„Hier wird Israel pauschal
diffamiert“
Die Bremer
Evangelische Kirche legt sich
mit Demonstranten für einen
gerechten Frieden Im Nahen Osten
an
Arn Strohmeyer
Sie stehen jeden
Samstag von 11,30 bis 12,30 Uhr
vor dem Bremer Dom, um mit ihren
Transparenten und Flugblättern
gegen Israels Besatzungspolitik,
die Unterdrückung der
Palästinenser und für einen
gerechten Frieden im Nahen Osten
zu demonstrieren. Neuerdings ist
auch noch die Warnung vor einem
Angriff Israels auf den Iran
dazu gekommen, der einen
Flächenbrand in der Region, wenn
nicht eine Weltkatastrophe
auslösen kann. Es sind Menschen,
die aus den verschiedensten
politischen Richtungen kommen
(Friedensbewegung, christlichen
Gruppen - allein fünf Pastoren
gehören dazu!) und Bremer
Bürger, die politisch nicht
gebunden sind, sondern einfach
nur „Flagge zeigen“ wollen.
Diese
samstäglichen Auftritte passen
aber einigen Mächtigen in der
sonst als so „weltoffen“
gepriesenen Hansestadt ganz und
gar nicht - vor allem der Bremer
Evangelischen Kirche (BEK). Da
der Dom und Gelände drum herum
ihr Besitz ist, verbot sie unter
„Berufung auf ihr Hausrecht“ den
Demonstranten zunächst, auf den
Treppenstufen der Kirche zu
stehen und dort ihre
Friedensforderung vorzubringen.
Was die Demonstranten zur
Kenntnis nahmen und sich mit
ihren Transparenten vor
die Treppenstufen stellten. Aber
auch dieser Schritt blieb für
die Kirchenverantwortlichen ein
Ärgernis, eine Provokation,
fürchten sie doch, mit dieser
wöchentlichen Friedenskundgebung
irgendwie in Verbindung gebracht
zu werden, da sie sich eben
unmittelbar vor dem Dom - dem
„kirchlichen Wahrzeichen der
Stadt - abspielt.
Inzwischen ist
die Situation beträchtlich
eskaliert. Auf ihrer Webseite
unterstellt die BEK den
Demonstranten „eine pauschale
Diffamierung des gesamten
israelischen Volkes“,
„Demagogie“, „verbale und
inhaltliche Entgleisungen“ und
„Stimmungsmache“. Konkrete
Beispiele für diese Vorwürfe
nennt die BEK nicht. Sie bekennt
sich andererseits zu Dialog und
Verständigung, hat jedoch nie
Kontakt zu den Demonstranten
gesucht, um mit ihnen die
Nahost-Problematik zu erörtern.
Vor allem der
Friedensbeauftragte der BEK,
Martin Warnecke, und der
Schriftführer der Bremischen
Kirche, Renke Brahms, der
zugleich Friedensbeauftragter
der Evangelischen Kirche
Deutschlands (EKD) ist, gelten
was den Nahen Osten angeht als
absolut unbelehrbare
Israel-Lobbyisten. In diesen
Kreisen herrscht nach Angaben
von Insidern die Auffassung vor:
Israel ist ein Land im
Belagerungszustand und das
eigentliche Opfer der
Auseinandersetzung. Man müsse
deshalb bedingungslos hinter
Israel stehen.
Ein Israel-Bild,
das schon bei Gründung des
Staates falsch war. Denn nicht
Araber haben Israelis davon
gejagt, sondern Israelis haben
800 000 Palästinenser - die
Hälfte dieses Volkes! -
vertrieben und ihre Gesellschaft
und Kultur zerstört. Die
Israelis handelten dabei nach
der Devise des Begründers des
Zionismus, Theodor Herzl, der
schrieb, die Palästinenser
müssten „weggeschafft“ werden.
Der Zionistenführer Chaim
Weizmann (nach 1948 Israels
erster Staatspräsident) hatte
schon 1917 verächtlich über die
Palästinenser geäußert: „Es gibt
hier [in Palästina] zwar ein
paar 100 000 Neger, aber das ist
eine Angelegenheit, die nicht
weiter von Bedeutung ist.“
Hätten die Bremer
Kirchenvertreter einmal in das
wichtige Buch des israelischen
Militärhistorikers Zeev Maoz „Defending
the Holy Land“ geschaut, wüssten
sie, dass Israel alle Kriege,
die es bisher geführt hat, auch
begonnen hat - in der Absicht,
sein Staatsgebiet zu erweitern
und die Palästinenser endgültig
von allen Ansprüchen auf das
Land auszuschalten. Schon acht
Jahre nach der Staatsgründung
führte Israel den ersten Krieg
gegen ein arabisches Land, als
es 1956 zusammen mit
Großbritannien und Frankreich
Ägypten überfiel und dabei den
Sinai eroberte, den es dann auf
Druck der USA wieder herausgeben
musste. Mit anderen Worten: Die
These vom friedlichen Israel,
das von den Arabern bedroht
wird, ist unhaltbar. Welches
arabische Land sollte die
Atommacht Israel schon bedrohen?
