interview in einer islamischen
Zeitschrift kurz nach seinem Sturz im
Jahr 1998 machte Suharto eine
internationale zionistische Verschwörung
für sein Schicksal verantwortlich. Sein
malaysischer Amtskollege,
Premierminister Mahathir Mohamad, machte
dagegen die Juden als "finstere Kräfte"
dafür verantwortlich. Auch Suharto
berief sich auf finstere Mächte, als er
eine zionistische Verschwörung
behauptete, um die durch die asiatische
Finanzkrise von 1998 verursachten
Unruhen zu provozieren. Auf die Frage,
ob eine Verschwörung für seinen Sturz
verantwortlich sei, antwortete Suharto:
Es war eine zionistische Verschwörung.
Die indonesische Regierung war unachtsam
gegenüber den systematischen und
taktischen Machenschaften der Zionisten.
...Die Zionisten ... waren besorgt, dass
Indonesien zu einem Zentrum für den
Aufstieg des Islam werden könnte. Die
Wachstumsrate Indonesiens wurde daher
angegriffen, wie die Wirtschafts- und
Währungskrise gezeigt hat. Heute gibt es
eine Reihe von indonesischen Politikern,
die sich weigern, ihre eigene Geschichte
anzuerkennen und stattdessen den Blick
nach Westen richten.
In dieser Darstellung identifizierte
Suharto Israel auf der Seite der
Kolonialmächte, also des Westens, als
Feind der Indonesier. Ironischerweise
hatte Israel sein Regime unterstützt,
wie Joseph Croitoru erklärt. Suharto
hoffte, die Unterstützung der
Öffentlichkeit zu gewinnen, indem er auf
solche Überzeugungen einging, die seit
den späten 1980er Jahren von
islamistischen Publikationen verbreitet
wurden, die gegen sein Regime
eingestellt waren. Das
Verschwörungsdenken hat seit den 1980er
Jahren zugenommen. Sogar Rotary,
Marxisten, Coca Cola und Rupert Murdoch
werden von vielen Indonesiern als Teil
globaler Verschwörungen angesehen, so
der Indonesien-Experte der University of
Sydney, Adrian Vickers.
Trotz der starken Abneigung von Taring
Padi gegen Suharto verwendete der für
die Figur verantwortliche Künstler die
gleiche antisemitische Symbolik in einem
antikolonialen, antiwestlichen und
antikapitalistischen Geist. Der
antikoloniale Geist ist elementar für
die nationale Identität Indonesiens. Nur
wenige wissen, dass die Präambel der
indonesischen Verfassung, die während
des erbitterten Unabhängigkeitskampfes
mit den Niederländern nach der
japanischen Besatzung verfasst wurde,
mit der Aussage beginnt, dass "jeglicher
Kolonialismus in der Welt abgeschafft
werden muss, da er nicht im Einklang mit
Menschlichkeit und Gerechtigkeit steht".
Es ist kein Zufall, dass der erste
Präsident des Landes, Sukarno, 1955
Gastgeber des berühmten Treffens
asiatischer und afrikanischer Staats-
und Regierungschefs, die 54 % der
Weltbevölkerung repräsentierten, in
Bandung war. Er eröffnete das Treffen
mit einer bewegenden Rede, in der er
eine postkoloniale Zukunft anpries:
"Erinnern wir uns daran, dass das
Ansehen der gesamten Menschheit
geschmälert wird, solange Nationen oder
Teile von Nationen noch unfrei sind.
Erinnern wir uns daran, dass das höchste
Ziel des Menschen die Befreiung des
Menschen von seinen Fesseln der Angst,
seinen Fesseln der menschlichen
Erniedrigung, seinen Fesseln der Armut
ist - die Befreiung des Menschen von den
physischen, geistigen und
intellektuellen Fesseln, die die
Entwicklung der Mehrheit der Menschheit
zu lange gehemmt haben." Die
"Volksjustiz" von Taring Padi und viele
ihrer anderen Werke sind Ausdruck dieses
Gefühls. Leider bedienten sie sich dabei
des seit langem bestehenden Bildes vom
"Juden" als ausländischem Ausbeuter des
Volkes und als Kriegsverursacher, kurzum
als internationaler Bedrohung.
Dies war nicht Teil des ursprünglichen
indonesischen Befreiungskampfes. -
Man denke nur an das Werk "Give Love to
All" aus dem Jahr 1999, das jüdische,
nationalsozialistische, christliche und
andere Symbole miteinander verbindet, um
eine antiimperialistische Aussage zu
treffen, und das zeigt, dass Taring Padi
dies als Teil ihres visuellen
Repertoires nutzte. In ihrer
ausführlichen Erörterung von Taring Padi
und der indonesischen Kunst stellen die
in Australien lebenden Kunsthistoriker
Wulan Dirgantoro und Elly Kent dem
Kollektiv zu Recht schwierige Fragen zu
diesen künstlerischen Entscheidungen und
politischen Vorstellungen: "Gab es ein
wirkliches Verständnis für die Symbolik
oder wurde sie unkritisch aus der Masse
der Bilder übernommen, die in einem
öffentlichen Diskurs zirkulierten, der
Antisemitismus mit Antiimperialismus und
Antikapitalismus verband?"
In seiner Rede zum documenta-Skandal vor
dem Ausschuss für Kultur und Medien des
Deutschen Bundestages am 6. Juli 2022
gab Ade Darmawan aus Ruangupa eine
ausweichende Antwort auf die Herkunft
des Bildes. "Jahrhundert von den
holländischen Kolonialherren mitgebracht
und dort vor allem auf die chinesische
Minderheitsbevölkerung übertragen wurde.
Die indonesischen künstlerischen Tropen
sind durch ganz andere historische
Erfahrungen geprägt als in Deutschland."
Es mag sein, dass die "indonesische
Bildsprache von anderen historischen
Erfahrungen geprägt ist" als die in
Deutschland, aber es bleibt die
Tatsache, dass sie Israelis und Juden in
einen Topf wirft und sie als Akteure in
einer globalen Kampagne gegen Indonesier
zusammen mit anderen Westlern darstellt.
Es stimmt, dass es für die Menschen
verwirrend ist, zwischen Juden und dem
Staat Israel zu unterscheiden, weil
dessen Flagge das jüdische religiöse
Symbol ist, das den Anspruch erhebt,
alle Juden zu vertreten. Führende
Politiker wie US-Präsident Biden sagen
auch, dass Israel der "ultimative Garant
und Garant des jüdischen Volkes ist,
nicht nur in Israel, sondern in der
ganzen Welt", was die Selbstdarstellung
des israelischen Staates widerspiegelt.
Pro-israelische deutsche Journalisten
tun dasselbe: "Israelische Künstler
wurden zu den geförderten
Großveranstaltungen nicht eingeladen ...
offenbar hat die Kunstszene ein Problem
mit den Juden." Taring Padi spiegelt
damit eine weit verbreitete Praxis der
Vermengung von Juden und Israel wider.
Das Schlimmste an der antisemitischen
Karikatur in der "Volksjustiz" ist, dass
sie das SS-Symbol enthält, das
suggeriert, dass Juden auch Nazis sind,
und damit "die Juden" und Nazis in eine
Kategorie mit anderen Volksfeinden
stellt. Dies ist der gröbste
Antiimperialismus und ein rassistisches
Stereotyp. Jeffrey Hadlers
Unterscheidung zwischen Anti-Israelismus
und echtem Antisemitismus bricht hier
zusammen.
Hadlers Unterscheidung trifft jedoch auf
die Kunst der palästinensischen Künstler
auf der documenta zu. Mohammed Al
Hawajri aus Gaza stellt eine Serie von
Gemälden mit dem Titel "Guernica Gaza"
aus, die israelische Streitkräfte und
palästinensische Zivilisten unter
Verwendung von Motiven berühmter
europäischer Kunstwerke darstellen. Sie
berufen sich nicht auf jüdische
religiöse Symbole, jüdische
Weltverschwörungen oder Bilder
stereotyper "jüdischer" Figuren, und
natürlich hat die IDF nicht-jüdische
drusische und beduinische Soldaten. Die
Kunst greift nicht das jüdische "Wesen"
an, geschweige denn, dass sie es
konzeptualisiert, sondern nur die
israelische Militärbehörde. Während die
"jüdische" Figur in "People's Justice"
eine Abstraktion darstellt,
repräsentieren die Israelis in der
"Guernica Gaza"-Serie den
militarisierten Staat, der
palästinensisches Land besetzt, von dem
er die Palästinenser langsam vertreibt,
und der die Palästinenser bombardiert.
Anstatt paranoide Symbole,
Vereinfachungen und Stereotypen über
Juden zu verwenden, beruft sich die
Serie auf reale Interaktionen zwischen
Israelis und Palästinensern. In diesen
Bildern gibt es keinen Judenhass.
Trotz der Bemühungen, Antisemitismus und
Antizionismus in einen Topf zu werfen,
ist "Guernica Gaza" also ein Beispiel
für Hadlers Anti-Israelismus, nicht für
eine Form von Antisemitismus. Selbst die
schärfsten Kritiker geben diese
Unterscheidung zu, denn sie wiederholen
sie immer wieder, wenn sie behaupten,
die aktuelle documenta sei ein Ort
antisemitischer und antiisraelischer
Kunst. Sie verurteilen beides als
"anti-israelischen Agitprop" und
unterstellen palästinensischen
Künstlern, dass es ihnen verboten sei,
die Notlage der palästinensischen
Zivilbevölkerung zum Ausdruck zu
bringen, wenn sie sich dabei unwohl
fühlen. Angesichts ihrer
Lebenserfahrungen ist es kaum
verwunderlich, dass palästinensische
Künstler unbequeme Kunst schaffen. Sie
stellen eine katastrophale Realität dar.
Jede Begegnung zwischen Ost und West,
Nord und Süd, wie auf der documenta, ist
wegen der gegenseitigen
Unverständlichkeit risikobehaftet: Es
geht nicht nur um Symbole, sondern um
globale Gerechtigkeit, um Recht und
Unrecht kolonialer Herrschaft, um die
westliche Unterstützung von Diktaturen
wie der von Suharto und um die
israelische Besetzung palästinensischen
Landes. Bislang sind wir Zeugen der
Unverständlichkeit. Appelle von
Historikern wie Jürgen Zimmerer zu
Beginn der Debatte um "People's Justice"
und seine antisemitische Symbolik, einen
Dialog mit dem Globalen Süden darüber zu
beginnen, warum westliche Tabus über
bestimmte antisemitische Ikonographie in
anderen Teilen der Welt nicht geteilt
werden, wurden ignoriert. Abgesehen von
einem Interview mit dem
palästinensischen Künstler Yazan Khalili
in der Berliner Zeitung und einem
Artikel in der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung (die sich ansonsten gegen die
documenta ausspricht), habe ich kein
Interesse an der Lebenswelt der
palästinensischen Künstler auf der
documenta gesehen. Anstatt über ihre
Kunstwerke und die darin dargestellte
düstere menschliche Realität zu sprechen
und über die deutsche Mitschuld an der
Entstehung des palästinensischen
Flüchtlingsproblems nachzudenken, gibt
es die üblichen Rufe nach einem
Tabubruch. Die Verwendung berühmter
europäischer Kunstmotive in "Guernica
Gaza" zeigt dagegen, dass der Künstler
es versteht, das deutsche Publikum zu
verunsichern - so wie es die Kunst tun
soll.
Eine solche Verunsicherung eröffnet
Möglichkeiten zur kritischen
Selbstreflexion. Wie Michael Rothberg,
Monique Ligtenberg und Bernhard C. Schär
in ihren Besprechungen von "People's
Justice" zeigen, ist die Kunst der
Katastrophe das Produkt einer
katastrophalen Geschichte, die den
deutschen Kolonialismus mit einbezieht,
denn die Nazi-Bilder wurden von
deutschem Kolonialpersonal nach
Niederländisch-Ostindien transportiert.
Solche Bilder wurden indigenisiert und
im antikolonialen und später im
demokratischen Kampf wiederverwendet, in
dem weder die Bundesrepublik Deutschland
noch Australien auf der richtigen Seite
standen. Wenn sich einige radikale
indonesische Künstler zu einer
"konspirativen Lesart der Geschichte"
(Achille Mbembe) hingezogen fühlten,
dann deshalb, weil sie die starren
Binaritäten, die das politische Feld
strukturierten, in dem sie, die Opfer
von Suhartos Unterdrückung, agierten,
verinnerlichten und umkehrten. Wie
Mbembe in Critique of Black Reason
(Kritik der schwarzen Vernunft)
theoretisiert, werden solche
Befreiungsdramen von den Standardfiguren
"des Henkers (des Feindes) und seines
Opfers (des Unschuldigen)" bevölkert:
Erstere verkörpern "die absolute Form
der Grausamkeit", während letztere
"voller Tugend ... unfähig zu Gewalt,
Terror oder Korruption" sind.
Mbembe kritisiert diese vereinfachende
Reaktion auf Unterdrückung: "In diesem
geschlossenen Universum, in dem
'Geschichte machen' nichts anderes
bedeutet, als seine Feinde zu verjagen
oder zu vernichten, wird jede Form von
Dissens als Extremismus angesehen".
Obwohl in "People's Justice" keine
Vernichtungsabsicht zu erkennen ist,
steht die Verwendung stereotyper
Figuren, insbesondere des "Juden", im
Widerspruch zu der antirassistischen
politischen Botschaft der Künstler, wie
sie nun feststellen. Aber westliche
Staaten sind an Taring Padis
tribunalistischer Sicht der Weltpolitik
mitschuldig, weil sie das Militärregime
von Suharto unterstützt haben. So
gesehen kann die in "People's Justice"
eingebettete Geschichte dazu beitragen,
dass alle Parteien ihre geschlossenen
Welten überwinden: über die destruktive
Dialektik von Anklage und Verteidigung
hinaus zu einer, in der traumatische
Geschichten und die von ihnen erzeugten
Zerrbilder in die Vergangenheit verbannt
werden, damit eine auf Menschenrechten
und Solidarität basierende Zukunft
denkbar wird.
Idealerweise sollte das Bild also kein
Anlass zur Reinigung sein. Im Einklang
mit der Ablehnung historischer
Verantwortung in Deutschland sehen wir
jedoch genau das: eine Tribunalpolitik,
die sich die Verschwörungstheorien von
Taring Padi zu eigen macht und sich nun
gegen jeden richtet, der mit der
Boykott-, Desinvestitions- und
Sanktionsbewegung (BDS) in Verbindung
gebracht werden könnte, der gewaltfreien
Kampagne, die die palästinensische
Zivilgesellschaft entwickelt hat, um für
gleiche Rechte in ihrer Heimat
einzutreten.
Ein katastrophales zwanzigstes
Jahrhundert hat die Deutschen gelehrt,
sich gegen geschlossene Universen zu
wehren. Sie sind zu Recht wachsam
gegenüber antisemitischen Darstellungen
und misstrauisch gegenüber der Politik
von Abstraktionen wie "das Volk",
insbesondere gegenüber der Rhetorik über
die Gerichte der "Volksjustiz". Beide
deutschen Diktaturen taten dies auf
unterschiedliche Weise, um Säuberungen
und Säuberungen mit furchtbaren
menschlichen Kosten zu vollziehen. Die
Deutschen verstehen instinktiv, dass
eine solche Sprache mit den liberalen
Werten des Pluralismus, der Toleranz und
der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar ist.
Wie stark der deutsche Rechtsstaat ist,
zeigte sich, als das Bonner
Arbeitsgericht die Entlassung einer
palästinensischen Journalistin für
rechtswidrig erklärte. Ihre Entlassung
war Teil einer allgemeinen Säuberung von
arabischen Journalisten bei der
Deutschen Welle, die einem
beunruhigenden Muster entsprach, nach
dem deutsche Kultureinrichtungen
palästinensische Journalisten,
Aktivisten und Wissenschaftler entlassen
oder ausladen.
