Deklaration an die
Welt von der Internationalen
Konferenz von Kairos Palästina
„Das Volk, die
Kirche & der Widerstand gegen die
Okkupation“
Beit Sahour, 18. Und 19. November
2022
Palestine Update
Nr. 606
Luk. 4/18 – 19: Der Geist des Herrn
ist über mir, darum, weil er mich
gesalbt hat, zu verkündigen
das Evangelium den Armen: Er hat
mich gesandt zu predigen den
Gefangenen, dass sie los sein
sollen,
und den Blinden, dass sie sehend
werden, und den Zerschlagenen, dass
sie frei und ledig sein sollen,
zu verkündigen das Gnadenjahr des
Herrn.
Als Jesus sich auf diese Worte vom
Propheten Jesaia berief, trafen sie
auf Groll und Ärger. Diese Botschaft
ging wie ein Echo durch die
Jahrhunderte und wartete auf die
Getreuen, damit sie diese Botschaft
aufnehmen sollten, sich der Bewegung
für Befreiung und Ganzheitlichkeit
anzuschließen.
Wir Mitglieder von Kairos Palästina,
der ausgedehntesten
palästinensischen
christlich-ökumenischen Bewegung,
und des ‚Globalen Kairos für
Gerechtigkeit‘, der weltweiten
Koalition von interessierten
Christen aus verschiedenen Kirchen
und mit der Kirche ver-bundenen
Organisationen haben sich in Beit
Sahour, Palästina, zusammen mit den
Leitern der palästinensischen
Zivilgesellschaft und anderen
internationalen Befürwortern
versammelt, um zu beten, zu
urteilen, einzustimmen und hernach
eine Deklaration über SUMUD
(Spannkraft) und Hoffnung vom
Heiligen Land zu teilen.
Die Zeichen der Zeit lesen
Unsere beständige Hoffnung und
Forderung nach Gerechtigkeit erhebt
sich angesichts des folgenden:
·
Die Situation auf dem Boden
von Palästina/Israel wird immer
schlechter, wie in den kürzlich
herausgegebenen Berichten von Al Haq,
Badil, B’Tselem, Human Rights Watch,
Amnesty International und des
Sonderberichterstatters der UNO die
Apartheid-Gesetze Israels zitiert
werden. Es besteht eine wachsende
Verurteilung des Apartheid-Regimes
des Staates Israel, seiner
Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit.
·
Israels Nationalstaats-Gesetz von
2018 drehte die de facto
Apartheid in eine de jure
Apartheid um und kodifizierte die
Diskriminierung von Palästinensern
in Israel und ihre starke Identität.
·
Die Heuchelei der doppelten
Standards wird zunehmend enthüllt in
der Selektivität von Kritik und
Anwendung von Sanktionen der
internationalen Gemeinschaft
gegen-über jenen Ländern, die das
Gesetz brechen und das Übereinkommen
über Menschenrechte missbrauchen.
·
Inmitten der regionalen und globalen
wirtschaftlichen, sozialen und
militärischen Krisen und der
missbräuchlichen Nutzung der Umwelt
gibt es einen Rutsch in der
Aufmerksamkeit weg von der Freiheit
und den Rechten der Schöpfung Gottes
in vielen Zusammenhängen, die gegen
die Unterstützung der Sache der
Freiheit in Palästina und weltweit
gerichtet ist.
·
Wenn man hintereinander folgende
israelische Regierungen betrachtet,
erkennt man, dass die sich neu
formulierende israelische Regierung
vergiftet ist durch eine Ausweitung
der existierenden Ungerechtigkeiten,
indem offen rassistische
Kabinett-mitglieder aufgenommen, ihr
Siedlungsprogramm vertieft und das
Antlitz seines Rechtssystems einem
globalen Phänomen entsprechend
verändert wird.
·
Siedlergewalt nimmt straffrei zu.
·
Häuser und Landbesitz der
Palästinenser wird zunehmend
annektiert und damit die Vertreibung
von palästinensischen Familien
erzwungen.
·
Die seit 15 Jahren andauernde
zerstörerische Blockade und das
Bombardieren von Gaza ist zum
Normalzustand geworden und wurde von
der internationalen Gemeinschaft
vergessen; der Sumud der
Menschen in Gaza inspiriert uns und
die gerechtigkeitsliebenden Menschen
in der ganzen Welt.
