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Hat Jakob Augstein der Mut
verlassen?
Sein Plädoyer für den Israel-Lobbyisten
Volker Beck ist ein Rückzug auf ganzer Linie
Arn Strohmeyer
Der Publizist Jakob Augstein ist einer
der renommiertesten deutschen politischen Kommentatoren,
weil er mutig und mit Zivilcourage die Dinge offen beim
Namen nennt, über die andere lieber beflissen schweigen.
Wenn der Berufsstand der deutschen Journalisten ins Gerede
gekommen ist, ihm kann man das am allerwennigsten anlasten.
Der Mann schreibt „links“ im besten Sinne, den das Wort im
politischen Sinne haben kann: aufklärend zu wirken.
Aufklärung heißt: keine Denkhemmungen oder –verbote zu
kennen, alles hinterfragen zu dürfen. Das Licht der Vernunft
soll in jeden Winkel scheinen, um Ideologien, Aberglaube,
Intoleranz, Vorurteile, soziale Ungerechtigkeit und
Unterdrückung zu hinterfragen und zu überwinden. In der Tat
ein hoher Anspruch, Jakob Augstein ist einer der wenigen
deutschen Publizisten, die das können, denn Aufklärung hat
in Zeiten wie diesen nicht gerade Hochkonjunktur.
Nun ergreift Jakob Augstein in einer
Kolumne engagiert und leidenschaftlich Partei für den grünen
Politiker Volker Beck, der in seinem Wahlkreis große
Probleme hat, einen sicheren Listenplatz für die nächste
Bundestagswahl zu bekommen. Mit anderen Worten: Er muss um
sein Bundestagsmandat fürchten. Das passiert anderen auch,
ist also eigentlich nichts Besonderes, sollte man meinen.
Aber interessant ist, wie Jakob Augstein sein Plädoyer für
Beck begründet:
„Ausgerechnet Beck! Er ist in der
deutschen Politik immer noch die wichtigste Stimme für die
Rechte der Homosexuellen. Er ist ein glaubwürdiger und
entschlossener Kämpfer gegen Rassismus und Antisemitismus.
Er setzt sich mit einer Leidenschaft, die nur noch wenige
Linke mobilisieren können, für ein gutes
deutsch-israelisches Verhältnis ein und hat gleichzeitig nie
gezögert, die israelische Siedlungspolitik zu kritisieren.
Kurz: Er gehört zum schmaler werdenden Rest seiner Partei,
der das bürgerliche Erbe der Grünen noch glaubwürdig
vertreten kann.“
Diese
schmeichelhaften Sätze schreibt derselbe Jakob Augstein, der
vor Jahren leidenschaftlich Günter Grass‘ Gedicht „Was
gesagt werden muss“ verteidigte, das die Lieferung deutscher
atomar aufrüstbarer U-Boote an Israel als Gefahr für den
Weltfrieden kritisierte. Augstein war einer der wenigen
Publizisten in Deutschland, die sich klar und deutlich ohne
Wenn und Aber hinter den Autor der „Blechtrommel“ stellten.
Außerdem hatte Augstein es in einer Kolumne gewagt, darauf
hinzuweisen, dass nicht nur der Islam ein Problem mit seinen
Fundamentalisten hat, sondern auch Israel. Er schrieb:
„Israel wird von den islamischen Fundamentalisten in seiner
Nachbarschaft bedroht. Aber die Juden haben ihre eigenen
Fundamentalisten. Sie heißen nur anders: Ultraorthodoxe oder
Charedim. Das ist keine kleine, zu vernachlässigende
Splittergruppe. Zehn Prozent der sieben Millionen Israelis
gehören dazu.“
Außerdem
kritisierte er, was Israel mit seiner Abriegelungspolitik
und seinen kriegerischen Überfallen im Gazastreifen
angerichtet hat: „Gaza
ist ein Ort aus der Endzeit des Menschlichen. 1,7 Millionen
Menschen hausen da, zusammengepfercht auf 360
Quadratkilometern. Gaza ist ein Gefängnis. Ein Lager. Israel
brütet sich dort seine eigenen Gegner aus.“ Später hatte er
geschrieben, dass es Parallelen zwischen der Regierung des
israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, dem
französischen Front National und der deutschen Alternative
für Deutschland (AfD) gebe. Wörtlich fügte er hinzu: „So
rechts wie die deutschen Rechtspopulisten ist die Regierung
von Benjamin Netanyahu allemal.“ Solche Äußerungen brachten
ihm 2012 Platz neun auf der Antisemiten-Liste des
Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles (SWZ) ein, die
diese Institution jedes Jahr herausgibt. 2015 wurde er
wieder auf der Liste unter der Kategorie „unehrenhafte
Erwähnungen“ geführt.
