Bethlehems Christen fliehen
Matthew Price, BBC News, Bethlehem, 3.11.
2006
Die kleine Stadt Bethlehem ist mit
der Christenheit so sehr verbunden wie keine andere Stadt der Welt.
Aber nun fürchtet man, dass es bald überhaupt keine Christen mehr
dort gibt. Um von Jerusalem nach Bethlehem zu gelangen, muss man
durch einen Kontrollpunkt, der aber eher einem Grenzübergang
gleicht.
Israelisches Sicherheitspersonal
sitzt hinter Panzerglas und fragt nach dem Pass. Soldaten stehen mit
gezückten Waffen über einem. Eine Schranke geht hoch und man kommt
durch einen Spalt der 8m hohen Mauer, die angeblich wegen der
Selbstmordattentäter gebaut wurde.
Die Mauer trennt nun Bethlehem von
Jerusalem, zwei Städte, die seit Jahrhunderten mit einander
verbunden waren.
Sie geben auf
Ein kurzes Stück die Straße
entlang…Im Wohnzimmer bietet Reem Odeh etwas zu trinken an. Winzige
Tassen mit schwarzem Kaffee bis an den Rand gefüllt. Sie setzt sich
auf das kleine rote Plüschsofa. Dann erklären sie und ihr Mann, wie
sie dabei sind, die letzten Christen Bethlehems zu werden, die die
Stadt verlassen.
„Alles ist sehr schwierig
geworden,“ sagt Fouad Odeh. „z.B. die Arbeit – ich muss täglich zwei
Stunden am Kontrollpunkt warten, um nach Jerusalem zu kommen. Jeden
Tag zwei Stunden.“
Reem Odeh resigniert: „Es gibt
keine Arbeit mehr, die Kinder haben keinen Platz zum Spielen. Wir
wollen nicht weg von hier und nach Amerika gehen, aber Sie sehen ja
selbst“ …Sie sind nicht die einzigen, die gehen.
Die letzten Anfang November 2006
veröffentlichten Zahlen zeigen, dass Christen nur noch 15 % der
Bevölkerung Bethlehems ausmachen.
Es ist noch nicht lange her, da
waren es 80% der Stadtbevölkerung.
Das Leben in Bethlehem ist für
jeden sehr schwer geworden. Aber es sind eher die Christen, die die
Mittel und Kontakte ins Ausland haben, um das Land verlassen zu
können.
George Ghattas arbeitet hier für
das lateinische Patriarchat und versucht, die Christen zum Bleiben
zu ermutigen.
Aus der statistischen Perspektive
und wie sich die Dinge hier politisch und sozial entwickeln, gibt es
ein Problem,“ sagt er. „ In sehr kurzer Zeit hat sich hier vieles
drastisch und sehr dramatisch verändert.“
Kaum mehr Touristen. In einem kleinen christlichen Laden in einer der
engen Gassen Bethlehems sitzt ein Mann und schnitzt aus Olivenholz
etwas Hübsches als Souvenir. Aber es kommt keiner, der es kauft.
Wenn man die Gasse entlang geht,
sieht man nur mit grünen metallenen Jalousien geschlossene Läden.
Tourismus mag nach Israel zurückgekehrt sein, aber wenig Reisende
versuchen die Fahrt durch die Mauer nach Bethlehem.
Am Ende der Gasse liegt der
Krippenplatz. Wenn man im richtigen Augenblick dort ankommt, hört
man, wie gemischt die Bevölkerung der Stadt ist: Von der einen
Seite des Platzes schmettert der Muezzin vom Minarett seinen
Gebetsruf hinaus. Von der andern Seite kann man schwach das Läuten
der Glocken der Geburtskirche hören – dort wo Jesus Christus geboren
wurde. Mittags findet dort eine kleine Lichterprozession statt.
Mönche in braunen Gewändern gehen langsam in die Grotte hinunter und
singen gregorianische Gesänge. Weihrauchduft verbreitet sich an
diesem engen und bescheidenen Ort.
Öffentlich bestehen Christen
darauf, dass es keine Spannungen mit der muslimischen Mehrheit gibt.
Anfang des Jahres kam dann die islamische Hamas-Bewegung zur Macht.
Privat gestehen einige ein, dass sie sich jetzt etwas konservativer
kleiden. Es habe auch schon Kämpfe zwischen christlichen und
muslimischen Familien gegeben.
Pater Majdi Syriani sagt, das
Problem sei nicht lokal, sondern global.
„Die ganze Welt polarisiert sich um
die westliche Christenheit und den Islam. Das ist eine echte
Bedrohung – nicht für mich, sondern für die ganze Welt. Bethlehem
liegt im Brennpunkt. Es geht nicht darum, dass die muslimische Welt
mich bedroht. Die ganze Welt ist polarisiert. Das macht mir Angst.“
Bethlehems Christen haben aber
nicht nur Angst. Sie fühlen sich schwach und sehr unter Druck.
Und viele entschließen sich, es sei
- um sich zu schützen – wohl das Beste, wegzugehen.
„Das Christentum begann hier und
sollte auch hier bleiben“, sagt George Ghattas im lateinischen
Patriarchat.
„Man macht sich sorgenvolle
Gedanken, wenn am Ursprungsort dieser Religion nur noch Denkmäler,
heilige Stätten und Steine sind – aber keine lebendigen Anhänger
dieses Glauben, keine lebendigen Steine.“
(BBC News, 3.11.06 http:// news.bbc.co.uk )
(dt. Ellen Rohlfs)
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