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Mit der UNO auf Kriegsfuß
Völkerrecht und die Vereinten Nationen haben Israel
noch nie besonders interessiert
Arn Strohmeyer
Die UNO-Vollversammlung hat Palästina den
Beobachterstatus zuerkannt – ein wichtiger Schritt auf dem
Weg zur Selbstbestimmung für die Palästinenser. Denn diese
enthält man ihnen seit Jahrzehnten vor, obwohl sie in der
Charta der Vereinten Nationen eindeutig verbürgt ist. Und
Israel hat alles getan, dass es so bleibt, denn es ist ein
unumstößliches Dogma der zionistischen Politik, die
Kontrolle über dieses Volk nicht aus der Hand zu geben.
Sicherheit geht über alles, und da spielen die Interessen
anderer Völker oder Menschen keine Rolle. Das kommt auch im
Verhältnis Israels zur UNO zum Ausdruck. Man kann es auf die
einfache Formel bringen: die Vorteile mitnehmen, die
Nachteile ignorieren oder anderen überlassen.
Das begann schon am 29. November 1947, als
die Generalversammlung über die Teilung Palästinas
abstimmte. Dieses Votum, auf das sich Israel bis heute zur
Legalisierung des Staates vor allem beruft, ist immer noch
höchst umstritten. Es gab damals hinter den Kulissen ein
reges Intrigenspiel, da für die Annahme des Antrages eine
Zwei-Drittel-Mehrheit nötig war. Die zionistische Lobby
verstärkte mit Hilfe der USA den Druck auf proarabische
UN-Mitglieder. Massive Einschüchterungen, ökonomische
Hilfszusagen an Entwicklungsländer und Druck der USA auf
abhängige Staaten wie Liberia, die Philippinen und Haiti
bewirkten, dass einige Staaten „umfielen“ und für den Antrag
stimmten. So hielt der philippinische Delegierte noch eine
flammende Rede gegen die Teilung, um Stunden später bei der
Schlussabstimmung dafür zu stimmen. Mit 33 gegen 13 Stimmen
bei zehn Enthaltungen wurde die Teilung Palästinas in einen
jüdischen und einen palästinensischen Staat (Resolution 181)
beschlossen. Mit Ausnahme der von den USA abhängigen Länder
sprach sich kein Staat der Dritten Welt für die Teilung aus.
Hätte die Abstimmung einige Jahre später stattgefunden,
nachdem viele neue Staaten in der Dritten Welt ihre
Unabhängigkeit erlangt hatten, wäre wohl ein solcher
Beschluss nicht mehr möglich gewesen.
In seinem Inhalt war er in höchstem Maß
ungerecht. Er sah vor, dass die Zionisten, obwohl sie nur
5,6 Prozent des palästinensischen Bodens besaßen und nur ein
Drittel der Bevölkerung stellten (1 364 330 Araber und 608
500 Juden) 56,47 des palästinensischen Landes bekommen
sollten, wobei darin die fruchtbaren Teil der Küstenebene
enthalten waren. Für die Palästinenser – also zwei Drittel
der Bevölkerung – blieben nur 42,8 Prozent des Landes. Etwa
ein Prozent war der internationalen Zone um Jerusalem
vorbehalten. Die Aufteilung enthielt weitere kuriose
Ungerechtigkeiten. So machte im südlichen Bezirk der
Bersheeba-Region der jüdische Bevölkerungsanteil weniger als
ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus, dennoch sollte sie
zum jüdischen Staat kommen.
