Wie man eine
couragierte Israel-kritische Journalistin mundtot machen will
Die Lobby-Gruppe „WerteInitiative“ holt zum großen Schlag gegen
Bettina Marx aus, aber die Attacke geht ins Leere
Arn
Strohmeyer
Bisher hat
man von der Gruppe „WerteInitiative. Deutsch-jüdische
Positionen“ nicht viel gehört, aber nun will sie offenbar mit
einer gezielten Attacke auf die Presse- und Meinungsfreiheit in
Deutschland auf sich aufmerksam machen. Ziel ist die
Journalistin Bettina Marx, eine sehr kompetente Vertreterin
ihres Berufes, die sehr genau weiß, wovon sie spricht und
schreibt, denn sie ist Historikerin, Islamwissenschaftlerin und
promovierte Judaistin. Sie hat lange in Israel als
Korrespondentin gearbeitet und ist jetzt Leiterin der
Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah.
Aber das ist
gerade der entscheidende Punkt: Solche Experten, denen man
nichts vormachen kann, sind für die Anhänger und Verteidiger der
israelischen Politik gefährlich und deshalb soll sie mundtot
gemacht werden. So fordert denn die „WerteInitiative“ in einem
Offenen Brief an die Leitung der Stiftung die Entlassung von
Frau Marx. Aktueller Anlass war ein Gast-Kommentar von ihr für
die Deutsche Welle, in dem die Journalistin kein Blatt vor den
Mund genommen und sehr realistisch die erschreckenden Zustände
der israelischen Besatzung geschildert hatte, unter denen die
Palästinenser zu leiden haben: Unterdrückung, Rechtlosigkeit,
Enteignung, Gewalt und Elend. Man darf aber annehmen, dass den
Freunden Israels die Arbeit von Bettina Marx schon lange
missfällt und man ebenso lange einen Vorwand gesucht hat, gegen
sie vorzugehen.
Was die „WerteInitiative“-Autoren
des Offenen Briefes an politischen und historischen Argumenten
gegen die Journalistin vorbringen, um sie aus ihrer Stelle zu
jagen, ist so falsch, so kümmerlich und fern jeder Realität,
dass man sich fragen muss, woher diese Leute den Mut nehmen, mit
solchen Argumenten an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber ihre
Absicht ist auch gar nicht, mit Argumenten zu überzeugen (das
gelingt ihnen sicher nur bei völlig ahnungslosen Zeitgenossen),
sondern eine völlig neue Wirklichkeit über den
Palästina-Konflikt aus dem Hut zu zaubern, die mit der Realität
wenig oder nichts zu tun hat. Ein solches Vorgehen ist schon
lange die Praxis der israelischen Staatspropaganda (Hasbara),
der bei ihrer Arbeit jedes Mittel recht ist.
Ein Beispiel
für solche Propaganda: Der israelische Publizist Uri Avnery hat
gerade anlässlich der Demonstrationen der im Gazastreifen von
der israelischen Blockade eingeschlossenen Palästinenser an der
Grenze zu Israel beschrieben, wie die israelischen Medien diese
Vorgänge dargestellt haben: Avnery bringt diese Art der
Berichterstattung schlicht auf den Begriff: „Gehirnwäsche“. Und
„Gehirnwäsche“ kann – so Avnery – nur funktionieren, „wenn die
offizielle Stimme das Monopol besitzt“, das heißt, wenn es in
den Medien keine alternative Darstellung gibt. Denn die
Demonstranten hätten sich weitgehend friedlich verhalten, seien
in den Medien aber so gut wie ausnahmslos als Gewalttäter und
„Terroristen“ dargestellt worden.