Es ist wichtig, zwischen Antisemitismus,
der völlig inakzeptabel ist, und
legitimer Kritik an Israel zu
unterscheiden. Dieser Unterschied ist
sehr wichtig, weil er die künstlerische
Freiheit in Bezug auf unterschiedliche
politische Positionen betrifft. In dem
einen Fall gibt es keine Möglichkeit,
die Dinge aus anderen Perspektiven zu
sehen. Im anderen Fall muss es möglich
sein, ein komplexes Thema aus einer
anderen Perspektive oder aus der Sicht
eines anderen zu sehen: "den Schmerz der
anderen zu begreifen", wie Charlotte
Wiedemann es treffend formuliert.
In Deutschland ist ein Dialog über
globale Gerechtigkeit im Gange. Museen
geben unrechtmäßig erworbene Artefakte
zurück. Dieser Dialog, so zaghaft er
auch beginnt, wird abgewürgt, wenn die
Behörden einen tribunalisierten
"Selbstreinigungsprozess" und
"Säuberungsaktionen" im Kulturbereich
durchsetzen. Im Mai 2022 sprach der
russische Präsident Putin von einer
"Selbstreinigung der Gesellschaft" im
Krieg mit der Ukraine und dem Westen. Da
die westlichen Länder diese Sprache zu
Recht kritisiert haben, ist es eine
Ironie, dass die Bemühungen, den
"Postkolonialismus" zu unterdrücken,
indem man ihn als antisemitisch
verteufelt, zunehmend dem Objekt ähneln,
als das er phantasiert wird: als
manichäisch und illiberal. Universen
werden eher geschlossen als geöffnet.
Anstelle von Selbstreinigung brauchen
wir Selbstaufklärung. Das ist komplexer,
denn man muss etwas lernen. Das Bild
"Volksjustiz" wurde ausgestellt,
teilweise verdeckt und dann wieder
entfernt: Jetzt ist es an der Zeit, die
Geschichte, die in Kassel zu sehen war,
richtig aufzuarbeiten.
Quelle
documenta-Skandal Gibt es auch eine andere Geschichte der documenta 15? Eine jenseits von "Antisemitismus-Skandal"? Vielleicht jene einer selbstherrlichen Kommentatorenriege?
Gerhard Hanloser - Ein Blog aus der Freitag-Community. - 23. 7. 2022
Die meisten Kommentatoren in der deutschen Presselandschaft konnten sich auf die immer gleichen Module verlassen: „Antisemitismus-Skandal“, „überfälliger Rücktritt“ und so weiter und so fort... Kaum ein Artikel, dessen Aussage irgendeine interessante Wendung hatte. Erschien ein solcher, musste ihm sofort vehement widersprochen werden. Für die anklagefreudigsten der documenta-Kritiker stellten die entdeckten antisemitischen Bildkomponenten auf einem indonesischen Großcomic gleich den Beweis dar, auf der internationalistisch gestimmten 15. documenta habe sich „der globale Süden“ – was immer das sein soll – mit seinem ihm ureigenen Antisemitismus ausagiert.
Tatsächlich agierte sich ein nordeuropäischer Chauvinismus von weißen, in der Regel älteren, gehäuft männlichen Medienschaffenden an der documenta aus. Eine Vielzahl der Reaktionen zeigte, dass das Urteil des verfemten australischen Historikers Dirk Moses, in Deutschland herrsche ein ungeschriebener „Katechismus“ vor, der um Antisemitismus und Israel-Solidarität kreise, neue Plausibilität erhält. hatte nicht Moses geschgrieben: "Empörung tritt an die Stelle von Nüchternheit, vermutlich noch potenziert durch die Fähigkeit der Sozialen Medien, politische Emotionen zu lenken und für diese Öffentlichkeit zu schaffen. Es scheint, als ob wir zunehmend zu Zeugen von nicht weniger als öffentlichen Exorzismen werden, die unter der Aufsicht selbsternannter 'Hohepriester' den 'Katechismus der Deutschen' bewachen."
Vorneweg im Zug der Inquisitoren bewegten sich die Autoren und Publizisten der Springerpresse. In der Welt steigerte sich Alan Posener von der Unterstellung, das aktuelle documenta-Team, sowie die „Initiative 5.3 Weltoffenheit“ und postkoloniale Aktivisten würden unisono „israelbezogenen Antisemitismus“ betreiben, zu der Vorhaltung, die ausstellenden Künstlern der documenta hofierten Clan- und Sippenstrukturen und begingen eine „Feier der Sippen-Romantik“. Auch hier wird deutlich: Rassismus ist ein Kavaliersdelikt, dem alle Zeilen in Kommentarspalten deutscher Zeitungen offenstehen. Auch der Großkünstler und Ästhetikprofessor Bazon Brock darf von „Schafsstall-Geblöke“ im Deutschlandfunk sprechen und beschwört die „westliche Idee“ der Autorität durch Autorenschaft, die im Kollektivismus des Südens verende. Dass er kurioserweise unter dem Oberbegriff des „Südens“ sowohl Erdogan, Putin und andere Despoten wie in gleicher Weise die antiherrschaftlichen Künstlerkollektive, die zu einer Großzahl in Kassel zu sehen waren, subsumiert, ist in der Presselandschaft 2022 ganz sicher kein „Skandal“. Auch kein Wunder ist es, dass die twitter-Bespucker, die im Geiste des deutschen Common Sense der großen Medien von der „antisemita“ witzelten, dabei die Vielzahl und eindeutige Schwerpunktsetzung von Roma-Kunst und Kunstwerken, die die Verfolgung und Diskriminierung von „Zigeunern“ zum Thema machten, natürlich ignorieren müssen. Die inhaltlich wie geschichtliche Nähe des Antiziganismus zum Antisemitismus ist zwar bekannt, fällt aber aus dem deutschen Katechismus und seinem Moralregime raus.
Der Proteststurm gegen die Documenta 15 – Ein Dokument „progressiven“ Herrenmenschentums
Veröffentlicht von admin - 20/07/2022
Der Proteststurm gegen die Documenta 15 – Ein Dokument „progressiven“ Herrenmenschentums
Der Kampf gegen den Antisemitismus als Regierungsformat bekämpft nicht den Judenhass, sondern schützt imperiale und postkoloniale Verhältnisse
Wenn es nicht so niederschmetternd wäre, müsste man dankbar sein, über das, was ein Wandbild auf der Documenta 15 in Kassel im Jahre 2022 ausgelöst hat und die VIP-Lounge dahinter zum Toben bringt.
Klar, eigentlich war man ziemlich liberal und offen:
Hans Eichel, ehemaliger Bundesfinanzminister und Ex-Oberbürgermeister von Kassel
Wegen Becks documenta-Kritik: Ex-OB Eichel tritt aus Deutsch-Israelischer Gesellschaft aus
Matthias Lohr - 25.07.2022,
Ex-Finanzminister Hans Eichel ist aus der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) ausgetreten – aus Protest gegen Volker Beck. Der DIG-Präsident verleumde die documenta.
Kassel – Der ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel ist aus Protest gegen die Kritik von Volker Beck an der documenta aus der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) ausgetreten. In seinem Rücktrittsschreiben begründet dies der Sozialdemokrat unter anderem mit Äußerungen des DIG-Präsidenten Beck im HNA-Interview vorige Woche. Dort hatte der Grünen-Politiker gesagt, es sei „vielleicht nicht schlecht“, wenn die Ausstellung woanders weitergehen würde. Zudem hatte er bereits zuvor behauptet, die „documenta der Schande“ sei ein „antisemitisches Feuerwerk“.
Gegenüber der HNA sagte Eichel: „Wenn der Präsident der DIG die documenta so verleumdet und sie aus Kassel weghaben will, kann ich ihr nicht mehr angehören.“ Der ehemalige hessische Ministerpräsident und Ex-Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Kassel gehörte der DIG mehrere Jahrzehnte an. Seine Arbeit für das deutsch-israelische Verhältnis will Eichel in der Jerusalem Foundation fortsetzen.
Auch der Kasseler Stadtplaner Christian Kopetzki hat sich zu Wort gemeldet. Der langjährige Kasseler Professor nennt die Äußerungen Becks einen „inquisitorischen, ja denunziatorischen Angriff auf die documenta insgesamt“. Zudem wirft er dem DIG-Präsidenten „Gesinnungsschnüffelei und Kontrollwahn“ vor
Antisemitismus und Documenta: Mitglieder de Kuratorenkollektivs Ruangrupa bei der Eröffnung der Documenta am 15. Juni.
Antisemitismus und Documenta
Anonymer Brandbrief
Jörg Häntzschel - 22. Juli 2022
Viele hatten erwartet, nach der wochenlangen Kontroverse um Antisemitismus auf der Documenta würde deren neuer Geschäftsführer, Alexander Farenholtz, nun eine Überprüfung aller Kunstwerke veranlassen, wenn nicht noch drastischere Schritte. Doch das wird nicht passieren.
Der Documenta-Aufsichtsrat hatte am Freitag beschlossen, ein Gremium aus Experten zu berufen, das die künstlerische Leitung beraten solle. Doch diese würden eher punktuell aktiv, so Farenholtz, ein generelles "Screening" der Ausstellung werde es nicht geben. Ohnehin sprächen die Experten allenfalls Empfehlungen aus. Das letzte Wort darüber, wie mit als problematisch empfundenen Werken umgegangen werde, habe in jedem Fall das Kuratorenkollektiv Ruangrupa. "Wenn sie entscheiden, dass sie ein Werk aus der Ausstellung nehmen wollen, können sie das tun. Andernfalls bleibt es dort. Es wird keinen Eingriff in die Handlungsautonomie der Kuratoren geben."
Genau um diese Frage geht es in einem anonymen Briefvon auf der Documenta vertretenen Künstlerinnen und Künstlern an den Aufsichtsrat, der am Donnerstag öffentlich geworden, offenbar aber schon einige Tage alt ist. Sie sprechen sich darin entschieden gegen die Einberufung eines Expertenbeirats aus. Ein solches Gremium schaffe eine Atmosphäre der "Einschüchterung, des Misstrauens und der Zensur". mehr >>>
Erklärung der documenta-Künster*innen aus Anlass der Empfehlung des Aufsichtsrats der documenta vom 16.7.22, "in einen Prozess der Konsultation mit Wissenschaftlern aus dem Bereich des zeitgenössischen Antisemitismus einzutreten".
Sehr geehrte Mitglieder des Aufsichtsrats der documenta gGmbH, wir, die UnterzeichnerInnen dieser Erklärung, wenden uns heute an Sie als teilnehmende KünstlerInnen und Kollektive sowie an ruangrupa und Mitglieder des künstlerischen Teams der documenta fünfzehn.
Im Anschluss an die Erklärung des Aufsichtsrats der documenta und Museum Fridericianum gGmbH vom 16. Juli 2022 nehmen wir die Gelegenheit wahr, eine Stellungnahme zu den Empfehlungen des documenta-Aufsichtsrats zu verfassen, insbesondere zu der Empfehlung, "in einen Prozess der Konsultation mit Wissenschaftlern aus dem Bereich des zeitgenössischen Antisemitismus
einzutreten".
Wir erkennen und bedauern den Schmerz, den die Abfolge der Ereignisse im Zusammenhang mit Taring Padis Werk "People's Justice" verursacht hat, sind jedoch der Meinung, dass dies nicht zu einer allgemeinen Atmosphäre der Untersuchung und Zensur führen sollte. Wir bekräftigen noch einmal unsere Haltung gegen alle Formen der Diskriminierung, einschließlich Antisemitismus,
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus, Transphobie, Islamophobie, antipalästinensische, romafeindliche, antischwarze, antiasiatische, behindertenfeindliche, kastenbezogene,klassenbezogene und altersbezogene Handlungen und Angriffe.
Wir sind zutiefst enttäuscht, dass Sie sich entschieden haben, den Rassismus und die Gewalt zu ignorieren, denen die Künstler, die künstlerische Leitung und das Team in den letzten acht Monaten ausgesetzt waren. Viele von uns haben Zeit, Ressourcen, Liebe und guten Willen in das gemeinsame Projekt der documenta fünfzehn investiert. Die Künstlerinnen und Künstler haben Monate und Jahre fernab von ihrer Heimat und ihren Familien verbracht, um Deutschland und den Kasseler Gemeinden eine kollektive, gemeinschaftliche Arbeit zu ermöglichen. Diese Geschenke wurden in veröffentlichten Erklärungen von Politikern, in Pressemitteilungen und in der Medienberichterstattung nicht anerkannt oder gewürdigt.
Seit den ersten Medienangriffen im Januar werden palästinensische, pro-palästinensische, schwarze und muslimische Künstler von den Medien und den Politikern ins Visier genommen und diskriminiert und sind in der Folge bereits der Zensur durch die Institutionen ausgesetzt. Diese Diskriminierung hat uns deutlich gemacht, dass wir dem Vorschlag des Aufsichtsrates nicht trauen können. Um an einige dieser Vorfälle zu erinnern, erwähnen wir hier nur einige wenige:
Am 23. Juni 2022 wurde das WH22 Werner-Hilpert-Straße 22, ohne die Künstler oder Kuratoren zu informieren, für mindestens zwei Stunden geschlossen, bis Mitglieder von ruangrupa und des künstlerischen Teams es wieder öffneten. Am selben Tag wurde ein Teil des Hübner-Areals, in dem die Kunstwerke von Subversive Film ausgestellt waren, für den ganzen Tag geschlossen.
Am 10. Juli 2022 wurden Teile des Archivmaterials, die sich auf Palästina beziehen, ohne Wissen und Zustimmung des Kollektivs Archives des luttes des femmes en Algérie (Archiv der Frauenkämpfe in Algerien) entfernt. Es wurde erst am 11. Juli 2022 auf Ersuchen der Künstlerinnen zurückgestellt.
Diese Angriffe haben ein Klima der Feindseligkeit und des Rassismus gegenüber den Künstlern geschaffen, was dazu führte, dass sie weiteren Angriffen ausgesetzt waren:
Am 27. Mai 2022 wurde in WH22, dem Ort, an dem die Künstlerkollektive Question of Funding, Party Office und Hamja Ahsan untergebracht sind, eingebrochen und Vandalismus verübt, indem Parolen wie "187" und "Peralta" aufgesprüht wurden. Die Künstler vermuteten, dass sich die Slogans auf den kalifornischen Strafrechtsparagraphen über Mord und die spanische Neonazi-Aktivistin Isabel Peralta beziehen, die zu Gewalt gegen den Islam aufgerufen hat. Die Künstler beschlossen, das Graffiti am Veranstaltungsort zu belassen, und die documenta erstattete Strafanzeige.
Am 13. und 17. Juni 2022 wurde die Kirche St. Kunigundis, in der die Arbeiten der Atis Rezistans|Ghetto Biennale (Haiti/international) ausgestellt werden, nach fünf Tagen Beobachtung durch eine Frau in einem Auto von einem Mann gestürmt, der die anwesenden Künstler der Atis Rezistans|Ghetto Biennale bedrohte und anschrie. Er filmte auch mit seinem Handy, und das Video ist im Umlauf. Am 17. Juni 2022 lungerte derselbe Mann draußen herum.
Am 2. Juli 2022 wurden Mitglieder des Party Office Kollektivs auf den Straßen Kassels von transphobischen Männern angegriffen und anschließend von der Kasseler Polizei angegriffen. Die Angreifer wurden laufen gelassen. Das Parteibüro fordert eine Entschuldigung für den Umgang mit der Situation und weitere Schritte, um ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen zu gewährleisten.
Zahlreiche Cyberstalking-Attacken und Drohungen gegen Mitarbeiter und Künstler wurden vom JuFo (Junges Forum DIG), insbesondere auf seinem Instagram-Account, verübt.