Da die Palästinenser in die europäischen oder
amerikanischen Pläne und Beschlüsse, die über ihre Heimat
verfügten, in keiner Weise einbezogen waren, sahen sie sich
auch nicht verpflichtet, sie anzuerkennen und ihre
Durchsetzung zu unterstützen. In der Politik der großen
Mächte hatten die Araber Palästinas schlicht keine Rolle
gespielt. Die Araber und die Palästinenser hatten also gute
Gründe, den UNO-Beschluss abzulehnen, weil er die arabische
Seite in jeder Beziehung benachteiligte. So ist dieser
Beschluss denn auch bis heute unter Völkerrechtlern in
seiner Rechtsverbindlichkeit umstritten. Sie geben folgende
Argumente an:
1. Die Vereinten Nationen sind bei jeder
ihrer Entscheidungen an ihre eigene Charta gebunden. In
Artikel 1 heißt es aber ausdrücklich, dass das „Prinzip
gleicher Rechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker“
respektiert werden“ müsse. Außerdem heißt es dort, dass
„Rücksicht auf die politischen Aspirationen der Völker zu
nehmen“ sei. Der Teilungsbeschluss verstößt so gesehen
eindeutig gegen beide Rechtsprinzipien der UNO. Oder anders
gesagt: Die UNO hat gar nicht das Recht, einen Staat zu
schaffen, solch eine Entscheidung kann nur durch den freien
Willen des betroffenen Volkes getroffen werden. Die
Palästinenser sind aber zu keinem Zeitpunkt gefragt worden,
ihnen wurde die Teilung ihres Landes regelrecht
aufgezwungen.
2. Kapitel XII der UNO-Charta ermächtigt die
UNO-Generalversammlung zwar, über Treuhandgebiete zu
entscheiden. Palästina befand sich jedoch zum Zeitpunkt der
Abstimmung über den Teilungsplan im November 1947 nicht
unter treuhänderischer Verwaltung der UNO. Sie war deshalb
auch nicht befugt, rechtsverbindliche Entscheide über das
Gebiet zu treffen.
3. In der Bestimmung des Völkerbundes, die
Großbritannien das Mandat für Palästina erteilte, hieß es,
dass der Völkerbund Palästina die Unabhängigkeit geben will
und dass Großbritannien das palästinensische Volk auf seine
Unabhängigkeit vorbereiten soll. Die Zielsetzung des Mandats
war also, Palästina in einen unabhängigen Staat zu
verwandeln. Wörtlich heißt es dort: „Das Ziel des Mandats
ist, dem palästinensischen Volk administrativen Rat und
Hilfe zu erweisen, bis es fähig sein würde, allein zu
regieren.“ Von Bedingungen, die den Palästinensern dabei
auferlegt würden, war nicht die Rede. Der Auftrag des
Mandats ist nicht umgesetzt worden.
4. Gegen die hier dargelegten Argumente kann
auch nicht die Balfour-Deklaration angeführt werden. Denn
auch sie ist ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht,
da sie keine Befragung der Palästinenser enthält. Der
Begriff der jüdischen Heimstätte, von der dort die Rede ist,
kann nicht mit dem Versprechen der Schaffung eines
„jüdischen Staates“ gleichgesetzt werden, der letztgenannte
Begriff kommt in der Balfour-Erklärung und in der
Formulierung des Mandats nicht vor. Den Arabern war zudem in
mehreren Erklärungen der Engländer und Franzosen die
Unabhängigkeit versprochen worden. Alle diese Versprechen
wurden nicht eingehalten.
5. Der UNO-Beschluss wurde für undurchführbar
gehalten, weil er die Palästinenser bei der Landvergabe
massiv benachteiligte. Da die Palästinenser vornehmlich die
unfruchtbaren Gebiete bekamen, die Zionisten aber die besten
und ertragreichsten Böden in den Küstenebenen, wäre ein
solcher Palästinenserstaat nicht lebensfähig gewesen, da sie
als landwirtschaftlich orientiertes Volk ihre
Hauptexistenzgrundlagen verloren hätten.
