WIE
WÜRDE ES MARIA UND JOSEF
AN EINEM KONTROLLPUNKT oder mit der
MAUER ERGEHEN?
von Larry Fata (*)
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08.Dezember 2004
Mit der Weihnachtszeit verbinden wir allerlei religiöse und
weltliche Bilder. Auf der ganzen Welt laufen sich Weihnachtsbaum, Nikolaus
und Krippenspiele gegenseitig den Rang ab. Und Bethlehem, eine kleine
Stadt im Westjordanland, wird jedes Jahr zum Brennpunkt der
internationalen Aufmerksamkeit, weil sich dort zugetragen hat, wovon uns
die Weihnachtsgeschichte erzählt.
Touristen, die Geld genug haben, kommen nach Bethlehem und feiern
Weihnachten an dem Ort, wo vor 2000 Jahren alles begann. Doch allein die
Tatsache, dass internationale Besucher nach Bethlehem reisen können,
während das den meisten Palästinensern verwehrt ist, stellt eine der
bittersten Ironien in dieser Jahreszeit dar. Dies wurde im vergangenen
Jahr mit einer Inszenierung des Bürgerkomitees in dem kleinen
palästinensischen Dorf Sawahreh demonstriert. Am Anfang dieser
Unternehmung stand die einfache Frage: Wenn Maria und Josef heute
unterwegs wären, würden sie zur Geburt Jesu bis nach Bethlehem kommen?
Maria und Josef waren Juden, die in der Zeit der römischen Besetzung
lebten. Ihre Reise nach Bethlehem wurde aufgrund ebendieser Besetzung
notwendig, denn Kaiser Augustus hatte eine Volkszählung angeordnet. Die
Palästinenser heute leben unter israelischer Besetzung und ihre
Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt, manchmal sogar völlig verboten. Zwei
Tage vor dem Weihnachtsfest 2003 versuchten eine Palästinenserin und ein
Palästinenser, die wie Maria und Josef angezogen waren, den israelischen
Militär-Kontrollpunkt auf der Straße von Sawahreh nach Bethlehem zu
passieren. Maria war in Wirklichkeit eine 20-jährige Studentin aus Beit
Hanina, einer Jerusalem eingemeindeten palästinensischen Kleinstadt.
Obwohl sie auf einem Esel sass, war schon an ihren Jeans und modischen
Stiefeln, die unter dem traditionellen Gewand hervorschauten, deutlich zu
erkennen, dass wir uns nicht im Geburtsjahr Jesu befanden. Josef war ein
etwa 30-jähriger Dorfbewohner aus dem Ostteil Sawahrehs.
Die beiden näherten sich dem Kontrollpunkt, wo die Weihnachtskarten-Idylle
von einem israelischen Soldaten zerstört wurde. Er fragte "Maria und
Josef" nach ihren Personalausweisen. Ein weiterer Soldat hielt ein
Maschinengewehr auf die kleine Schar der Demonstranten gerichtet und ein
anderer filmte die Vorgänge, wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen. Die
Soldaten, die am Checkpoint Dienst taten, blieben allerdings gelassen und
fragten die beiden Protagonisten auf Arabisch: "Stellt ihr die
Maria-und-Josef-Geschichte nach?" Einer wollte wissen, wo die beiden
herkämen. Als jemand aus der Menge spöttisch "Nazareth" rief, gaben die
beiden ihren wirklichen Wohnsitz an. Und damit erhielten sie die Antwort
auf die gestellte Frage: Unsere Maria und Josef durften den Kontrollpunkt
nicht passieren. Die Soldaten konnten sie lediglich einmal am den
Metallzaun entlang führen, während die Menge sang: "O Bethlehem, du kleine
Stadt".
Warum konnten Maria und Josef im 21. Jahrhundert die Grenze nicht
passieren? - Unsere Maria hat einen israelischen Pass und darf damit legal
nicht nach Bethlehem einreisen, weil es zum Westjordanland gehört.
Israelische Staatsbürger dürfen das Westjordanland aus sogenannten
"Sicherheitsgründen" nicht betreten. Unser Josef hingegen hat im
Westjordanland ausgestellte Papiere und könnte somit legal von einer
dortigen Stadt in die andere reisen, aber er hatte seine Papiere nicht bei
sich. Deshalb konnte er den Kontrollpunkt ebenfalls nicht passieren.
