Gemeinsame Werte
mit einem Apartheidstaat?
Die
deutsche Erinnerungspolitik ist in die Kritik geraten / Die
kruden Thesen Samuel Salzborns zur Aufarbeitung der NS-Zeit
Arn
Strohmeyer - 28. 2. 2022
Die deutsche
politische Elite wird nicht müde, die Aufarbeitung der
NS-Diktatur mit all ihren Verbrechen als „Erfolgsgeschichte“ zu
feiern. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier tat das
anlässlich des Holocaust-Gedenktages in Yad Vashem und
Bundeskanzlerin Angela Merkel zum 60. Gründungsjubiläum in der
Knesset. Nun muss man diesem selbsterhöhenden Lob
entgegenhalten, dass die deutsche Erinnerungspolitik sich in
einem großen Dilemma befindet, wenn nicht sogar gescheitert ist,
denn sie beruhte von Anfang an auf sehr fraglichen moralischen
Voraussetzungen. Sie hat immer auf das sehr enge fast
symbiotische Verhältnis zu Israel gesetzt – eines Staates,
dessen Entstehung auf einem großen Verbrechen – der ethnischen
Säuberung Palästinas (der Nakba) – beruht. Und diese ethnische
Säuberung dauert bis heute an.
Die deutsche
Erinnerungspolitik müsste sich eigentlich die Frage stellen, wie
man das moralisch-universalistische Vermächtnis des Holocaust
mit einem Staat teilen kann, dessen Erinnern an den Holocaust
ganz einseitig nicht universalistisch, sondern
partikularistisch-zionistisch ist und ein ganzes Volk seit über
siebzig Jahren in brutaler Weise unterdrückt. Kann es da
gemeinsame Werte geben? Dazu kommt etwas anderes. Israelische
Autoren wie Moshe Zuckermann oder Abraham Burg haben
nachgewiesen und beklagt, dass dieser Staat die Toten des
Holocaust nicht zweckfrei – also um ihrer selbst willen –
erinnert, sondern sie sehr zweck- und zielgerichtet
instrumentalisiert – für politische, militärische,
wirtschaftliche und kulturelle Ziele.
Selbst die
Gründung des Staates wird mit dem Genozid gerechtfertigt und
auch das unmenschliche Vorgehen gegen die Palästinenser: „Wir
haben den Holocaust durchgemacht, uns ist alles erlaubt!“ Man
macht dieses Volk, das mit dem Holocaust nichts zu tun hatte, zu
den „neuen Nazis“, um einen Vorwand zu haben, ihm sein Recht auf
Freiheit und Souveränität zu verweigern.
Die deutsche
Erinnerungspolitik ist mit der israelischen vollständig
identisch und erhebt deshalb kein Wort der Kritik gegen die
Unmenschlichkeit der israelischen Okkupationspolitik. Sie ist
deshalb unglaubwürdig, weil sie auf moralisch zweifelhaften
Fundamenten beruht. Für diese These habe ich – wenn auch mit
einer ganz anderen Begründung – Zuspruch und Bestätigung von
einem Autor erhalten, den ich eigentlich als politischen
Opponenten betrachte: Samuel Salzborn. Dieser umstrittene
deutsch-jüdische Sozialwissenschaftler und
Antisemitismus-Beauftrage des Landes Berlin sieht die von
deutscher Seite proklamierte „Erfolgsgeschichte“ der Erinnerung
als gescheitert an, weil es eine wirkliche Auseinandersetzung
mit dem Nationalsozialismus – vor allem mit dem Holocaust – nur
rudimentär gegeben habe. Deshalb entpuppe sich das Paradigma von
der „Erfolgsgeschichte“ heute als „geschichtspolitische
Illusion“. Ja, er setzt noch eins drauf und bezeichnet diese
vermeintliche deutsche Selbstgewissheit als eine „freie
Erfindung“ und die „größte Lebenslüge der Bundesrepublik“.