Avnery fügt
noch an, dass alle Palästinenser des Gazastreifens (besonders
natürlich die Hamas, die 2006 demokratische Wahlen in den
Palästinenser-Gebieten gewonnen hat) in den israelischen Medien
nicht nur bei dieser Gelegenheit, sondern täglich als
„Terroristen“ dämonisiert werden. Avnery schreibt: „Dass diese
Ausdrücke Tag für Tag unzählige Male wiederholt werden, stellt
eindeutig eine Gehirnwäsche dar: Es ist ein Vorgang, den die
Bürger nicht bemerken. Sie gewöhnen sich daran zu glauben, alle
Bewohner Gazas seien Terroristen (hebräisch: mechablim). Das ist
ein Prozess der Entmenschlichung, im Nazijargon wurden
Menschengruppen ‚Untermenschen‘ genannt. Es ist erlaubt, ja
wünschenswert, Entmenschlichte zu töten.“
In diesem
Stil argumentieren auch die „WerteIniative“-Autoren, wenn sie
schreiben: „Mit keinem Wort wird von Frau Marx erwähnt, dass es
der Terror der Hamas ist, der oftmals Frauen und Kinder in die
vordersten Linien der Kampfhandlungen zwingt. Dass wer sich dem
widersetzt, auch schon mal vom Hochhaus geworfen oder per Seil
hinter dem Motorrad hergezerrt wird.“ Außerdem behaupte die
Autoren, dass die Hamas (was sie auch öffentlich eingestehe)
möglichst viele eigene Opfer zu Werbezwecken produziere. Diese
Behauptungen sind genauso infam wie die in Israel verbreitete
Version, die Hamas habe den Demonstranten Geld bezahlt, damit
sie an der Grenze protestierten. Wer lässt sich schon freiwillig
gern für ein paar Dollar erschießen?
Der
israelische Schriftsteller David Grossmann hat sich schon vor
Jahren über die israelische Mediensprache sehr abfällig
geäußert: „Ein Staat in Aufruhr erfindet ein neues Vokabular für
sich. Israel ist nicht der erste Staat, der das tut, (...) aber
es ist empörend, Zeuge der allmählichen Entstellung zu werden.
Nach und nach wird eine neue Gattung rekrutierter,
betrügerischer Worte entwickelt: Worte, die ihre ursprüngliche
Bedeutung verloren haben, Worte, die die Realität nicht
beschreiben, sondern zu kaschieren suchen.“ Eine solche Art der
Medienberichterstattung über den Palästina-Konflikt wünscht sich
wohl ganz offensichtlich die „WerteInitiative“, und in einer
solchen gleichgeschalteten Medienlandschaft hat natürlich eine
kritische Journalistin wie Bettina Marx nichts zu suchen. Da
braucht man nur noch „gehirngewaschene“ Jasager. Hier ein paar
Beispiele für die Geschichtsklitterung dieser Initiative.
Da wird
kritisiert, dass Bettina Marx in ihrem Kommentar geschrieben
habe, dass Israel sich 1967 das Westjordanland und den
Gazastreifen „angeeignet“ habe. Dabei werde verschwiegen, dass
Jordanien respektive Ägypten sich diese Gebiete zuvor
„angeeignet“ hätten. Die „WerteInitiative“-Autoren verschweigen,
dass Israel dabei sogar Hilfestellung geleistet hat. Denn vor
dem Arabisch-Israelischen Krieg 1948/49 hatte Israel mit dem
jordanischen König Abdallah ein Geheimabkommen mit dem Inhalt
abgeschlossen, dass die jordanischen Truppen (vor allem die
stärkste arabische Armee – die jordanische Legion) nicht in die
Kämpfe mit Israel eingreifen würden. Als Lohn für dieses
Stillhalten sollte Abdallah das Westjordanland bekommen, das er
dann in der Tat annektiert hat.
Auch wenn
über den Völkerrechtscharakter dieser Annexion Zweifel bestehen
mögen, folgte daraus für Israel überhaupt keine Legimitation,
dieses Gebiet für sich zu erobern. Dass der Zionistenführer und
erste israelische Regierungschef David Ben Gurion ständig davon
sprach, Transjordanien (also das heutige Jordanien), Teile des
Irak und des Libanon dem jüdischen Staat einzuverleiben, können
die „WerteInitiative“-Autoren in der gerade erschienen Ben
Gurion-Biographie des israelischen Historikers Tom Segev
nachlesen.
