LATEINISCHES PATRIARCHAT -
JERUSALEM
OSTERBOTSCHAFT 2005
Christus ist wahrhaft auferstanden
(Lk 24, 1-52). Wir dürfen uns freuen. Ja, inmitten all unserer
gegenwärtigen Nöte werden wir eingeladen, uns zu freuen und unser
Leben in Fülle zu leben. In dieser Osterbotschaft will ich über drei
Dinge sprechen: die pastorale Erneuerung unserer Pfarren, die
Beziehungen von Christen innerhalb unserer Gesellschaft und
schließlich, den Konflikt und den Frieden.
1. Pastorale Erneuerung unserer
Pfarren.
Ostern bedeutet eine Botschaft
neuen Lebens für alle: vor allem für unser pastorales Le-ben, wo
versucht wird, die Arbeit der Synode der katholischen Kirchen
umzusetzen. Die Erneuerung des pfarrlichen Lebens liegt vor allem in
den Händen der Pfarrer und all ihrer Helfer, Pfarrvikare, Ordensmänner
und -frauen, und der Gläubigen. Wir brauchen Erneu-erung. Wir brauchen
Auferstehung in allen Bereichen unseres Lebens. Wir können nicht
weiterhin in der Vergangenheit leben. Wir müssen in der Gegenwart
leben und uns mutig für die Zukunft rüsten. Eine wesentliche Änderung
erfordert den Willen der Pfarrer, zu-sammenzuarbeiten und
Verantwortung zu teilen. Sie müssen wissen, wie sie mit den Gläubigen
nicht nur materielle Güter teilen, um der Nöte der Armen willen,
sondern auch die Verantwortung für eine Pfarre und die Verkündigung
der Frohen Botschaft an alle, während sie gleichzeitig in der ganzen
Gesellschaft und für jede einzelne Person präsent bleiben, sogar für
die Menschen, die nicht unserer Kirche angehören oder die nicht
unse-ren Glauben teilen. Aber eine andere fundamentale Änderung ist
auch notwendig: jede Gesellschaft muss von all ihren Mitgliedern ohne
Unterschied aufgebaut werden. Das Wort Gottes, die Frohe Botschaft der
Auferstehung, mit all ihrer Freude und Hoffnung, ist für jeden
bestimmt. Sie kann nicht auf die eigene Pfarre beschränkt bleiben. Sie
ist ein ge-meinsames Gut aller Mitglieder der Gesellschaft. Wer die
Gute Nachricht in sich trägt muss wissen, wie er andere an seiner
Freude teilnehmen lässt und dabei gleichzeitig ihre Identität und die
verschiedenen Unterschiede innerhalb der Gesellschaft respektiert.
2. Die Beziehungen von Christen
innerhalb unserer Gesellschaft.
Die Frage der Beziehungen von
Christen in ihrer Gesellschaft ist kürzlich aufgetaucht anlässlich der
Spannungen zwischen Drusen und Christen im Dorf Maghar in Galiläa,
Is-rael. Ein Streit entstand, so wie das überall passieren kann. Aber
was nicht normal ist: Spannungen existieren noch immer, und es gab bis
jetzt weder Wiedergutmachungen noch Wiederversöhnung. Was auch nicht
normal ist: die zivilen Autoritäten haben vom Beginn der Spannungen an
nicht alle ihre Bürger geschützt. All dies hat Christen in Gali-läa zu
der Meinung gebracht, dass sie ihre Präsenz in der Gesellschaft und
Möglichkeiten, wie sie sich schützen können, überdenken müssen. In
Bezug auf dieses ganze Problem haben wir folgendes zu sagen. Erstens
muss der Staat seine Pflicht erfüllen, alle seine Bür-ger zu schützen.
