Wider
die Hysterie um die Kritik an Israels Politik
Abi
Melzer klagt in seinem neuen Buch die Zionisten und
ihre Anhänger als Erfinder des „neuen
Antisemitismus“ an
Arn Strohmeyer
Abi
Melzer ist ein Überzeugungstäter, aber im besten
aufklärerisch-humanen Sinne. Dieser deutsch-jüdische
Publizist und Verleger kämpft an vielen Fronten, um
immer wieder seine Botschaft unter die Leute zu
bringen: Der Zionismus (die israelische
Staatsideologie, die die Politik dieses Staates
bestimmt) ist von seinem Wesen und seinen Taten her
ein inhumaner Siedlerkolonialismus. Er war von
Anfang an darauf angelegt, einen „exklusiv jüdischen
Staat“ auf dem von einem anderen Volk bewohnten
Boden Palästinas aufzubauen. Dieses Aufbauwerk war
nicht ohne eine ethnische Säuberung (die Nakba)
möglich, die 1948 vor, während und nach der
Staatsgründung von den Zionisten durchgeführt, im
Krieg von 1967 fortgesetzt wurde und auch heute noch
– wenn auch mit differenzierteren Mitteln – in
vollem Gange ist. Denn das Ziel ist immer dasselbe:
einen homogenen, rein jüdischen Staat zu schaffen.
Dieses große Unrecht,
das mit Israels Aufstieg dem palästinensischen Volk
mit der Vertreibung von 800 000 Menschen, der
Enteignung seines Landes und der Zerstörung seiner
Kultur angetan wurde, verdrängt das offizielle
Israel bis heute. Schuldgefühle den verachteten
Palästinensern gegenüber hat es nie gegeben und gibt
es auch heute nicht, obwohl man sie mit einer
brutalen Besatzungspolitik im Westjordanland und
einer totalen Abriegelung im Gazastreifen
unterdrückt und sich ständig weiter ihr Land
aneignet. Dass ein solches Vorgehen gegen
Völkerrecht und Menschenrechte verstößt,
interessiert die israelische politische Elite nicht.
Gott hat ihnen laut Bibel das Land geschenkt,
argumentieren selbst säkular eingestellte Israelis.
Außerdem fügt man hinzu: Wir haben den Holocaust
durchgemacht, uns ist alles erlaubt!
Die überaus starke
Militärmacht Israel (die viertstärkste der Welt),
die von den USA und Europa (gerade auch von
Deutschland) getragen wird, macht eine solche
Politik möglich. Über die Beurteilung dieser Praxis
der gewaltsamen Herrschaft über ein anderes Volk ist
aber auch das internationale Judentum zutiefst
gespalten. Dem radikalen Nationalismus der
Zionisten, der auch starke chauvinistische Züge hat
und von einem radikalen religiösen Messianismus
unterstützt wird, stehen die Universalisten
gegenüber, die sich auf die besten humanistischen
Traditionen der jüdischen Religion und der
Aufklärung berufen und die Einhaltung von
Menschenrechten und Völkerrecht fordern. Der Streit
zwischen diesen beiden Parteien wird erbittert und
mit allen Mitteln geführt. Der britisch-jüdische
Philosoph Brian Klug sieht in dieser
Auseinandersetzung eine tiefe Krise des Judentums,
bei der sich der Staat Israel als der Fels
herausstellen könnte, an dem das Judentum
auseinanderbrechen kann.
Abi Melzer ist einer
der prominentesten Vertreter des jüdischen
universalistisch-politischen Denkens in Deutschland,
sein Antipode als Vertreter der ultra-zionistischen
Denkweise ist der Publizist Henry M Broder. Der
Gegensatz zwischen ihren beiden Positionen prägt in
Deutschland weitgehend die Auseinandersetzung um
Israel und den Antisemitismus. Die universalistische
Auffassung, die Melzer mit Vehemenz vertritt,
besagt, dass der „alte Antisemitismus“ nach der
Vernichtung des europäischen Judentums durch die
Nazis (Holocaust) tabuisiert und geächtet ist und
nur noch randständig existiert und deshalb
eigentlich unbedeutend ist.