Ähnlich
unkorrekt und unvollständig sind die Angaben der Autoren über
den Gazastreifen. Diese Region gehörte bis 1948 zum britischen
Mandatsgebiet Palästina (das Mandat endete 1948). Im
Waffenstillstandabkommen nach dem Arabisch-Israelischen Krieg
von 1949, das auch Israel unterzeichnet hat, kam der Streifen
unter ägyptische Kontrolle, er wurde von Kairo aus verwaltet,
aber nicht annektiert, er behielt einen autonomen Status.
Erobert wurde der Gazastreifen dann von den israelischen Truppen
im Suez-Krieg 1956, die sich aber auf Druck der USA und der
Sowjetunion wieder zurückziehen mussten. Israel eroberte das
Gebiet dann erneut im Juni-Krieg 1967.
Denn stellen
die Autoren die eindeutig falsche Behauptung auf, dass Israel
Anfang der 90er Jahre bei den Verhandlungen zu den
Oslo-Verträgen den Palästinensern 97 Prozent der umstrittenen
Gebiete (meinen sie damit die besetzten Gebiete?) angeboten
hätten, die Palästinenser aber abgelehnt hätten. Das wäre ja
(wenn es wirklich um die besetzten Gebiete gegangen wäre) ein
Traumangebot für die Palästinenser gewesen, das sie niemals
zurückgewiesen hätten. Denn nach dem für die Araber verlorenen
Oktober-Krieg von 1973 (Jom-Kippur-Krieg) hatten die
Palästinenser eine Wende in ihren politischen Zielen vollzogen
und einer Teilstaat-Lösung – also der Schaffung eines
palästinensischen Staates aus dem Westjordanland und
Gazastreifen – zugestimmt, womit sie sich mit 22 Prozent des
ursprünglichen Palästinas zufrieden gegeben hätten, Israel hat
diese Lösung bis heute immer wieder abgelehnt. 2002 hatte die
Arabische Liga sie – mit voller Anerkennung Israels durch alle
arabischen Staaten – noch einmal angeboten, Israel hat auf
diesen Vorschlag gar nicht reagiert.
Dann werfen
die Autoren Bettina Marx vor, dass sie sich gar nicht dafür
interessiere, dass der Friedensprozess nicht weitergehe. Der
Grund: Die diversen palästinensischen Führer betonten ständig
auf Neue, dass sie einzig und allein das komplette Verschwinden
des jüdischen Staates zufrieden stellen könne. Das sei für
Bettina Marx „Folklore“ oder noch schlimmer „Recht“. Hier wird
mit einer dreisten Lüge Stimmung gegen die Journalistin gemacht.
Alle palästinensischen Führer (siehe oben) haben sich längst mit
der Realität Israel abgefunden und sind bereit, auf 78 Prozent
ihres Landes zu verzichten, wenn Israel der Zwei-Staaten-Lösung
aus Westjordanland und Gazastreifen zustimmen würde. Selbst die
Hamas hat 2006 (als sie die freien Wahlen in Rest-Palästina
gewonnen hat) und danach dieser Lösung zugestimmt, wenn die
Palästinenser sie in einem Referendum gutheißen würden. Nur:
Israel will diese Lösung nicht, es wird sie nicht geben.
Die Zionisten
wollten immer das ganze Palästina und Land darüber hinaus mit
möglichst wenigen oder gar keinen Arabern bzw. Palästinensern –
auch das ist in der Ben Gurion-Biographie nachzulesen. Und die
Regierung von Benjamin Netanjahu ist fest entschlossen, „Judäa“
und „Samaria“ (also das Westjordanland) zu annektieren. Seine
Partei (der Likud) hat das auf einem Parteitag schon offiziell
beschlossen. Und die Absicht, die Palästinenser endgültig aus
ihrer Heimat zu vertreiben (sie nennen das verschleiernd
„Transit“), haben die Zionisten noch nicht aufgegeben. Selbst
mehrere Minister (etwa Lieberman und Bennet) fordern dies immer
wieder.