Es gab viele weitere dokumentierte Vorfälle sowie institutionelle rassistische, islamfeindliche und transphobe Diskriminierung. KünstlerInnen und Teammitglieder, die für die documenta fünfzehn arbeiten, sind bis heute auf verschiedenen Ebenen von Belästigung und Mobbing betroffen.
Neben diesen direkten rassistischen und transphoben Vorfällen haben Künstler und Lumbung-Mitglieder strukturellen Rassismus und Vernachlässigung erfahren. Diese wurden durch Probleme im Zusammenhang mit Visa, Unfreundlichkeit und Vernachlässigung von Daten und Kommunikation im Zusammenhang mit Künstlern und Arbeitnehmern, die sich als BIPOC, nicht-binäre und Trans-Künstler identifizieren, deutlich. Dies hat ihr physisches und psychisches Wohlergehen und ihren künstlerischen Prozess behindert. Dazu gehört auch, dass mehreren Künstlern und Ruangrupa-Mitgliedern kein oder nur ein befristetes Visum erteilt wurde und dass die Künstler unter entsetzlichen Bedingungen untergebracht wurden. Es ist uns ein Bedürfnis zu betonen, dass wir diese Verantwortung nicht den überarbeiteten, unterbesetzten und oft ungerecht behandelten Mitarbeitern des documenta 15 Teams aufbürden.
Die Empfehlung des documenta-Aufsichtsrats, "in einen Prozess der Konsultation mit Wissenschaftlern aus dem Bereich des zeitgenössischen Antisemitismus einzutreten", wurde gegen die Meinung von ruangrupa und dem künstlerischen Team ausgesprochen. Der Aufsichtsrat hat die beteiligten Künstler nicht konsultiert. Der Aufsichtsrat hat diese Vorgehensweise gewählt, obwohl er sich vertraglich zu gegenseitigem Respekt, Wohlverhalten und Loyalität gegenüber ruangrupa verpflichtet hat (Klausel 12.1 des Vertrages zwischen Documenta gGmbH und ruangrupa).
Warum wir die Empfehlung des Aufsichtsrates ablehnen, "in einen Prozess der Konsultation mit Wissenschaftlern aus dem Bereich des zeitgenössischen Antisemitismus einzutreten":
Wir möchten daran erinnern, dass wir im vergangenen Jahr versucht haben, mit dem Forum "Wir müssen reden! Kunst, Freiheit und Solidarität" im vergangenen Mai versucht haben, einen Dialog zu beginnen, wobei wir einen ehrenwerten, aber vergeblichen Versuch unternommen haben, eine gute Antwort auf eine schlechte Frage zu formulieren. Wir möchten auch daran erinnern, dass der Dialog nach intensiven Gesprächen mit den Forumsteilnehmern, in denen deutlich wurde, dass eine freie und produktive Diskussion unmöglich war, abgebrochen wurde. Vorausgegangen war die Kritik von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, an der Zusammensetzung des Forums. Einige Teilnehmer zogen sich wenige Tage vor der geplanten Eröffnung des Forums zurück oder zogen es in Erwägung, sich zurückzuziehen.
Die Kunstwerke sind nun seit mehr als 30 Tagen ausgestellt. Sie waren für die Öffentlichkeit in voller Transparenz zu sehen. Mehr als bei jeder anderen documenta waren und sind die Künstler in den Ausstellungsräumen präsent, um sich mit dem Publikum auszutauschen. Das Publikum hat mit großer Begeisterung auf die Ausstellung reagiert. Kunstwerke und Künstler zu untersuchen, ist anklagend und respektlos. Wir sehen es als eine Untersuchung, die implizieren könnte, dass jeder Künstler oder jedes Kunstwerk antisemitisch ist, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Die Untersuchung von Kunstwerken, die Geschichte und Gegenwart in Frage stellen und vorantreiben, bedeutet, dass Kunstwerke sich nicht mehr mit der Komplexität dieser Geschichte auseinandersetzen können. Die Rolle des Publikums ist es, sich auf gleicher Augenhöhe damit auseinanderzusetzen, nicht in anklagender Weise. Wenn die Kunstwerke einer Prüfung unterzogen werden, hat dies tiefe Auswirkungen auf ihre lokalen Gemeinschaften und politischen Kontexte.
Die Aufnahme eines Beirats wird zu einem Präzedenzfall und schafft ein Umfeld der Angst und Selbstzensur, das es den Kuratoren und Künstlern unmöglich macht, sich in einem sicheren Umfeld offen mit der Öffentlichkeit auseinanderzusetzen. In der Kunst geht es nicht nur um Ästhetik und Komfortzonen, die Kunst spielt eine wichtige Rolle bei der Öffnung von Kanälen und der
Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, lassen Sie es zu. Das ist es, was künstlerische Freiheit bedeutet.
Dieses Umfeld der Einschüchterung, des Misstrauens und der Zensur ist unhaltbar, und einige der Kollektive in der Ausstellung haben diese Erfahrung schon viel zu lange gemacht. Daher lehnen wir gemeinsam und kategorisch Ihre Empfehlung ab, "in einen Konsultationsprozess mit Wissenschaftlern aus dem Bereich des zeitgenössischen Antisemitismus einzutreten", oder eine erneute Überprüfung der Kunstwerke. Wir werden kein Ergebnis akzeptieren, das aus einer solchen Überprüfung resultiert. In einer am 25. Juni 2022 an die Direktion gesendeten E-Mail forderten wir die Institution auf, die erneute Prüfung unserer Werke unverzüglich einzustellen und alle Ausstellungsorte und Kunstwerke zu öffnen, damit unsere Kunstwerke von der Bevölkerung ohne Unterbrechung erlebt und angenommen werden können. Wir bitten Sie hiermit erneut, Ihre Empfehlung zurückzuziehen.
Wir möchten Sie daran erinnern, dass Zensurbehörden ihre Geschichte und ihren Kontext in Deutschland und weltweit haben. Wir kommen aus vielen Ländern, in denen wir mit Zensurgremien und Unterdrückung konfrontiert sind und uns auch weigern, sie zu befolgen. Zensurgremien entziehen dem Publikum die Verantwortung, sich zu engagieren, zu lernen und zu verlernen. Sie entziehen dem Publikum die Möglichkeit, sich eine unabhängige politische Meinung zu bilden. Zensurausschüsse sind das Ende einer Ära der Kunst, wie wir sie kennen; sie stehen für den Beginn einer neuen Ära (oder vielmehr für die Rückkehr zu einer Ära), in der die Kunst im Dienste politischer Regime steht.
Abschließend erwarten wir vom Aufsichtsrat Folgendes:
1. dass die Empfehlung, ein Gremium von Wissenschaftlern mit der Überprüfung der Kunstwerke zu beauftragen, unverzüglich zurückgezogen wird.
2-Dass KünstlerInnen und documenta fifteen Teammitglieder (namentlich Parteibüro, Hamja Ahsan), die zahlreiche E-Mails über physische und Cyber-Attacken geschickt haben, beantwortet und weiterverfolgt werden und dass solche Nachrichten auf den offiziellen facebook- und instagram-Seiten der documenta fifteen sofort abgerufen werden.
3-Dass die Täter und Täterinnen der bisher registrierten Übergriffe von der documenta und der Stadt Kassel zur Rechenschaft gezogen werden.
4-Dass ein sicheres Umfeld frei von jeglicher Form von Diskriminierung und Übergriffen in Kassel gewährleistet wird, indem ein Verhaltenskodex, ein Beschwerdeprotokoll und eine Reaktionsstruktur (wie z.B. der Zugang zu den Anwälten der documenta gGmbh) für solche Diskriminierungen erarbeitet wird.
Wir erwarten bis zum 22. Juli 2022 eine Rücknahme Ihrer Empfehlung zum Beirat. Andernfalls behalten wir uns vor, weitere Schritte gemeinsam zu unternehmen.
Außerdem erwarten wir bis zum 30. Juli 2022 eine öffentliche Entschuldigung für das Versäumnis, die rassistischen, islamfeindlichen und transphoben Angriffe weiterzuverfolgen oder zu erwähnen, sowie eine konkrete Strategie, um die oben genannten Diskriminierungen vieler KünstlerInnen zu beseitigen.
Wir sind hier, um zu bleiben und wollen diese Ausstellung offen halten, aber mit der Garantie der künstlerischen Freiheit. Wir sind überzeugt, dass die Kunstwerke für sich selbst sprechen können, und wir glauben an die Fähigkeit des Publikums, sich als mündige Bürger ohne staatliche Aufsicht mit den komplexen Zusammenhängen der Kunstwerke auseinanderzusetzen. Wir sind für offene und aufrichtige Gespräche und kollektiven Austausch hier. Wir sind hier als Menschen mit unseren Schwächen, unserer Stärke, unserem Mut und unserer Kunst, und wir wollen so lange wie möglich bleiben, um einen kritischen und freudigen Dialog mit denen zu führen, die uns in unserer Vielfalt als gleichwertig akzeptieren.
Ist Deutschland eine Bananenrepublik?
Die Antisemitismus-Hysterie untergräbt die Kunstfreiheit /
Anmerkungen zum Rücktritt der Leiterin der Documenta
Arn Strohmeyer - 17.07.2022
Die Leiterin der Documenta, Sabine Schormann, konnte dem Druck der Antisemitismus-Jäger nicht mehr standhalten und hat hingeworfen. Damit ist die Documenta endgültig im Desaster versunken. Die Israel-Anhänger und die meisten Medienvertreter, die genau das wollten, können die Sektkorken knallen lassen! Was für sie ein Triumph ist, ein Sieg im Kampf gegen den Antisemitismus, wie sie ihn verstehen, ist in Wirklichkeit eine Schande für dieses Land. Es hat sie als unfähig erwiesen, die Stimme des Südens, der die furchtbare Erfahrung mit dem westlichen Kolonialismus machen musste, anzuhören bzw. seine Kunst anzuschauen.
Werner Ruf hat es so treffend formuliert: „Nicht die Stimme des Südens, der Entrechteten, ‚der Verdammten dieser Erde‘ (Frantz Fanon) soll gehört und verstanden werden, sondern die Definitionsmacht der Herrschenden wird durchgesetzt.“ Die Definitionsmacht in Politik und Kultur, das beweist der „Antisemitismus-Skandal“ der Documenta, ist die von Israel vorgegebene Erinnerungspolitik an den Holocaust. Sie ist das deutsche Staatsdogma und die deutsche Staatsräson, koste es, was es wolle. Dass die Meinungs- und die Kunstfreiheit – also wesentliche Elemente der Demokratie dabei unter die Räder kommen – , wird hingenommen, dank des höheren Wertes Israel. mehr >>>
Zensur?
Abraham Melzer - 24. Juni 2022
„Das Bedienen antisemitischer Klischees auf der documenta15 erinnert an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte“, kommentiert Jürgen Hardt von der CDU. Damit hat er nicht so Unrecht. Mich erinnert das an die große Kunstausstellung der Nationalsozialisten, die sie „Entartete Kunst“ nannten. In Kassel ist aber nicht die Kunst entartet, was Kunst nicht kann, sondern der Diskurs um die angeblich antisemitischen Tendenzen der Ausstellung, die ich nicht sehe und nirgend zu erkennen vermag, selbst nicht in dem gigantischen Bild, dass verhängt und schließlich abgehängt worden ist. Jetzt bleibt das Gerüst als Mahnmal. Das Gerüst ist jetzt das Kunstwerk. Damit hat sich die Forderung eines documenta-Urgesteins, nämlich Josef Beus, bestätigt und erfüllt, dass alles Kunst sei, selbst ein Butterberg.
Kunst diskutiert, sondern über Antisemitismus. Man konnte es kaum noch ertragen. Der Generalsekretär der FDP Djir-Sarai belehrte uns, dass „Antisemitismus ist keine Meinung. Antisemitismus ist Hass und kann daher nie die Freiheit der Kunst in Anspruch nehmen.“ Aber selbst wenn Antisemitismus Hass ist (in den meisten Fällen ist es Dummheit und primitive Vorurteile) so kann es doch nicht verboten sein. Oder will die FDP den Menschen verbieten zu lieben oder zu hassen? Verbieten kann man Judenhass nicht. Verbieten und verhindern muss man nur Ausschreitungen gegen Menschen nur weil sie Juden sind. Dafür ist aber die Polizei zuständig und nicht die documenta.
Aber schon im Vorfeld zur diesjährigen documenta15 wurde den Kuratoren, der indonesischen Gruppe ruangrupa, sowie mehreren ausstellenden Künstlern die Nähe zur „antisemitischen“ BDS-Bewegung attestiert. Und weil Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei der beschämenden Abstimmung im Bundestag nicht zugestimmt hat, wird jetzt von der Jüdischen Allgemeine ihre Entlassung gefordert. Josef Schuster verlangt jetzt personelle Konsequenzen. Er behauptet, dass Deutschlands Image in der Welt durch diesen Vorfall Schaden genommen hatte. Damit hat er möglicherweise sogar Recht. Die beschämende Debatte um die documenta15 hat in der Tat weltweit Aufsehen, Erstaunen und Mitleid mit den Deutschen erweckt, aber auch Wut und Zorn auf den Zentralrat der Juden, auf die diversen überflüssigen Antisemitismusbeauftragten, die sich alle plötzlich zu Kunstsachverständigen aufgeplustert haben und auf die israelische Regierung, die sich in Angelegenheiten einmischt, die sie ganz und gar nicht angehen.
„documenta der Schande“ nannte Israels Botschafter die internationale Kunstausstellung. Die Schande liegt aber allein auf seiner Seite und beim Zentralrat der Juden, der blind vor Hass und Gehorsam wie ein Terrier Israels völkerrechtswidrige Politik verteidigt. Die zahlreichen Antisemitismusskandale der letzten Jahre zeigen aber nur, wie leicht man in Deutschland mit dem Wort „Antisemitismus“ Aufmerksamkeit erregt und Menschen und Karrieren zu Fall bringen kann. Was ist denn der Antisemitismusvorwurf wert, wenn sogar ich als „berüchtigter Antisemit“ diskreditiert, beleidigt und diffamiert werde.
Die Jüdische Allgemeine meint, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland selten so in Aufruhr war. Das widerspricht aber alles, was ich wahrnehme und wahrgenommen habe. Die sogenannte „Jüdische Gemeinschaft“ gibt es gar nicht. Die „Juden in Deutschland“, wie sich diese angebliche Gemeinschaft nennt, leben in einem selbstgewählten Ghetto, in dem sie vom Zentralrat alimentiert und bewacht werden. Sie werden tagaus, tagein mit der israelischen antipalästinensischen und im Grunde auch antijüdischen Propaganda gefüttert, lesen die Jüdische Presse als einzige Informationsquelle und wichtige Artikel, natürlich pro-israelisch und anti-palästinensisch werden sogar ins russische übersetzt, weil die Mehrheit der „jüdischen Gemeinschaft“ russische und ukrainische Juden ist, die mitnichten nach Israel auswandern wollen. Viele von ihnen kamen auf Umwegen aus Israel.
Die Jüdische Allgemeine hetzt und fragt, wie es sein kann, dass „jüdische Künstler aus Israel von der Weltkunstausstellung in Kassel gezielt ausgeschlossen wurden?“ Woher weiß denn die Jüdische Allgemeine, dass sie „gezielt“ ausgeschlossen wurden? Und warum wieder diese dämliche Behauptung, dass es sich um jüdische Künstler aus Israel handelt. Sind denn Künstler aus Israel nicht Israelis? Und sind nicht Künstler aus anderen 156 Staaten nicht eingeladen worden, was ganz was anderes ist als „ausgeschlossen“.
