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Abschiedspartie in Gaza

 

Lev Grinberg, Januar 2009

 

Israels Offensive im Gazastreifen ist die Abschiedspartie  der israelischen Regierung für den scheidenden US-Präsidenten George W. Bush. ‚Israels bester Freund’ hat es bei jedem Konflikt und Krieg unterstützt, seine aggressiven Unternehmungen gerechtfertigt und  internationale Interventionen gegen dieses verhindert. Bush pries Israels Position als die eines Mittelstürmers in seinem Krieg gegen  den Terror und hat dadurch  seinen extremsten rechten Flügel gestärkt. Wer Freunde wie diese hat, braucht der dann noch illusorische Feinde?

 

Aber Israel ist doch kein Satellitenstaat der USA. Es versucht , der US-Politik entgegenzukommen, aber auch seine eigene Agenda auszuführen. So z.B. waren die acht Jahre des Friedensprozesses während der Clinton-Regierung ( 1992 – 2000)  eine israelische Initiative, die Clintons Vermittlung neutralisierten und umgingen, genau wie die acht Jahre Krieg und einseitige Politik der Bush-Regierung ( 2000-2008) begann,  also vor Bushs Amtseinführung. Auch jetzt begann Israel die Eskalation im Gazastreifen am 4. November 2008, ohne jemanden zu benachrichtigen – es war der Wahltag in den USA. Israels augenblickliche Aggression kann nicht verstanden werden, wenn man nicht das Timing näher betrachtet, d.h.  die günstige Gelegenheit zwischen Obamas Wahl und seinem Amtsantritt.

 

Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich mit dem bekannten, verstorbenen  US-Wissenschaftler Charles Tilly während seines Besuches in Israel im Mai 2000 hatte. Er fragte mich nach der politischen Logik des damaligen Ministerpräsidenten Ehud Barak. Ich nannte ihm sein politisches Programm: Rückzug aus dem Libanon im Juli, Verhandlungen mit den Palästinensern im September beenden, US-Wahlen im November. Tilly unterbrach  mich und behauptete, dies sei kein politisches Programm, dies sei militärische Logik: Ultimaten geben, Verhandlungen vermeiden und dann einseitige Aktionen. Er hatte Recht; in dem besonderen demokratisch/ militärischen Regime Israels handelten die Politiker/Generäle seitdem unilateral: Rückzug ( aus dem Libanon, 2000), Abzug der Siedler (aus dem Gazastreifen, 2005), unverhältnismäßig gewalttätige Reaktionen ( in den besetzten Gebieten 2000-2004 gegen die Intifada, im Libanon und Gaza nach den Entführungen von Soldaten 2006 und jetzt im Gazastreifen), das illegale Bauen der Trennungsanlage/ Mauer. Dies alles sind unilaterale militärische Maßnahmen ohne Anerkennung des anderen, ohne Verhandlungen. Die US-Unterstützung ist äußert wichtig; also sind die Präsidentenwahlen ein Teil des militärischen Zeitplanes.

 

Der Angriff auf den Gazastreifen ist eine Fortsetzung der einseitigen und aggressiven Politik der letzten acht Jahre mit dem Ziel, die Unterstützung der Bush-Regierung auszunützen und gleichzeitig den neu gewählten Präsidenten Obama zu zwingen,  sofort nach Übernahme des Amtes – also während einer Krise - Position zu beziehen. Die Maßnahmen begannen am 4. November 2008, als die IDF in den Gazastreifen eindrang, einen Tunnel sprengte und sechs Hamasleute tötete und dabei die Feuerpause nach vier ein halb Monaten brach. Die Palästinenser reagierten mit dem Abschuss von Qassem-Raketen nach Israel; als Antwort darauf schlossen die IDF die Grenzübergänge und verstärkten die Belagerung des Gazastreifens. Die Belagerung dauerte seitdem weiter an. Deshalb verkündete die Hamasregierung, die Bedingung für die Erneuerung der Feuerpause wäre die Aufhebung der Belagerung und die Öffnung der Grenzübergänge. Israel legte die Bedingung, die Grenzübergänge zu öffnen, als eine Verweigerung aus, die Feuerpause zu verlängern.