Die
Aufarbeitung habe, wenn überhaupt, nur eine kleine
links-liberale Elite geschafft. Der Rest der Bevölkerung, betont
Salzborn immer wieder, lebt in der „Erinnerungsverweigerung“,
„bei der bis heute im nationalen und vor allem familiären
Gedächtnis die Weigerung in die Einsicht dominiert, dass – je
nach Alter – der eigene Vater oder die eigene Mutter, der eigene
Opa oder die eigene Oma, der eigene Uropa oder die eigene Uroma
schuldig waren.“ Mit anderen Worten: So gut wie alle Deutschen
waren und sind schuldig – persönlich-moralisch, politisch und je
nach den Umständen auch juristisch. Die Schuld wird noch an die
Enkel weitergegeben, die nun noch deutlichere Formen der
Erinnerungs- und Schuldabwehr an den Tag legt. (Als Fußnote sei
gefragt: Was ist mit den Antideutschen – einer Bewegung, die die
deutsche Nation ablehnt, sich total mit Israel identifiziert und
inzwischen über beträchtlichen Einfluss verfügt? Salzborn
erwähnt sie nicht einmal, wie alles, was nicht ins Bild passt.)
Und nicht nur
das. Die große Mehrheit der Deutschen betreibt nach Salzborn
nicht nur eine Erinnerungs- und Schuldabwehr, sondern sie
huldigen einem Opfer-Mythos, dem Mythos der Kollektivunschuld,
dessen Basis die Verweigerung der Erinnerung an den Holocaust
ist. Damit ist es aber auch noch nicht genug. Aus dem Wunsch
heraus, sich von der Vergangenheit zu entlasten, entsteht ein
Schuldabwehr-Antisemitismus – „nicht trotz, sondern wegen
Auschwitz“. Das ist nach Salzborn so zu verstehen: Die deutsche
Erinnerungspolitik macht die Juden für die Folgen des Holocaust
verantwortlich, weil sie den Massenmord an den europäischen
Juden als negative Störung der nationalen Erinnerungskompetenz
empfindet. (Das erinnert an den sarkastischen Satz, dass die
Deutschen den Juden Auschwitz niemals verzeihen werden.) Die
Deutschen machen also aus den Opfern Täter.
Anders
gesagt: Die Deutschen haben ein starkes Bedürfnis nach
nationaler Identität und streben einen Schlussstrich an, um
Normalität zu erreichen, aber da ist die schreckliche Erinnerung
an den Holocaust im Weg. Die Deutschen stellen sich aber nicht
der Verantwortung für den Genozid an den Juden durch die Nazis,
sondern verorten die Verantwortung bei den Opfern der deutschen
Politik [also bei den Juden], die sich mit ihrem Schicksal nicht
abfänden. Und daraus entsteht dann eben Antisemitismus, so
Salzborn.
An anderer
Stelle ist es die verdrängte Wut und der verschobene Hass auf
die unbewussten Familienerbschaften, die sich bei der Generation
der Nachgeborenen gegen die Juden richtet. Aber dieser
Antisemitismus zielt nicht nur auf die Juden, sondern auch auf
den Staat Israel. Es ist eben antiisraelischer Antisemitismus.
Gleich im
ersten Kapitel seines Buches beschreibt Salzborn diesen
Antisemitismus und seine Träger: „75 Jahre nach der
Niederschlagung des Nationalsozialismus durch die Alliierten und
der Befreiung der Welt von der deutschen Barbarei ist
Antisemitismus allgegenwärtig weltweit, aber auch und gerade in
Deutschland. Allgegenwärtig in der Form von palästinensischen
Banden, die tagtäglich Israel terrorisieren, allgegenwärtig in
Form von rechten und linken Verbündeten des antisemitischen Mobs
in Europa, die zusammen mit Islamisten demonstrieren oder, mal
der eine, mal der andere, verantwortlich zeichnen für Gewalt-
und Propagandataten gegen Jüdinnen und Juden.“ Der renommierte
Antisemitismus-Forscher Professor Wolfgang Benz stellt dagegen
fest: „Ich sehe überhaupt keine neue Qualität. Ich würde auch
gern die Wortwahl ‚antisemitische Ausschreitungen‘ hinterfragen.
