Terminal 300
- Bethlehem
Brigitta Boeckmann
25. Juni 2007
Eigentlich widerstrebt es
mir, Schauergeschichten nach Hause zu schicken. Es macht oft
einen sensationsluesternen Eindruck, von dem ich mich
ausdruecklich distanzieren moechte, aber es passieren hier
nun einmal Dinge, bei denen ich einfach nicht schweigen kann
und auch nicht sollte, und diese Ereignisse erscheinen
leider kaum in den Medien.
Der wichtigste Uebergang von Bethlehem nach Jerusalem, der
Checkpoint 300, wie er offiziell heisst, bedeutet zwar fuer
alle Einheimischen eine grosse Erschwernis und mitunter ein
unueberwindbares Hindernis, besonders betroffen davon
allerdings sind vor allem Kranke, alte oder behinderte
Menschen, Muetter mit Babies und kleinen Kindern, eben all
diejenigen, die der Hlfe am meisten beduerfen.
Ich erlebte, dass Patienten
mit gueltigen Papieren, mit aeztlichem Attest oder mit
einer Ueberweisung in ein Jerusalemer Krankenhaus der
Uebergang verweigert wurde.Ich erlebte, dass nur den
Patienten selbst der Uebergang erlaubt wurde,
nicht aber dem oder den sie begleitenden Angehoerigen.
Ich erlebte, dass aus diesem Grunde Menschen resigniert auf
einen Check Up oder eine Behandlung an diesem Tag
verzichteten und nach Hause in teilweise weit entfernte Orte
zurueckkehrten, um es am naechsten Tag noch einmal zu
versuchen, in der Hoffnung, dann auf freundlichere Soldaten
zu treffen.
Ich machte dabei die Erfahrung, dass es haeufig mehr von der
Laune der Dienst habenden Soldaten abhaengt, ob sie
durchgelassen werden und wie sich das Procedere gestaltet.
Aber selbst wenn alles ohne zusaetzliche Schikanen ablaufen
wuerde, denn dieser Checkpoint ist ohnehin eine nicht zu
tolerierende Schikane, bedeutet der Durchgang fuer die
sichtbar Schwerkranken eine unzumutbare Belastung.
Am Montag, dem 25. Juni
2007, erlebte ich morgens gegen sieben Uhr eine besonders
unsensible und menschenunwuerdige Behandlung: Von Bethlehem
aus gesehen an Ende des "Kuhstallgangs", wie ich den mit
Eisen umzaeunten ca. 100 m langen Aufgang zum Durchlass
durch die Trennungsmauer nenne, wartete in dieser
Menschenschlange eine sichtbar schwerkranke Frau,
schaetzungsweise 50 Jahre alt, mit ihrem erwachsenen Sohn
auf Einlass. Die Drehtuer war wieder einmal zu, wie so oft
zwischendurch, wurde aber von dem Soldaten im
Schalterhaeuschen sofort geoeffnet, als ich mich von innen
naeherte. Die Frau schien gehbehindert, sie schaffte es nur
mit Muehe allein durch diese Drehtuer, die immer nur eine
Person durchlaesst, sodass der Sohn ihr nicht helfen konnte.
Ich nahm sie in Empfang, stuetzte und begleitete sie auf
ihrem weiteren Weg durch das Terminal.