·
Dem Mitgefühl der internationalen
Gemeinschaft steht ihr ständiges
Geflecht von finanzieller,
diplomatischer und militärischer
Unterstützung für Israel gegenüber
und macht sie zum Komplizen für die
Verbrechen Israels.
·
Die Häresie des christlichen
Zionismus – eine der vielen
theologischen Rechtfertigun-gen und
Verteidigungen der Politiken Israels
– steigt in der christlichen
Gemeinde. Auch unterstützen einige
Kirchen und ökumenische
Körperschaften die Unterdrückung der
Palästinenser, indem sie Ruhe zu
bewahren verlangen – indem sie sich
neutral verhalten, ihr eigenes
Wohlergehen kostspieliger
Solidarität vorziehen und sich
hinter den alten Paradigmen einer
leeren Diplomatie und selektiver
zwischenkirchlicher Beziehungen
verstecken. In anderen Gemeinden
gibt es jedoch offizielle
Stellungnahmen, begleitet von ein
wenig Aktion.
·
Unter den politischen Führern von
Palästina gibt es Uneinigkeit und
Teilung.
·
Vertraute Beobachter sind nicht
überrascht von der zunehmenden Wut,
die von Teilen der Unterdrückten zum
Ausdruck gebracht wird, die – weil
sie keine Bewegung in Richtung auf
eine gerechte Lösung sehen – die
Sache in ihre eigenen Hände nehmen.
·
Zusätzlich nimmt die Verzweiflung
seitens vieler junger Palästinenser
zu, die keine Vision für Frieden
erkennen, kein Zeichen eines
Durchbruchs.
·
Während der letzten beiden Jahre
haben Kirchenleiter und andere
geistliche Führer dringend gemahnt,
dass die christliche Präsenz im
Lande stark bedroht ist.
Unsere Arbeit
Dennoch sind wir ein Volk von
Sumud und Hoffnung, gegründet
auf der Realität der Auferstehung
aus dem Tod – in dieses Leben wie
auch in das nächste. Wenn wir über
unsere Arbeit durch Kairos Palästina
(KP), das Global Kairos for Justice
(GKJ) und unsere wachsende
Partnerschaft mit und Unterstützung
von anderen Bewegungen rund um die
Erde nachdenken, bleiben wir fest in
unserem Einsatz für Gerechtigkeit
und Frieden durch das, was im Kairos
Palästina Dokument von 2009
beschrieben ist: die Logik der Liebe
Christi. Und wir sind ermutigt durch
den Geist der Graswurzel-Christen,
die – zusammen mit ihren
muslimischen Nachbarn – sich erheben
zum Widerstand gegen die wachsende
Apartheid Israels.
Wir haben in dieser Konferenz die
Berichte von GKJ-Kirchen, mit der
Kirche verbundenen und anderen
Organisationen gehört, die die weite
und wachsende Diversität der
Aktivitäten auf das Ziel eines
gerechten Friedens hin aufgezählt
haben: Weitergabe von Webinars und
Konferenzen, theologischen
Bildungsprogrammen; politischem
Lobbying, Veröffentlichung von
Positionspapieren, Zusammenarbeit
mit gleichgesinnten säkularen
Gruppen; Unterstützung von
gewaltlosen Aktionen, um auf die
Apartheidgesetze, Politik und
Praxis des Staates Israel
aufmerksam zu machen; Bekanntmachen
innerhalb der Kirchenstrukturen –
und alles, während wir den
Herausforderungen durch die
COVID-Pandemie kreativ begegnen.
Wir haben festgestellt, dass
Palästinenser einiger sind als je
zuvor, und sich zu ihrer
palästinensischen Identität in jeder
Ecke von Israel, Gaza und der
Westbank (zu der auch Ostjerusalem
gehört) bekennen trotz der vielen
und verschiedenen Versuche Israels,
das Volk auseinander zu bringen.
Auch geben palästinensische
Flüchtlinge ihr Rückkehrrecht nicht
auf, das ihnen vom internationalen
Gesetz garantiert worden ist.
‚Global Kairos for Justice‘ brachte
einen gründlichen Bericht heraus,
ein ‚Dossier über israelische
Apartheid: einen eindringlichen
Aufruf an Kirchen rund um die Erde,
Gerechtigkeit walten zu lassen;
eine klare Beschreibung der
Apartheid, und wie sich die Gesetze,
Politiken und Praktiken gegenüber
der internationalen Definition
verhalten; eine
biblisch/theologische Überlegung,
die die Sünde der Apartheid
beschreibt; ein zutiefst empfundener
Anruf an die globale Kirche, die
Bitten der palästinensischen
Christen zu hören; und eine Liste
von empfohlenen Aktionen und
Quellen.
