Und wo bleibt die Kontrolle über Israels
Atomwaffen?
Das
Abkommen mit dem Iran ist nur ein „Schrittchen“ zu mehr
Sicherheit im Nahen Osten
Arn
Strohmeyer
Natürlich
ist es positiv zu bewerten, wenn ein Staat auf den Bau
von Atomwaffen verzichtet und sich internationalen
Kontrollen unterstellt. Dennoch zeugt es von einer sehr
einseitigen Sicht der Dinge, wenn das mit dem Iran
ausgehandelte Abkommen in den westlichen Medien als
„großer diplomatischer Erfolg“ und „Schritt zum Frieden
im Nahen Osten“ bezeichnet wird. Der Vertrag, der den
Iran zwingt, sein Atomprogramm um 95 Prozent
zurückzufahren , sieht eher nach einem Diktat aus als
nach einer „freiwillig“ eingegangenen Vereinbarung. Die
Jahre langen Sanktionen haben dem Land offenbar so
zugesetzt, dass den Mullahs das Wasser inzwischen bis
zum Hals steht und sie einlenken mussten. Wobei die
Frage unbeantwortet bleibt, ob der Iran wirklich die
Bombe bauen wollte, selbst der Mossad und die CIA hatten
daran Zweifel geäußert.
Was das
ausgehandelte Abkommen in so schlechtem Licht erscheinen
lässt, ist die einseitige Schieflage, die totale
Ungerechtigkeit, die es zum Inhalt hat. Der Westen teilt
die Welt seit langem in die Guten und die Bösen ein. Die
Guten – das sind natürlich die USA und Europa, die
vorgeben, für Demokratie und Menschenrechte zu stehen.
Die Moral ist natürlich immer auf ihrer Seite. Die Bösen
– das sind die „anderen“, nach dem Zusammenbruch des
Kommunismus wurden die Islamisten in diese Rolle
gedrängt, auch wenn man vermutlich den gesamten Islam
meint. Die Guten verteufeln die Bösen und maßen sich das
Recht an, sie – wann immer sie wollen – auch zu
bestrafen. Nach diesem Muster hat der Westen den Iran
behandelt, und viel von dieser Sicht steckt auch in dem
jetzt vereinbarten Abkommen.
Man muss
aber fragen: Wer bedroht hier eigentlich wen? Seit 20
Jahren behaupten israelische Politiker, der Iran plane
einen neuen Holocaust – eben an Israel und seinen
Menschen. Israels Regierungschef Netanjahu hat immer
wieder öffentlich einen Angriff auf den Iran gefordert.
Als Begründung gab er 2012 an, Israels Lage sei mit der
der Juden in Auschwitz in den 1940er Jahren
vergleichbar, und die Ablehnung der USA, Israel bei
diesem Vorhaben zu unterstützen, sei mit der Weigerung
der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, die Zufahrtswege
nach Auschwitz zu bombardieren, gleichzusetzen. Dem
setzte der israelische Kriegsminister Moshe Yaalon jetzt
noch einen drauf, als er ankündigte: „In gewissen
Fällen, wenn chirurgische Operationen [gegen den Iran]
nicht ausreichen, könnte Israel Maßnahmen ergreifen, wie
sie die Amerikaner in Nagasaki und Hiroshima unternommen
haben.“ Der renommierte Völkerrechtler Norman Paech
fragte daraufhin: „Ist dieser Mann von Sinnen oder
schlicht ein internationales Sicherheitsrisiko?“
Genau
diese Gefahrenlage spielte aber bei den Verhandlungen zu
dem Atom-Abkommen überhaupt keine Rolle. Zu
berücksichtigen wäre ja bei der Beurteilung der
Gesamtsituation auch: Der Besitz von Atomwaffen bedeutet
ja noch lange nicht die Absicht, sie auch wirklich
einsetzen zu wollen. Es käme dann zu einem Gleichgewicht
des Schreckens ähnlich wie im Kalten Krieg, was aber
noch gar keine Bedrohung für Israel bedeuten würde. Der
Führung in Teheran wird dabei in völlig unberechtigter
Weise ein aggressiver Irrationalismus unterstellt, der
voraussetzt, dass man dort nicht wüsste, dass man mit
einem atomaren Erstschlag gegen Israel die eigene
Vernichtung riskiere. Zudem: Wenn der Iran Israel
wirklich atomar angreifen würde, müsste er ein
muslimisches Volk (die Palästinenser) und die
zweitheiligsten Stätten des Islam mit vernichten – warum
sollten die Iraner das wollen? Es scheint eher so zu
sein, dass die manipulative Panikmache Israels das Ziel
verfolgt, das eigentliche Kernproblem dieses Staates,
den Konflikt mit den Palästinensern, aus dem Bewusstsein
der Weltöffentlichkeit zu verdrängen.
