Uri
Avnery .... Der Krieg zwischen ihnen ist kein außergewöhnlicher Zustand,
sondern wurde zur Normalität.
All die durch die Kriege produzierten Gifte wie Furcht, Hass und
Vorurteile wirken weiter im Gemüt und Verstand der neuen Generation, der
fünften, die in diesen Krieg hineingeboren worden ist, eine Generation,
deren ganze physisch-psychische Welt vom Krieg gestaltet wird.
Darum lebt jedes der beiden
Völker wie in einer abgeschlossenen Seifenblase, abgekapselt vom anderen
und tatsächlich auch von der ganzen übrigen Welt. Innerhalb seiner
Seifenblase kultiviert jedes Volk seine Schmerzen, die Überzeugung, das
größte Opfer zu sein, die Erinnerung an die ihnen zugefügten
Ungerechtigkeiten, den Zorn über das andere grausame, mörderische und
abscheuliche Volk. Jedes Volk glaubt, dass absolute Gerechtigkeit auf
seiner Seite sei - und darum auch an die absolute Ungerechtigkeit der
anderen Seite.
Diese Seifenblase ist ein
Gefängnis, abgeschlossen und abgesichert, mehr als durch Mauern und
Stacheldraht - Israelis und Palästinenser sind Geiseln ihrer eigenen
geistigen Welt. Sie sind nicht in der Lage, einander wahrzunehmen und die
Welt so zu sehen, wie sie ist. Sie sehen nur das Spiegelbild im magischen
Spiegel, der nur das zeigt, was sie sehen wollen.
Für beide ist die Seifenblase
eine Lebensnotwendigkeit; es ist eine Selbstschutzmaßnahme, die sie mit
dem Gefühl von Sicherheit, der Gewissheit der Rechtmäßigkeit ihrer Sache
und einem Orientierungs- sinn ausstattet. Die Welt außerhalb der
Seifenblase ist kalt und feindlich gesinnt, drinnen ist Wärme und ein
Gefühl der Zusammengehörigkeit. Jeder, der versucht, die Seifenblase
aufzubrechen, wird einer Welle von Hass und Zorn gegen sich selbst
ausgesetzt sein – die sogar tödlich sein könnte.
Das gilt nicht nur für das
Geschehen jetzt. Es betrifft alles, was sich zwischen den beiden Völkern
in den letzten 120 Jahren - seit Beginn des zionistischen Unternehmens in
diesem Lande - zugetragen hat. Jedes Geschehen – ob groß oder klein –
erscheint ohne Ausnahme im kollektiven Gedächtnis beider Völker auf
verschiedene, ja, gegensätzliche Art. Die Folge davon ist, dass alles, was
jetzt gesagt wird, alles was von einer Seite vorgeschlagen wird, in den
Ohren der andern verdächtig und bedrohlich klingt. Deshalb wird jede
Verhandlung zur Schlacht, und jedes Gipfeltreffen verstärkt nur den
gegenseitigen Hass.
Auf diese Weise ist ein
Teufelskreis entstanden: ohne Entfernen der Seifenblasen kann es keinen
Frieden geben – ohne Frieden ist es unmöglich, die Seifenblasen
aufzulösen.
Noch eine persönliche
Bemerkung: Ich bin vor vielen Jahren zu der Überzeugung gekommen, dass
dieser Teufelskreis nicht nur durchbrochen werden muss – sondern auch
durchbrochen werden kann.. Seitdem versuche ich, ein gemeinsames
israelisch-palästinensisches Narrativ aufzubauen, das das Narrativ beider
Völker in sich birgt, nicht, indem ein künstlicher Kompromiss geschaffen
wird, sondern in dem ich nach der Wahrheit suche. Ich habe darüber schon
Bücher und Aufsätze geschrieben. In dieser Woche hat Gush Shalom eine
Broschüre herausgegeben mit dem Titel „Wahrheit gegen Wahrheit“. Wir
versuchen darin, ein gemeinsames Narrativ des Konfliktes zu skizzieren
und berücksichtigten die Standpunkte beider Seiten.
Mir ist klar geworden, dass
ohne ernsthafte Anstrengung von beiden Seiten, sich auch des Standpunktes
der anderen Seite voll bewusst zu werden und ihn zu verstehen, jede
Bemühung, einen wirklichen Frieden zwischen beiden Völkern zu erreichen,
fehlschlagen wird....mehr
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