Wir begrüßen die ausgedehnte
Unterstützung unserer Geschwister
aus fast allen Kontinenten, die ihre
kostbare Solidarität bei der
Vollversammlung des Weltkirchenrates
(WCC) in diesem Sommer in Karlsruhe,
Deutschland, erwiesen haben. Trotz
mündlicher Gegenargumente brachten
die Delegierten die Stellungnahme
des Weltkirchenrates „Gerechtigkeit
und Frieden für Alle im Mittleren
Osten suchend“ zur Sprache. Die
Stellungnahme ruft die
Mitgliedskirchen des WCC und deren
Leitung auf, die neuen Berichte der
Menschenrechtsorganisationen über
Israels Apartheid zu studieren und
entsprechend zu beantworten.
Wir sind besonders durch die
Tatsache ermutigt, dass ‚Global
Kairos for Justice‘ an
Mitgliedsorganisationen gewachsen
ist. Wir danken für das Zeugnis von
Jugendbewegungen und betonen die
Notwendigkeit, unsere Jugend zu
mobilisieren. Wir wissen, dass
unsere Arbeit zunehmend mit anderen
Streitigkeiten in der Welt verbunden
ist, wir nehmen in gegenseitiger
Solidarität teil an den Kämpfen um
Menschenrechte und Würde der
unterdrückten Gemeinden. Wir bilden
eine „Einheit der Unterdrückten“ in
dem gemeinsamen Kampf für globale
Gerechtigkeit.
In Vertiefung unseres Glaubens und
Stärkung unseres Mittragens schauen
wir mutig unsere eigenen Schwächen
an. Wir bedenken demütig Wege, wie
wir es besser machen können.
Unsere Verpflichtung
Heute versichern wir nochmals und
stehen zu der palästinensischen
christlichen Vision und Botschaft,
die zum ersten Mal im
Kairos-Dokument von 2009 beschrieben
ist: Wir glauben an Gott, den Guten
und Gerechten. Wir glauben, dass
Gottes Güte letztendlich über das
Böse des Hasses und über den Tod
triumphieren wird, der jetzt noch in
unserem Land schwelt. Wir werden
hier „ein neues Land“ und ein „neues
menschliches Dasein“ sehen, das in
der Lage ist, sich zu erheben im
Geist der Liebe zu jedem seiner
Brüder und Schwestern (KP 10)
Wir begrüßen einen universellen Ruf,
der aus diesem Land kam für das Volk
dieses Landes und der ganzen Welt:
Die Vertiefung unseres Verstehens
und die Ausweitung unserer Praxis
von kreativem Widerstand gründet
sich auf die radikale Logik der
Liebe Christi – eine agape,die sich der menschlichen Logik
widersetzt, die in der Ansicht
Christi ruht und im Herzen jenes
Gottes, der darauf besteht, dass
alle menschlichen Wesen zum Bilde
Gottes geschaffen sind und die
Gottes Antlitz sogar im Feind sieht.
In dieser Art erklären wir unsere
weitergehende Verpflichtung zur
Befreiung beider, des Unterdrückten
und des Unterdrückers.