Die Jüdische Allgemeine fragt, wie es sein kann, „dass Juden in einem Gemälde als Schwein samt Davidstern und „Mossad“-Aufschrift gedemütigt werden?“ Welche Juden sind denn gedemütigt worden? Wohl nur diejenigen, die fest und stramm hinter der zionistischen Politik Israels stehen. Diese Politik ist aber kolonialistisch und trägt die Merkmale einer Apartheid und nicht mehr und nicht weniger wollten die indonesischen Künstler in ihrem Bild ausdrücken. Israel und seine Besatzungspolitik sei zu ächten, wie die anderen europäischen und amerikanischen Koloniale Systeme.
Sollen wir in Zukunft Kunst, Literatur und öffentliche Debatten vom Zentralrat der Juden zensieren lassen? Dieses sagt immer wieder, dass Kritik an Israel erlaubt sei, aber meint, dass nur die Kritik, die der Zentralrat in Vertretung der israelischen Propaganda genehmigt, erlaubt sei. Wollen wir das erlauben? Sollten wir nicht Josef Schuster sagen: Schuster bleib bei deinem Leisten. Kümmere dich um deine Juden, um deren Wohlergehen und mische dich nicht ein in innerdeutschen Debatten, von denen Du nichts verstehst und zu denen Du nichts beitragen kannst. Reicht Dir der Posten des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden nicht? Willst Du bei der Weltpolitik mitmischen und deinen Senf ausdrücken? Warum sind die Vorsitzenden der moslemischen Gemeinden oder der Sintis klüger und zurückhaltender. Warum melden die sich nur, wenn es tatsächlich um ihre Angelegenheiten geht? Die documenta15 ist nicht die Angelegenheit des Zentralrats der Juden.
Es ist alles in allem eine Schande und man kann nur noch abwarten und staunen was noch mehr passiert und welche Politiker noch einknicken und der israelischen Propaganda zustimmen werden. Die Hirnis applaudieren jeder Rechtsverletzung, wenn sie die “Richtigen“ trifft. Dass aber morgen die Relativierung des Rechts wieder „die Falschen“ treffen könnte, können diese prämorbiden Persönlichkeiten nicht abschätzen: ihre Intelligenz erfasst das nicht (Debilität) oder nicht mehr (dementia praecox).
Jetzt hat auch unser Bundespräsident Frank Walter Steinmeier seinen übelriechenden Senf zur documenta-Antisemitismus-Debatte abgegeben und es war nicht nur ein Skandal, wie es Elke Buhr im Kunstmagazin Monopol nannte. Es war für uns alle eine schändliche Rede, eine peinliche Blamage für Deutschland, eine Beleidigung der internationalen Kunst- und Künstler-Welt und ein Gesichtsverlust für den Präsidenten. Ich bin als Israeli erstaunt, als Jude beschämt und als Deutscher wütend, dass Steinmeier eine solche Rede auch in meinem Namen gehalten hat. Er hat damit Deutschland geschadet und seine Pflicht Schaden vom Staat fernzuhalten, verletzt. Noch Jahre und Jahrzehnte wird man uns daran erinnern und es wird schwierig sein sich dieser Last zu entledigen.
Ich würde mich nicht wundern und es auch nicht bedauern, wenn er damit das Ende der documenta eingeleitet hat. Wer wird in Zukunft noch Vertrauen und Mut haben eine documenta zu kuratieren, auch wenn man ihr oder ihm die Freiheit der Kunst zusichert, wenn der Weg zur Durchführung voller Mienen ist, wenn die Freiheit von Anfang an schon begrenzt ist. Wird denn der künftige Kurator oder die künftige Kuratorin jeden Künstler fragen müssen: „Bist du Jude? Sympathisierst Du mit BDS? Hast Du früher, als Du noch minderjährig warst, Israel kritisiert?“ Wer wird denn solche peinlichen Fragen stellen wollen. Ich übertreibe vielleicht, aber nur so kann man zeigen, wie absurd die Lage und wo die Debatte um den Antisemitismus gelandet ist. Sie wird von unverantwortlichen „entarteten“ Journalisten, Politiker, Funktionären und speziell dafür ausgebildeten Agenten und bezahlten Publizisten geführt.
Es erinnert mich zu sehr an die Nazi-Ausstellung „Entartete Kunst“ mit der sich Adolf Hitler anmaßte zu bestimmen, was Kunst ist. Er verurteilte Kunst, die ihm nicht gefiel und die er nicht verstand. Bei Steinmeier ist es nicht einmal das. Er urteilt über etwas, das er nicht gesehen hat, weil es nicht vorhanden ist. Sollte man ihn hinterfragen, dann wäre er nicht in der Lage auch nur eine Äußerung der Kuratoren dieser documenta anzuführen, die die Existenz des Staates Israel in Frage stellen, weil es solche Äußerungen nicht gab. Allein schon deshalb, weil der Staat Israel für indonesische Künstler nicht die Bedeutung hat, wie für Deutsche. Antisemitismus ist dort fast so unbekannt wie am Nordpol.
Wenn deutsche Politiker und Publizisten lautstark beklagen, dass Israel von der Ausstellung ausgeschlossen sei, wie übrigens unzählige andere Staaten, und das Antisemitismus sei, dann ist das nur ein weiterer Beleg für die Antisemitismus-Hysterie, die ich schon in meinem Buch DIE ANTISEMITENMACHER von 2016 beschrieben habe und die inzwischen in Deutschland noch stärker herrscht. Die indonesischen Künstler betrachten die Welt aus der Perspektive eines Schwellenlandes der Dritten Welt, wo andere Probleme die Menschen beschäftigen als der Antisemitismus. Die Indonesier haben lange unter dem niederländischen Kolonialismus gelitten und haben vielleicht deshalb mehr Empathie für unterdrückte Völker als für deren Unterdrücker. Vielleicht sollte Steinmeier das auch zur Kenntnis nehmen.
Elke Buhr gibt darauf eine klare Antwort: „Nirgendwo auf dieser Ausstellung wird das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Es werden auch keine Juden diffamiert und herabgewürdigt. Im Übrigen hatte auch im Vorfeld keiner der Beteiligten sich irgendwo antisemitisch geäußert, alle hatten Antisemitismus explizit verurteilt.“
Aber das ist wie mit dem Mann, dem man vorwirft, dass seine Schwester eine Hure sei. Es hilft ihm nicht, wenn er sagt, dass er keine Schwester hat. Diese nicht vorhandene Schwester ist nunmal eine Hure. Ähnlich handelt Steinmeier. Es werden keine Juden diffamiert und die Existenz des Staates Israel wird nicht in Frage gestellt, Israel ist diesmal ausnahmsweise kein Thema der Ausstellung. Aber das passt einigen Journalistinnen und Journalisten, der Springer-Presse, der Zeit und einem zweifelhaften Kasseler Blog von durchgeknallten hysterischen Jüdinnen und Juden nicht. Sie suchten nach Antisemitismus und fanden ihn da, wo es ihn nicht gab. Sie haben mit ihrem absurden Vorwurf andere aufgeblasen und schließlich auch den Bundespräsidenten und mit ihm gleich Felix Klein, den glücklosen und überflüssigen Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, der sich unverzüglich stramm hinter Steinmeier aufstellte und meinte, dass wenn kein einziger israelischer Künstler eingeladen wurde, dies auf einen Boykott israelischer Künstler deutet. Dabei sind Künstler aus mehr als 150 Staaten nicht eingeladen worden, die weit davon entfernt sind zu behaupten, dass man ihre Existenz in Frage stellt oder gar verneint. Steinmeier, Felix Klein, Josef Schuster und manch andere kleinkarierte Politiker und Zentralrat Vorsitzende können sich wohl nicht vorstellen, dass es Regionen und Länder in dieser doch kleinen Welt gibt, für die Juden, Israel und Antisemitismus kein Thema ist.
Die Stadt Kassel hat für die diesjährige documenta Kuratoren aus Indonesien eingeladen und ihnen vollkommene Unabhängigkeit zugesichert und wohl vergessen zu erwähnen, dass dies für Israel nicht gilt. Man hat ihnen nicht gesagt, wen sie einladen dürfen und wen nicht.
„Kritik an israelischer Politik ist erlaubt, doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten“. In einem Satz spricht der naive, tölpelhafte, ahnungslose und arglose Präsident von Kritik an israelischer Politik und Kritik an Israel. Israel existiert und kann nicht delegitimiert werden. Israels Politik dagegen sehr wohl.
Steinmeyer sollte das deutsche Grundgesetz studieren. Darin ist die Meinungsfreiheit garantiert und die Rede ist nicht von der richtigen oder falschen Meinung. Jede Meinung ist frei. Mich erinnert das an einen früheren Bundespräsidenten, Johannes Rau, der gesagt hat: „Kritik an Israel ist erlaubt. Aber muss es denn öffentlich sein?“
Nirgendwo auf der documenta wird das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Trotzdem spricht Steinmeier davon und bekräftigt und bestätigt den Antisemitismus-Vorwurf, als ob es ihn tatsächlich gäbe. Es ist eine bösartige und unverantwortliche Beleidigung des indonesischen Kollektiv Ruanggrupa und aller weiteren Künstlerinnen und Künstler, die an der Entstehung diese Ausstellung mitgewirkt haben. Zum Glück für die documenta, für die Stadt Kassel und für Deutschland, haben all diese nicht Deutschen Künstler nicht verstanden worum es Steinmeier, Klein, und den anderen Hohlköpfen gegangen ist. Sonst hätte sie vielleicht ihre Kunstwerke eingepackt und sich verabschiedet. Ich hätte es jedenfalls so gemacht. Es mag sein, dass jüdische Künstlerinnen und Künstler mit Wohnsitz in Israel nicht prominent vertreten sind, aber die sechs Millionen Juden in Israel sind medial mehr als genug vertreten und wenn sie es nicht sind, wie auf der diesjährigen documenta, dann sorgen sie dafür, dass man sie und ihr Anliegen, in diesem Fall der israelische Rassismus, Apartheid und die Unterdrückung des palästinensischen Volkes laut genug hört.
Mit solchen Diskussionen schaffen es die üblichen Täter den Antisemitismus-Begriff auszuhöhlen und zu instrumentalisieren. Man freut sich als Zuschauer einen anderen Blick auf die Welt der Kunst zu sehen, aber, sagt die jüdische Philosophin Susan Neiman in der Süddeutschen Zeitung, „eigentlich will man diesen Blick doch nicht sehen.“ Es fehlt das, womit man sich in Deutschland schon seit Jahren auseinandersetzt, die hysterische Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus. Und ohne Antisemitismus geht der Deutsche nicht ins Bett.
Steinmeier will offen sein und behauptet, dass er „in der vergangenen Woche nicht sicher (war) ob ich heute hier sein werde.“ Dabei hat er in der vergangenen Woche bei seinem Staatsbesuch in Indonesien gesagt, dass er in seiner Rede am kommenden Samstag sich mit der Frage der Freiheit der Kunst insbesondere nach dem Streit mit den Antisemitismus-Vorwürfen beschäftigen wolle. Und tatsächlich hat er in seiner Rede, die sicherlich schon in der vergangenen Woche verfasst worden war, dem indonesischen Künstlerkollektiv vorgeworfen Organisationen eingeladen zu haben, die den kulturellen Boykott Israels unterstützen oder antisemitisch seien. Fakten und Beweise hat er nicht vorgetragen, da es sie nicht gibt.
Erst vor wenigen Tagen hat sich Frank Walter Steinmeier bei den Ukrainern wegen seiner pro-russischen Politik entschuldigt. Bei wem will er sich wegen seiner missglückten documenta-Rede entschuldigen? Bei den Deutschen? Bei den Juden? Bei den Palästinensern oder bei den Indonesiern? Eigentlich bei allen.
Dabei betonte er aber, dass Kunst nicht streitfrei zu haben sei. Er sagte: „Kunst darf anstößig sein, sie soll Debatten auslösen. Doch wo Kritik an Israel (bzw. seine Politik) umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten.“
Wo, Herr Bundespräsident, ist Israels Existenz in Frage gestellt worden?
Steinmeier sagt noch, dass er im Vorfeld der Schau „manchen gedankenlosen, leichtfertigen Umgang mit dem Staat Israel“ beobachtet habe. „Die Anerkennung Israels sei in Deutschland aber Grundlage und Voraussetzung“ für alles. Israels Existenz sei für Deutschland Staatsräson und deshalb erwartet wohl Steinmeier, dass auch Künstler aus Indonesien und aus Palästina sich daranhalten. Wie naiv, dumm und selbstgerecht muss man denn sein, um eine solche Erwartung zu haben? Und Felix Klein gibt auch noch seinen stinkenden Senf dazu: „Ich teile die kritische Einstellung des Bundespräsidenten. Es kann nicht sein, dass Antisemitismus Teil des von der öffentlichen Hand geförderten künstlerischen Diskurses in Deutschland ist.“ Solche schwachsinnigen und dümmlichen Sätze gibt er seit Jahren von sich, ohne auch nur ein einziges Mal einen Nachweis zu bringen. Das nenne ich gedankenlos, leichtfertig und vor allem unverantwortlich.
Dass Antisemitismus nicht geduldet werden darf, ist inzwischen eine solche Binse, dass man sich fast schon schämen muss es zu sagen. Wenn aber die Antwort darauf die inzwischen unzähligen Antisemitismusbeuftragten sind, und wenn wieder von israelbezogenen Antisemitismus die Rede ist, wo es um berechtigte und sogar notwenige Kritik an der Politik des Staates Israel geht, um die Bekämpfung der in Israel herrschenden Apartheid und den Hass und die Verachtung der Palästinenser geht, dann läuft etwas schief im Lande der Deutschen. Und wenn einer internationale Kunstausstellung, die von indonesischen Künstlern kuratiert wird, wieder einmal Antisemitismus vorgeworfen wird, dann kann man nur noch verzweifeln und all diesen zionistischen Agitatoren zurufen, was Uwe Becker, der Antisemitismusbeauftragter des Landes Hessen, bei einer Solidarität Kundgebung für Palästina zugerufen hat: Haltet´s Maul. Und ausgerechnet dieser Rassist, Zionist und ein Feind der Demokratie traut sich noch indonesische Künstler, die gegen Apartheid, gegen Kolonialismus, Unterdrückung und Ausbeutung in ihrem Kunstwerk protestieren, vorzuwerfen, sie seien Antisemiten, weil sie in ihrem Mamutbild einen israelischen Soldaten abgebildet haben, in Zusammenhang mit anderen unsympathischen Figuren aus der Zeit der Unterdrückung Indonesiens. Die Indonesier haben lange unter dem niederländischen Kolonialismus gelitten, sie wissen also sehr genau, was Kolonialismus bedeutet. Es kann deshalb nicht verwundern, wenn sie ihre Sympathie nicht den Unterdrückern, sondern den unterdrückten Palästinensern zuwenden.
Bei den documenta Kuratoren aus Indonesien handelt es sich um „lupenreine Judenhasser“, sagt die Jüdische Allgemeine Zeitung, so wie einst Gerhard Schröder Putin bescheinigte ein „lupenreiner Demokrat“ zu sein. Dabei ist Putin alles andere als ein „lupenreiner Demokrat“. Er ist vielmehr ein lupenreiner Diktator, Mörder und Nationalist, so wie die indonesischen Kuratoren keine Judenhasser sind, sondern freie Künstler, denen die Freiheit zugesagt wurde, die Ausstellung nach ihrem Verständnis und ihrer Ideologie auszurichten. Aber die Leitung der documenta hat von Anfang an die Hosen voll gehabt vor Angst, die Indonesier würden die Kunstwelt nicht so sehen, wie sie selbst. Halbherzig und ängstlich haben sie die Kuratoren in Schutz genommen vor diskriminierenden Beschuldigungen sie seien Antisemiten, als ob es in dieser Zeit keine anderen Probleme gäbe, als ob wir keine Corona-Pandemie hätten, als ob kein mörderischer Krieg in der Ukraine tobt, als ob in vielen Teilen der Welt keine Hungersnot herrscht, als ob wir keine Sorgen um unsere eigene Energiezufuhr hätten, als ob nicht Deutschland, Europa und die Welt von einem skrupellosen Diktator bedroht und erpresst wird.
