Wenn man den Inhalt der BDS-Resolution gar nicht
erwähnen darf…
Ein offener Schlagabtausch über die
BDS-Resolution des Bundestages zwischen Michael Wolffsohn und
Michael Naumann im Spiegel bringt wenig neue Erkenntnisse
Arn Strohmeyer -
21.12.2020
Die
Initiative G.G.5.3.Weltoffenheit, eine
Kampagne bedeutender deutscher Kulturinstitutionen und Kultur
schaffender Einzelpersonen, hat in einem Aufruf die
BDS-Resolution des Bundestages kritisiert, weil sie die im
Grundgesetz garantierte Meinungs-, Informations- und
Pressefreiheit sowie die Freiheit von Kunst und Wissenschaft
(Artikel 5 GG) einschränke. In diesem Zusammenhang bringt der
Spiegel ein Streitgespräch zwischen dem Historiker Michael
Wolffsohn und dem Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann, der
auch Direktor der Barenboim-Said-Akademie ist.
Wenn deutsche Mainstream-Medien die BDS-Bewegung
thematisieren, dann ist es die Regel, nicht auf den Inhalt des
ursprünglichen Aufrufs der palästinensischen Zivilgesellschaft
einzugehen, sondern sich auf die lakonische Unterstellung zu
konzentrieren, dass BDS das Existenzrecht Israels leugne und
diesen Staat vernichten wolle. So handhabt es auch der
Spiegel. In der Einleitung zu dem Streitgespräch beschränkt
sich das Magazin auf die Feststellung, dass BDS das
Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge fordere und
dazu aufrufe, israelische Waren, Kulturschaffende,
Wissenschaftler und Sportler zu boykottieren.
Da fehlt die wichtigste Forderung der BDS-Bewegung
(oder sie wird nur am Rande erwähnt): das Ende der Besatzung und
die Erlangung des Selbstbestimmungsrechts für die Palästinenser,
also die Durchsetzung des Völkerrechts und der Menschenrechte
für dieses Volk. Wenn man diese Information vorenthält, muss die
Diskussion in die verkehrte Richtung laufen. So kann Wolffsohn
sein zionistisches Glaubensbekenntnis abspulen. Er rechtfertigt
den BDS-Beschluss des Bundestages, sieht die Meinungsfreiheit
durch ihn nicht eingeschränkt, setzt Antizionismus mit
Antisemitismus gleich („Antizionismus ist deshalb so gefährlich,
weil er Israel als Deckmantel für Antisemitismus benutzt“) und
wiederholt mehrmals, dass BDS die Wirkung des jüdischen Seins
und das Ende Israels bedeuten würde. Wohl an Hermann Göring
denkend, von dem der Ausspruch überliefert ist „Wer Jude ist,
bestimme ich!“, setzt Wolffsohn dagegen: „Wer Antisemit ist,
bestimmt der Jude.“
Wolffsohn wartet dann mit einem völlig schiefen
historischen Vergleich auf: Wenn man den palästinensischen
Flüchtlingen das Rückkehrrecht einräumen würde, müsste man es
auch den deutschen Ost-Flüchtlingen gestatten. Um diese falsche
Parallele aufrechterhalten zu können, greift er zu einer
dreisten historischen Lüge: „Deutsche und Palästinenser haben
1939 bzw. 1947/48 den Krieg begonnen und als Folge das Land
verloren.“ Dass der Hitlerstaat den Zweiten Weltkrieg begonnen
hat, ist ja unbestritten. Aber dass die Palästinenser 1947/48
den Krieg gegen die Zionisten begonnen hätten, ist eine üble
Geschichtsklitterung. Wolffsohn sollte mal die Werke der
israelischen Historiker Simcha Flappan, Benny Morris, Avi Shlaim
und Ilan Pappe lesen. Aber die Lüge Wolffsohns ist natürlich für
die Legitimierung des zionistischen Anspruchs auf das Land
äußerst wichtig.