Es haben sich zum Teil seltsame Leute zusammengerottet. Einige
haben blödsinnige Parolen gerufen. Das wird von Interessenten
mit großem Widerhall als Wiederaufflammen des Antisemitismus
dargestellt. Ich beobachte die Szene seit 30 Jahren. Seit 30
Jahren wird damit Politik und Stimmung gemacht.“
Die deutsche
Schuldabwehr steht also für Salzborn in engem Zusammenhang mit
dem gegen Israel gerichteten Antisemitismus und der
propalästinensischen Orientierung. Die familiäre Täterschaft
wird ins Unbewusste verdrängt, aus dem es dann als Schuldabwehr,
als Israel-Hass und als Palästinenser-Solidarität wieder
hervorbricht. Die Solidarisierung mit den Palästinensern
bezeichnet Salzborn als „wirkmächtige Projektionsorientierung“,
weil sie eine psychische Funktion erfüllt: sie stelle einen
vordergründigen Bruch mit der NS-Ideologie dar, der aber gar
kein Bruch sei, sondern nur ein Rebellionssurrogat“, in dem das
völkische und antisemitische Weltbild der Nazis weiter
existiere. Die Abgrenzung zum Nationalsozialismus sei also nur
scheinbar. Die Palästina-Sympathisanten rebellierten, ohne sich
selbstkritisch in Frage zu stellen.
Ich muss
gestehen, dass ich große Probleme habe, diese Argumentation mit
ihren absurden Verallgemeinerungen, infamen Unterstellungen und
hergeholten Kausalitätsbezügen zu verstehen. Es ist gar keine
Frage, dass die Deutschen allergrößte Probleme hatten und haben,
ihre verbrecherische Vergangenheit aufzuarbeiten. Aber das geht
eben nur auf dem Weg, den der Historiker Eberhard Jäckel
beschrieben hat: „Nur wer seine Vergangenheit und die
Vergangenheit seines Volkes schonungslos betrachtet, wird von
ihr frei. Er gewinnt dadurch eine Freiheit, auf die er stolz
sein kann. Der Nationalstolz des mündigen Bürgers besteht nicht
darin, die Vergangenheit seiner Nation zu rühmen. Sein Stolz ist
es vielmehr, sie kritisch zu betrachten. Das macht ihn frei, und
diese Freiheit macht ihn zukunftsfähig.“ Salzborns Proklamierung
der Kausalkette Schuldabwehr, Erinnerungsverweigerung,
Verdrängung, Wut, Antisemitismus, der sich vor allem auch gegen
Israel richtet, ist keine wissenschaftliche Feststellung,
sondern ein ideologischer Irrweg, der nicht weiterführt.
Salzborn
macht einen großen Rundumschlag: Er differenziert nicht beim
Blick auf die deutsche Gesellschaft. Im Grunde sind ihm zufolge
alle Deutschen Antisemiten und noch zutiefst von der
NS-Ideologie geprägt – ein Volk von Nazis eben, sieht man von
einer kleinen links-liberalen Elite ab. Die Studentenbewegung
von 1968, die sich gegen die eigenen NS-Väter richtete, der
Eichmann-Prozess und die Auschwitz-Prozesse, die
Wehrmachtsausstellung sowie eine Fülle kritisch-aufklärerischer
Literatur über Hitler und seinen Staat, die vielen Menschen die
Augen geöffnet haben, bei Salzborn kommt das alles nicht vor.
Auch die deutsche Politik und die deutschen Medien nicht, die
sich in ihrem unkritischen Engagement und einseitigen
Parteinahme für Israel gegenseitig übertreffen. Er will die
paranoide Idee, dass so gut wie alle Deutschen Hitler noch nicht
abgeschworen haben, unbedingt aufrechterhalten.