Tatsache ist, dass viele Menschen aus dem Westjordanland an
Kontrollpunkten aufgehalten werden, wenn es ihnen nicht sogar völlig
untersagt wird, von einem Landesteil in den anderen zu gehen.
Darüber hinaus hätten unsere Maria und Josef auch nicht zusammenleben und
verheiratet sein können. Er hätte nicht in ihrer Stadt leben dürfen, weil
sie zu Jerusalem gehört und sich die meisten Menschen aus dem
Westjordanland nicht in Jerusalem aufhalten dürfen. Sie könnte zwar ihren
Jerusalem-Status aufgeben und zu ihm ins Westjordanland ziehen, doch käme
das einem wirtschaftlichen Selbstmord gleich. Jerusalemer, die das tun,
verlieren ihren Status und dürfen Jerusalem und Israel nicht mehr
betreten.
Die aktuelle Situation - Weihnachten 2004 - ist im Hinblick auf die
Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Palästinensern in Westjordanland
trostlos. Laut Zahlen, die vom UN-Büros für die Koordination
humanitärer Angelegenheiten (OCHA) im November 2004 veröffentlicht
wurden, wurden bis jetzt insgesamt 719 Kontrollpunkte und weitere
Hindernisse wie militärische Strassensperren oder Erdwälle errichtet.
Ausserdem gibt es sogenannte "fliegende Kontrollpunkte", die von
israelischen Soldaten oder der Polizei vorübergehend eingerichtet werden.
Bemerkenswert ist, dass die Mehrzahl der Kontrollpunkte nicht die
Bewegungsfreiheit der Palästinenser vom Westjordanland nach Israel
einschränken oder blockieren, sondern von einem Teil des Westjordanlands
in einen anderen.
Ein Teil der Arbeit des Ökumenisches Begleitprogrammes in Palästina und
Israel (EAPPI) vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) ist es, diese
Kontrollpunkte zu beobachten, um sicherzustellen, dass die Menschenrechte
der Palästinenser nicht verletzt werden, die versuchen zu passieren. Die
Anwesenheit "ökumenischer Begleiter" dient ausserdem dazu, auf die oft
sehr angespannten Situationen an den Kontrollpunkten einen mässigenden
Einfluss zu nehmen. Die Begleitpersonen dokumentieren ihre Beobachtungen
an den Kontrollpunkten durch Berichte und Fotos. Sie sind solidarisch mit
den Palästinensern, die versuchen zu passieren. Doch sie begegnen auch den
israelischen Soldaten auf eine gute zwischenmenschliche Weise, um darauf
hinzuwirken, dass der Vorgang des Passierens beschleunigt wird und frei
von Gewalt bleibt. Die ökumenischen Begleitpersonen arbeiten teilweise mit
"Machsom Watch" zusammen, einer israelischen Gruppe, die im Januar 2001
gegründet wurde. Sie besteht aus 400 Frauen in ganz Israel, viele von
ihnen Grossmütter, die ebenfalls die Vorgänge an den "Machsom" (das
hebräische Wort für Kontrollpunkt) beobachten.
Kontrollpunkte und Strassensperren beeinträchtigen das tagtäglich Leben
alle Palästinenser. Die gewaltlose Demonstration mit "Maria und Josef" hat
auf ein angenehme Weise die Aufmerksamkeit auf eine äusserst unangenehme
Situation gelenkt. Wie anders Krippenspiele doch aussähen, wenn die Krippe
durch den Sitz eines Jeeps und die Hirten durch bewaffnete Soldaten
ersetzt würden. Und hoffentlich hätten die drei Weisen auch ihre Papiere
bei sich!
[884 Wörter]
(*) Larry Fata, katholischer Lehrer und Journalist aus den USA, ist
Chefredakteur und Medienbeauftragter des EAPPI.
Kostenlose hochauflösende Fotos finden Sie unter:
http://wcc-coe.org/wcc/photo-galleries/other/maryjoseph.html
Ökumenischer Rat der
Kirchen - Feature
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Maria und Josef am israelischen Kontrollpunkt
Zur Veröffentlichung frei - 08/12/2004 |