Wenn deutsche
Kampfflieger über Israel unter Berufung auf den Holocaust
Manöver abhalten …
Arn Strohmeyer
Es ist schon
makaber, wenn man da in den Zeitungen liest, dass deutsche
Kampfjets über Israel Manöver abhalten, und deutsche Diplomaten
und Militärs davon schwadronieren, dass diese Übung „historisch“
sei. Denn zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg und dem
Holocaust übten Kampfflugzeuge der deutschen Luftwaffe mit denen
der Israelis in und über Israel, was eine „große Ehre“ sei.
Vielleicht geben deutsche Kampfjet-Piloten bald auch ihren
israelischen Verbündeten Geleit, wenn diese – wie es jährlich
geschieht – mit ihren Bombern über Auschwitz donnern, um den
dort von Deutschen Umgebrachten die Ehre zu erweisen.
Man muss an die
Worte des kürzlich verstorbenen israelischen Friedensaktivisten
Reuven Moskowitz denken, der immer wieder betont hat, wie
fruchtbar und segensreich die deutsch-jüdische Symbiose einst
gewesen sei, heute könne man sie aber nur noch „kriminell“
nennen. Er meinte damit nicht zuletzt auch die enge militärische
Zusammenarbeit. Die meisten Juden fühlten sich heute als
ultimative Opfer, auch wenn sie eigentlich schon Täter geworden
seien.
Und die
Deutschen nähmen – so Moskowitz – eine Schuldidentität an, auch
wenn sie gar keine Täter mehr seien. Die Folgen seien
katastrophal: Die deutsche Außenpolitik habe sich vollständig
Israels Interessen untergeordnet, das heißt sich seiner
„Sicherheitspolitik“ unterworfen, die seit der Staatsgründung
1948 gegen den Frieden gerichtet sei. Israel instrumentalisiere
mit seiner Politik dabei den Holocaust, was äußerst gefährlich
sei. Und Deutschland akzeptiere das ohne Widerspruch aus Angst
vor dem Antisemitismus-Vorwurf. Moskowitz bezeichnete die
heutige „deutsch-jüdische Symbiose“ deshalb als „pervertiert“.
Und man muss konstatieren: Zu dieser „pervertierten Symbiose“
gehören auch die deutschen Kampfjets über Israel.
Die deutsch
israelische Waffenbrüderschaft – natürlich immer unter Berufung
auf den Holocaust – hat eine lange Tradition. Schon Anfang der
fünfziger Jahre hatte sich Shimon Peres im Auftrag der
israelischen Regierung an Franz-Josef Strauß mit der Bitte um
deutsche Waffenhilfe gewandt. Die israelische Begründung:
Deutschland – genau gesagt die Bundesrepublik – könne den
Brückenschlag über die Vergangenheit weit voranbringen, wenn es
Israel kostenlos Waffen liefere. Und Deutschland lieferte, wenn
auch zunächst noch im Geheimen – bis die Sache publik wurde und
es mit der arabischen Welt zur großen Krise kam (Abbruch der
Beziehungen, Anerkennung der DDR durch die Araber, Ägypten lud
den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht zum Staatsbesuch
ein).
Franz Josef
Strauß hatte aber eine Rechtfertigung für die deutsch
israelische Waffenbrüderschaft, natürlich auch unter Berufung
auf den Holocaust. Er äußerte nach dem Juni-Krieg von 1967, in
dem Israel weitere arabische und palästinensische Gebiete
erobert hatte, dass die deutsche Lieferung von Waffen an Israel
„nicht nur eine Pflicht der Wiedergutmachung ist, sondern dass
eine Unterstützung Israels gerade auf dem Gebiet, wo es um Blut
geht, moralisch und politisch von besonderer Tragweite sein
muss. Weil Millionen Juden durch deutsche Waffen umgebracht
worden sind, ist das ein Stück Wiedergutmachung auf dem
ureigentlichen Gebiet, auf dem im deutschen Namen besonders
gesündigt worden ist.“ Wiedergutmachung für den Holocaust durch
die Lieferung von deutschem Tötungsgerät – das war die Moral der
damals in Bonn Regierenden! Die umfangreichen Waffenlieferungen
und die enge militärische Zusammenarbeit blieben eine Konstante
in den Beziehungen bis heute.
Auf
israelischer Seite hat der damalige Ministerpräsident Levi
Eshkkol 1965 (dem Datum der Aufnahme der diplomatischen
Beziehungen) betont: Für Deutschland bedeute der Holocaust,
„ewige Schuld“ auf sich zu nehmen, die deutschen Verbrechen an
den Juden seien nicht sühnbar und erlegten Deutschland eine
ständige moralische Verpflichtung auf, die vor allem darin
bestehe, jeden möglichen Beitrag zur Stärkung Israels zu
leisten, nicht zuletzt Israel bei der für seine Verteidigung
nötigen Ausrüstung zu helfen. Diesen Anspruch hat die
Bundesrepublik bis heute getreulich und widerspruchslos erfüllt.
Eshkols Worte wurden sozusagen der Leitsatz der
deutsch-israelischen Beziehungen.