 

Israel nennt dies „Selbstverteidigung“. Präsident Bush, der Präsident Frankreichs, die Bundeskanzlerin Deutschlands und auch der Präsident Ägyptens wiederholten das Mantra der „Selbstverteidigung“. Israels Argument ist, dass „kein souveräner Staat es zulassen könne, dass er von einem benachbarten Staat beschossen wird“ – und dabei die Tatsache ignoriert, dass der Gazastreifen kein „benachbarter Staat“ ist. Dies ist  der Kern des Konfliktes: Der Gazastreifen ist ein großes Gefängnis, das von der israelischen Armee kontrolliert wird, die Waren- und Personenaustausch verhindert – und zwar nicht nur an den Übergängen zu Israel, sondern auch an der ägyptischen Grenze sowie aus der Luft und vom Meer her.

 

Der Betrug durch die israelische Regierung hätte nicht akzeptiert werden können, wenn es nicht für die Ära des ‚Krieges gegen den Terror’ des Präsidenten Bush gewesen wäre, zusammen mit dem Betrug über die Invasion in den Irak und das Massentöten der Zivilisten mittendrin. Vor der Besatzung des Irak im April 2002, als die IDF die Städte der Westbank wieder besetzte, Hunderte von Palästinensern tötete und die Institutionen der Palästinensischen Behörde auseinander nahm, gab es herbe internationale Kritik an Israel, und nur eine Intervention der Bush-Regierung verhinderte, dass eine UN-Kommission  kam, um das Massaker in Jenin  zu untersuchen. Wer wird jetzt eine Untersuchungskommission aufstellen?

Der Bush-Regierung war es gelungen, den Krieg gegen den Terror über die ganze Welt zu verbreiten, wobei sie die weltweite öffentliche Meinung glatt ignorierte. Doch während Bush  im Irak geblieben ist, haben sich Europa und die gemäßigten arabischen Länder nach und nach mit seiner Politik abgefunden. Wenn es etwas gibt, das Israels Überfall auf den Gazastreifen ähnelt, so ist es die Besatzung des Irak durch die USA, und wenn es Israel gelingt, die Hamasherrschaft zu vernichten, so wie Bush die Herrschaft Sadam Husseins vernichtet hat, wird es nicht in der Lage sein, aus dem Gazastreifen herauszukommen.

 

Weltweit waren viele  über Obamas Schweigen zum israelischen Angriff enttäuscht. Die Enttäuschung über die US-Politik im Nahen Osten seit  der Carter-Regierung mag gerechtfertigt gewesen sein. Es war nicht viel von ihr zu erwarten. Wenn der neu gewählte Präsident Bushs Politik fortsetzt – nur mit einem verbesserten Image im Clinton-Stil – dann würde es eine Katastrophe sein. Es gibt eine starke Verbindung zwischen dem Irak und dem Gazastreifen, und wenn der US-Rückzug aus dem Irak nicht von einem ehrlichen und durchführbaren israelisch-palästinensischen Abkommen begleitet wird, dann wird der radikale Islam tatsächlich Kairo, Tel Aviv, Paris und London erreichen.

 

Aber es gibt noch eine andere positivere Möglichkeit. Es ist möglich, dass Barack Obama begriffen hat, in welche Falle  Israel ihn ziehen wollte. Deshalb entschied er, so lange zu schweigen, wie er keine exekutive Macht hat. Ich hoffe, dass dies der Fall ist und dass Obama, sobald er im Amt ist, sich als wahrer Freund Israels verhält und dieses vor sich selbst bewahrt. Er muss Israels Aggression anhalten. Israels Problem ist ein Übermaß militärischer Macht, das mit dem Trauma des Holocaust zusammenhängt. Israel benimmt sich wie der Bulldogge aus der Nachbarschaft, die nur darauf wartet, dass ihr jemand  Grenzen setzt, weil sie die Macht hat, alles um sich herum zu zerstören und sich dabei selbst zerstört. Jeder der ernsthaft Israel zu helfen versucht, muss es von seiner Position befreien, der ‚Mittelstürmer im Krieg gegen den Islam’ zu sein, in den ihn die Bush-Ära mit ihrem Krieg gegen den Terror hineingezogen hat. Hoffen wir, dass der Krieg im Gazastreifen eine Abschiedspartie ist, die das Ende von Bushs zerstörerischer Ära ist. Es wird höchste Zeit für den versprochenen „Wechsel“. Obama, ja DU kannst.

 

Lev Grinberg ist der Autor von „Politics and Violence in Israel/Palestine: Democracy vs. Military Rule“   (kommt  Mai 2009 heraus, bei Routledge)  Dieser Artikel erschien gekürzt und nicht von ER übersetzt in der TAZ                   (dt. Ellen Rohlfs)

 

 

 

 

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