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Die Krise der Demokratie in Israel
geschieht heimlich. Sie geschieht langsam und ist bedeckt. An einem Tag
wird ein bizarres Gesetz verabschiedet, am nächsten Tag wird eine neue
Einschränkung verhängt. Extreme Erklärungen werden gemacht und
peinliche Enthüllungen. Einiges verbindet die Punkte zu einer roten
Linie. Erst in der Rückschau sehen wir, dass wir eine Reihe roter Linien
wie diese überquert haben, rote Linien, die wir nie zu überqueren
schwörten.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und
seine Spießgesellen verwandeln Israel in ein seltsames Regime, das man
kaum als Demokratie bezeichnen kann – eine Einmann-Herrschaft und
Anarchie, die Herrschaft durch eine Mehrheit, die nicht regiert,
weitgehende Freiheit des Ausdrucks, was Rassismus und Religiosität
betrifft, während ein liberaler Ausdruck eingeschränkt ist. Religiöser
und nationalistischer Fundamentalismus durchdrang immer mehr die Reihen
der Armee und das Rechtssystem, während die Presse und die
Nichtregierungsorganisationen begrenzt sind. Dabei haben wir noch nicht
einmal die Negation der Rechte der halben Bevölkerung erwähnt, die
unter israelischer Herrschaft zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer
lebt.
Die Opposition trägt auch Verantwortung
für die Erosion der Demokratie. In einer richtigen Demokratie gibt es
eine Regierung und eine Opposition. So lange wie die Regierung
funktioniert, kann sie wieder gewählt werden. Wenn diese aber versagt,
ist die Opposition mit Alternativen bereit. Doch wenn es keine
Opposition gibt und keine besseren Alternativen, ist die einzige
Alternative zum Versagen der Regierung Verzweiflung.
Seit Mitte der 80iger-Jahre hat Israel
keine oppositionelle Alternative zur Regierung gehabt. Es gibt eine
Regierung und es gibt Leute, die sich der Regierung anschließen wollen.
Ist es da ein Wunder, dass die Situation so schlecht aussieht? Jeder
scheint gebannt am Fernseher zu surfen, zu plaudern oder Pokermon Go
spielen, sie machen alles Mögliche nur nicht Politik.
Seitdem sich die Opposition kategorisch
weigert, ihre substantielle Aufgabe zu erfüllen, warum sich dann nicht
besser mit Spielen beschäftigen, als sich der Verzweiflung hingeben. Es
ist noch nicht alles verloren. Liebe Opposition, ersetzt euer
Betriebssystem! Stellt euch eine wirkliche Krise vor, so etwas wie ein
politischer Mord, ein gewalttätiger Staatsstreich, die Errichtung eines
halachisch religiösen Staates, einige mega-terroristische Angriffe von
Juden auf dem Tempelberg oder irgendein Horror, der euch gefällt. Dann
handelt.
Eine echte Opposition würde den Diskurs
ergreifen und nicht auf ein paar Internetposter reagieren. Sie sollte
Netanjahu Grenzen setzen, nicht das Gegenteil tun. Und sagt mir nicht,
das kann nicht gemacht werden. Hundert Tausende Demonstranten gingen im
Sommer 2011 auf die Straße ohne Organisation und dies hatte Wirkung, die
heute noch Wellen schlägt. Nehmen wir an, die Opposition kämpft, um die
Demokratie zu retten. Nehmen wir an, dass sie die Krise auf der Ebene
der Emotion (und der Angst) bekämpft, als ob es der Iran wäre oder
Terrortunnels oder eine andere Netanjahu-Phobie. Macht das zum
Haupt-Thema.
In der Schlacht um Demokratie sollten sie
kämpfen und zwar so, dass sie es ernst meinen. Geht nicht harmlos in das
Knesset-Plenum, stimmt nicht über Gesetze ab und nehmt nicht an
Diskussionen teil: lasst sie allein abstimmen. Lasst es die einzige
Demokratie im Nahen Osten und der Welt sein, die nur vom rechten Flügel
angeführt wird. Lasst es kristallklar sein, dass diese ganze
Gesetzgebung eine feindselige Übernahme der Mehrheit über alles ist.
Schafft eine „Schatten-Knesset“ in der ihr parallele Diskussionen
führt. Gewährt Rassisten, Gangstern und Dieben keine Druckerlaubnis.
Wenn sie versuchen, lästige Knesset-Mitglieder los zu werden, dann soll
die ganze Opposition den Saal verlassen, so dass keiner ihre Plätze
einnimmt. Falls diese Botschaft nicht verstanden wird und die
chauvinistische Dampfwalze weiterrollt, macht den nächsten Schritt.
Boykottiert die Wahlen – keine Oppositionspartei wird teilnehmen. Und
schließlich gibt es ja immer noch die allgemeine Öffentlichkeit – ein
gewaltfreier ziviler Aufstand.
Eine Rebellion gegen Steuern und den
Reservedienst in der Armee. Wer unsere Rechte nicht will, will auch
keine Pflichten. Und versteckt euch nicht hinter dem sinnlosen Argument,
dass solche Aktionen die Demokratie zerstören. Manchmal müssen Dinge
zerbrochen werden, um wieder aufgebaut zu werden. Bis ihr das
Antibiotikum werdet, das heilt, werdet ihr ein Teil des Eiters sein. Der
Kampf wird kein leichter sein. Einige von Euch werden für diesen nicht
gebaut sein. Aber die Robusten werden überleben und sie sind diejenigen,
die diese schlechte Regierung stürzen werden und sie werden diejenigen
sein, die die Hoffnung wieder herstellen, und zwar schneller als ihr
euch vorstellen könnt.
(dt. E. Rohlfs)
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