Naumann hält der Polemik des bekennenden Zionisten
Wolffsohn überzeugende Argumente entgegen: Er belegt an
Beispielen, wie durch die BDS-Resolution des Bundestages die
Meinungsfreiheit eben doch eingeschränkt wurde, weil dieser
Beschluss festlege, was Antisemitismus sei, was
verfassungsrechtlich fatale Konsequenzen haben könne. Naumann
fügt hinzu, dass die Bestimmung des Bundestages, was
Antisemitismus sei, auch Wolffsohns Behauptung, dass der Jude
bestimme, wer Antisemit sei, ad absurdum führe. Denn die
Abgeordneten hätten beschlossen: „Die Argumentationsmuster und
Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch.“ Naumann sieht
durch die legitime Kritik der BDS-Bewegung an der israelischen
Politik keineswegs auch gleich die Sicherheit Israels in Frage
gestellt und fügt hinzu, ein Antizionist sei auch nicht
automatisch ein antisemitischer Gegner des Staates Israel.
Dass eine Zensur in Deutschland wegen Kritik an
Israel oder BDS längst stattfindet, belegt Naumann auch an den
Vorgängen im Jüdischen Museum in Berlin – Ausladung von nicht
genehmen Referenten, israelische Kritik an der
Jerusalem-Ausstellung, der Rausschmiss des Direktors Peter
Schäfer und führt dies alles auf „die Einflussnahme einer
ausländischen Regierung“ zurück. Worauf Wolffsohn erwidert, der
Direktor Schäfer sei nicht „energisch genug gegen die
BDS-Unterwanderung“ des Museum-Personals vorgegangen.
Nauman antwortet darauf, dass die israelische
Regierung natürlich das Recht habe, eine Ausstellung zu
kritisieren: „Aber die Bundesregierung sollte dann nicht die
Hacken zusammenschlagen und in die Programmhoheit des Museums
eingreifen.“ Auf den Vorwurf der „Unterwanderung“ des Museums
kontert Naumann: „Sie betreiben eine Art Kontaktverdächtigung:
Weil jemand jemanden kennt, der jemanden kennt, der etwas
unterschrieben hat, ist man – mitgefangen, mitgehangen – ein
Antisemit.“
Naumann spricht überzeugend viel Wahres an,
während Wolffsohn sich eher auf Bild-Zeitungsniveau
bewegt (er schreibt regelmäßig Kolumnen für dieses Blatt, das
alle Kritiker der israelischen Politik und auch die Vertreter
der Initiative G.G.5.3. Weltoffenheit als „Israelhasser“
diffamiert). Im Ganzen gesehen erweist sich das Gespräch als ein
verbales Geplänkel, ohne zu Kern der Probleme vorzustoßen.
Das schafft in brillanter Weise der israelische
Philosoph Omri Boehm in einem Gastartikel der Zeit. Er
analysiert dort, wie der Zionismus mit dem Faktum umgeht, dass
die Zwei-Staaten-Lösung durch die Verweigerungshaltung der
israelischen Regierung nun endgültig vom Tisch ist. Als
Alternative bleiben Israel nur die Ein-Staat-Lösung, die die
Palästinenser als gleichberechtigte Bürger miteinschließt; ein
Apartheidstaat, der die palästinensische Minderheit nicht als
gleichberechtigt anerkennt (das ist der gegenwärtige Zustand);
oder die Vertreibung, die in Israel wieder ganz offen diskutiert
wird.
So stellte der israelische General Ephraim Eitam,
der Netanjahus Kandidat für die Leitung der
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ist, jetzt folgende Überlegung
an: „Wir werden drei Dinge tun müssen. Die große Mehrheit der
Araber des Westjordanlandes vertreiben. Wir können dieses
Territorium nicht aufgeben, und wir können nicht so viele Araber
zulassen. […] Einige werden vielleicht bleiben, unter bestimmten
Bedingungen, aber die meisten müssen gehen. Wir müssen eine
weitere Entscheidung treffen, und zwar die, unser politisches
System von arabischen Israelis zu befreien. […] Wir haben es
zugelassen, dass sich in unserem Land eine fünfte Kolonne bilden
konnte, ein Bund erstklassiger Verräter. Wir können ihre breite
Präsenz innerhalb unseres politischen Systems nicht dulden.