Der Zionismus hat aber
eine neue Form des „Antisemitismus“ kreiert und
konstruiert: den sogenannten gegen Israel
gerichteten „Antisemitismus“, auch
„Israelantisemitismus“ genannt. Er besagt: Israel
ist ein jüdisches Kollektiv und jede Kritik an
seiner Politik ist antisemitisch. Dem widersprechen
die Universalisten – und damit auch Melzer – sehr
heftig. Sie sagen: Das ist ein Trick, eine Taktik,
die Israel und seine Anhänger und Verteidiger hier
anwenden, um die Verbrechen, die der zionistische
Staat mit seiner brutalen Besatzung, Unterdrückung
und Landraub an den Palästinensern begeht, zu
verschleiern.
Um ihr Konstrukt des
Antisemitismus und den permanent eingesetzten
Antisemitismus-Vorwurf aufrechtzuerhalten und
durchhalten zu können, müssen die Zionisten einen
weiteren Trick anwenden: Sie trennen nicht die
Begriffe Judentum, Zionismus und Israel und auf der
anderen Seite Antisemitismus, Antizionismus und
Kritik an Israel. Letzteres bedeutet immer Kritik an
Israels Politik, aber nicht an seiner Existenz.
Kritik an Israels Politik ist so gesehen in den
Augen der Zionisten immer „Antisemitismus“, ein
diffamierender und verleumderischer Vorwurf, der die
Israel-Kritiker ins Mark treffen soll bis zur
Zerstörung ihrer Existenz, denn heute als Antisemit
dazustehen, ist ein schlimmer Makel.
Hier setzt Abi Melzer
in seinem neuen Buch „Die Antisemitismus-Macher.
Deutschland, Israel und die neue Rechte“ an, mit
dem er das zionistische Argumentationsgebäude direkt
angreifen will, seine fragwürdigen Begriffe und
Vorgehensweisen hinterfragen und Ross und Reiter
nennen, die die Attacken mit der
Antisemitismus-Keule vorbringen. Seine Botschaft,
die er in seinem Buch verkündet, formuliert er so:
Antisemit ist derjenige, der Juden hasst und
vernichten will, nur weil sie Juden sind. Aber heute
hat sich die Situation durch das Einwirken der
Zionisten geradezu umgekehrt. Ein Antisemit ist
jetzt derjenige, den Juden hassen und vernichten
wollen. Dieser „neue Antisemitismus“ wird vom
Zionismus und seinen Verteidigern künstlich erzeugt
und propagandistisch verbreitet – zu dem einzigen
Zweck, um von Israels Politik gegenüber den
Palästinensern abzulenken und jede Debatte über
diese Politik im Keim zu ersticken.
Zionismus definiert
Melzer als eine kolonialistische Ideologie aus dem
19. Jahrhundert, die eng verbunden ist mit
imperialistischer Expansion, mit der Unterdrückung
eines anderen Volkes, mit permanenter Okkupation von
Land und mit der Vertreibung der indigenen
Bevölkerung mit der Absicht, das ganze Land mit
Juden zu besiedeln. Antizionismus ist die
Gegnerschaft gegen diese Ideologie, aber nicht gegen
das Judentum, das ursprünglich eine Stammesreligion
war, im Laufe seiner Entwicklung aber auch
universelle Werte entwickelt hat, die die Geschichte
der Menschheit stark beeinflusst haben. Melzer
zitiert immer wieder den jüdischen Rabbi Hille mit
dem Satz: „Tue Deinem Nachbarn nicht an, was Du
nicht willst, dass man es Dir antut!“ Zionismus ist
mit seinem überaus starken Nationalismus, der eher
an die alte partikularistische Stammestradition
anknüpft, vom universalistisch verstandenen Judentum
also abzugrenzen, was die Zionisten natürlich
bestreiten, da sie behaupten, alle Juden der ganzen
Welt zu vertreten.
