Das
größte Hindernis für den Frieden ist die Angst vor dem Frieden
Interview mit Michel Sabbah
Der scheidende Prälat von Jerusalem spricht über
den Konflikt im Mittleren Osten
Rom, am 1. April 2008: Der scheidende
Patriarch von Jerusalem hat seine Mission als Leiter der
Lateinischen Kirche im Heiligen Land erfüllt, und charakterisiert
diese als sehr schwierig während der ganzen Periode von 20 Jahren.
Der in Nazareth geborene Michel Sabbah wurde am 19. März 75 Jahre
alt und zieht sich aus dem Amt zurück, das er seit 1987 innehatte.
Im Interview gegenüber dem Nachrichtendienst der „Custody of the
Holy Land“ (CHL) sagt er aus:
„Für einen Christen ist Ostern das Fest der Auferstehung unseres
Herrn Jesus Christus und bedeutet, Sieg über den Tod und alle Arten
des Bösen.
Hier in diesem Land der Auferstehung, dem Land Gottes und dem
Heiligen Land sind wir weiterhin inmitten des Konflikts und in einer
Situation von Tod und Hass. Unsere Botschaft an die Israelis und an
die Palästinenser ist: Bis in die Gegenwart seid ihr fast 1oo Jahre
lang auf den Pfaden der Gewalt gegangen; trotzdem habt ihr in 100
Jahren weder Frieden noch Sicherheit erreicht. Findet andere
Pfade, geht andere Wege, ihr kennt sie: Gespräche, Dialog,
Verständnis für die Bedürfnisse der anderen, in die „Schuhe der
anderen“ steigen, um ein Abkommen zu finden und alles zu tun, was
dem anderen Teil entspricht.
Die
Israelis wünschen sich Sicherheit und Frieden; die Palästinenser
wünschen sich Unabhängigkeit, auch ihre Sicherheit und Frieden. Und
sie sind fähig, dieses zu erreichen. Aber es gibt viel Opposition
aus ideologischen Gründen, aus politischen Gründen wegen der Angst
vor dem Frieden. Nach meinem Erachten ist das Haupthindernis für den
Frieden die Angst vor dem Frieden.
In
Israel ist Frieden ein Risiko, und die Israelis halten die Zeit
dafür für noch nicht gekommen. Es ist das Risiko, den Palästinensern
zu erlauben, stärker zu werden und ihre Mittel zu Widerstand und
Gewalt zu entwickeln. Deshalb haben die Israelis Angst vor dem
Frieden.
Mein Rat ist, sich nicht zu fürchten. Angst lässt keinen Menschen
und kein Volk die Fülle des Lebens erleben. Ganz einfach: Sie müssen
das Risiko des Friedens auf sich nehmen Und das ist das einzige
Mittel, eine wirkliche und totale Sicherheit zu erlangen. Die
politischen Kräfte haben die Alternative: entweder Frieden, und
damit bekommen sie Sicherheit, oder keinen Frieden, und der
Extremismus wird wachsen und die Unsicherheit zunehmen. Sie müssen
wählen. Und sie sollten den Frieden wählen.
Nun, den Frieden zu wählen mag ein Risiko für das persönliche Leben
des Staatsoberhauptes darstellen, das ein Friedensabkommen
unterzeichnet. Aber wenn ein politischer Leiter da ist, um seinem
Volk zu dienen und nicht, um an seinem Sessel zu kleben, muss er das
Risiko akzeptieren, sein Leben für sein Volk zu geben.
CHL: Als erster palästinensischer
Lateinischer Patriarch in Jahrhunderten, haben Sie eine
unterschiedliche Interpretation zu dem, was in der Region passiert?
„Ich habe nur die Interpretation der Fakten, die passieren. Da sind
die Israelis mit ihren Bedürfnissen und da sind die Palästinenser
mit ihren Bedürfnissen. Für mich sind beide menschliche Wesen mit
der gleichen Würde, den gleichen Rechten und Pflichten. Als
Palästinenser und als Christ meine ich, alle sollten haben, was
ihnen zusteht: Israel seinen Staat, seine Sicherheit, seinen
Frieden, keinen Bedarf mehr an Soldaten und Reservisten, die töten
oder getötet werden. Das Gleiche gilt für die Palästinenser. Es ist
die Frage, auf den Frieden zuzugehen und allem dem ein Ende zu
bereiten, was Milizen, irreguläre Waffen und jede Form von Gewalt
auf beiden Seiten bedeutet.