Die deutsche
Politik und die Erinnerungspolitik haben versucht, die deutsche
Schuld vor allem mit der völligen Identifizierung mit Israel,
mit einer vorbehaltlosen Symbiose mit diesem Staat, abzutragen,
was nicht gelungen ist und von vornherein zum Scheitern
verurteilt war, weil diese Symbiose sich in die völlige
politisch-ideologische Abhängigkeit von dem zionistischen Staat
begeben hat, eines Staates, dem Völkerrecht und Menschenrechte
nichts bedeuten und damit selbst im diametralen Gegensatz zum
moralischen Vermächtnis des Holocaust steht. Die deutsche
Erinnerungspolitik musste scheitern, weil sie „eine egoistische
Nabelschau ist, die sich in formalen Abstraktionen einerseits
und unreflektiert selbstbezogenen Emotionsgewühl andererseits
bewegt“, so beschreibt der Israel Moshe Zuckermann das deutsche
Gedenken.
Auch davon
weiß Salzborn nichts oder will es nicht wissen. Für ihn ist die
deutsche Erinnerungspolitik gescheitert, weil die Deutschen nach
wie vor Nazis sind und sich gar nicht erinnern wollen. Genauso
blind ist sein Blick auf Israel. Er beschreibt ihn als
„jüdischen und modernen Staat mit einer pluralistischen
Gesellschaft“. Besatzung, Apartheid und die Unterdrückung eines
ganzen Volkes als Basis der israelischen Staatlichkeit – für
Salzborn existiert dies nicht. Kritik an Israels
Okkupationspolitik ist natürlich israelbezogener Antisemitismus.
Und im Hass auf diesen Staat sieht er die Deutschen eng vereint:
islamistische Antisemiten, Neonazis und linke Anti-Imperialisten
verbünden sich da. Er wirft alles in einen Topf, wobei er gar
nicht exakt definiert, was er unter Antisemitismus versteht und
er grenzt ihn auch nicht vom Antizionismus ab.
Eine
empirische Studie des Konstanzer Psychologen Wilhelm Kempf, die
auf umfangreichen Umfragen beruht, kommt der gesellschaftlichen
Wirklichkeit sehr viel näher als Salzborns Spekulationen. Es ist
sicher kein Zufall, dass er diese Studie auch gar nicht erwähnt.
Kempf unterscheidet zwischen nicht-antisemitischen und
antisemitischen Israel-Kritikern. Letzteren bescheinigt er einen
latenten Antisemitismus – ein Muster, das sich auch bei
NPD-Wählern findet. Über die nicht-antisemitischen
Israel-Kritiker hat Kempf herausgefunden: „Sie sind besser
informiert und zeigen eine größere Nähe zu dem
israel-palästinensischen Konflikt. Ihr Pazifismus ist stärker
ausgeprägt und ihre Menschenrechtsorientierung ist konsistenter.
Ihre Positionierung zugunsten der Palästinenser wird umso
radikaler, je besser sie über den Konflikt orientiert sind, je
größer ihre emotionale Nähe zu dem Konflikt ist, je konsistenter
ihre Menschenrechtsorientierung ist, je mehr sie die
Einschränkung von Menschenrechten ablehnen, je weniger sie zu
moralischer Ablösung neigen und je stärker sie für die Opfer von
Menschenrechtsverletzungen eintreten.“
Genau
umgekehrt verhält es sich bei den antisemitischen
Israel-Kritikern: „Je radikaler sie sich zu den Palästinensern
positionieren, desto schlechter sind sie informiert, desto
weniger emotionale Nähe zu dem Konflikt haben sie, desto
geringer ist ihre pazifistische Einstellung, desto
inkonsistenter ist ihre Menschenrechtsorientierung und desto
weniger treten sie für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen
ein.“
Kempf
bilanziert: „Unter
den aktiven Israelkritikern waren diese [antisemitischen] Muster
dagegen nicht zu finden. Die aktiven Israelkritiker und mit
ihnen die überwiegende Mehrheit der Deutschen, die sich
zugunsten der Palästinenser positionieren, teilen keinerlei
antisemitische Vorurteile, sondern kritisieren die israelische
Politik in Folge ihres Menschenrechtsengagements und Pazifismus.
