Arn
Strohmeyer sprach mit dem palästinensischen
Politiker
Die Fatah und die Hamas
verhandeln seit einiger Zeit in Kairo über einen
Annäherung ihrer Positionen. Noch im Dezember
soll ein Abkommen unterzeichnet werden. Wie weit
sind die Positionen beider Parteien noch
auseinander?
Die letzten Gespräche haben eine
große Annäherung zwischen den Standpunkten
beider Organisationen gebracht. Am 20. Dezember
werden weitere Gespräche stattfinden. Man will
bei dieser Gelegenheit auch feststellen, was die
gemeinsamen Beschlüsse im Westjordanland und im
Gazastreifen inzwischen bewirkt haben und welche
ungelösten Probleme es noch gibt. Ich denke,
dass beide Seiten mit offenem Herzen und offenen
Köpfen in diese Gespräche gehen und entsprechend
arbeiten werden. Der Wille zur Lösung der
Probleme ist vorhanden. Wir sind uns bewusst,
wie gefährlich der Zustand der Palästinenser
ist, wenn ihre Einheit nicht wieder hergestellt
wird.
Im Mai hatte man sich ja schon
auf ein gemeinsames Abkommen geeinigt und es war
vereinbart worden, dass eine gemeinsame
Regierung gebildet werden sollte. Wahlen sollten
innerhalb eines Jahres stattfinden. Wird dieser
Zeitplan eingehalten?
Dieser Zeitplan ist nicht
einzuhalten, aber alle Punkte darin werden
weiter festgehalten. Man hat sich darauf
geeinigt, dass die Regierung Anfang des Jahres
gebildet werden soll. Bei uns gab es viel
Bewegung und Unruhe, deshalb kam es zu
Verzögerungen. Wir hatten den Aufnahmeantrag in
die UNO eingereicht. Deshalb konnten wir keine
Änderungen in der Regierung vornehmen. Aber die
neue Regierung wird bald kommen. Sie wird die
Aufgabe haben, die Parlaments- und
Präsidentenwahlen vorzubereiten.
Wird das eine Regierung von
Experten sein?
Ja, sie wird aus Experten
bestehen wie die neue Regierung in Italien. Nur
eine solche Regierung kann den anstehenden
Prozess erleichtern.
Wer wird Premierminister
werden?
Das steht noch nicht fest, aber
man wird sich einigen, weil dies nicht mehr das
vorrangige Problem ist. Wir sind nicht mehr
unter Zeitdruck.
Die PLO wollte auch eine
Reform ihrer Organisation durchführen. Die Hamas
ist in der PLO ja nicht vertreten. Wird es die
Reform geben?
Die Reform der PLO ist eine
Notwendigkeit, ob die Hamas ihr angehört oder
nicht. Wir denken seit Jahren, dass die PLO in
allen ihren Institutionen reformiert werden
muss. Es gibt in diesen Institutionen eine
gewisse Stagnation. Die Hamas hat aber die
Mitgliedschaft in der PLO gar nicht beantragt.
Die Reform der PLO ist deshalb so notwendig,
damit sie weiter die einzige legitime Vertretung
unseres Volkes bleibt und ihren Glanz nicht
verliert.
In Tunesien und Ägypten haben
Islamisten die Wahlen gewonnen. Könnte das auch
in Palästina der Fall sein?
Die Entwicklung bei uns ist
anders. Die Hamas hat 2006 die Wahlen in der
Westbank gewonnen, weil wir in unserer Regierung
nicht gut vorbereitetet waren. Die Fatah war
damals auch schlecht organisiert. Wir sind zu
schnell in die Wahlen gegangen, ohne uns darauf
eingestellt zu haben. Die Zustände in der Fatah
waren chaotisch. Das ist heute völlig anders.
Wir haben die Partei reformiert. Wir hatten 2009
einen Parteitag in Bethlehem. Die Fatah ist
heute wieder in der Lage, das Vertrauen der
Bevölkerung zu gewinnen. In Gaza haben die
Menschen ihre Erfahrungen mit der Hamas als
Regierung gemacht. Deshalb wird die Hamas nicht
mehr die gleiche Stimmenzahl bekommen wie 2006.
Wie weit werden die
Veränderungen im arabischen Raum Einfluss auf
Israel, aber auch auf den Nahost-Konflikt haben?