CHL: Am Ende Ihrer langen Karriere als
Lateinischer Patriarch, sehen Sie Hoffnung auf Frieden?
„Es muss immer
Hoffnung geben, denn wir glauben an Gott, und hier in diesem Land,
im ganzen mittleren Osten ist jeder zuerst und vor allem religiös
und ein Glaubender, auch wenn nicht alle ihren Glauben praktizieren.
Der Jude ist zuerst jüdisch und dann Israeli, der Palästinenser ist
zuerst Muslim und dann palästinensisch, der Christ ist zuerst Christ
und dann Palästinenser. Wir glauben an Gott. Wir hoffen, weil wir
glauben, dass Gott gut ist, dass er über uns wacht, dass er die
Vorsehung ist.
CHL: Sie sagen, dass es Mut braucht, um
Frieden zu machen. Sollten die Israelis mehr Mut haben?
„Beide sollten ihn
haben, aber die größte Entscheidung liegt bei den Israelis. Wenn die
Israelis sagen, wir haben uns entschieden, Frieden zu machen, dann
wird Frieden sein. Die Palästinenser sind bereit. Die arabische Welt
ist bereit, die Beziehungen zum Staat Israel zu normalisieren. Die
Palästinenser haben bereits den Frieden gewählt. Sie führen
Gespräche, um den Frieden zu erlangen. Israel hat sich noch nicht
entschieden. Es gibt sehr viel Opposition gegen diese Entscheidung.
CHL: In Israel, gibt es da den politischen Willen, Frieden zu machen
?
„Nein, es gibt ihn nicht. Er existiert noch nicht. Die Israelis
haben Angst vor dem Frieden, für sie ist Frieden ein Risiko. Sie
würden sich ins Unbekannte werfen, und das würde für sie die
Unsicherheit vergrößern. Nach meiner Meinung liegt die einzige
Zukunft für Israel beim Frieden. Gewalt ist eine ständige Bedrohung
für ihre Sicherheit, ja, für ihre Existenz. Die palästinensische
Bevölkerung wächst. Zwanzig Prozent der israelischen Araber mit
vollen Bürgerrechten sind Palästinenser. Morgen werden aus den 20
Prozent Palästinensern 40 oder 50 Prozent werden, und der jüdische
Charakter des Staates wird verschwinden, und deshalb wird Israel als
jüdischer Staat verschwinden.Es liegt an ihnen, sich zu entscheiden,
und ihre Rettung liegt nur am Frieden. Das Risiko ihres Todes oder
ihrer Unsicherheit liegt nicht beim Frieden sondern bei der
Fortsetzung dieser Kriegssituation.
CHL: Glauben Sie, dass der
Friedensprozess von Annapolis wirklich Hoffnung für einen Frieden
bringt ?
„Er
bringt sie einfach; er muss angenommen und akzeptiert werden. Das
wünschen sich die USA. Präsident Bush ist entschlossen. Aber wir
müssen fragen, ob Israel sich entschieden hat. Die
Palästinenser sind bereit.
CHL: Als Sie (vor Weihnachten) den
israelischen Premierminister Olmert getroffen haben, hatten Sie den
Eindruck, dass er einen politischen Willen hatte?
„Mr. Olmert hat einen wirklichen politischen Willen. Er hat sich
entschieden, Frieden zu machen, aber nach seiner Aussage, trifft er
auf Hindernisse. Es ist sein Job, die Opposition zu überzeugen, und
dann werden wir Frieden haben.
CHL: Welche Hindernisse ?
„Nun, die Ultrarechte, die religiösen Extremisten, die religiöse
Partei, die glaubt, dass das ganze Land israelisch bleiben müsse und
kein Zentimeter von diesem Land an die Palästinenser abgegeben
werden dürfe. Und die religiöse Partei hat politische Macht, sie hat
Sitze in der Knesset. Das ist die Opposition, mit der Olmert sich
auseinandersetzen muss.