Antisemitismus, Antisemitismus, Antisemitismus – das hören wir seit Jahren und immer wieder aus der gleichen Ecke, von dubiosen pro Israel Vereinen, aus der israelischen Botschaft und vom Zentralrat der Juden, der sich eigentlich um seine Juden gefälligst kümmern sollte und Schuster bei seinem Leisten bleiben sollte und sich nicht um Kunst kümmern, von der er keine Ahnung hat.
Damit solche dummen Skandale nie wieder passieren, schlage ich vor, dass die nächste documenta von Josef Schuster, Felix Klein, Henryk Broder, Michael Wolffsohn und Charlotte Knobloch kuratiert wird. Dann kann man davon ausgehen, dass mindestens 100 jüdisch-israelische Künstler eingeladen werden und Wände mit der Inschrift „Tod den Arabern“ beschmiert werden, als Beispiel für zeitgenössische israelische Kunst.
Aber mit Kunst wird eine solche documenta nichts mehr zu tun haben. Es wird eine Propagandaschau der israelischen Hasbara sein und die armen und naiven Deutschen werden es über sich ergehen lassen müssen. Denn wer ein Antisemit ist bestimmt der Zentralrat der Juden und wenn früher Juden bestimmt haben was Antisemitismus ist, so sind es heute philosemitische nicht jüdische Zionisten wie Felix Klein oder Uwe Becker. Bei der nächsten documenta werden wir vielleicht ein Riesenwandbild mit Soldaten, die ein Hakenkreuz tragen und es wird wieder derselbe Skandal sein, denn was Soldaten mit Hakenkreuz für Juden, Ukrainer, Polen, Russen aber auch Franzosen, Holländer, Dänen und Norweger bedeuten, das bedeuten israelischen Soldaten mit einem Davidstern für Palästinenser. Beide Zeichen stehen für verschiedene Völker als Symbole für Gewalt, Okkupation, Unterdrückung, Demütigung, Ausbeutung, Landraub und physische Vernichtung.
Kassels Oberbürgermeister Geselle ist wütend und enttäuscht und fühlt sich beschämt, weil seiner Meinung nach die Installation einen eindeutig antisemitischen Zusammenhang weise. Jeder Bürgermeister und Oberbürgermeister in Deutschland ist mit Hilfe der israelischen Hasbara zum Antisemitismussachverständigen mutiert und jeder kann Antisemitismus von Kunst unterscheiden und Antisemitismus selbst dort entdecken, wo es nicht vorhanden ist. Das erleben wir in Deutschland von München bis Düsseldorf, von Kassel bis Berlin und alle berufen sich auf die BDS-Entscheidung des Bundestages, und man ist machtlos dagegen, obwohl das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig unlängst geurteilt hat, dass BDS keineswegs antisemitisch sei und man deshalb auch BDS-Veranstaltungen nicht verbieten kann bzw. solchen Veranstaltungen Räume verweigern darf.
Es nützt aber alles nichts und es geht uns, die wir nicht voreingenommen sein wollen, so wie dem Mann, dessen nichtexistierende Schwester eine Hure ist. Die indonesische Künstlergruppe Taring Padi kann so oft und so eindringlich behaupten, dass ihre Figurendarstellung nichts mit Antisemitismus zu tun hat, man glaubt ihr nicht, man nimmt sie nicht ernst, man beleidigt sie und erhebt sich über sie mit der gewohnten europäischen Arroganz und Überheblichkeit gegenüber Menschen aus der Dritten Welt. Dabei ist die Banner-Installation People´s Justic Teil einer Kampagne gegen Militarismus und Gewalt, und bedeutet so wie sie heißt: Gerechtigkeit für das Volk, und gemeint ist jedes Volk.
Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner ist Ausdruck einer 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien, aber es gibt diese Militärdiktatur auch in Palästina, ob es dem Zentralrat der Juden und dem israelischen Botschafter passt oder nicht. Heute bzw. gestern hat man die Schande der Israelis zugedeckt, aber nicht beseitigt. Sie ist nicht zu verheimlichen und totzuschweigen, auch wenn Israels Propaganda es seit Jahren versuchen. Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine Realität, die nun einmal existiert und die man nicht totschweigen kann. Generäle und Soldaten werden als Schweine, Hunde und Ratten symbolisiert und es wäre gut und klug gewesen, wenn wir Europäer diese Sichtweise der Indonesier zur Kenntnis genommen und uns weniger aufgeregt hätten. Nicht nur in Indonesien werden Kapitalismus, militärische Gewalt, Ausbeutung, Unterdrückung und Entwürdigung von Menschen mit solchen Symbolen gezeichnet. Auch in der europäischen Kunst nach dem ersten Weltkrieg gab es manche Künstler, die sich ähnlich ausgedrückt haben. Das Banner wurde erstmals 2002 in Australien gezeigt und seitdem an vielen verschiedenen Orten in Asien, Südamerika und China. Nirgends gab es eine solche deplatzierte Aufregung wie in Deutschland. Es reichte der deutschen linken und rechten Presse nicht, dass Taring Padi versichert haben, dass ihre Arbeit „keine Inhalte enthält, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen.“ Sie wurden schon lange vorher, bevor man das Bild überhaupt gesehen hat, als Antisemiten abgestempelt und diskreditiert. Die erste Präsentation des Banners in einem europäischen Land misslang und wurde zu einem Skandal und zum Symbol der documenta15. Das Werk wird nun zu einem Denkmal der Trauer und der Schande und der Unmöglichkeit eines Dialogs. Und selbstverständlich sind alle Vorwürfe gegen die Geschäftsführung der documenta banal und überflüssig, denn die Geschäftsleitung lässt in der Tat nicht, wie sie auch sagt, die tausenden von Exponaten vorab zur Prüfung vorlegen. Eine zukünftige Leitung, womöglich vom Zentralrat und dem Antisemitismusbeauftragten mag das anders machen, aber dann wird es schon nicht mehr die documenta sein.
Wer will denn den Indonesiern verbieten ihre Unterdrücker in ihrer Kunst zu verarbeiten und wer soll und will ihnen verbieten sich mit anderen unterdrückten Völkern zu solidarisieren. Keiner außer deutsche Politiker, Publizisten und andere naive und verlogene Gutmenschen, die die Juden schützen wollen und in Wirklichkeit Juden noch mehr gefährden. Wann wird die deutsche Öffentlichkeit nicht mehr schweigen, wenn Herr Josef Schuster bestimmen wird, was sie sehen darf, was sie lesen darf, was sie sagen darf und dass sie zu den Verbrechen der israelischen Armee und Gesellschaft schweigen soll. Dann kommt das alles auf uns zurück wie ein Bumerang und macht keinen Unterschied zwischen Gegner und Befürworter der israelischen Okkupation.
Der Skandal ist nicht die documenta, sondern der widerliche Skandal um die documenta. Man verspricht die Freiheit der Kunst und übt Kritik bei der kleinsten Differenz. Man lässt keinen Raum für Diskussionen und Streit. Man verdeckt das Kunstwerk und weil das nicht reicht, baut man es ab.
Für uns hier ist schon der Furz vor einer Synagoge Antisemitismus und wir zwingen Menschen aus Indonesien unsere falsche Empfindlichkeit auf. Für sie ist ein israelischer Soldat ein Unterdrücker wie englische, amerikanische und französische Soldaten auch. Selbstverständlich herrscht in Israel ein Apartheidsystem und dass Israel ein anderes Volk unterdrückt und knechtet, hat doch erst neulich Amnesty International bestätigt, nachdem es mehrere israelische und jüdische Organisationen auch festgestellt haben. In Indonesien und anderen Gegenden des Südens sieht man es wie es ist. Nur in Deutschland betrachtet man die israelische Apartheid durch eine rosarote Brille, weil man Angst hat als Antisemit diskreditiert zu werden, wenn man Mord und Demütigung als das nennt was es ist: Mord und Demütigung.
Ich frage mich wie lange die Deutschen das noch dulden werden und wann es wie ein Bumerang auf Zentralrat und allen philosemitischen Gutmenschen zurückfällt. Es ist eine heuchlerische und unmoralische Aufregung und der Zentralrat der Juden und die israelische Botschaft wollen in Deutschland die Blockwächter sein und die Deutschen erziehen. Dass sie damit nur mehr Antisemitismus schaffen, habe ich schon in meinem Buch DIE ANTISEMITENMACHER bewiesen. Aber gegen Dummheit sind selbst die Götter machtlos.
Der documenta ist ein ungeheurer nicht wiedergutzumachender Schaden zugefügt worden. Es wird vielleicht die letzte sein, denn einem solchen Stress, einer solchen Zensur und einer solchen Unaufrichtigkeit, Heuchelei und Zensur wird sich in Zukunft kein Künstler gefallen lassen und keiner wird auch Kurator sein wollen für eine Geschäftsleitung, die schon, wenn das Wort Antisemitismus geflüstert wird, einknickt und vor der Israel-Lobby, dem Zentralrat der Juden und den diversen Antisemitismusbeauftragten und ihre Ableger bei der Presse tiefe Kotaus macht. Und das wird so lange so sein, wie Israels Sicherheit deutscher Staatsräson bleibt und die Sicherheit der Palästinenser nur ein Lippenbekenntnis. Auf dem inkriminierten Banner behandelt das Kollektiv Taring Padi eine der blutigsten und blutrünstigsten Epochen der indonesischen Geschichte. Indonesien wurde damals von den USA, aber auch von Deutschland und Israel unterstützt, nicht zuletzt auch mit Waffen, mit denen die Indonesier unterdrückt und von ihrer eigenen Regierung bekämpft wurden. Nichts an diesem Banner hat mit Antisemitismus zu tun und solche Assoziationen können nur in den Köpfen deutscher Intellektueller und Politiker, aber auch Funktionären und kleinkarierter Bürgermeister entstehen. Die Kunstkollektive des Globalen Südens haben uns die Gelegenheit gegeben Kunst jenseits der teuren Galerien zu sehen und zu verstehen. Wir haben es aber vermasselt. Eine zweite Chance wird es womöglich nicht geben.
WO RECHT ZU UNRECHT WIRD
WO UNRECHT VERTEIDIGT UND GEDECKT WIRD
Zum Antisemitismus-Streit auf der documenta.
Katja Maurer - 23. 6. 2022
Die documenta fifteen wollte sich den Kunstkollektiven des Globalen Südens überlassen. Als Kuratoren ausgewählt wurde das indonesische Künstlerkollektiv ruangrupa, das andere Künstlerkollektive beauftragte, weitere zu suchen und so den Prozess der Werkauswahl zu demokratisieren. So wenig Hierarchie wie möglich war die Devise. Mit einer ganz eigenen Begriffswelt sollten Räume für ästhetisches Erleben, Aneignen und Selbermachen geschaffen werden, die die bürgerlichen documenta-Besucher:innen mit einer anderen Option des Lebens und Zusammenlebens in Berührung oder Konfrontation bringen könnten. Eine Welt voller Katastrophen, die den Süden zu einem unbewohnbaren Ort zu machen droht, sollte sich mit künstlerischen Praktiken, die nicht auf den Kunstmarkt zielen, neu imaginieren.
Und nun das: Der Antisemitismus-Vorwurf hat die documenta-Macher:innen seit vielen Wochen begleitet. Er wurde u.a. wegen der Teilnahme des palästinensischen Künstlerkollektivs „Question of Funding“ erhoben und führte zu tätlichen Angriffen von Rechtsextremen und anderen auf die Arbeiten der Gruppe. Was bei ihnen nicht entdeckt wurde, hat sich nun auf dem Ausschnitt eines Bildes der indonesischen Gruppe Taring Padi tatsächlich gezeigt: Eindeutige antisemitische Klischees. Damit schien der vermeintlich letztgültige Beweis gefunden, dass der Antisemitismus-Vorwurf von Beginn an zurecht erhoben und die Warnungen vor einer antisemitischen documenta in den Wind geschlagen wurden.
Ein beeindruckender medialer Angriff - Was sich im Zuge der Verhüllung und anschließenden Beseitigung des Bildes ereignet, ist ein beeindruckender medialer Angriff auf die Bemühungen in der öffentlichen Debatte in Deutschland, die Erinnerungskultur um das Reflektieren kolonialer Verbrechen zu erweitern, ohne die seit Jahrzehnten mühsam und gegen den Widerstand der Eliten aufgebaute Verantwortung für die NS-Verbrechen zu relativieren. mehr >>>
Vorsitzender des documenta-Forums tritt zurück
Jörg Sperling hatte die Entfernung des antisemitischen Kunstwerks kritisiert, das documenta-Forum distanzierte sich daraufhin von ihm. Nun tritt Sperling zurück.
Aktualisiert am 23. Juni 2022,- Quelle
"Die Freiheit ist ein wundersames Tier
Und manche Menschen haben Angst vor ihr
Doch hinter Gitterstäben geht sie ein Denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein" Georg Danzer
Volker Beck und Josef Schuster fordern Rücktritt der Documenta-Chefin
Sabine Schormann soll ihren Posten als Documenta-Generaldirektorin räumen: Das legen ihr nun die Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und des Zentralrats der Juden nahe.
Von der Verantwortung der Kunst. Steinmeier auf der Documenta Fifteen.
Norman Paech Hamburg, 20. VI. 2022
Bundespräsident Steinmeier begann seine Rede zur Eröffnung der Documenta Fifteen in Kassel mit dem Bekenntnis: „Ich war mir in den vergangenen Wochen nicht sicher, ob ich heute hier sein würde". Ein Besuch der Documenta lohnt sich immer, insbesondere dieser 15. Aber er hätte schweigen und einen Rundgang machen sollen. Dann hätte er sein Manuskript, welches ihm irgendwer im Präsidialamt zusammengeschrieben hat, in der Tasche lassen müssen, um sich nicht derart zu blamieren, wie er es jetzt getan hat. Denn keines seiner Vorurteile, die eine dubiose Antifagruppe in Kassel in die Welt gesetzt hat, fände er bestätigt. Nirgends in der Ausstellung wird die Staatlichkeit Israels angegriffen oder die Existenz in Frage gestellt. Selbst die Künstlergruppe „The Question of Funding“ aus Ramallah, an der sich die allgemeinen Vorurteile festmachen, kritisiert zwar die Besatzung und die Gewalt in den besetzten Gebieten, hat die Staatlichkeit Israels aber nicht in Frage gestellt.
Doch wo leben Sie, Herr Bundespräsident?
Sie sagen: „Die Anerkennung Israels ist bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte.“ Das mag so sein. Aber auch Sie wissen, dass niemand in der Welt, kein Staat, kein Mensch, verpflichtet ist, Israel anzuerkennen. Schon gar nicht einen ausschließlich jüdischen Staat, weswegen Indonesien z. B. Israel nicht anerkannt hat. Wollen Sie alle Künstlergruppen, zu Gast in Deutschland, in unser Erinnerungsdogma zwängen und ihre Kunst dem Holocaust-Test unterziehen? Die US-amerikanische Philosophin Susan Neiman vom Einsteinforum meint, es sei in unseren Versöhnungsbemühungen etwas durcheinander gegangen: "Was sich in den letzten zwei Jahren gezeigt hat, ist eine schiefgelaufene Sühne." Und ihr Kollege Peter Beinart in den USA erklärt dazu: „Sie ist aus dem Ruder gelaufen, weil es der israelischen Regierung in Zusammenarbeit mit der deutschen Rechten erlaubt wurde, zu definieren, wie die Deutschen für ihre völkermörderische, antisemitische Vergangenheit büßen sollen“.
