Demokratie gegen Demographie
Lev Greenberg, Haaretz, 9.2.06
Yitzhak Laor behauptete, dass die Forderung nach einem Referendum
nicht demokratisch sei, sondern die Konsolidierung eines
ethnozentrischen Regimes bedeutet. ( „Referendum bedeutet
Apartheid“, Haaretz, 3.2.05). Er rief auch die „Tauben“ auf, die den
Trennungsplan unterstützen, mit der förmlich-legalistischen
Diskussion aufzuhören und demokratische Argumente für die Rechte der
Palästinenser zu erheben. Ich stimme mit seiner Kritik überein, aber
es besteht die Frage, warum gibt es in Israel keinen wirklichen
demokratischen Diskurs?
Die
Position der Stärke der Yesha*- Zeloten in israelischer Politik
besteht nicht zahlenmäßig. Sie haben keine einheitliche Strategie
für die Zukunft des Landes. Ihre Stärke liegt im Diskurs, ihrer
Redeweise und den Mythen, die dem Regime Legitimität verleihen – und
die „Tauben“ von Labor und Yahad (Meretz) teilen diese Ansicht mit
diesen messianischen Extremisten.
Die
Gegner des Abzugsplanes verwenden alles, was im öffentlichen Diskurs
Wirkung zeigt: die Juden als Opfer, den Holocaust, die Demokratie.
Sie
wissen sehr wohl, dass ein Diskurs über Zivile Rechte und Demokratie
„links“ ist – deshalb fordern sie ein Referendum. Erstaunlich ist,
dass der Diskurs der messianischen Zeloten scheinbar „demokratisch“
ist, während der der Linken „demographisch“ ist.
Der
Unterschied zwischen den Gegnern und Unterstützern des
Trennungsplanes liegt im Maße der Transparenz ihrer Feindseligkeit
gegenüber den Arabern und der Herrschaft über sie. Der Diskurs der
Unterstützer des Abzugs ( der Siedler aus dem Gazastreifen) stellen
die Araber als Bedrohung dar. Sie versuchen den Zuhörer damit zu
ängstigen, dass sie von der „demographischen Gefahr“ sprechen. Die
Gegner des Abzugs ignorieren einfach die menschliche Existenz der
Palästinenser.
Aber im Streitgespräch zwischen Demokratie und Demographie haben die
Yesha-Zeloten die Oberhand, und es ist möglich, dass sie in einem
„demokratischen“ Kampf die Mehrheit in einem Referendum gewinnen,
besonders dann, wenn nur die jüdischen Stimmen gezählt werden.
Unterm Strich, wenn jeder darin übereinstimmt, dass es die Juden
sind, die über das Leben der Palästinenser entscheiden werden, dann
gibt es keine demographische Gefahr.
Trotz ihrer zahlenmäßigen Schwäche beherrscht der Yesha-Rat und die
messianischen Zeloten die öffentliche Debatte: Die „Tauben“ und
„Falken“ stimmen darin überein, dass das Land „uns“, den Juden,
gehört, und die einzige relevante Nation, die über das Schicksal des
Landes entscheidet, ist die jüdische Nation. Nach dieser Auffassung
müssen die palästinensischen Bewohner von Gaza nicht über Gazas
Zukunft gefragt werden. Es ist Sache der „Nation in Zion“, Sache
der Israelis, die innerhalb der grünen Linie leben und der Juden,
die in Gaza und in der Westbank leben, die darüber entscheiden. Das
ist die Auffassung eines „Herrenvolkes“: Juden werden entscheiden,
was für Palästinenser am besten ist. Der Konsens zwischen den Yesha
Zeloten und „linken Tauben“ wird ein demokratischer jüdischer Staat
genannt. (s. das Kinnereth-Abkommen von 2003)
Das
ist aber kein demokratischer Staat mit jüdischem Charakter und
jüdischer Kultur, sondern ein diskriminierendes Regime, das den
Juden mehr Rechte gewährt und den Arabern die gleichen Rechte
verwehrt. Es gibt keine Demokratie in der Welt, in der ein Volk
entscheidet, was für ein anderes Volk gut ist. Solch ein Regime wird
von Prof. Oren Yiftahel eine „Ethnokratie“ genannt, und es ist der
Wunsch der „Nation von Zion“ Herrscher über das ganze Land zu sein.
Jede Diskussion darüber, dass Palästinenser als gleiche menschliche
Wesen „nach dem Bilde Gottes“ geboren wurden, wird als
„verräterisch“ gebrandmarkt oder es sei die Redeweise von
„Araberliebhabern“. Deshalb gibt es keinen sprachlichen oder
demokratischen Diskurs, der den Abzugsplan unterstützt und ein
Referendum ablehnt.
Die rassistische Sichtweise, die die Existenz des besetzten Volkes
ignoriert oder dieses als minderwertig, wild und gefährlich
darstellt, kam im Europa der letzten Jahrhunderte auf, um den
Landraub und den Raub von Ressourcen in Afrika, Amerika und Asien
durch die „Weißen“ zu rechtfertigen. Auf diese Weise versuchten
sie, ihre Akte der Plünderung, der Unterdrückung und des Tötens zu
rechtfertigen. In Europa wurde diese rassistische Einstellung zuerst
gegenüber den semitischen Völker angewandt, die Europa
„überschwemmten“, und man begann mit den Juden. Wir waren die Opfer
dieses Rassismus und die Geschichte – oder göttliche Einmischung –
hat uns nun vor eine schwierige Aufgabe gestellt.
Bei
dem Versuch dem Anti-Semitismus zu entfliehen, bauten wir eine
kolonialistische Realität im Verheißenen Land auf , die die
Menschlichkeit der „Eingeborenen“ leugnet.. Nach der Besatzung 1967
wurde diese Ansicht so exklusiv, dass es erschreckend war,
öffentlich darüber zu diskutieren.
Mir
ist bewusst, dass es schwierig ist, eine solche Einstellung mit
solch einem Diskurs zu ändern, besonders wenn seine Vertreter
und/oder Protagonisten so gewalttätig sind. Yitzhak Rabin – möge er
in Frieden ruhen – bezahlte mit seinem Leben. Eine Woche vor seinem
Mord wurde er im Fernsehen gefragt, wie er den Rückzug durchführen
würde, wenn er nicht die jüdische Mehrheit hinter sich hat. Die
Frage machte ihn wütend, und er bezeichnete sie als eine
rassistische Frage. Die Delegitimierung des Oslo- Abkommens gründete
sich auf das Argument, dass es auf arabische Stimmen begründet war.
Es
ist schwer, einen Diskurs zu ändern, aber es ist noch viel
schwieriger einen Besatzungsapparat aufzulösen, ohne den Diskurs,
die Redeweise und die Mythen, die ihn rechtfertigen und verewigen,
zu demontieren.
* Yesha = Judäa und Samaria , also die Siedler aus
der Westbank
Der Verfasser ist
politischer Soziologe an der Ben-Gurion –Universität.
Dt. Ellen Rohlfs |