Wer sich in diesen Tagen nach Betlehem aufmacht,
nachdem er den tristen israelischen Mauerwall
überwunden hat, wird von Weihnachtsdekoration
förmlich erschlagen. Das ist alles nicht so
aufwendig wie in Wien oder in Köln gestaltet, aber
es glimmert und glitzert die Hauptstraße rauf zur
Geburtskirche Christi an allen Fassaden und
Laternenpfählen. Die Geschäftsleute scheinen sich
mit ihren Hinguckern gegenseitig übertreffen zu
wollen. Überlebensgroße
„Bademantel-“Weihnachtsmänner strecken ihre
Wattebärte den Passanten entgegen oder laden mit den
sattsam bekannten Melodien zum Besuch und zum Konsum
ein.
Die durch zunehmende Auswanderung schwindende
christliche Bevölkerung unternimmt viel, um die
Geburtsstadt Jesu weihnachtlich zu schmücken, und
von Polizei begleitete Hebebühnen sind unterwegs, um
den vielen Helfern das Aufhängen von Leuchtgirlanden
zu ermöglichen. Elektriker und alle, die irgendetwas
von Strom und Lampen verstehen, sind im Großeinsatz
in Betlehem. Ehrenamtliche Helfer sind ungezählt im
Einsatz, um den Stadtkern rund um die altehrwürdige
Basilika der Geburt Jesu Christi festlich zu
schmücken und für den Besucherstrom am Heiligen
Abend vorzubereiten. Nachmittags wird der
Lateinische Patriarch Fouad Twal – der
gebürtige Jordanier beduinischer Abstammung feiert
seine erste Weihnachtsmette als Bischof von
Jerusalem – auf dem sogenannten Krippenplatz vor der
Kirche, auf die in diesen Tagen die Augen der Welt
gerichtet sind, erwartet. Filmkameras aller
möglichen Fernsehanstalten und Gäste aus aller
Herren Länder werden zugegen sein. In die Kirche
kommt man allerdings nur mit einem besonderen
Ticket, das rechtzeitig vorher im Christlichen
Informationszentrum in der Jerusalemer Altstadt
beantragt werden mußte. Wenn das auch kostenfrei zu
bekommen war, im Endeffekt werden wenige Christen
aus Betlehem selbst und der Westbank in der Kirche
mitfeiern dürfen. An Epiphanie, am 6. Januar
nächsten Jahres, dem Fest der Heiligen Drei Könige,
muß der nach Betlehem kommen, der mit den
Einheimischen zusammen die Messe feiern möchte.
Einzelne Gemeinden, nach Sprachgruppen getrennt,
haben sich am Heiligen Abend Höhlen und
Gottesdienstplätze bei den traditionellen
Hirtenfeldern reserviert, um Weihnachten mit ihren
Liedern und nach ihren Bräuchen liturgisch zu
feiern. Teils kommen sie, wenn es das Wetter
erlaubt, zu Fuß die ca. 10 km von Jerusalem aus an.
Andere Pilgergruppen bleiben am Heiligen Abend auch
gerne in ihren Quartieren in Jerusalem und der
Umgebung, um dort die Christmette zu feiern, und
wählen die etwas ruhigeren Weihnachtsfeiertage am
25. und 26. Dezember für einen Besuch in Betlehem.
Was hat der ganze Trubel eigentlich, so fragt man
sich unwillkürlich, noch mit der Weihnachtsbotschaft
und einem seit alter Zeit so zu Herzen gehenden Fest
zu tun? –
Aber: Wer hätte das Recht, sich über den Rummel und
den glimmernden Pomp in der Geburtstadt Jesu zu
ereifern! Die unter schwierigen politischen und
wirtschaftlichen Bedinungen hier lebenden Menschen
klammern sich an die Aufmerksamkeit, die ihnen wie
ein Geschenk des christlichen Glaubens oder des
Kalenders erscheinen muß. Die Chance zur
Geschäftemacherei darf man einer Region, die vor
Kurzem noch eine Arbeitslosenquote von 60 Prozent
aufwies, nun wirklich nicht verübeln.
Weihnachten – das Fest der Geburt des Friedenskönigs
Jesus Christus! Hier in Betlehem wächst mit jedem
Jahr die Sehnsucht, daß Frieden angesichts von
Mauer, Checkpoints, Terrorangst und
Zukunftsverunsicherung möglich ist. Dafür stehen all
die emsigen Helfer, die in ihrer Heimat wider alle
Widrigkeiten ausharren. Nicht zu vergessen die
weltweiten Beter, die dem Geheimnis der
Menschwerdung Gottes in Jesus Christus in bester
frommer Absicht nahe sein wollen, ob nun vor Ort
oder, ermöglicht durch Rundfunk und Fernmsehen,
geistig mit Betlehem und den Brüdern und Schwestern
verbunden.
Und im neuen Jahr, so ist es immer lauter zu hören,
soll der Papst nach Palästina und Israel kommen. Ob
die Christen in der Region in und um Betlehem diese
Nachricht wirklich mit Freude erfüllt, steht dahin.
Seinerzeit hatte es noch geheißen, der Papst erwarte
vor seiner Pilgerreise ins Heilige Land konkrete
Erleichterungen für die palästinensischen Christen.
Davon ist aber bislang wenig zu spüren. Unterdessen
ist, gar sehr diplomatisch, nur noch davon die Rede,
daß ein Besuch des Heiligen Vaters im Lande Jesu ein
„Zeichen der Ermutigung“ für die israelischen Seite
sein könnte.
An Weihnachten sind die Grenzen nach Palästina
relativ offen. Die Welt schaut hin, und da will auch
Israel sich gastfreundlich und friedliebend geben.
Vor dem Alltag, der wenige Tage danach wieder
anbricht, fürchten sich hier viele Menschen jenseits
der Mauer. Sollte der Papst kommen, wird das, so
sind sich Beobachter sicher, nicht viel anders sein.
P. Robert Jauch OFM, Jerusalem