Sie betonen: „Die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Kunst sind Wesenskern unserer Verfassung.“ Aber: „Ein Boykott Israels kommt einer Existenzverweigerung gleich“, und damit „ist die Grenze überschritten“. Machen Sie Sich auf den Weg nach Gaza, dort werden Sie sehen, wer wen boykottiert und mit welchen Folgen. Hat Ihnen niemand erzählt, dass die weltweit unterstützte BDS-Bewegung der Palästinenser nur ein Ziel hat, die israelische Politik zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen? Eine Aufgabe, um die sich die deutsche Bundesregierung Jahrzehnte lang herumgedrückt hat. Sie verkündigen auf ihrem letzten Besuch in Israel: „Die Position der deutschen Regierung ist, dass der Internationale Strafgerichtshof keine Zuständigkeit in diesem Fall hat, weil es keinen palästinensischen Staat gibt.“ Es geht um mögliche Kriegsverbrechen in dem Überfall auf Gaza im Jahr 2014 und der Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten. Die deutsche Regierung hat das Römische Statut von 1998 unterzeichnet, welches sie verpflichtet, den Gerichtshof zu unterstützen. Sie aber helfen dem möglichen Kriegsverbrecher, sich der strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen.
Ihnen fällt auf, dass „auf dieser bedeutenden Ausstellung zeitgenössischer Kunst wohl keine jüdischen Künstlerinnen und Künstler aus Israel vertreten sind“. Gleichzeitig räumen Sie ein: „Es gehört zum Prinzip dieser Weltkunstschau, dass jede Ausstellung unabhängig kuratiert wird.“ „Aber“, nehmen Sie das sogleich zurück: „Die Verantwortung bleibt ja. Verantwortung lässt sich nicht outsourcen.“ Welche Verantwortung und wessen Verantwortung? Warum lädt man eine Künstlergruppe aus Indonesien zur Kuratierung einer Welt- keiner deutschen Ausstellung ein, um sie unseren muffigen Erinnerungsquerelen zu unterwerfen? Die Verantwortung von ruangrupa ist die Versammlung und Präsentierung eines weiten aber nie vollständigen Spektrums internationaler Künstlerinnen, Künstler und Kunstprojekte. Wenn dabei einige Länder nicht berücksichtigt werden, liegt das in ihrer freien Verantwortung und nicht der vermeintlichen politischen Verantwortung der Bundesregierung. Man renommiert mit der „bedeutendsten Weltkunstausstellung“, ist an ihren Entwürfen und Perspektiven aber offensichtlich nicht interessiert.
Sie fordern, dass wir „stärker hinschauen, auch hinhören“: „Die lange Kolonialgeschichte mit Gewaltherrschaft und Ausbeutung und die zahllosen blinden Flecken ihrer Aufarbeitung. Die Erfahrung von Unterdrückung und Entrechtung. Der Umgang mit geraubtem Kulturgut.“ Gehen Sie in den Pavillon der Künstlergruppe „The Question of Funding“ und Sie werden dort gerade darüber in der bis heute andauernden Kolonial- und Gewaltgeschichte Palästinas mehr erfahren als von Ihren Gesprächspartnern im Zentralrat der Juden oder den jagdhungrigen Antisemitismusbeauftragten. Hat in Ihrem Amt niemand die zahlreichen Berichte der Menschenrechtsbeauftragten der UNO, von Human Rights Watch und jüngst Amnesty International über den Apartheidstaat Israel gelesen? Es gibt genügend Menschenrechtsskandale in der Welt. Aber dieser ist der längste und einer der gröbsten.
Sie hätten sich gewünscht, „dass vor der Eröffnung dieser documenta über all das diskutiert worden wäre.“ Das Angebot von ruangrupa zu einem öffentlichen Forum zur Diskussion über die Vorwürfe ist abgelehnt worden. Man wollte den Kuratoren die Zusammensetzung des Forums nicht selbst überlassen. Sind Ihnen die jahrelangen heftigen Auseinandersetzungen über die israelische Besatzungspolitik entgangen? Der Streit um Diskussionsräume bis vor das Bundesverwaltungsgericht, welches Anfang dieses Jahres die BDS-Bewegung von den Vorwürfen freisprach, die Sie jetzt wieder hervorholen? Erst das Bundesgericht hat der Diskussion den notwendigen Freiraum geschaffen. Der unqualifizierte Beschluss des Bundestages, der die BDS-Bewegung als antisemitisch bezeichnet? Selbst wenn es so wäre, könnte damit kein Verbot, keine Ablehnung eines Diskussionsraums begründet werden. Ihr Vorwurf „Boykottieren statt diskutieren“ trifft nicht die BDS-Bewegung. Da ist Ihnen etwas durcheinander gekommen. Er trifft die Stadträte, die ihre Kommunen verpflichtet haben, Diskussionen über den Palästinakonflikt keine Räume zu gewähren – bis das Bundesverwaltungsgericht die Beschlüsse für rechtswidrig erklärte.
Sie wollen schließlich, Herr Bundespräsident „diesen Ort, die documenta stärken. Wir brauchen sie“. Richtig, aber nicht so. Die palästinensische Künstlergruppe heißt nicht ohne Hintersinn „The Question of Funding“. Wie wäre es, wenn Sie Ihre Stärkung mit einer kräftigen Spende an die Künstlergruppe aus Ramallah unterstreichen? Eine angemessene Wiedergutmachung.
Norman Paech Hamburg, 20. VI. 2022
Die scheinheiligen
Das Chaos fair deuten
Was ist hier warum antisemitisch? Eine Analyse - abseits der Aufregung - des Bildbanners "People's Justice" der Documenta.
16. Juli 2022 - Joseph Croitoru
Das mittlerweile abgehängte umstrittene Großgemälde des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz in Kassel.
Nach der Entfernung seines Monumentalbilds "People's Justice" von der Documenta fifteen wegen antisemitischer Bildsprache hatte sich das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi entschuldigt. Seine Mitglieder betonten, dass Antisemitismus "weder in unseren Gefühlen noch in unseren Gedanken" einen Platz habe und bedauerten, "eine mögliche Beteiligung der Regierung des Staates Israel" an den Schrecken der Militärdiktatur Suhartos "unangemessen" dargestellt zu haben: "Gewalt, Ausbeutung und Zensur" und insbesondere der "Massenmord an mehr als 500.000 Menschen in Indonesien im Jahr 1965, der bis heute nicht aufgearbeitet wurde".
"People’s Justice" der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi
Zum Vergrößern das Bild anklicken.
Jetzt doch: Antisemitismus auf der documenta fifteen
Auf dem Friedrichsplatz - ist am Wochenende das Banner "People’s Justice" der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi aufgestellt worden. Darauf sind schweinsköpfige Mossad-Mitglieder karikiert und ein Schläfenlockenjude mit Zigarre und SS-Hut. Quelle und mehr - BR24 Kultur -
20.6.2022 - PRESSEINFORMATION ZUR VERDECKUNG EINER ARBEIT VON TARING PADI AUF DER DOCUMENTA FIFTEEN
Aufgrund einer Figurendarstellung in der Arbeit People’s Justice (2002) des Kollektivs Taring Padi, die antisemitische Lesarten bietet, hat sich das Kollektiv gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung entschieden, die betreffende Arbeit am Friedrichsplatz zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installieren.
Taring Padi äußert sich dazu wie folgt:
„Die Banner-Installation People’s Justice (2002) ist Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt. Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner ist Ausdruck dieser Erfahrungen. Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, z.B. für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren. Das Banner wurde erstmals 2002 auf dem South Australia Art Festival in Adelaide ausgestellt. Seitdem wurde das Banner an vielen verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Kontexten gezeigt, insbesondere bei gesellschaftspolitischen Veranstaltungen, darunter: Jakarta Street Art Festival (2004), die retrospektive Ausstellung von Taring Padi in Yogyakarta (2018) und die Polyphonic Southeast Asia Art Ausstellung in Nanjing, China (2019).
Taring Padi ist ein progressives Kollektiv, das sich für die Unterstützung und den Respekt von Vielfalt einsetzt. Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen. Die Figuren, Zeichen, Karikaturen und andere visuellen Vokabeln in den Werken sind kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen.
Die Ausstellung von People’s Justice auf dem Friedrichsplatz ist die erste Präsentation des Banners in einem europäischen und deutschen Kontext. Sie steht in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung. Wir sind traurig darüber, dass Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher Zweck. Wir entschuldigen uns für die in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen. Als Zeichen des Respekts und mit großem Bedauern decken wir die entsprechende Arbeit ab, die in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird. Das Werk wird nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment. Wir hoffen, dass dieses Denkmal nun der Ausgangspunkt für einen neuen Dialog sein kann.“
Sabine Schormann, Generaldirektorin der documenta und Museum Fridericianum gGmbH dazu: „Die Geschäftsführung der documenta ist keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen lassen kann und darf das auch nicht sein. Das Banner wurde am vergangenen Freitagnachmittag am Friedrichsplatz installiert, nachdem notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von Lagerschäden an der 20 Jahre alten Arbeit durchgeführt wurden. Ich möchte noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass das Werk nicht für Kassel, nicht für die documenta fifteen konzipiert wurde, sondern im Kontext der politischen Protestbewegung Indonesiens entstanden ist und dort wie an anderen außereuropäischen Orten gezeigt wurde. Dies ist das erste Mal, dass die Arbeit in Deutschland und in Europa gezeigt wird. Alle Beteiligten bedauern, dass auf diese Weise Gefühle verletzt wurden. Gemeinsam haben wir beschlossen, das Banner zu verdecken. Ergänzend holen wir weitere externe Expertise ein.“ Quelle
Aufgrund einer Figurendarstellung des Kollektivs, die antisemitische Lesarten ermöglicht, habe sich das Kollektiv gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung "entschieden, die betreffende Arbeit zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installieren", teilte die documenta am Montagabend mit. "Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen", erklären Tarin Padi auf der Webseite der documenta.
Documenta muss umstrittenes Werk der Künstlergruppe Taring Padi entfernen
Das umstrittene Großplakat des indonesischen Kollektivs Taring Padi wird von der Documenta entfernt. Kulturstaatsministerin Claudia Roth begrüßt den Schritt und mahnt »die klaren Grenzen für die Kunstfreiheit« an.
21.06.2022
»Es ist überfällig, dass dieses Wandbild, das eindeutig antisemitische Bildelemente aufweist, jetzt von der Documenta entfernt wird«, erklärt Kulturstaatsministerin Claudia Roth in einem Statement. Die bloße Verhüllung und die Erklärung des Künstlerkollektivs Taring Padi dazu seien absolut inakzeptabel gewesen, so Roth. »Antisemitismus darf auf dieser Kunstausstellung, wie insgesamt in unserer Gesellschaft, keinen Platz haben. Das gilt auch für Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit. Das sind die klaren Grenzen für die Kunstfreiheit.«
Fragwürdige Frau Roth, keine Form von Rassismus und Menschfeindlichkeit hat Platz in unserer Gesellschaft. Aber warum regen sie sich so scheinheilig über Bilder auf und nicht über die Vergehen? Gäbe es nicht sehr viel Gründe sich über die Verbrechen des Zionismus aufzuregen, aufzuhören deren Einflüsterungen aufzunehmen und sich konditionieren zu lassen?
Ich mag es eigentlich nicht, wenn man Menschenrechtsvergehen vergleicht, noch weniger, wenn man sie gleichstellt. Nur, wer vor den Verbrechen der Zionisten nicht die Augen verschließt, der denkt auch daran, welchen Platz werden diese Verbrechen in der Geschichte finden, mit welchen anderen wird man sie vergleichen?
Besonders für uns deutsche sind die Verbrechen der Nazis der Höhepunkt an Unmenschlichkeit. Das Vergehen, das Ein Jude mit SS Runen bedacht wurde, das kann man benennen, kann man kritisieren. Nur ist man unglaubwürdig wenn man gleichzeitig ohne Konsequenzen, ohne Handeln die Verbrechen der Zionisten wahrnimmt. Das ist kein moralisches denken, dass ist der entlarvende Beleg für eine Doppelmoral (keiner Moral, ein Beleg für Scheinheiligkeit) E. Arendt
Auf dem entsprechenden Werk, einem 20 Jahre alten Großplakat, sind unter vielen anderen emblemhaften Darstellungen auch antisemitische Motive zu sehen, auf dem schwarzen Hut eines Mannes, der offenbar eine Schläfenlocke trägt, etwa SS-Runen, ein Mann mit Schweinsnase wird als Angehöriger des Mossad ausgewiesen. Bereits am Montag war es verdeckt worden. Nach Kritik hatte die Documenta-Leitung das Werk erst verhüllen lassen, nun wird es komplett aus der Ausstellung entfernt.
Dies solle noch am Dienstag geschehen, sagte Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD). »Ich bin wütend, ich bin enttäuscht. Denn die Stadt Kassel und ich als Oberbürgermeister, wir fühlen uns beschämt«, sagte Geselle. »Es ist etwas passiert, was nicht hätte passieren dürfen.« Die Installation weise einen eindeutigen mehr >>>
"Die Banner-Installation People’s Justice (2002) ist Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt. Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner ist Ausdruck dieser Erfahrungen. Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, z.B. für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren." Taring Padi
Mohammed Al Hawajri kombiniert in seiner Serie „Guernica Gaza“ Bilder von Angriffen der israelischen Armee auf das Palästinensergebiet mit klassischen Motiven von Millet, Delacroix, Chagall oder van Gogh. Der Serientitel stellt eine Verbindung her zum Gemälde „Guernica“ von Pablo Picasso - es entstand 1937 als Reaktion auf die Zerstörung der spanischen Stadt durch einen Luftangriff der „Legion Condor“ Nazi-Deutschlands.
GAZA = GUERNICA
Rivera Sun - 10. August - 2014 - Übersetzt mit DeepL
1949 hielt Picasso die Schrecken des Krieges in seinem Gemälde Guernica fest, das eine durch Bombenangriffe während des Spanischen Bürgerkriegs zerstörte Stadt zeigt. Angesichts ähnlicher Zerstörungen in Palästina hat unsere Love-In-Action-Network-Gruppe in Taos, New Mexico, eine sieben mal fünfzehn Fuß große Adaption von Guernica gemalt und dabei Bilder der humanitären Krise in Gaza eingefügt.
"Blut klebt an unseren Händen. Scham steht auf unseren Gesichtern. Wir tragen Schwarz als Zeichen der Trauer. In unseren Herzen ist der Mut, unsere Stimme gegen Kriegsverbrechen zu erheben, die durch unsere US-Steuergelder finanziert werden." - Rivera Sun
Am Samstag, den 9. August, versammelten sich in Solidarität mit den weltweiten Protesten zur Unterstützung des Gazastreifens etwa vierzig Mitglieder der Gemeinschaft in der Innenstadt. Wir gingen in einer langsamen, stillen Prozession durch unseren zentralen Platz und den belebten Farmers Market, hielten unsere blutverschmierten Hände in die Höhe und läuteten eine trauernde Glocke. An jeder Ecke des Platzes blieben wir stehen, hoben langsam unsere roten Hände in die Höhe und blieben einen Moment lang stehen, während die Glocke ihr unangenehmes, rhythmisches Klirren von sich gab. Dann gingen wir in einer Reihe weiter.
Kinder marschierten mit uns, und Ältere. Muslime, Juden, Christen, Buddhisten, Hindus und andere Glaubensrichtungen waren alle bei dieser Aktion vertreten. Wir sind menschliche Wesen. Wir lehnen die Verwendung unserer US-Steuergelder für Kriegsverbrechen ab. Wir verurteilen diese Handlungen der Israelis und die lange Geschichte solcher Aktionen durch unser eigenes Militär.
Kunst ist mächtig. Die "theatralischen" Elemente der Prozession, die schwarze Kleidung, die roten Hände und das mächtige, riesige Gemälde riefen starke Reaktionen in der Öffentlichkeit hervor.