Unsere Einladung
In dieser Advent- und Weihnachtszeit
laden wir alle Kirchen,
kirchenverbundenen und ökumenischen
Organisationen, Menschen aller
Glaubensrichtungen und jene guten
Willens, die in Solidarität zu uns
stoßen wollen, ein:
·
Haltet uns für verantwortlich
gegenüber unserer Verpflichtung, die
Logik der Liebe Christi wahrzuhaben;
geht diesen Weg mit uns, den wir in
Solidarität mit euch zu gehen
versuchen in eurem eigenen Zeugnis
und Kämpfen um Gerechtigkeit;
·
Antwortet auf die sorgsam
dokumentierten Berichte über
Apartheid, besonders jene des
Globalen Kairos für Gerechtigkeit
Dossier über Israels Apartheid;
·
Lest die Aufrufe der Kirchenleiter
von Jerusalem bezüglich der
zunehmenden Angriffe auf Christen
und deren Kirchen im Heiligen Land;
·
Studiert, forscht weiter und
verstärkt die Aufrufe der
palästinensischen Christen:
Den „Moment der Wahrheit“ des Kairos
Palestine von 2009; den „Offenen
Brief der christlichen
Organisationen in Palästina“ (2017);
den „Schrei nach Hoffnung – einen
Ruf zur entscheidenden Aktion“;
Stellungnahmen von Konferenzen;
Bücher von palästinensischen
Theologen;
·
Geht mit uns im Teilen von
Erfahrungen und Widerstandsmodellen;
·
Verteidigt das Recht und die Pflicht
der Palästinenser, ihren
Unterdrückern zu wider-stehen, wie
dieses unter dem Völkerrecht
garantiert und im Kairos Palestine –
Moment der Wahrheit ausgedrückt ist;
·
Macht die Sünden des „schrumpfenden
Raumes“ für das Sagen der Wahrheit
und den kreativen Widerstand in
Palästina und im Ausland und die
Delegitimation des
palästinensischen
Diskurses bekannt;
·
Unterstützt die Zivilgesellschaft,
ihre Aktivisten und NGOs, besonders
jene, die vom Staat Israel als
„terroristische Organisationen“
gebrandmarkt werden;
·
Beteiligt euch am palästinensischen
Aufruf zu Boykott, Beraubung und
Sanktionen (BDS = Boykott,
Divestment, Sanctions),
einschließlich dem Aufruf an
Kirchen, kirchliche Richtungen und
mit der Kirche verbundene
Organisationen, um sicher zu
gehen, dass ihre finanziellen Gaben
Israels Apartheid nicht
unterstützen, sondern eher die
Palästinenser in ihrer Arbeit für
Gerechtigkeit und Frieden mittragen;
·
Arbeitet mit an von der Jugend
durchgeführte Initiativen für
Gerechtigkeit und Menschenrechte;
·
Findet Wege im lokalen Bereich zu
Partnern mit gleichgesinnten Leuten
aus anderen Glaubensrichtungen und
spirituellen Gemeinschaften, und
indigenen und
Menschen-rechtsorganisationen, die
den wertvollen Kampf gegen
Siedler-Kolonisierung teilen;
·
Erforscht mit uns alle
Rechts-Rahmenbedingungen, die
Apartheid und Siedler-Kolonialismus
herausfordern, macht Druck auf
Regierungen, Israel verantwortlich
zu machen und Lobby, um die Blockade
von Gaza zu beenden;
·
Fordert mutig und prophetisch die
Häresie des christlichen Zionismus
und aller anderen theologischen
Rechtfertigungen und Verteidigungen
israelischer Apartheid-Praktiken
heraus; konfrontiert das Stillesein,
die Neutralität und
Komplizenhaftigkeit von Kirchen,
indem ihr alle die Seite der
Unterdrückten einnehmt, zugunsten
des Unterdrückers wie auch der
Unterdrückten;
·
Kommt und seht. Geht und sagt es
weiter.
Ihr werdet in Realität erfahren,
dass Palästinenser täglich leiden –
und mehr noch: euer eigener Glaube,
Hoffnung und Liebe werden gestärkt
werden durch die vielen Zeichen von
Gottes Gegenwart und Kraft, die hier
sichtbar sind.
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung,
Liebe, diese drei: aber die Liebe
ist das größte unter ihnen.
(1.
Korr. 13/13)
Der Kampf geht weiter. Der
Widerstand vertieft sich. Das
globale Mitfühlen ist klar. Nimm
Teil an der wachsenden Bewegung.
„Wähle das Leben, damit alle leben
können.“
(Übersetzung: Gerhilde Merz)
Palestine Updates von der Bewegung
der Freiheit von der Nakba ist eine
Sammlung für historische und heutige
Information über Ereignisse in den
kolonisierten palästinensischen
Gebieten. Es geht um Neuigkeiten und
Analysen wie auch um globale
Kampagnen, Berichte von israelischen
Friedensinitiativen und Kritik an
Israels Apartheid-Politik, wie auch
dem Leben ungleicher Völker in
Palästina. Es bringt auch Neues von
fortschrittlichen palästinensischen
Gruppen der Zivilgesellschaft,
Menschenrechtsorganisationen (lokal
und international) und einzelnen
Akademikern und Schriftstellern in
Palästina und im Ausland.
Sie können den Newsletter (englisch)
auch über
palestineupdates11@gmail.com
abonnieren.
|