Deutschland
hatte dabei keine Probleme die Tatsache zu akzeptieren, dass
Israel kein „normaler Staat“ war und ist, sondern ein
kolonialistischer Siedlerstaat. Denn das zionistische Projekt
war von Anfang an mit allergrößter Gewalt (der Vertreibung und
Unterdrückung der Palästinenser) verbunden – die deutsche
Politik hat es nicht interessiert, sie wollte es wohl nicht
wissen und hat es ganz bewusst nicht zur Kenntnis genommen. Und
Deutschland hat auch widerspruchslos akzeptiert, dass Israel
beanspruchte, der Vermächtnisverwalter des Holocaust zu sein und
hat es entsprechend bevorzugt behandelt. Wie das zusammenpasst –
Vermächtnisverwalter des Holocaust und aggressiver Siedlerstaat
– die Frage ist von der deutschen Politik nie gestellt worden,
zumindest nicht öffentlich und offziell.
Der absolute
Höhepunkt der deutschen Israel-Politik in diesem Sinne war die
Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18. März 2008 vor dem
israelischen Parlament (der Knesset) in Jerusalem anlässlich des
60jährigen Bestehens des Staates Israel. Diese Rede war an
Unaufrichtigkeit nicht zu übertreffen. Sieben Mal versicherte
die deutsche Kanzlerin der israelischen Führung, dass beide
Staaten für die gemeinsamen Werte Freiheit, Demokratie und
Menschenwürde einstehen würden. Die „Besatzungsbarbarei“ (Moshe
Zuckermann) sprach sie mit keinem Wort an. Dafür ging sie aber
ausführlich auf die historische Verantwortung Deutschlands für
Israel ein, der man verpflichtet sei. Sie sagte: „Diese
historische Verantwortung ist Teil der Staatsräson meines
Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als
deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Und wenn das so
ist, dann dürfen sie in der Stunde der Bewährung keine leeren
Worte bleiben.“
Eine solche
Formulierung wirft äußerst wichtige Fragen auf: Wenn es deutsche
Staatsräson ist, dass die Sicherheit Israels nicht verhandelbar
ist, muss Deutschland dann direkt oder indirekt an Israels
Kriegen teilnehmen? Heißt das, dass ausschließlich Israels
Definition von Sicherheit gilt, nach der sich Deutschland zu
richten hat? Der Politologe Udo Steinbach befürchtete schon vor
Jahren, dass Deutschland vor allem durch seine Waffenlieferungen
an Israel in den nächsten Nahost-Krieg direkt verwickelt werden
kann.
Aber die
Konsequenzen der Äußerungen von Angela Merkel gehen noch weiter.
Der Politologe Werner Ruf fragte nach der deutschen
Verantwortung für die Palästinenser: „Heißt ‚Verantwortung für
die Vergangenheit‘ nicht auch Verantwortung für die geschundenen
Palästinenser, die für die industrielle Ermordung von sechs
Millionen Menschen nicht verantwortlich sind, aber nun die
Kosten des Völkermords der Nazis bezahlen sollen? Die einseitige
Sicht nur auf Israel und seine auf weitere Landnahme gerichtete
Politik dürfte andere Gründe haben: Die beschworene
‚Staatsräson‘ entpuppt sich flugs als Waschmittel der
Vergangenheit des Einen und als Persilschein für die
Rechtsbrüche des Anderen. Wer bedingungslos Israel unterstützt,
kann doch kein Antisemit sein – wer es kritisiert, muss
zumindest ‚sekundärer‘ Antisemit sein. So einfach ist die
Rechnung, die die deutsche Vergangenheit so wunderbar entsorgt
und der Rüstungsindustrie gigantische Aufträge verschafft, auch
wenn der belieferte Freund doch wohl aktiver Teil eines
Krisengebietes ist. Und Israel darf Völkerrecht und
Menschenrechte mit Füßen treten, denn in der EU sorgt
Deutschland dafür, dass auch nur die leiseste Kritik an diesem
für die Nicht-‚Bewältigung‘ der Vergangenheit so wertvollen
Freund unterbleibt. Dass diese Vorzugbehandlung Israels dem
Antisemitismus neue Nahrung gibt, ist dann schlimmstenfalls ein
Kollateralschaden ‚immerwährender Verantwortung‘.“
Diese
Feststellungen und Warnungen sind im Oktober 2017 hoch aktuell
geworden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der dem
Iran schon mehrmals mit einem Angriff gedroht hatte, kündigte
an, dass Israel eine Situation nicht hinnehmen würde, in der das
iranische Militär und die Hisbollah im Libanon und in Syrien
nach einem Sieg Assads gegen den Islamischen Staat (IS) an
Israels Grenze stehen würden. Er drohte ganz unverhohlen mit
Krieg.
Üben die
deutschen Kampfflieger über Israel schon, um in Israels Krieg
gegen die Hisbollah und den Iran dabei zu sein? Oder beim
nächsten Krieg gegen Gaza? Ist die „Stunde der Bewährung“
(Merkel) gekommen? In den Medienberichten heißt es denn auch:
Die deutschen Piloten übten über Israel täglich 100 Einsätze
gegen „Terroristen“. Wer das genau ist, geben die deutschen
Politiker und Militärs nicht preis. Müssen sie auch nicht, man
weiß ohnehin, wer gemeint ist. Die deutsche Staatsräson für
Israels Sicherheit kann die Regierenden in Berlin politisch noch
teuer zu stehen kommen. Von Moral kann man ohnehin nicht mehr
sprechen.
10.11.2017
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