Im Westen wurde es als ganz
selbstverständlich angenommen, dass die Araber in Palästina
ihre eigenen Interessen zurückstecken und ihr Land hergeben
würden, um die von den Europäern begangenen Verbrechen an
den Juden wiedergutzumachen. Sollten die Araber aber dazu
wirklich verpflichtet sein? Hätten nicht die Deutschen als
Tätervolk Land hergeben müssen? Der amerikanisch-jüdische
Historiker und Politologe Noam Chomsky hat für diesen
Sachverhalt einen treffenden Vergleich gefunden: „Wenn
jemand in das Haus eines anderen eindringt, es in Besitz
nimmt und dem Hausbesitzer als ‚fairen Ausgleich‘ ein Zimmer
anbietet, wird der Besitzer von solcher Großzügigkeit auch
dann nicht hingerissen sein, wenn der Eindringling
heimatlos, verarmt und verfolgt ist.“
Israel hat nach dem UNO-Teilungsbeschluss
alles getan, um seine Realisierung zu verhindern, d. h. es
nicht zur Schaffung eines Palästinenser-Staates kommen zu
lassen. Schon im Dezember 1947 hat es mit der ethnischen
Säuberung Palästinas und der Eroberung der für den
palästinensischen Staat bestimmten Gebiete begonnen.
Außerdem hatte es mit König Abdallah von Jordanien ein
Geheimabkommen geschlossen, in dem festgelegt war, dass das
Westjordanland ihm zugesprochen werden sollte. Im einzelnen
ist das nachzulesen bei den beiden israelischen Autoren Ilan
Pappe: „Die ethnische Säuberung Palästinas“ und Simcha
Flappan: „Die Geburt Israels“.
Israel wies alle Verhandlungsvorschläge
arabischer Regierungen über die Annexion der Gebiete, die
dem palästinensischen Staat zugedacht waren, zurück. Der
erste Ministerpräsident Israels, Ben Gurion, verlangte, dass
nicht nur die im Teilungsplan festgelegten Grenzen, sondern
auch die danach eroberten anerkannt werden müssten. Die UNO
schickte den schwedischen Grafen Folke Bernadotte als
Vermittler in den Nahen Osten. Ihm war bewusst, dass die
Lage, die der Teilungsbeschluss geschaffen hatte, die ganze
Region destabilisieren würde. Er forderte deshalb eine
Lösung für das palästinensische Flüchtlingsproblem, den
Status von Jerusalem und die Frage der von Israel besetzten
Gebiete. Die UNO verabschiedete die Resolutionen (194 und
196), die genau das zum Inhalt hatten.
Auf der Friedenskonferenz in Lausanne im
April 1949 stimmte Israel zu, über diese Punkte zu
verhandeln. Im Mai desselben Jahres beschloss die UNO eine
Resolution (273), mit der Israel in die UNO aufgenommen
wurde. Sie machte diesen Schritt aber von der Umsetzung der
Resolutionen 181 (Aufteilung des palästinensischen Gebietes
nach dem Teilungsplan) und der Resolution 194 (Rückkehr der
Flüchtlinge) abhängig. Sobald Israel die Aufnahme in die UNO
erreicht hatte, war es nicht mehr bereit, über die beiden
Punkte zu verhandeln. Der UNO-Vermittler Bernadotte wurde am
18. September 1948 von israelischen Soldaten ermordet. Damit
wollte man verhindern, dass seine Lösungsvorschläge über die
Grenzen des jüdischen Staates und die Flüchtlingsfrage
überhaupt auf die Tagesordnung internationaler Verhandlungen
kämen. (Interessant ist: Im Flur des UNO-Hauptgebäudes in
New York ist eine Gedenktafel für Graf Bernadotte
angebracht, auf der vermerkt ist, dass er durch einen
Terroranschlag ums Leben gekommen sei. Die Mörder und ihre
Nationalität, die eindeutig feststehen, werden aber nicht
erwähnt.)