Zweitens müssen die Christen ihrerseits zweifellos Mittel finden, um
ü-berleben zu können, ohne dazu physische, psychologische oder
sektiererische oder wo-möglich politische Ghettos zu bilden. Das
müssen sie erreichen, indem sie sich der ganzen Gesellschaft öffnen,
indem sie Gespräche mit allen Gruppen suchen, mit Muslimen, Dru-sen
und Juden, und mit dem Staat selbst. Der Weg, der vor uns liegt, ist
lang. Aber er muss begangen werden. Drittens, um ihr Überleben und ihr
Wachstum in der Gesellschaft zu sichern, müssen Christen im
Liebesgebot Jesu Christi eine spirituelle Stärke sehen, die ihnen
hilft, ihrer Situation ins Auge zu sehen und Lösungen zu finden, ohne
aber ihre Rechte zu schmälern oder aufzugeben. Dies erfordert ein
authentisches persönliches christliches Leben.
Heute erinnert uns Christi
Auferstehung alle daran, dass wir zu einem neuen Leben auferstehen
müssen. All unsere Beziehungen zwischen verschiedenen Gemeinden und
Religionen brauchen neues Leben, aber, damit dieses entstehen kann,
brauchen wir eine neue Erziehung, die auf Offenheit den andern
gegenüber und auf gegenseitiger Wert-schätzung gründet. Die Christen
ihrerseits müssen erkennen, dass der Weg zur Auferste-hung nur über
das Kreuz geht. Ihr Leben ist wie das aller anderen Menschen ein
fortwäh-render Kampf, das Rechte zu tun und würdevoll mit unseren
Brüdern und Schwestern aller Gemeinden und Religionen
zusammenzuarbeiten.
3. Die Frage des Konflikts und des
Friedens.
In diesen Tagen erleben wir eine
Zeit relativer Ruhe, und wir erleben den ausdrückli-chen Wunsch,
Frieden zu erreichen, wenigstens auf palästinensischer Seite. Aber
diesem Wunsch entgegen stehen unüberwindliche Hindernisse, die sich
auf israelischer Seite zu zeigen scheinen: die weitere Ausbreitung der
Siedlungen, statt dass sie gestoppt oder ver-lassen würden, die
Fortdauer der Belagerung palästinensischer Städte, die nach wie vor
Gefängnisstädte sind, die politischen Gefangenen, die vergessen
scheinen, und darüber hinaus all die wesentlichen Fragen, die
verhandelt werden müssen, bevor ein Abkommen erreicht werden kann. Auf
palästinensischer Seite scheint es gegnerische Stimmen zu ge-ben, die
den Beschluss in Frage stellen, dass Rechte ohne Gewaltanwendung
eingefordert werden können. Trotzdem muss dieser Wunsch nach Frieden
ermutigt und unterstützt werden. Die Sicherheit Israels ist eine
Priorität, aber genauso die Sicherheit und Unabhän-gigkeit des
palästinensischen Staates. Und diese beiden Ziele hängen voneinander
ab. Kei-nes kann ohne das andere erreicht werden.
Die Freiheit muss dieselbe sein für
alle, für die Starken wie für die Schwachen. Die Starken können nicht,
nur weil sie stärker sind, die Schwachen eliminieren oder in eine
Unterwerfung zwingen, die der Würde von Personen oder Nationen
widerspricht. Die Macht kann Tatsachen schaffen; aber wenn sie das
tut, wird die menschliche Würde Ver-geltung suchen und eine Bedrohung
und eine Quelle der Unsicherheit für die Starken bleiben. Es ist Zeit,
dass man zu der Überzeugung gelangt, dass keine Konfliktpartei auf
Kosten der anderen leben kann.
Darüber hinaus ist es sinnlos, zu
versuchen, Frieden zu machen mit der Region, bevor der Kern des
Konfliktes – der zwischen Palästinensern und Israelis – gelöst ist.
Wenn man versucht, Frieden mit den Nachbarn zu schließen, dann wird
das nur den Konflikt im Hei-ligen Land verschärfen. Dieser Konflikt
muss zuerst gelöst werden, denn der Friede in der ganzen Region hängt
vom Frieden Jerusalems ab.
Christus ist wahrhaft auferstanden
(Lk 24, 1-52). Wir dürfen uns freuen. Ja, inmitten all unserer
gegenwärtigen Nöte werden wir eingeladen, uns zu freuen und unser
Leben in Fülle zu leben.
Ich wünsche euch frohe und heilige
Ostern.
+Michel Sabbah, Patriarch
Jerusalem, Ostern, 27. März 2005
(dt. Dr. Helmut Paul) |