Warnende Worte vor einem Armageddon im Nahen
Osten
Was der verstorbene israelische Publizist Uri
Avnery über einem möglichen Krieg der USA und
Israels mit dem Iran schrieb
Arn Strohmeyer -
8.01.2020
Die Kriegsgefahr im Nahen Osten ist durch die
Ermordung des iranischen Generals Suleimani
durch die USA noch nie so groß und bedrohlich
gewesen wie in diesen Tagen. Israels Politiker
sind seit Jahren zu einem solchen Krieg wild
entschlossen, ihnen kann es gar nicht schnell
genug damit gehen. Regierungschef Netanjahu
forderte immer wieder den Angriff auf den Iran.
Der frühere Verteidigungsminister Moseh Yaalon
schloss sogar einen Einsatz mit Atomwaffen gegen
diesen Staat nicht aus. Der prominente
israelische Historiker Ben Morris war auch das
noch nicht genug. Er befürwortete sogar einen
„nuklearen Genozid“ gegen den Iran.
Konnte der frühere US-Präsident Barack Obama –
aus welchen Gründen auch immer – die israelische
Kriegsentschlossenheit noch bremsen, betreibt
das äußerst provokative, aggressive und völlig
irrationale Vorgehen seines Nachfolgers Donald
Trump den Weg für ein Armageddon im ganzen Nahen
Osten. Was nicht verwundert, denn die
Nahost-Politik der USA und Israels verläuft
ohnehin völlig synchron.
In einer solchen brandgefährlichen Situation ist
es angebracht, sich der warnenden Einschätzung
des großen israelischen Publizisten Uri Avnery
zu erinnern, der im August 2018 gestorben ist.
Seine Analysen haben nichts von ihrer Aktualität
verloren. Er konstatiert zunächst, dass die
iranischen Mullahs nicht die im Westen so
dargestellten „unberechenbaren, irrational
handelnden“ religiösen Eiferer, sondern „sehr
nüchtern denkende Politiker“ sind – „vorsichtige
Kaufleute im Stil des Basars“. Jede
Dämonisierung sei grundfalsch. Mit anderen
Worten: Sie vertreten sehr rational ihre
nationalen Interessen, ohne unnötige Risiken auf
sich zu nehmen. Was einzig zählt, so Avnery, ist
die Geographie. Eine Einschätzung, die im
Übrigen auch der deutsche Nahost-Experte Michael
Lüders teilt: Die iranische Politik sei nicht
von religiösem Wahn bestimmt, sondern von der
nüchternen Wahrnehmung der Interessen des
Landes. Eine demokratische Regierung im Iran
würde nicht anders handeln als die zurzeit
regierenden Mullahs.
Die israelische Politik ist besessen von der
paranoiden Idee, dass die Iraner nur auf ein
Ziel zusteuern: Atombomben bauen und Israel
damit zerstören. Eine Befürchtung, die der
israelische Regierungschef Netanjahu immer
wieder geäußert und als Begründung für seine
kriegerischen Absichten gegen den Iran angeführt
hat. Für ihn und Israels politische Elite ist
das reine „Selbstverteidigung“. Avnery
bezeichnet das als den „Alptraum eines
ignoranten Dilettanten“. Gerade weil die
iranischen Führer „hartgesottene Realisten“
seien, würden sie niemals ein solches Risiko
eingehen, denn sie wüssten sehr genau über die
israelische Atommacht Bescheid und deren
Fähigkeit zum sofortigen Zweitschlag, der die
3000 Jahre alte persische Kultur vom Gesicht der
Erde auslöschen würde.
Deshalb hatte Avnery auch keine Angst vor der
iranischen Atombombe. Sie würde nicht das Ende
Israels bedeuten, sondern ein „Gleichgewicht des
Schreckens“ schaffen, wie damals, als es die
Welt auf der Höhe des kalten Krieges zwischen
Amerika und der Sowjetunion gerettet hätte.
Avnery findet ein solches Szenario höchst
unerfreulich, sieht darin aber keine
existentielle Bedrohung Israels. Er fragt: „Kann
man sich vorstellen, dass die gegenwärtigen
Führer des Iran nur daran denken, die Existenz
ihres Landes aufs Spiel zu setzen? Er antwortet:
„Diese Vorstellung, allein aus purem Hass auf
Israel geboren, ist lächerlich.“
Für die Dämonisierung der iranischen Führung
sieht Avnery also nicht den geringsten Anlass:
„Dafür gibt es absolut keinen Beleg. Seit ihrer
Revolution 1979 hat die iranische Führung nicht
einen einzigen bedeutenden Schritt getan, der
nicht absolut vernünftig war. Verglichen mit den
amerikanischen Fehltritten in der Region (von
den israelischen ganz zu schweigen), ist die
iranische Führung völlig logisch gewesen.“ Man
darf an dieser Stelle ergänzen: Seit Monaten
bombardieren die Israelis in Syrien und im Irak
iranische militärische Einrichtungen mit hohen
Verlusten an Menschen und Material. Wo war die
„Rache“ der Iraner?
Avnery erinnert im Zusammenhang mit Vorwürfen
einer iranischen „Expansion“ in die
Nachbarländer daran, dass es die USA gewesen
seien, die – „geführt von einem Haufen
neokonservativer Narren“ – 2003 den Irak
zerstört hätten, der viele Jahrhunderte lang der
arabischen Welt als Bollwerk gegen die iranische
Ausdehnung gedient habe. Erst durch die
amerikanische „Hilfe“ [der Zerstörung des Irak]
habe der Iran sein Einflussgebiet erweitern
können.
Es gibt – so Avnery – zwischen dem Iran und
Israel im Grunde keine Interessenkonflikte, also
etwa um Grenzen oder Ressourcen. Was ist dann
der Grund für den Hass? Avnery schreibt: „Der
Hass auf das ‚zionistische Regime‘ – den Staat
Israel – hängt mit dem Schicksal des
palästinensischen Volkes zusammen. Das Gefühl
der Solidarität mit den hilflosen Palästinensern
ist bei allen islamischen Völkern tief
verwurzelt. Es ist ein Teil der populären Kultur
bei ihnen allen. Sie ist ganz real, auch wenn
die politischen Regime diese Solidarität
missbrauchen, manipulieren oder auch ignorieren.
Da es keinen Grund für einen spezifischen Hass
gegen Israel gibt, gründet sich dieser nur auf
den israelisch-palästinensischen Konflikt. Was
heißt: Kein Konflikt – keine Feindschaft.“
Avnery hat sehr genau die Konsequenzen
abgewogen, die ein amerikanisch-israelischer
Angriff auf den Iran bedeuten würde: „Die erste
Reaktion würde das Blockieren der Meerenge von
Hormuz sein, die enge Durchfahrt, durch die fast
alles saudisch-arabische Öl und das der anderen
Golfstaaten, des Irak und des Iran, fließt. Die
Auswirkungen auf die Weltwirtschaft würden
katastrophal mit unvorstellbaren Preiserhöhungen
sein. Raketen aller Arten und Ursprünge würden
vom Iran, der Hisbollah und der Hamas auf Israel
herabregnen. Das Leben von uns allen würde in
Gefahr sein. Die ganze Region wie auch die
Weltwirtschaft würden ins Chaos geraten, für das
jeder Israel anklagen würde. Und das würde nur
der Anfang sein…“
Uri Avnerys Texte waren eine einzigartige und
unersetzliche Stimme der Vernunft und der
Humanität in von politischer Hysterie und
Kriegsstimmung bestimmten Zeiten.
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