In den Jahrzehnten danach waren die
UNO-Resolutionen, die Israels Aggressionen gegen die
Palästinenser (und die Nachbarstaaten) verurteilten und die
Schaffung eines palästinensischen Staates legitimierten,
Legion. Die wichtigste war wohl nach dem Krieg von 1967 die
Resolution 242 vom 22.11.1967, die Israel auffordert, sich
aus den im Krieg eroberten Gebieten zurückzuziehen und eine
gerechte Lösung des Flüchtlingsproblems zu erreichen. Diese
Resolution wurde mehrmals erneuert, Israel hat sie aber wie
so viele andere in den Wind geschlagen. Sie wurde nicht
umgesetzt. Im Gegenteil: Israel baute seine errichteten
Siedlungen im Westjordanland immer weiter aus – ein klarer
Verstoß gegen das Völkerrecht, denn in Artikel 49, Absatz 6
der Vierten Genfer Konvention heißt es: „Die Besatzungsmacht
darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von
ihr besetzte Gebiet deportieren und entsenden. Die UNO
bestätigte dieses Gebot in der Resolution 446 vom 22. März
1979 noch einmal ausdrücklich.
Das Streben der Palästinenser nach einem
Staat ist also klar im internationalen Recht verankert. Dazu
gehört auch das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes
in den Haag aus dem Jahr 2004, das die Siedlungspolitik im
Westjordanland und den Bau der Mauer, soweit er auf
palästinensischem Gebiet stattfindet, für illegal erklärte.
Da Israel einem – wenn auch sehr zweifelhaftem -
UNO-Beschluss seine Existenz verdankt, kann man es nur als
Doppelmoral, besser als blanke Heuchelei bezeichnen, wenn es
nun selbst zusammen mit den USA und ein paar anderen Staaten
mit allen Mitteln – Druck, Versprechen und Drohungen – die
Anerkennung Palästinas durch die Vollversammlung zu
verhindern suchte. Das Szenario erinnert an die Kämpfe und
Intrigen hinter den Kulissen 1947 in New York.
Dabei bekennen sich die genannten Staaten in
großen Worten ständig zur Zwei-Staaten-Lösung und zum
Frieden im Nahen Osten. Geht es aber um Schritte zur
Realisierung – wie Druck auf Israel auszuüben oder die
Anerkennung Palästinas jetzt in der UNO – will niemand mehr
etwas davon wissen. Verhandlungen, Verhandlungen und
nochmals Verhandlungen würden die Lösung bringen, heißt es.
Als ob vor Oslo und danach nicht Jahre lang verhandelt
worden ist – mit dem Ergebnis, dass für die Palästinenser
die Lage immer schlechter wurde und Israel in gewaltigen
Dimensionen seine Siedlungen auf gestohlenem Land weiter
ausgebaut hat, was die Zwei-Staaten-Lösung inzwischen so gut
wie unmöglich macht.
Die Palästinenser sind inzwischen bereit,
ihren Staat auf 22 Prozent von Rest-Palästina
(Westjordanland und Gazastreifen) zu gründen. Was sollen sie
mehr an Kompromissbereitschaft anbieten? Ihre Aufnahme in
die UNO mit Beobachter-Status ist nur der erste Schritt, die
nicht realisierte Hälfte des UNO-Teilungsbeschlusses von
1948 nachzuholen. Wenn Palästinenserpräsident Abbas jetzt
nicht eingeknickt ist und seinen Antrag durchgezogen hat,
tut er nur das, was die andere Seite Jahrzehnte lang für
völlig normal hielt und bis heute ständig praktiziert:
Tatsachen schaffen! Nur mit dem Unterschied, dass Abbas‘
Vorgehen völlig legal ist. Dass sich Israel und die USA (und
natürlich Deutschland) verweigern, zeigt nur, dass sie mit
dem von Israel errichteten Unrechtssystem über die
Palästinenser gut leben können und gar keine Veränderung
dieses Zustandes wollen. Israels Interesse zählen eben mehr
als alle noch so bombastischen Bekenntnisse zu westlichen
Werten! |