In den
Kirchenkreisen ist man der
Meinung, man dürfe Israel unter
keinen Umständen „einseitig“
verurteilen und zum „Feindbild“
machen. So formulierte es jetzt
Pastor Uwe Ihssen vom Bremer
Forum Kirche. Nun geht es gar
nicht um die Erstellung von
„Feindbildern“, sondern um das
schlichte Aussprechen
historischer und politischer
Wahrheiten. Ihssens Feststellung
läuft auf die unhaltbare
Zwei-Seiten-Theorie hinaus, die
besagt, dass man Israel erstens
aus den bekannten Gründen
grundsätzlich in Schutz nehmen
müsse. Und zweitens begingen die
„anderen“ ja schließlich auch
Unrecht. Diese Theorie will aber
die konkreten Fakten nicht
wahrhaben, dass es einen
gravierenden Unterschied
zwischen dem Besatzer und den
Besetzten, zwischen dem
Vertreiber und den Vertriebenen,
zwischen dem Unterdrücker und
den Unterdrückten, zwischen dem
Landräuber und den Enteigneten
gibt. Zudem: Israel ist ein
wirtschaftlich und militärisch
sehr starker Staat. Er verfügt
über Atomwaffen und eine
blühende
Hightech-Rüstungsindustrie und
erhält ständig die neueste
Waffentechnik aus den USA und
Deutschland. Die Palästinenser
haben nichts dergleichen:
eingesperrt hinter der Mauer in
ihren winzigen Enklaven haben
sie kein Land, keinen Staat,
keine Armee. Die
palästinensische Bevölkerung ist
den israelischen Attacken völlig
wehrlos ausgeliefert. Zum Beleg
siehe die Bilanz des
Gaza-Krieges 2008/09: 1400 Tote
und tausende Verletzte auf
palästinensischer Seite, elf
Tote auf Israels Seite, von
denen die meisten noch durch
eigenes Feuer umgekommen sind.
Diese totale Asymmetrie sollte
man doch auch in Kirchenkreisen
wahrnehmen.
Erstaunlich ist,
dass die Vertreter der BEK auch
die permanenten Verstöße Israels
gegen die Menschenrechte, das
Völkerrecht, UNO-Resolutionen
und Urteile sowohl des
Europäischen Gerichtshofes als
auch des Internationalen
Gerichtshofes in Den Haag
überhaupt nicht zur Kenntnis
nehmen. Man steht eben in
unverbrüchlicher Treue hinter
Israel. Die „Neger“, vermutlich
weil sie mehrheitlich Muslime
sind, spielen da offenbar keine
Rolle. Auch das Judentum und
Zionismus sehr verschiedene
Dinge sind, die es fein
säuberlich auseinanderzuhalten
gilt, ist in diesen
Kirchenkreisen offenbar noch
nicht angekommen. Dass es in der
Evangelischen Kirche auch ganz
andere Positionen gibt, soll
hier nicht unerwähnt sein. Aber
den Bremer Verantwortlichen
scheint es vor allem an
Informationen über den Konflikt,
Einsicht und Mut zu fehlen.
Zudem: Dass man Israel mit der
Unterstützung seiner völlig
verfehlten und desaströsen
Politik gar nicht hilft, sondern
dazu beiträgt, es in
allerhöchste Gefahr zu bringen
und seine Zukunft zu aufs Spiel
zu setzen, in diesen
Kirchenkreisen will das offenbar
niemand wahrhaben. An dem Satz,
dass die wahren Antisemiten
diejenigen sind, die Israels
selbstmörderischen politischen
Kurs befürworten, ist ja etwas
dran.
Die BEK hat
inzwischen für ihre Kampagne
gegen die Friedensdemonstranten
einen mächtigen Verbündeten
gefunden: den Präsidenten der
Bremischen Bürgerschaft
(Landesparlament) Christian
Weber (SPD), der auch ein
fanatischer Israel-Freund ist.
Den Präsidenten stört, dass auf
dem Bremer Marktplatz (wenige
Schritte vom Dom entfernt)
permanent sehr lautes
Veranstaltungsgetriebe herrscht,
das von kommerziellen
Darbietungen, Rockkonzerten,
Straßenmusik bis zu politischen
Kundgebungen reicht. Besucher
von außerhalb reagierten oft
„verstört“ auf das Geschehen
zwischen Dom und Marktplatz,
heißt es. Eine Verordnung oder
ein Gesetz soll jetzt Abhilfe
schaffen. Bei der Gelegenheit
könnte man die Demonstranten für
einen gerechten Nahostfrieden
auch gleich von ihrem Stammplatz
vor dem Dom verjagen. Nicht
undenkbar, denn im Rathaus und
bei den etablierten Bremer
Parteien gelten die
Demonstranten ohnehin als
lupenreine „Antisemiten“. Für
die Boykottaktion von Produkten
aus den besetzten
palästinensischen Gebieten, die
völkerrechtswidrig mit dem Label
„Made in Israel“ ausgezeichnet
sind (ein klarer Verstoß gegen
ein Urteil des Europäischen
Gerichtshofes) hat sich der
Bremer Bürgermeister Jens
Böhrnsen bei seinem Besuch in
Bremens Partnerstadt Haifa
offiziell bei den Israelis
entschuldigt.