Man könnte
weitere Falschbehauptungen der „WerteInitiative“ anführen, die
sie als Vorwürfe gegen Bettina Marx vorbringen. Etwa den
merkwürdigen Satz: „Auch die schwierige bauliche Gemengelage in
der Westbank mit gegenseitig von Palästinensern und Israelis als
illegal bezeichneten Siedlungen ist nichts, was in das
einseitige Argumentationsbild von Frau Marx gepasst hätte.“ Das
klingt ja so, als ob die Palästinenser auf israelischem Gebiet
illegale Siedlungen bauen würden! Grotesker oder absurder geht
es nun wirklich nicht! Mit Völkerrecht, UNO-Resolutionen,
Internationalem Recht und Gutachten des Internationalen
Gerichtshofes (IGH), nach denen die israelischen Siedlungen im
Westjordanland, illegal sind, haben die Autoren gar nichts im
Sinn. Deshalb gehen sie auch gar nicht darauf ein, das könnte
schlafende Hunde wecken.
Auch die
Aussage von Bettina Marx, es gebe ein ‚Volk der Palästinenser‘
schon seit Jahrtausenden stößt auf die Ablehnung der Autoren,
nach ihrer Ansicht hat es in Palästina immer nur Juden gegeben,
womit sie die immer noch umstrittene Gründung des jüdischen
Staates in einem von einem anderen Volk bewohnten Land
rechtfertigen wollen. Historische Tatsache ist aber (ohne das
hier im Detail ausführen zu können), dass sehr viele Völker im
Laufe der Geschichte in Palästina ansässig waren – die Juden
waren nur eins davon. Dass sie 2000 Jahre dann in dieser Region
so gut wie nicht anwesend waren, belegt die Statistik: 1882 (der
Zeitpunkt, zu dem etwa die zionistische Besiedlung begann) gab
es in Palästina 426 000 Araber (94,7 Prozent) und 24 000 Juden
(5,3 Prozent), wobei letztere streng religiöse Juden waren, also
keine Zionisten. Ob sie einen jüdischen Staat hier gewollt
haben, wissen wir nicht. Nicht gerade eine exzellente
Legitimation, die einheimisch arabische Bevölkerung zu
vertreiben und dort einen eigenen Staat zu gründen!
Man kann sich
eigentlich die Mühe sparen, auf die unseriösen und abstrusen
Behauptungen der „Werte-Initiative“-Autoren einzugehen, etwa
dass Gaza kein Besatzungsgebiet, sondern quasi ein eigener Staat
mit voller Autonomie sei. Warum hält Israel dann eine
vollständige Blockade dieses Gebietes zu Land, zu Wasser und in
der Luft aufrecht, unter der niemand es verlassen oder einreisen
darf und Israel bestimmt, was an Lebensmitteln, Baumaterial,
medizinischen Gütern usw. eingeführt werden darf? Und jedes
Schiff abgefangen wird, das Hilfe bringen will? Oder die
Behauptung, dass die in Israel lebenden Palästinenser nicht
diskriminiert würden. Oder die Behauptung, dass das jüdische
Volk überall auf der Welt um sein Überleben kämpfe. Wo und in
welchem Land sind Juden heute ernsthaft gefährdet?
Israel hat
großartige Historiker und politische Analytiker, die solche
propagandistischen zionistischen Gemeinplätze, wie sie die
Autoren des Offenen Briefes anführen, in allen Einzelheiten
längst widerlegt haben. Dieses Pamphlet belegt nur, in welch
argumentative Beweisnot der Zionismus mit seiner verfehlten
Politik inzwischen geraten ist. Einer so kompetenten
Journalistin wie Bettina Marx kann eine solche Schmutzkampagne
gar nichts anhaben. Und Heinrich Böll, der der Stiftung den
Namen gegeben hat, bei der Bettina Marx arbeitet, würde sich im
Grabe umdrehen, wenn er lesen müsste, wie da ein Zitat von ihm
von den „WerteInitiative“-Leuten missbraucht wird. Der Satz
heißt: „Es gibt israelische Kritik an Israels Politik genug. Es
gibt so wenig Kritik an und in den arabischen Staaten an deren
Politik gegenüber Israel.“ Das Zitat stammt aus dem Jahr 1978
und mag aus der aktuellen damaligen Situation heraus
verständlich sein, heute würde der Literatur-Nobelpreisträger
den Besatzungs- und Apartheidstaat Israel sicher ganz anders
beurteilen.
21.06.2018 |