Es war
Israel, das sich zuerst Atomwaffen anschaffte und damit
den nuklearen Rüstungswettlauf in dieser Region
einführte. Es ist absurd, den Iran zu dämonisieren, ihm
die Rolle des Bösen zuzuschieben und völlig
außerachtzulassen, was der israelische Journalist Gideon
Spiro so beschreibt: „Heute schätzt man, dass Hunderte
von Atom- und Wasserstoffbomben in Israels Besitz sind,
dazu Langstrecken-Raketen vom Typ ‚Jericho‘, die mit
nuklearen Sprengköpfen ausgerüstet werden können. Dem
muss die Produktion von chemischen und biologischen
Waffen aus dem biologischen Institut Nes Ziona bei Tel
Aviv hinzugefügt werden. Zusammengefasst: Israel ist
eine atomare Großmacht, deren Arsenal größer ist als das
von China, Großbritannien und Frankreich. Israel ist zu
einem Pulverfass von Massenvernichtungswaffen geworden.
Es gibt keinen anderen Staat der Welt, in dem auf so
kleinem Territorium eine so riesige Menge von nuklearen,
biologischen und chemischen Waffen gelagert sind.“
Es sind
vor allem strategische Gründe, die die USA und Israel
veranlassen, das Massenvernichtungspotenzial des
jüdischen Staates nicht in internationale Verhandlungen
mit einzubeziehen. Israel besitzt seit langem die
atomare Erstschlagskapazität, die aus Deutschland
gelieferten und mit atomaren Mittelstreckenraketen
bestückten Dolphin-U-Boote sichern ihm jetzt obendrein
auch die Zweitschlagskapaziät, da sie unmittelbar vor
der Küste des Iran operieren können. Israels Ziel ist es
also, sein nukleares Monopol in der Region mit allen
Mitteln aufrechtzuerhalten. Der Politologe Mohssen
Massarat beschreibt Israels Ziel so: „Ihm geht es im
Atomkonflikt mit dem Iran offensichtlich nicht um die
Verhinderung eines neuen Holocaust und auch nicht um
größtmögliche Sicherheit, sondern in erster Linie darum,
den machtpolitischen Status quo, also sowohl die
Besatzungsmacht wie aber auch das nukleare Monopol in
der Region, weiterhin beizubehalten. Israels
zionistische Elite scheint ihren ideologischen Traum von
‚Erez Israel‘ [Groß-Israel] immer noch nicht ausgeträumt
zu haben.“ Und die deutsche Politik leistet dabei treue
Dienste. Die USA wollen natürlich die Vorherrschaft über
die Region mit ihren großen Öl- und Gasreserven nicht
verlieren und stehen deshalb rückhaltlos hinter Israel.
Genau
diese Machtkonstellation spiegelt das jetzt
ausgehandelte Abkommen mit dem Iran wieder: Der Iran
wird in die atomaren Schranken gewiesen, Israel darf
weiterhin alles. Es ist höchst zweifelhaft, ob das
wirklich ein Schritt zum Frieden ist, weil es den
anderen Hauptakteur mit seinem hochgefährlichen
Atomwaffenpotenzial völlig ausgeklammert. Die
internationale Gemeinschaft darf Israel aber keine
Sonderrolle zubilligen. Erst ein Abkommen, das auch für
Israels Atomwaffen Transparenz und internationale
Kontrollen schafft und letztlich die Abschaffung aller
Massenvernichtungswaffen in der Region regelt, wäre ein
wirklich Schritt zu Frieden dort.
15.07.2015