Diese Frau war auf dem Weg
zur stationaeren Aufnahme in das St. John's Hospital, einer
Augenklinik in Ost- Jerusalem. Wie der Sohn mir erklaerte,
litt sie an einem boesartigen Tumor im Kopf. Vielleicht
wegen des Tumors, vielleicht hervorgerufen durch die
Medikamente, ich weiss es nicht, sie zeigte jedenfalls
Laehmungserscheinungen in den Beinen und konnte ausserden
nur mit Muehe sprechen. Vom Sohn und mir gestuetzt
meisterten wir langsam den Weg ueber den Hof in das Innere
des
Terminals, vorbei an und durch die Menschenmassen hindurch
der dort auf Abfertigung Wartenden zu dem wiederum durch
eine Drehtuer abgesperrten kleinen Bereich mit dem
Metalldetektordurchgang, dem Laufband mit Rhoentgengeraet
fuer Gepaeck etc. Dort aber begann die eigentliche Tortur:
Es piepte, als sie sich da durch quaelte, und sie wurede von
der Soldatin im mit Panzerglas gesicherten Kabuff per
schnarrendem Lautsprecher aufgefordert, wieder zurueck zu
gehen. Der Sohn und sie selbst waren verwirrt, wo war
Metall verborgen? Ihre Habseligkeiten fuer den
Krankenhausaufenthalt hatte der Sohn bereits auf das
Laufband gelegt. Die Frau , entfernte die Sicherheitsnadel,
die ihr Kopftuch festhielt und gab sie mir. Doch wiederum
piepte es beim Durchgehen. Die Soldatin wurde ungeduldig und
bruellte durch den Lautsprecher, der natuerlich in der
ganzen Halle zu hoeren war und die wartenden Maenner, die es
eilig hatten, puenktlich zu ihrer Arbeit zu kommen,
ebenfalls aergerlich und ungeduldig machte .Wir zogen ihr
die Schuhe aus und legten sie auf das Laufband, doch erneut
piepte es. Unsicherheit und Verwirrung verstaerkten sich,
ebenso die Lautstaerke der Menschenschlange. Der Sohn wurde
unmissverstaendlich aufgefordert, wieder zurueck hinter die
Drehtuer in die wartende Menge zu gehen. Mein und sein
Einwand, dass seine Hilfe bei dieser Prozedur unverzichtbar
sei, nuetzten nichts. Die wartende Menge in der Halle wurde
noch lauter, unruhiger und der Sohn hatte das auszuhalten.
Es piepte weiter. Da sah ich die vermeintliche Ursache; es
mussten die kleinen Pailletten sein, die als Schmuck am
Halsausschnitt und Oberteil ihres traditionellen Kleides
aufgestickt waren. Ich wies die Soldatin darauf hin, doch es
half nichts. Im Gegenteil, ich selbst sollte
zurueckgehen.Ich widersetzte mich dickkoepfig diesem Befehl
stuetzte die
Kranke weiterhin, nahm mein Mobiltelefon und rief die
Humanitarian Hotline an, eine Moeglichkeit fuer uns
Beobachter in solchen Faellen oder in anderen unklaren und
strittigen Situationen. Doch auch das nuetzte nicht viel.
Obwohl diese Soldatin, wie ich dann sah, wahrscheinlich
einen Anruf von dort bekam, schickte sie diese Frau noch
zweimal durch den Metalldetektor mit dem entsprechenden
piependen
Ergebnis, kam dann aus ihrem Kabuff heraus und zwang die
Frau doch tatsaechlich, ihr Kleid bis zu den Schultern
hochzuheben und ihren BH ebenfalls. Da stand sie nun halb
nackt in diesem oeffentlichen Raum nur mit ihrer Unterhose
bekleidet, schwankend und von mir gehalten. Meine Gefuehle
in diesem Augenblick kann ich kaum beschreben: entsetzliche
Wut packte mich und mixte sich mit Traurigkeit, Scham,
Hilflosigkeit. Ich konnte kaum an mich halten, ich haette
schreien, treten, um mich schlagen, am liebsten diese
Soldatin ohrfeigen moegen wegen ihres niedertraechtigen,
unmenschlichen Verhaltens, statt dessen quollen mir nur die
Traenen aus den Augen. Ich liess es geschehen, half beim
Ankleiden. Der Sohn kam danach auch, wir gingen weiter durch
die naechste und letzte Kontrolle, dem Identitaetscheck mit
der Abnahme des Fingerabdrucks. Ich begleite die beiden
weiter bis auf die Jerusalemer
Seite und brachte sie zum Taxistand. Beim Einsteigen war sie
so geschwaecht, dass sie ihre Beine kaum noch bewegen
konnte, es brauchte vier Maenner, um sie ins Taxi zu setzen.
Immer noch heulend ging ich zurueck und schaemte mich meiner
Traenen nicht.
Bethlehem, Juni 2005
Brigitta Boeckmann
im
Oekumenischen Friedensdienst in
Palaestina und Israel ( OEFPI )
Dieser Oekumenische Friedensdienst ist ein Programm des
Oekumenischen Rates der Kirchen in Genf
im Rahmen der Dekade zur Ueberwindung von Gewalt