Das alles ist
reine Diffamierung oder Denunziation dieser ursprünglich so
verdienstvollen Organisation, die es sich zur Aufgabe
gemacht hatte, Nazi-Verbrecher zu aufzuspüren, die der
Justiz mit oder ohne Absicht entkommen waren. Heute jagt sie
„Antisemiten“ oder solche, die sie dafür hält, wobei das
einzige Kriterium die Antwort auf die Frage ist: Wie stehst
Du zu Israels Politik? Völkerrecht und Menschenrechte
spielen da keine Rolle, es gibt nur ein Für oder Gegen
Israel. Die Weltsicht des Wiesenthal-Zentrums ist
manichäisch in gut und böse aufgeteilt. Und da fand sich
Jakob Augstein plötzlich – wegen einer völlig berechtigten
Kritik an Israels Politik gegenüber den Palästinensern – auf
der Liste der zehn schlimmsten Bösewichte! Aber er reagierte
souverän: „Inzwischen
muss man einen solchen Vorwurf nicht mehr ernst nehmen. Im
Meer der hirn- und folgenlosen Injurien des Internets geht
auch diese Beschimpfung einfach unter.“
Seitdem hat er
das Thema Israel in seinen Kolumnen eher gemieden. Nochmal
will er sich offenbar nicht die Finger verbrennen, obwohl es
zu diesem Thema natürlich genug zu sagen und zu schreiben
gäbe. Aber nicht nur das, nun setzt er sich für einen der
rücksichtslosesten und aggressivsten Verteidiger der
israelischen Politik ein – eben für Volker Beck, den einen
Israel-Lobbyisten und fanatischen Zionisten zu nennen,
sicher zutrifft. Kaum jemand im Deutschen Bundestag ist so
schnell mit Antisemitismus-Vorwürfen bei der Hand wie er,
wenn es jemand wagt, im Zusammenhang mit Israels Politik von
Unrecht und sogar von Verbrechen zu sprechen. Eine
Unterscheidung zwischen Judentum, Zionismus und Israel und
damit auch die begriffliche Trennung zwischen Antizionismus
und Antisemitismus kennt er nicht. Allein die furchtbaren
Fakten der völkerrechts- und menschenrechtswidrigen
israelischen Vorgehens gegen die Palästinenser wahrzunehmen,
geschweige denn zu kritisieren, ist für ihn blanker schon
Antisemitismus. Ihm geht jede humane Empathie für die
wirklichen Opfer dieses Konflikts – die Palästinenser – ab.
Eine merkwürdige Position in einer Partei, die vorgibt, sich
für die Bürger- und Menschenrechte einzusetzen.
Für diesen
Mann macht sich nun Jakob Augstein stark und lobt seine
Haltung zu Israel in den höchsten Tönen. Wenn Volker Beck
nicht im nächsten Bundestag säße, wäre das für die deutsche
Politik kein großer Verlust, aber es wäre schade, wenn Jakob
Augstein es nicht mehr wagen würde, das, was in
Israel/Palästina geschieht, klar und deutlich beim Namen zu
nennen.
2.12.2016
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