Die Vorgänge im arabischen Raum
werden sich nicht zugunsten Israels auswirken.
Die Tatsache, dass die Bevölkerung in den
arabischen Ländern mehr Einfluss gewinnt und
sich mehr an der Politik beteiligt, hat zur
Folge, dass nicht wie bisher ein Präsident oder
eine Institution allein die Politik dort
bestimmt. Die Demokratie eröffnet die
Möglichkeit, dass jetzt die Bevölkerung in ihrer
Gesamtheit ihre Interessen vertreten kann. Die
Menschen in diesen Ländern lehnen aber die
Politik ab, die Israel in Palästina und in der
Umgebung betreibt. Deshalb wird Israel nicht von
den Veränderungen des arabischen Frühlings
profitieren. Das hat man auch bei den
Demonstrationen gegen die israelische Botschaft
vor einigen Wochen in Kairo gesehen. Viele
Menschen sind auch dagegen, dass die
Wirtschaftsverträge zwischen Israel und Ägypten,
die vor der Revolution abgeschlossen wurden und
Israel sehr begünstigen, weiter bestehen.
Wird Ägypten die Grenze zum
Gazastreifen völlig öffnen?
Teilweise ist sie schon geöffnet,
früher war sie ja ganz geschlossen. Die Grenze
war ja richtig befestigt. Die Menschen haben
dann immer mehr Tunnel gebaut, um eine
Verbindung nach außen zu haben. Die Ägypter
haben das erleichtert. Jetzt ist die Grenze
schon durchlässiger.
Einen Angriff Israels auf den
Iran kann man nicht mehr ausschließen. Was wären
die Folgen für den Nahen Osten?
Das wäre eine Katastrophe für die
ganze Welt. Wer gibt Israel das Recht, den Iran
anzugreifen? Wenn es der Grund für einen solchen
Angriff wäre, dass der Iran den Bau einer
Atombombe anstrebt - was machen die Israelis
seit Jahren? Sie haben mehr als 400 atomare
Sprengköpfe. Das ist allgemein bekannt. Mit
ihren U-Booten können sie von jedem Winkel der
Erde aus ihre atomaren Raketen abschießen.
Israel hat nicht das Recht, den Weltpolizisten
zu spielen. Der frühere US-Präsident George W.
Bush hat 2002 den Irak angegriffen, weil dieser
angeblich Atomwaffen besaß. Wie sich
herausgestellt hat, war das eine Lüge. Bush hat
nur einen Vorwand gesucht, den Irak zu
attackieren. Wir haben die schrecklichen Folgen
gesehen, was im Irak alles passiert ist. Die
Welt darf diesen Wahnsinn nicht unterstützen.
Was aber nicht heißt, dass ich als Person oder
als palästinensischer Politiker hinter Irans
angeblichem Streben nach Atomwaffen stehe. Wir
wünschen uns eine atomwaffenfreie Zone im
gesamten Nahen Osten - im Iran aber auch in
Israel.
Die Beziehungen Deutschlands
zu den Palästinensern waren schon einmal besser.
Bundeskanzlerin Angela Merkel pflegt ja sehr
enge Beziehungen zu Israel. Wie ist der Stand
der Beziehungen der Bundesregierung zu
Palästina?
Die Beziehungen sind weiterhin
gut. Wir sind aber nicht zufrieden mit der
Haltung der Bundeskanzlerin in zwei Punkten.
Erstens hat sie Israels Regierungschef Netanjahu
unterstützt, um die PLO daran zu hindern, die
Mitgliedschaft in der UNO zu bekommen. Das war
nicht nötig. Zweitens hat sie auch unsere
Aufnahme in die UNESCO nicht unterstützt. Wir
haben jetzt unsere Flagge vor dem UNESCO-Gebäude
in Paris gehisst. Diese Organisation ist eine
kulturelle und keine militärische Institution.
Da hätte ich mir gewünscht, dass Deutschland auf
der Seite der Kultur und der Zivilisation
gestanden, also in diesem Fall die Palästinenser
unterstützt hätte.
Was bringt die Aufnahme in die
UNESCO für die Palästinenser für Vorteile?