Während der Demonstration stießen wir sowohl auf Unterstützung als auch auf Feindseligkeit. Rufe wie "Ihr seid falsch! Falsch! Falsch!" und "Lang lebe Israel" kamen von Umstehenden. Eine Frau griff uns verbal heftig an und weigerte sich, jemandem zuzuhören oder sich auf ein ruhiges Gespräch einzulassen.
Ich bin sehr dankbar für die mutige, gewaltfreie Disziplin dieser Demonstranten. Sie haben sich als edle Menschen behauptet und sich geweigert, mit unseren Zwischenrufern zu streiten, und sich Würde und Nachsicht bewahrt. Am Ende des Zuges haben wir mit einigen von ihnen gesprochen. Wir hörten mit Mitgefühl zu, antworteten aber mit der Wahrheit. Die Demonstranten zeigten heute Mut, Menschlichkeit und gewaltfreie Disziplin. Ich fühlte mich an Elizabeth Eckford erinnert, die die Rassentrennung in den Schulen aufhob. Das disziplinierte Schweigen der Demonstranten sprach lauter als Worte und ermöglichte es Gandhis Satyagraha "Wahrheits-Kraft", die Hässlichkeit des Hasses, der in der Brust unserer Mitbürger brodelt, zu enthüllen. Sie enthüllte auch ihre Unsicherheit, ihre Vorurteile und ihre Unwissenheit, während unsere Disziplin und unser Schweigen unsere Entschlossenheit zeigten, für diejenigen einzutreten, deren Stimme an den Rand gedrängt wird und die darunter leiden.
Love-In-Action Taos, CODEPINK Taos und Mitglieder der Gemeinde arbeiteten zusammen, um diese Demonstration zu organisieren. Love-In-Action-Mitglieder entwarfen das Transparent "Gaza = Guernica" und malten es letzte Woche an einem Nachmittag gemeinsam. Hunderte von Gemeindemitgliedern wurden mit dieser Demonstration erreicht; Zehntausende mehr wurden mit der "Online-Demonstration" der Fotos erreicht, die in den sozialen Medien geteilt wurden. Wir ermutigen andere, diese Demonstration in ihren eigenen Gemeinden zu wiederholen und auch unser Kunstwerk zu kopieren (ja, bitte tun Sie das.). Wenn Sie Informationen wünschen, wenden Sie sich an Love-In-Action Network. Quelle
Viele der geladenen Gruppen bleiben also letztlich im klassischen Format einer Ausstellung. Auch die Galerie Eltiqa aus dem von der Hamas kontrollierten Gaza. Neben folkloristischen Malereien verweist sie in Infotexten auf Finanzprobleme und nicht bezahlbare Mieten. Freie Kunst, klar, braucht zu allererst einen Ort. Doch wie frei ist die Kunst von Eltiqa?
Oder ist sie vielmehr das Resultat finanzieller und politischer Abhängigkeiten, wenn jemand wie Mohammed Al Hawajri so instrumentalisierbare Bilder macht, wie seine hier ausgestellten Fotocollagen? In die Reproduktionen einer Bauernidylle des Barbizon-Malers Jean-François Millet platziert er die Fotos hoch ausgerüsteter junger Soldaten.
Seltsam wie hier vieles postkolonial zusammengemixt wird. Trifft auf dieser Arbeit mit dem Titel „Guernica Gaza“ etwa das israelische Militär auf die unschuldig schlummernden Kleinbauern in Gaza wie 1937 die Nazi-deutsche Legion Condor auf die baskische Kleinstadt Guernica? Hier werden giftige Parallelen aufgemacht, die kaum mit der Phrase von der „Freiheit der Kunst“ zu legitimieren sind. mehr >>>
Ist das Konzept der Documenta wirklich antisemitisch?
Es gibt gute Gründe, warum die indonesischen Organisatoren das offizielle Israel nicht eingeladen haben
Arn Strohmeyer - 19.06.2022
Es scheint für die größte Kunstausstellung der Welt in Deutschland kein anderes Thema zu geben als Israel und Antisemitismus. Die Macher der Ausstellung – die indonesische ruangrupa-Gruppe – haben das offizielle Israel nicht eingeladen. Ist das aber Antisemitismus? Sie haben ein klares Konzept: Das Thema ist „humbung“. Das ist das indonesische Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. Es geht also um eine gemeinsame Lebens- und Arbeitsweise, um Werte wie Kollektivität und Solidarität. Humbung soll die Ungerechtigkeit der herrschenden Systeme aufzeigen und gleichzeitig demonstrieren, dass die Dinge auch anders gelöst werden können: eben durch das Teilen, das in Indonesien eine sehr lange Tradition hat.
Auf der Documenta sollen Organisationen und Institutionen aus der ganzen Welt zusammen humbung praktizieren. Die ruangrupa-Gruppe formuliert ihr Ziel so: „Jedes der humbung-member wird einen Beitrag leisten und verschiedene Ressourcen wie Zeit, Raum, Geld, Wissen, Fürsorge und Kunst teilen und erhalten.“ Wenn humbung also kurzgefasst die Idee von kollektiv zu verteilenden Ressourcen ist und die Kunst Anstöße geben soll, wie eine solche Verteilungsstruktur im Laufe der Zeit global aufgebaut werden kann, erhebt sich die Frage, ob offizielle Vertreter des siedlerkolonialistischen Apartheid- und Besatzungsstaates Israel in eine solche Ausstellung und ihr Konzept passen würden. Wo praktiziert dieser Staat in seinem Herrschaftsbereich Solidarität und Kollektivität gegenüber den Palästinensern? Nein, Israel ist ein Musterbeispiel für Ungleichheit und Ungerechtigkeit gegenüber einem ganzen Volk, das es unterdrückt.
Nun gibt es natürlich auch in Israel kritische und kreative Künstler, die gut in das Konzept von humbung gepasst hätten. Aber die Wächter über den Antisemitismus hätten dann sofort einen Affront, ja einen Angriff auf das offizielle Israel gewittert und auch den Antisemitismus-Vorwurf erhoben. Kritischen israelischen Intellektuellen hat man hierzulande ja schon Säle für ihre Vorträge untersagt und sie als „Antisemiten“ oder „selbsthassende Juden“ denunziert. Der Vorwurf von Micha Brumlik eines neuen McCartyismus in Deutschland ist ja mehr als berechtigt.
Wenn deutsche Politiker und Publizisten anlässlich der Documenta lautstark beklagen, dass Israel von der Ausstellung ausgeschlossen und das Antisemitismus sowie die Leugnung von Israels Existenz sei (Bundespräsident Steinmeier), dann ist das nur ein neuer Beleg für die Antisemitismus-Hysterie, die in Deutschland inzwischen herrscht. Demnächst wird es auch antisemitisch sein, wenn in einer Fußball-Bundesliga-Mannschaft oder in einem Theaterensemble nicht ein Jude oder Israeli vertreten ist.
Die indonesische ruangrupa-Gruppe betrachtet die Welt aus der Perspektive eines Schwellenlandes der Dritten Welt und nicht aus der Sicht der deutschen Israel-Ideologie. Sie hat deshalb vermutlich gute Gründe, warum sie offizielle Vertreter des siedlerkolonialistischen Besatzungsstaates Israel nicht eingeladen hat, auch wenn das nicht laut gesagt wird. Die Indonesier haben lange unter dem niederländischen Kolonialismus gelitten, sie wissen also sehr genau, was Kolonialismus bedeutet. Es kann deshalb nicht verwundern, wenn sie ihre Sympathie nicht den Unterdrückern, sondern den unterdrückten Palästinensern zuwenden.
Dazu kommt etwas Anderes, das in der deutschen Diskussion gar nicht vorkommt: das Verhältnis Israels zur Dritten Welt. Der israelische Sozialwissenschaftler Benjamin Beit-Hallahmi hat es vor Jahren untersucht und kam zu folgendem Ergebnis: Die israelische Politik hat sich nie mit Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt identifizieren können, weil die Begriffe „Befreiung“ und „Selbstbestimmung“ sofort die Ansprüche der Palästinenser in die öffentliche Debatte Israels gebracht hätten und das sollte unter allen Umständen vermieden werden.
Beit-Hallahmi schreibt: „Dem Zionismus waren von Anfang an, insbesondere was den Umgang mit der Dritten Welt betraf, einige unübersehbare und unausweichliche ideologische Festlegungen inhärent. Kernpunkt des zionistischen Programms war die Begründung eines souveränen jüdischen Staatswesens in Palästina durch Besiedlung und Ausübung politischer Herrschaft. Der Zionismus trug damit gleichsam per definitionem die Momente der Vergewaltigung einer eingeborenen Bevölkerung und der Konfrontation mit der Ditten Welt in sich.“
Und an anderer Stelle schreibt Beit-Hallahmi: „Der Gedanke der Befreiung und Selbstbestimmung für die Länder der Dritten Welt stellt für den Zionismus eine existentielle Bedrohung dar. Sogar der Begriff der Menschenrechte ist für das politische System Israels von potientieller Brisanz. Jede ernsthafte Auseinandersetzung mit der israelischen Politik in der Dritten Welt muss unvermeidlich zu einer radikalen Kritik am Zionismus und seinen politischen Zielen führen.“
Und weiter: „Der Zionismus kann sich eine moralische Selbstanalyse nicht leisten. Das Unrecht, das den Palästinensern angetan wird, liegt so klar auf der Hand, dass man, um es nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, das Thema als solches tabuisieren muss. Da aber jede Diskussion darüber, was Israel in der Dritten Welt anstellt, zwangsläufig in der Frage nach den Rechten der Palästinenser münden würde, muss auch die Dritte-Welt-Problematik tabuisiert werden. Man kann nicht über Gleichberechtigung, Freiheit und Selbstbestimmung im Allgemeinen reden, ohne irgendwann auch das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern an der Elle dieser Ideale zu messen.“
Auch wenn diese Sätze schon einige Jahre zurückliegen, an der Grundkonstellation der zionistischen Politik hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert. Beit-Hallahmis Feststellungen erklären auch, warum Israel in der Dritten Welt nie mit den Befreiungsbewegungen, sondern immer mit den brutalsten und korruptesten Diktatoren zusammengearbeitet hat und das auch heute noch tut. Mit humbung hat der Zionismus nichts im Sinn. Aber ist eine solche Kritik antisemitisch?
Es scheint für die größte Kunstausstellung der Welt in Deutschland kein anderes Thema zu geben als Israel und Antisemitismus. Die Macher der Ausstellung – die indonesische ruangrupa-Gruppe – haben das offizielle Israel nicht eingeladen. Ist das aber Antisemitismus? Sie haben ein klares Konzept: Das Thema ist „humbung“. Das ist das indonesische Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. Es geht also um eine gemeinsame Lebens- und Arbeitsweise, um Werte wie Kollektivität und Solidarität. Humbung soll die Ungerechtigkeit der herrschenden Systeme aufzeigen und gleichzeitig demonstrieren, dass die Dinge auch anders gelöst werden können: eben durch das Teilen, das in Indonesien eine sehr lange Tradition hat.
Auf der Documenta sollen Organisationen und Institutionen aus der ganzen Welt zusammen humbung praktizieren. Die ruangrupa-Gruppe formuliert ihr Ziel so: „Jedes der humbung-member wird einen Beitrag leisten und verschiedene Ressourcen wie Zeit, Raum, Geld, Wissen, Fürsorge und Kunst teilen und erhalten.“ Wenn humbung also kurzgefasst die Idee von kollektiv zu verteilenden Ressourcen ist und die Kunst Anstöße geben soll, wie eine solche Verteilungsstruktur im Laufe der Zeit global aufgebaut werden kann, erhebt sich die Frage, ob offizielle Vertreter des siedlerkolonialistischen Apartheid- und Besatzungsstaates Israel in eine solche Ausstellung und ihr Konzept passen würden. Wo praktiziert dieser Staat in seinem Herrschaftsbereich Solidarität und Kollektivität gegenüber den Palästinensern? Nein, Israel ist ein Musterbeispiel für Ungleichheit und Ungerechtigkeit gegenüber einem ganzen Volk, das es unterdrückt.
Nun gibt es natürlich auch in Israel kritische und kreative Künstler, die gut in das Konzept von humbung gepasst hätten. Aber die Wächter über den Antisemitismus hätten dann sofort einen Affront, ja einen Angriff auf das offizielle Israel gewittert und auch den Antisemitismus-Vorwurf erhoben. Kritischen israelischen Intellektuellen hat man hierzulande ja schon Säle für ihre Vorträge untersagt und sie als „Antisemiten“ oder „selbsthassende Juden“ denunziert. Der Vorwurf von Micha Brumlik eines neuen McCartyismus in Deutschland ist ja mehr als berechtigt.
Wenn deutsche Politiker und Publizisten anlässlich der Documenta lautstark beklagen, dass Israel von der Ausstellung ausgeschlossen und das Antisemitismus sowie die Leugnung von Israels Existenz sei (Bundespräsident Steinmeier), dann ist das nur ein neuer Beleg für die Antisemitismus-Hysterie, die in Deutschland inzwischen herrscht. Demnächst wird es auch antisemitisch sein, wenn in einer Fußball-Bundesliga-Mannschaft oder in einem Theaterensemble nicht ein Jude oder Israeli vertreten ist.
Die indonesische ruangrupa-Gruppe betrachtet die Welt aus der Perspektive eines Schwellenlandes der Dritten Welt und nicht aus der Sicht der deutschen Israel-Ideologie. Sie hat deshalb vermutlich gute Gründe, warum sie offizielle Vertreter des siedlerkolonialistischen Besatzungsstaates Israel nicht eingeladen hat, auch wenn das nicht laut gesagt wird. Die Indonesier haben lange unter dem niederländischen Kolonialismus gelitten, sie wissen also sehr genau, was Kolonialismus bedeutet. Es kann deshalb nicht verwundern, wenn sie ihre Sympathie nicht den Unterdrückern, sondern den unterdrückten Palästinensern zuwenden.
Dazu kommt etwas Anderes, das in der deutschen Diskussion gar nicht vorkommt: das Verhältnis Israels zur Dritten Welt. Der israelische Sozialwissenschaftler Benjamin Beit-Hallahmi hat es vor Jahren untersucht und kam zu folgendem Ergebnis: Die israelische Politik hat sich nie mit Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt identifizieren können, weil die Begriffe „Befreiung“ und „Selbstbestimmung“ sofort die Ansprüche der Palästinenser in die öffentliche Debatte Israels gebracht hätten und das sollte unter allen Umständen vermieden werden.
Beit-Hallahmi schreibt: „Dem Zionismus waren von Anfang an, insbesondere was den Umgang mit der Dritten Welt betraf, einige unübersehbare und unausweichliche ideologische Festlegungen inhärent. Kernpunkt des zionistischen Programms war die Begründung eines souveränen jüdischen Staatswesens in Palästina durch Besiedlung und Ausübung politischer Herrschaft. Der Zionismus trug damit gleichsam per definitionem die Momente der Vergewaltigung einer eingeborenen Bevölkerung und der Konfrontation mit der Ditten Welt in sich.“
Und an anderer Stelle schreibt Beit-Hallahmi: „Der Gedanke der Befreiung und Selbstbestimmung für die Länder der Dritten Welt stellt für den Zionismus eine existentielle Bedrohung dar. Sogar der Begriff der Menschenrechte ist für das politische System Israels von potientieller Brisanz. Jede ernsthafte Auseinandersetzung mit der israelischen Politik in der Dritten Welt muss unvermeidlich zu einer radikalen Kritik am Zionismus und seinen politischen Zielen führen.“
Und weiter: „Der Zionismus kann sich eine moralische Selbstanalyse nicht leisten. Das Unrecht, das den Palästinensern angetan wird, liegt so klar auf der Hand, dass man, um es nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, das Thema als solches tabuisieren muss. Da aber jede Diskussion darüber, was Israel in der Dritten Welt anstellt, zwangsläufig in der Frage nach den Rechten der Palästinenser münden würde, muss auch die Dritte-Welt-Problematik tabuisiert werden. Man kann nicht über Gleichberechtigung, Freiheit und Selbstbestimmung im Allgemeinen reden, ohne irgendwann auch das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern an der Elle dieser Ideale zu messen.“
Auch wenn diese Sätze schon einige Jahre zurückliegen, an der Grundkonstellation der zionistischen Politik hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert. Beit-Hallahmis Feststellungen erklären auch, warum Israel in der Dritten Welt nie mit den Befreiungsbewegungen, sondern immer mit den brutalsten und korruptesten Diktatoren zusammengearbeitet hat und das auch heute noch tut. Mit humbung hat der Zionismus nichts im Sinn. Aber ist eine solche Kritik antisemitisch?