Während die aktiven Kritiker dazu neigen, sich trotz ihres
ausgeprägten Pazifismus in einem pro-palästinensischen War-Frame
zu positionieren, sind diese radikalen Spielarten der
Israelkritik in der allgemeinen Bevölkerung extrem selten. Diese
radikalen Kritiker wählen Die Linke oder Bündnis 90/Die Grünen,
und in der Mitte der Gesellschaft (bei den Wählern von CDU, SPD
und FDP) finden sie sich überhaupt nicht.“
Die
Kempf-Studie ergibt also ein ganz anderes, differenzierteres und
realistischeres Bild von den Einstellungen in der deutschen
Gesellschaft zum Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern
als die ideologischen Spekulationen Salzborns. Damit werden auch
seine Schlussfolgerungen für die Aufarbeitung der Vergangenheit,
also die deutsche Erinnerungsarbeit, die die Deutschen geleistet
bzw. nicht geleistet haben, unglaubhaft und obsolet. Es gibt in
diesem Land durchaus eine größere Gruppe von Menschen, das hat
Kempf festgestellt, die den Holocaust angemessen erinnert und
ihre Folgerungen daraus gezogen hat: dass die Menschenrechte
universal gelten – für alle Menschen in der Welt. Natürlich gibt
es auch Erinnerungsverweigerung und Schuldabwehr, aber sie
verallgemeinernd der ganzen deutschen Bevölkerung zu
unterstellen, ist ein Phantasieprodukt Salzborns.
Man fragt
sich, welche Motive dieser Mann hat und welche Ziele er
verfolgt? Will er mit seinen kruden Thesen von Israels Untaten
ablenken? Israels Verbrechen an einem ganzen Volk – das ist kein
Geheimnis – fachen den Antisemitismus in der Welt an. Will
Salzborn auch von diesem Faktum ablenken? Will er die deutsche
Schuld instrumentalisieren? Wenn ja, wofür? Man wüsste gern, wie
er zu dem funktionalen Antisemitismus-Begriff des Israeli
Daniel Blatman steht, der besagt, dass Israels politische Elite
diesen Antisemitismus-Begriff selbst kreiert hat, ihn mit allen
Mitteln fördert, um Kritik an seiner unmenschlichen Politik
gegenüber den Palästinensern abzublocken. Einem so renommierten
Holocaust-Forscher wie Blatman kann er ja schließlich nicht
Antisemitismus vorwerfen.
Samuel
Salzborn verwickelt sich mit seinen realitätsfernen Thesen in
unauflösbare Widersprüche. So schreibt er etwa, dass der
Antisemitismus sich nicht nur gegen Juden wende, sondern „gegen
alles, was die moderne Welt kennzeichnet: gegen Freiheit und
Gleichheit, Urbanität und Rationalität, Emanzipation und
Demokratie.“ Freiheit und Gleichheit, Emanzipation auch für die
Palästinenser? Da würde Salzborn doch sofort die
Antisemitismus-Keule hervorholen.
Die
Forderungen nach Freiheit und Gleichheit usw. sind natürlich
universalistisch. Aber dem Universalismus erteilt er eine klare
Absage. Er findet ihn fatal, weil der universalistische Anspruch
der Erinnerung „zur entkonkretisierten, enthistorisierten und
emotionalisierten Willkür der Postmoderne wird.“ Er befürchtet,
dass der Holocaust, wenn aus ihm universelle Wertmaßstäbe
abgeleitet werden, in seiner konkreten historischen Dimension
ausgeblendet, die Erinnerung umso radikaler abgewehrt und die
deutsche Täterschaft universalisiert würde. Damit würden aber
die Juden nicht mehr im Mittelpunkt der Erinnerung stehen, weil
die Erinnerung durch ahistorische und im Kern
geschichtsrevisionistische Vergleiche nun überall auf der Welt
die Gefahr sehe, Auschwitz könne sich wiederholen.
Wenigstens
hier wird klar, was Salzborn will: die umstrittene These von der
Einzigartigkeit des Holocaust retten.
Samuel
Salzborn
Kollektive
Unschuld.
Die Abwehr
der Shoa im deutschen Erinnern
Berlin/
Leipzig 2020,
ISBN
978-3-95565-359-0, 15 Euro |