Wir haben immer Vorteile davon,
wenn wir von den Organisationen der UNO
anerkannt werden. Wir sammeln jetzt bei solchen
Gelegenheiten Pluspunkte. Diese Pluspunkte
werden sich mit der Zeit addieren und insgesamt
eines Tages viel wirkungsvoller sein als das
Vetorecht einer Supermacht.
Zunächst wird der
palästinensische Antrag auf die
UNO-Mitgliedschaft aber an dem Vetorecht der USA
scheitern. Wie soll der Prozess weitergehen?
Wir werden alle Institutionen
meiden, in denen es zu einer Konfrontation mit
den USA kommt. Wir werden aber mit unserem
Antrag in die UNO-Generalversammlung gehen, in
der wir eine Mehrheit haben, denn die meisten
Staaten auf der Welt setzen sich für die
Schaffung eines Palästinenser-Staates ein. Wir
werden auch immer wieder das zitieren, was der
jetzige US-Präsident Barack Obama nach seinem
Amtsantritt in einer Rede in Kairo gesagt hat.
Nämlich, dass die Bildung eines
palästinensischen Staates im nationalen
Interesse der USA liege. Er hat auch die
israelische Siedlungspolitik als Hindernis für
den Frieden in der Region bezeichnet, die
deshalb sofort gestoppt werden müsse. Wenn er
sich davon inzwischen distanziert hat, dann
bedeutet das nicht, dass er mit seiner
Feststellung nicht Recht gehabt hätte. Man muss
ihn immer wieder daran erinnern.
Der israelische Historiker
Moshe Zimmermann entwirft folgendes Szenario:
Die UNO-Generalversammlung stimmt dem
palästinensischen Antrag auf Mitgliedschaft zu,
daraufhin beginnen die Palästinenser in den
besetzten Gebieten mit Demonstrationen, auf die
Israel äußerst gereizt reagiert, während die
Siedler dafür sorgen, dass die Situation außer
Kontrolle gerät. Halten Sie das für möglich?
Das könnte so sein, müsste aber
nicht so sein. Zimmermann analysiert die
Entwicklungen in der israelischen Gesellschaft
in der Regel sehr gut. Er sieht auch die
Ausweitung des Treibens der Siedler als große
Gefahr an. In diesem Punkt hat er Recht. Ich
hoffe, dass die Zahl der Israelis, die so denkt
wie er, immer größer wird.
Am Ende Ihres neuen Buches
schreiben Sie, dass Sie sicher sind, dass die
Lösung des Konflikts mit Israel - also der freie
und souveräne palästinensische Staat - kommen
wird. Ist diese Annahme angesichts der
Kräfteverhältnisse im Nahen Osten wirklich
realistisch? Woher nehmen Sie diesen Optimismus?
Wenn ich heute daran denke, was
ich in den vergangenen Jahren alles erlebt habe,
was vor kurzem noch undenkbar schien, und dass
man jemanden für verrückt erklärt hätte, der das
vorausgesagt hätte - etwa den Fall der Mauer,
die deutsche Einheit und den Frühling in den
arabischen Ländern, so kann man nichts mehr
ausschließen. Als die Revolution in Ägypten
begann, habe ich ein Interview gegeben und habe
mich da eher vorsichtig und ausgewogen geäußert.
Da sagte mein Sohn zu mir: „Du stehst auf der
falschen Seite. Es gibt eine Entwicklung, die
räumt alles weg, sie bekommt eine Eigendynamik.“
Er hat Recht behalten. Ich glaube jetzt an diese
Entwicklung. Die Welt verändert sich sehr
schnell. Unrecht ist immer nur von kurzer Dauer,
auch wenn es mal 10, 20 oder 30 Jahre währt. Das
ist historisch gesehen eine sehr kurze
Zeitspanne. Das wird sich auch in Palästina
bewahrheiten genauso wie in Europa. Man hat dort
lange nicht glauben können, dass man eine
Europäische Union mit Staaten aus West und Ost
zusammenbündeln kann, zwischen denen es keine
Grenzen mehr gibt. Das wird auch in Palästina so
sein.
Abdallah Frangi: Der Gesandte.
Mein Leben für Palästina. Hinter den Kulissen
der Nahost-Politik, Heyne-Verlag München 2011,
19,80 Euro, ISBN 978-3-453-19354-3