An den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Frank-Walter Steinmeier
Betreff: Rede zur Eröffnung der documenta
Manfred Jeub - 18. Juni 2022
Sehr geehrter Herr Bundespräsident Steinmeier, im Anhang übersende ich Ihnen die Impressionen, die der jüdische New-York-Times-Journalist und Politikprofessor Peter Beinart nach seiner Teilnahme an der vom Haus der Kulturen der Welt, dem Einstein Forum und dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin veranstalteten Konferenz „Hijacking Memory. Der Holocaust und die Neue Rechte“ am 9. bis 12. Juni aus Deutschland mitgenommen hat.
Nachdem ich Ihre Rede zur Eröffnung der documenta gelesen habe, bitte ich Sie herzlich, diese Außensicht auf den deutschen Diskurs doch einmal zur Kenntnis zu nehmen – vielleicht erreicht Sie die Stimme eines amerikanischen Juden eher als Stimmen aus dem globalen Süden. (Denn in der Tat halte ich eine Verständigung zwischen Menschen, die von der kolonialen Erfahrung von Landraub und Entrechtung herkommen, und Menschen, die dafür die Sprachregelung „Siedlungsbau“ eingeführt haben, für schwierig.)
Nach dem BDS-Bundestagsbeschluss schrieb das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte am 18.10.2019 an den damaligen Außenminister Heiko Maas: "Wir möchten unsere Sorge zum Ausdruck bringen, dass der Beschluss einen besorgniserregenden Trend setzt, die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unverhältnismäßig einzuschränken.“ Unterzeichnet hatten den Brief insgesamt fünf Sonderberichterstatter, David Kaye, zuständig für den Schutz der Meinungsfreiheit, Clement Nyaletsossi Voule, zuständig für das Recht auf Versammlungsfreiheit, Michel Forst, zuständig für die Lage von Menschenrechtsaktivisten, Michael Lynk, Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten und Ahmed Shaheed, zuständig für die Religionsfreiheit.
Seither hat sich die Situation beim Thema Israel-Palästina beständig verschlimmert, so dass honorige Kultur- und Wissenschaftsorganisationen sich mit einer „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ an die Öffentlichkeit wenden mussten, um, wie der Name sagt, unter Berufung auf Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes die Freiheit von Kunst und Wissenschaft in Schutz zu nehmen. Was Forschung und Lehre anbelangt, so versuchte beispielsweise die Hochschulrektorenkonferenz die umstrittene IHRA-Definition administrativ durchzusetzen, die zur Gleichsetzung von Israelkritik und Antisemitismus führt. Dagegen richtete sich eine Petition des jüdischen Sozialpsychologen Prof. Dr. Rolf Verleger, die inzwischen von über 2000 Hochschullehrern unterschieben wurde.
Ich gehe davon aus, dass ein deutsches Staatsoberhaupt über diese Vorgänge, deren lange Liste sich fortsetzen ließe, nicht uninformiert ist.
Dennoch haben Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, die documenta 2022 mit einem Angriff auf die Kunstfreiheit eröffnet. Sie reden von dieser Freiheit. Doch stets folgt auf dem Fuße das „aber“. Ihr Thema – für Deutschlands Geschichte leider weithin repräsentativ – sind wieder einmal die „Grenzen“ der Freiheit. Damit leisten Sie als Präsident aller Deutschen, der Sie sein sollten, einen parteilichen Beitrag zur Förderung der Cancel-Culture, die von bestimmten Interessensgruppen betrieben wird. Denn das könnten Sie wissen: Nicht die documenta hat eine „heftige, kritische Debatte hervorgerufen“, sondern Pressure-Groups, darunter ein eigens staatlich installierter Vertreter, haben sie gezielt skandalisiert, wie es in unserem Land leider gängige Praxis geworden ist. Sie beklagen die Verhärtung des Diskurses Israel-Palästina. Mit Ihrer Positionierung in dieser Rede tragen sie selbst dazu bei. Noch einmal eine jüdische Stimme: Micha Brumlik hat das erzeugte Klima in unserem Land einen „neuen McCarthyismus“ genannt, weil mit Kontaktverdächtigungen gearbeitet wird. Das tun Sie in Ihrer Rede leider auch.
„Ein Boykott Israels kommt einer Existenzverweigerung gleich.“ – wie kommen Sie zu einer solchen Behauptung? Unser Land sanktioniert eine Reihe anderer Länder mit erheblich wirksameren Boykottmaßnahmen, als zivilgesellschaftliche Aktionen es je vermöchten. Das soll eine Änderung von deren Politik erzwingen, aber doch selbstverständlich nicht ihre staatliche Existenz in Frage stellen. Es ist mir unerfindlich, wie in die Rede eines deutschen Staatsoberhauptes die Behauptung geraten konnte „Ein Boykott Israels kommt einer Existenzverweigerung gleich.“ Außer als israelische Regierungspropaganda macht sie keinen Sinn.
Herr Bundespräsident, ich bedauere zutiefst, dass Sie Öl ins Feuer eines ethisch tiefgehenden, die Menschen in unserem Land entzweienden Konfliktes gegossen haben und möchte Sie wissen lassen, dass Sie in Kassel nicht in meinem Namen gesprochen haben. Mit freundlichen Grüßen Manfred Jeub
Antisemitismus-Debatte bei documenta
Lehrstück über Dämonisierung und Delegitimierung
Hanno Loewy im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 15.06.2022
Der Debatte über Antisemitismus und Rassismus bei der documenta 15 kann Hanno Loewy wenig Gutes abgewinnen. Statt die Perspektive des jeweils anderen anzuerkennen, falle man übereinander her, sagt der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems.
Zum Start der documenta 15 müsste nun eigentlich über die Kunst diskutiert werden, die dort zu sehen ist. Das findet zumindest Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems. Stattdessen sorgt die internationale Kunstausstellung mit einer Diskussion über Antisemitismus und Rassismus für reichlich Schlagzeilen.
Zwei Perspektiven auf Israel - Ursache der Debatte ist die Einladung der palästinensischen Künstlergruppe „Question of Funding“. Diese soll der israelkritischen Boykottbewegung BDS nahestehen, so der Vorwurf. „Das Problem ist, dass die Auseinandersetzungen über Antisemitismus und Rassismus miteinander immer mehr ins Gehege geraten, immer mehr zu einem Konflikt um Deutungshoheiten werden“, sagt dazu Loewy.
Kern sei dabei der unterschiedliche Blick auf Israel und Palästina: Für Juden sei „dieses Land im Nahen Osten“ die Zuflucht, für die Palästinenser stehe es für europäischen Kolonialismus. „Beides stimmt“, sagt Loewy. „Solang man das nicht anerkennt, dass die Perspektive des anderen tatsächlich auch eine legitime Seite besitzt, solang fällt man nur übereinander her, und das erleben wir im Moment.“ Aus Loewys Sicht ein Lehrstück über Dämonisierung, Delegitimierung und doppelte Standards. (...)
„Das sind ja die drei Kriterien, mit denen häufig auf vermeintlichen Antisemitismus hingewiesen wird“, erklärt Loewy: „Man sagt, Kritik an Israel sei in Wirklichkeit Dämonisierung, Delegitimierung und messe mit doppelten Standards. Aber dasselbe gilt leider auch für die Auseinandersetzung mit den Positionen der Palästinenser. Israelische Politik ist eben auch ein Versuch, die Interessen und Positionen der Palästinenser zu delegitimieren und zu dämonisieren, und dabei wird eben auch immer wieder mit doppelten Standards gemessen.“
Ähnliches könne man bei der documenta-Auseinandersetzung beobachten. Der palästinensischen Künstlergruppe wurde beispielsweise vorgeworfen, sie sei antisemitisch, weil wie sich in einem Kulturzentrum treffe, das nach einem Nazi-Freund und Antisemiten benannt wurde. „Das war pure Dämonisierung, denn daran war nichts wahr“, so Loewy. mehr >>>
An alle die entsprechend manipulieren und konditionieren,
so auch den Bundespräsidenten Steinberg.
Bevor man sich von Propaganda einer fragwürdigen Ideologie, dem Zionismus manipulieren läßt, sollte man sich vielleicht mal informieren, was der der BDS Aufruf der Palästinenser, seine Übertragung ins deutsch sagt.
Ich denke nicht, dass es eine Aufgabe öffentlicher Personen ist
nicht Lügen und Unterstellungen der zionistischen Propaganda zu verbreiten.
Wir hatten einmal gesagt: NIE WIEDER
es sollte weltweit für alle gelten: NIEMAND
NIRGENDWO
BEGINNEN WIR AUCH SO ZU HANDELN
KEINER HAT DAS RECHT ZU FORDERN
DAS WIR AUF DER SEITE DER NEUEN TÄTER STEHEN SOLLEN
Lesen Sie den Aufruf der BDS Bewegung.
Es darf nicht sein, dass wir an der Seite der neuen Täter stehen.
sie decken und das verteidigen was mit Palästina geschieht.
Palästina hat das Recht auf das was Israel verweigert,
ein gerechtes miteinander, den Schutz der Staaten der Welt
1)Die Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes beendet und die Mauer abreißt;
2) Das Grundrecht der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels auf völlige Gleichheit anerkennt; und
3) Die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, wie es in der UN Resolution 194 vereinbart wurde, respektiert, schützt und fördert.“
DER BDS AUFRUF RICHTET SICH NICHT GEGEN JUDEN SONDERN GEGEN EINE GRAUSAMME IDEOLIGIE:
Unterstellt wird „Kauft nicht bei Juden“
Unterstellt wird, man wolle Israel zerstören.
Die Wahrheit ist, dass Israel ein kaum wahrnehmbares "Nur für Juden" Schild auch über Palästina gehängt hat.
Das ist das Handwerk, das der Kolonisatoren Israel seit Jahrzehnten verfolgen.
BDS FORDERT EIN GERECHTES MITEINANDER
Es geht darum ein Land das Apartheid betreibt zu Sanktionieren.
Was wir zu Recht mit Putin machen sollte für alle gelten.
Lesen Sie die Quellen und nicht was die Hasbaraabteilungen Israel verbreiten
Eröffnung der Documenta 2022 durch den Bundespräsidenten Walter Steinmeier
Kassel, 18. Juni 2022
Ein Ausschnitt aus der Rede, die zeigt, wie sich die BRD erneut einem Täter zuordnet.
(...) Streitfrei ist Kunst also nicht zu haben, aber: Ist deshalb alles Kunst? Joseph Beuys würde jetzt sagen: "Ja!" Aber das kann nicht bedeuten, dass all jene, die sich für ihre politischen Botschaften der Kunst bedienen, außerhalb der Kritik bleiben. Zumal dann nicht, wenn sie den politischen Aktivismus zur Kunstform machen. Wer als Künstlerin oder Künstler in das Forum der Politik eintritt, muss sich nicht nur der ästhetischen, sondern auch der politischen Debatte und Kritik stellen. Und dort gibt es Grenzen!
Um das klarzustellen, spreche ich heute hier.
Ich habe die Diskussion im Vorfeld der jetzigen documenta sehr genau verfolgt, über das was wir an Kunst zu erwarten haben, aber auch über manchen gedankenlosen, leichtfertigen Umgang mit dem Staat Israel. Denn so nachvollziehbar manche Kritik an der israelischen Politik, etwa dem Siedlungsbau, ist: Die Anerkennung der israelischen Staatlichkeit ist die Anerkennung der Würde und Sicherheit der modernen jüdischen Gemeinschaft. Die Anerkennung ihrer Existenzgewissheit. Als deutscher Bundespräsident halte ich für mein Land fest: Die Anerkennung Israels ist bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte!
Ich sage gern nochmal: Kunst darf anstößig sein, sie soll Debatten auslösen. Mehr noch: Die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Kunst sind Wesenskern unserer Verfassung. Kritik an israelischer Politik ist erlaubt. Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten.
Es fällt auf, wenn auf dieser bedeutenden Ausstellung zeitgenössischer Kunst wohl keine jüdischen Künstlerinnen oder Künstler aus Israel vertreten sind. Und es verstört mich, wenn weltweit neuerdings häufiger Vertreter des globalen Südens sich weigern, an Veranstaltungen, an Konferenzen oder Festivals teilzunehmen, an denen jüdische Israelis teilnehmen.
Ein Boykott Israels kommt einer Existenzverweigerung gleich. ... mehr >>>
Frank-Walter Steinmeier auf der Documenta
Diese Rede ist ein Skandal
Elke Buhr - 18.06.2022
Nirgendwo auf der Documenta wird das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Trotzdem hielt der Bundespräsident in Kassel eine Rede, die die Antisemitismus-Vorwürfe einfach als berechtigt darstellte. Ein Kommentar
Gemeinschaft, Kooperation, Ressourcenteilung, das sind die Werte, die das indonesische Kollektiv Ruangrupa auf der Documenta Fifteen umsetzen will. Dazu haben sie zahlreiche weitere Kollektive vor allem aus dem Globalen Süden eingeladen, die wiederum selbst viele Künstlerinnen und Künstler gebeten haben, an der Großausstellung in Kassel teilzunehmen. Die vollständige Künstlerliste, die gerade erst veröffentlicht wurde, ist selbst fast wie ein Konzeptkunstwerk: Sie umfasst Tausende von Namen.
An den Eröffnungstagen ging das Konzept auf: Überall standen Menschen entspannt zusammen, lagen in der Sonne, freuten sich über den positiven Vibe, der die Ausstellung durchzieht – obwohl viele Werke auch Krieg, Unterdrückung, ökologische Katastrophe und Kolonialismus zum Thema haben.
Doch nein, nicht alle freuten sich. Ein paar Journalistinnen und Journalisten hatten anderes zu tun: Sie suchten nach Antisemitismus. Die zunächst von einem zweifelhaften Kasseler Blog erhobenen Vorwürfe gegen Ruangrupa und vor allem eine palästinensische Gruppe, die sich schnell zu Vorwürfen gegen alles "Postkoloniale" erweiterten, waren so konsequent aufgeblasen worden, dass sie für viele zu einer Schablone wurden, unter der die Ausstellung wahrgenommen wurde. Wo ist er denn nun, der Antisemitismus?
Keine Diffamierung oder Herabwürdigung - Eine erste Antwort soll hier nun klar gegeben werden: Nirgendwo auf dieser Ausstellung wird das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Es werden auch keine Juden diffamiert und herabgewürdigt. Im Übrigen hatte auch im Vorfeld keiner der Beteiligten sich irgendwie antisemitisch geäußert, alle hatten Antisemitismus explizit verurteilt.
Was allerdings stattfindet, ist die Präsentation von palästinensischen Künstlerinnen und Künstlern. Zum Beispiel bei dem Kollektiv Question of Funding aus Ramallah. Es dokumentiert die Geschichte des Künstlerkollektivs Eltiqa aus dem Gaza-Streifen-Künstlerinnen und -Künstler, die wegen israelischer Einfuhrregulation kaum über Leinwand und Farben verfügen, deren Biografien geprägt sind von Kriegen und Armut. Die Situation dieser Menschen wird nicht einmal bewertet, nur dargestellt. Ist das bereits zu viel?