CHL: Sie haben gesagt, die arabische
Welt sei bereit, ihre Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Aber
wir können nicht ignorieren – und Israel kann nicht ignorieren –
dass die Hamas fortfährt, Israel die Anerkennung zu verweigern. Und
außerdem: der islamische Fundamentalismus wächst in den arabischen
Staaten.
„Hamas existiert. Und die Hisbollah existiert. Sie sind eine
Bedrohung. Aber, was macht die Hamas existieren und was lässt sie
wachsen in dieser Kriegssituation, wo es nur Ungerechtigkeiten gibt,
wo Armut und Elend überhandnehmen. So lange diese Situation
existiert, wird es Hamas immer geben; und diese Erklärungen und der
Wille, Hamas zu haben, zerstören Israel. Aber sobald es einen
ernsthaften und dauernden Frieden gibt, wird der Einfluss der Hamas
und Hizbollah geringer werden, und zuletzt werden sie ihn verlieren.
„Es
wird immer Extremisten auf der Seite der Palästinenser geben u n d
auf der Seite der Israelis, aber diese Parteien werden zu einer
Minorität ohne Einfluss auf die Zukunft des Landes schrumpfen. Wenn
Frieden ist, gibt es weniger Extremisten und die Menschen werden sie
nicht mehr brauchen.
CHL: Glauben Sie, dass Israel mit Hamas
sprechen sollte? Sollte ein Dialog der Hamas mit Israel, USA und
der EU stattfinden ?
„Israel, die EU und die Internationale Gemeinschaft m ü s s e n
mit der Palästinensischen Autorität sprechen und akzeptieren, dass
sich die PA mit Hamas versöhnt. Aber sobald die Hamas in die
palästinensische Regierung kommt, boykottiert die International
Gemeinschaft alles, was palästinensisch ist. Es ist die Frage,
anzuerkennen, dass die PA die Möglichkeit hat, wieder eine Allianz
zu bilden, denn Frieden kann nicht nur mit einem Teil der
palästinensischen Bevölkerung gemacht werden.
„In
Gaza leben mehr als 1 ½ Millionen Menschen. Das muss mitgesehen
werden. Darum müssen sich die beiden Gruppen vereinigen und einen
einzigen palästinensischen Block bilden, der als Ganzes den Willen
Palästinas darstellt, damit die Internationale Gemeinschaft und
Israel Friedensangebote machen können. Aber so lange man die Hamas
boykottiert, und wenn das ganze palästinensische Volk boykottiert
wird, sobald die Hamas in die Regierung kommt, sind wir in der
Sackgasse.
CHL: Als Sie Abu Mazen (den pal.
Präsidenten Mahmoud Abbas) getroffen haben, haben Sie ihm den Rat
gegeben, den Dialog mit Hamas aufzunehmen ?
„Das ist unser Rat. Die beiden Teile des palästinensischen Volkes
müssen wieder zusammen gehen. Diese Allianz hängt nicht nur von Abu
Mazen ab, sondern von der Internationalen Gemeinschaft. Sobald die
Vereinigung geschieht, und da die Hamas das Recht hat, Teil der
Regierung zu sein, wird die Internationale Gemeinschaft wieder alle
boykottieren.
CHL: Welchen Rat können Sie der Internationalen Gemeinschaft geben ?
„Die Palästinenser in Frieden zu lassen, sie sich zusammenschließen
zu lassen und einfach miteinander agieren zu können. Und wenn die
Hamas in der palästinensischen Regierung wäre, diesen Willen der
Palästinenser zu respektieren.
CHL: Sie waren 20 Jahre lang Patriarch. Was war die schwierigste
Zeit ?
„Alle Zeiten waren schwierig, denn wir haben nie aufgehört, in
diesem Konflikt zu leben. Jeder Tag war die Wiederholung des
vorangegangenen. Jedes Jahr war eine Neuauflage des vergangenen:
Gewalt und Opfer auf der palästinensischen Seite und auf der
israelischen.
„Es
gab Zeiten des Waffenstillstands: Wir konnten das Jubiläum 2000
feiern und den Besuch des Papstes. Damals war die Zeit am wenigsten
schwierig. Auf der anderen Seite erlebten wir zu allen anderen
Zeiten Schwierigkeiten und das schwierige Leben wurde zu unserem
Auftrag und unserer Routine.