Melzer schreibt, dass
die Zionisten heute mit großem Aufwand, der an
Hysterie grenzt, versuchen, die Öffentlichkeit mit
aller Macht zu überzeugen, dass „Antizionismus“
nichts anderes ist als „Antisemitismus“ im neuen
Gewand. Er nennt die Organisationen, Gruppen und
Einzelpersonen in Deutschland, die diese Hysterie
schüren, deckt ihre Methoden des Vorgehens auf und
wirft ihnen vor, durch ihr intolerantes Auftreten
die im Grundgesetz verbürgte Meinungsfreiheit zu
bedrohen – ein Wesenselement jeder Demokratie. Man
kann ihr Vorgehen auch als totalitär bezeichnen,
weil sie sich im Besitz der alleinigen, absoluten
Wahrheit wähnen und eine Sonderstellung
beanspruchen, die sie dazu nutzen, die Kritiker der
israelischen Politik (also die Universalisten) an
jeder politischen Entfaltung zu hindern.
Melzers Buch endet mit
einem Appell, Mut und Zivilcourage zu zeigen, nicht
zu schweigen und gegen diese neue Form des
Totalitarismus aufklärerisch vorzugehen. Er fragt:
„Wieso haben wir in Deutschland eine Debatte über
Antisemitismus statt einer Debatte über Israels
Kriegsverbrechen? Wieso gibt es seit Jahren Seminare
über Antisemitismus, aber keine Seminare über das,
was in Hebron und den besetzten Gebieten, vor allem
auch in Gaza passiert?“ Und: „Jeder sollte sich
dessen bewusst werden, dass eine Debatte über den
Nahost-Konflikt nichts mit Antisemitismus zu tun
hat, sondern allein mit Fragen des Völkerrechts, der
UNO-Charta, den Genfer Konventionen, die leider von
den Israelis tagtäglich verletzt werden, und damit,
dass man darüber reden darf und soll und auch eine
eigene Meinung haben darf.“
Da man in Deutschland
natürlich keine Debatte über Juden, Israel und
Antisemitismus führen kann, ohne den Holocaust zu
erwähnen, schließt Melzer sein Buch mit einem Zitat
des deutsch-jüdischen Psychologie-Professors Rolf
Verleger, das als Motto über Melzers ganzem Text
stehen könnte. Verleger hatte an seine zionistischen
Gegner, die permanent mit dem Antisemitismus-Vorwurf
operieren, geschrieben: „Was Sie ‚Antisemitismus‘
nennen und was in Wirklichkeit scharfe Kritik an
Israel ist, sind die richtigen Konsequenzen aus der
Hitler-Katastrophe: Gegen Unrecht aufzustehen, einem
Unrecht, an dem wir in Deutschland mitverantwortlich
sind, da wir unsere Unfähigkeit, adäquat mit der
jüdischen Minderheit umzugehen, den Menschen in
Palästina aufgehalst haben.“
Nach der Lektüre von
Melzers Buch kann man das Resümee ziehen: Dieses
Buch war überfällig: Endlich erhebt hier einer mutig
die Stimme gegen die verlogenen philosemitischen
Ideologen, die alles tun, um mit dem
Antisemitismus-Vorwurf Israels völkerrechts- und
menschenrechtswidrige Politik gegenüber den
Palästinensern zu verschleiern und damit dem Kampf
gegen den wirklichen Antisemitismus einen äußerst
schlechten Dienst erweisen.
Abraham Melzer: Die
Antisemiten-Macher. Deutschland, Israel und die neue
Rechte, Westend Verlag Frankfurt/ Main, ISBN
978-3-86489-183-0, 18 Euro
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