Drittens werden wir ganz anders mit dem Iran umgehen müssen.
Diese drei Entscheidungen würden es erforderlich machen, dass
wir unsere Kriegsmoral ändern.“
Die Ein-Staatlösung mit gleichen Rechten für die
Palästinenser ist also für Israel völlig undenkbar. Denn die
Zionisten beharren auf ihrem Recht auf Selbstbestimmung, und die
ist für sie nur in einem „jüdischen Staat“ vorstellbar.
Nicht-Juden, also Palästinenser, können deshalb in einem
„jüdischen Staat“ keine gleichberechtigten Bürger sein. Ein rein
jüdischer Staat vom Jordan bis zum Mittelmeer setzt sich also
über das völkerrechtlich abgesicherte Selbstbestimmungsrecht der
Palästinenser hinweg.
Eine vertrackte Lage also für Israel. Die
Zionisten suchen den rechtfertigenden Ausweg mit einem
ideologischen Trick, indem sie die Antisemitismus-Waffe
hervorholen: Weil die Juden das Recht auf einen jüdischen Staat
(ohne Palästinenser) haben, sind die Palästinenser, die
Selbstbestimmung und die Rückkehr der Flüchtlinge in das Land
fordern, aus dem Israel sie vertrieben hat, „Antisemiten auf
Nazi-Niveau“. Der israelische Historiker Yehuda Bauer, ein
Experte für die Holocaustforschung, spricht sogar von einem „genozidalen
Antisemitismus“, wenn auf dem Rückkehrrecht der
palästinensischen Flüchtlinge bestanden wird. Mit anderen
Worten: Die nationalen Bestrebungen der Palästinenser stehen im
Widerspruch zu denen der Juden und müssen deshalb aufgegeben
werden. Auf voller Gleichheit zu bestehen ist antisemitisch.
Dass eine solche Position gegen die universalen
Prinzipien des Völkerrechts und der Menschenrechte verstößt,
liegt auf der Hand. Es war aber genau die Intention der
BDS-Bundestagsresolution zu verhindern, dass Israels
Existenzrecht als „jüdischer Staat“ in Frage gestellt würde,
denn damit werde die Schwelle zwischen legitimer Kritik an
Israel und Antisemitismus überschritten. Und weil Israels
Existenzrecht in Deutschland „Staatsräson“ ist, sollen
diejenigen, die dies kritisieren oder bezweifeln, dieser
Resolution zufolge weder offizielle Unterstützung noch
staatliche Fördermittel erhalten. Soweit Omri Boehm, der ein
baldige Rücknahme dieses Beschlusses fordert.
Schon vor Jahren hat der israelische Historiker
Moshe Zuckermann in seinem Buch Israels Schicksal. Warum der
Zionismus seinen Untergang betreibt die Sackgasse
beschrieben, in die sich die israelische Politik mit der
Verhinderung der Zweistaatenlösung begeben hat. Da die deutsche
Politik Israels Vorgaben – gerade auch mit der BDS-Resolution –
blind folgt („die Hacken zusammenschlägt“, wie Michael Naumann
es nennt), steckt der Bundestag mit seiner BDS-Resolution in
derselben Sackgasse wie die israelische Politik, da sie auf dem
rein „jüdischen Staat“ (Israels „Existenzrecht“ als „jüdischer
Staat“) besteht, der die Gleichberechtigung der
palästinensischen Bürger ausschließt. Die Bundestagsresolution
schränkt also nicht nur die Meinungsfreiheit ein, sie behindert
auch wegen ihrer einseitigen Festlegung jedes weitere Nachdenken
über eine angemessene und humane Lösung des Nahost-Problems. Und
sollte es zu totalen Apartheidlösung oder zur Vertreibung der
Palästinenser kommen, hätte die deutsche Politik dies mit zu
verantworten.
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