CHL: In Ihrem Pastoralbrief haben Sie
geschrieben, dass Sie kein Geld und kein Bankkonto besitzen. Wovon
wollen Sie jetzt leben ?
„Ich werde im Patriarchat
leben. Ich habe kein Gehalt oder ein Bankkonto, aber die Institution
kümmert sich darum, wie sie sich um jeden anderen Priester im
Patriarchat kümmert. Das Patriarchat steht gut für die
Gesundheitsversorgung, Essen und Wohnung usw der pensionierten
Priester. Wir sind Teil einer Gemeinschaft, die niemals eines ihrer
Mitglieder im Stich lässt.
CHL: Tut es Ihnen leid, in Pension zu gehen
?
„Wenn man im Dienst Gottes steht, braucht man keinen Job. Wir leben
unsere Mission. Wir wurden mit einer Mission betraut. Wenn sie
erfüllt ist, geben wir sie in die Hände dessen zurück, der sie uns
anvertraut hat, ganz einfach. Zwischen einem politischen und einem
religiösen Führer ist schon ein Unterschied.
CHL: Sie waren der erste Patriarch mit
palästinensischen Wurzeln seit der Zeit der Kreuzzüge. Verändert es
etwas, wenn man ein palästinensischer Patriarch ist?
„Es
ändert schon etwas in dem Sinn, dass die Kirche einen Pastor aus
ihrer Priesterschaft gewählt hat. Ein palästinensischer Patriarch in
einer palästinensischen Kirche ist eine normale Tatsache, nichts
Besonderes. Es ist die Situation aller Kirchen in dieser Welt. Die
Pastoren werden von ihrer Priesterschaft und ihrem Volk gewählt.
„Was hier in unserer Situation – einer Situation des Konflikts –
anders sein kann, ist, dass die Palästinenser auf der einen Seite
sind und die Israelis auf der anderen, ein Faktum, dass alle
Palästinenser, Christen und Muslime, sich unterstützt fühlen.... Sie
haben gefühlt, dass eine neue Figur für sie sprechen konnte, mit
ihnen teilen und für den Frieden handeln.
„Aber Vorsicht. Denn wenn wir zu den Israelis sagen: Ihr seid in
vollem Recht, eurem Volk zu dienen und es zu schützen, und zu den
Palästinensern: Ihr seid Palästinenser, ihr seid in vollem Recht,
eurem Volk zu dienen und es zu schützen, so ist ein Priester, ein
Bischof, egal, ob er ein Palästinenser oder sonst wer ist, für alle
da.
„Er
ist nicht auf sein Volk beschränkt, er ist da für sein Volk, aber
ebenso für jedes menschliche Wesen, mit dem er lebt. Und hier leben
wir mit zwei Völkern. Und deshalb breitet sich unsere
Verantwortlichkeit als Bischof und als Christ aus über
Palästinenser und Israelis. Nun, die Palästinenser sind die
Unterdrückten, sie leben unter Besetzung und wir sagen: Die
Besetzung muss aufhören. Und wir sagen zu den Israelis: Ihr seid die
Besatzer. Ihr müsst diese Besetzung aufhören.
CHL: Was wird jetzt Ihre Rolle sein ?
„Ein Bischof hat drei Funktionen: zu weihen, zu lehren und zu
leiten. Mit meiner Pensionierung geht die Leitungsfunktion auf einen
anderen über, die beiden anderen bleiben. Es ist also noch viel zu
tun.
CHL: Wird Ihre Mission mehr politisch sein ?
„Nicht so politisch als christlich. Aber als Christ, der sich auf
die politische Ebene begibt. Denn hier ist Politik menschliches
Leben. Es ist nicht die Politik des linken oder rechten Flügels;
menschliche Leben sind bedroht. Ob sie Palästinenser sind oder
Israelis. Es wird die Weiterführung des Einsatzes für jedes
menschliche Wesen in diesem Land sein, für Israelis ebenso wie für
Palästinenser
(Dt. Gerhilde Merz)
Übermittelt durch Samuel Martin, Caritas Jerusalem
CommunicationsDepartment
P.O.Box 20894, Jerusalem 97 200 Israel
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