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Kommentar
des Monats August 2011
für: "Das Palästina
Portal"
von Abraham Melzer
Stoltenberg contra
Islamophobie
Nachdem
bekannt wurde, dass der
norwegische Massenmörder
in seinem 1500 Seiten
dicken Vermächtnis den
Namen eines seiner
geistigen Gurus, Henryk
M. Broder, neun Mal
erwähnt hat, versucht
die Presse in
Deutschland, von der FAZ
bis zur taz, darauf eine
Antwort zu geben. So
berechtigt und notwendig
die Kritik an dem
Islamophoben,
Antidemokraten und
eigentlich auch
Antisemiten Broder auch
ist, so kam doch die
beste Antwort auf
Broders
radikal-reaktionären
Ansichten aus Norwegen.
Ministerpräsident
Stoltenberg hat nach dem
Bombenanschlag und dem
Massaker auf der Insel
Utoya immer wieder
instinktiv die richtigen
Worte gefunden und sein
Volk aufgefordert, noch
mehr Toleranz zu zeigen,
keine Rachegefühle
aufkommen zu lassen und
zusammen zu halten. Das
ist genau das Gegenteil
von dem, was Leute wie
Sarrazin und Broder,
Giordano und Leon de
Winter seit Jahren
predigen. Wir sehen in
Norwegen, dass Toleranz
funktionieren kann und
dass man auch ohne Hetze
gegen Minderheiten eine
intakte Gesellschaft
aufbauen und führen
kann.
Was werden nun diese
Islamophoben jetzt tun?
Werden sie weiter gegen
den Bau von Minaretten
hetzen? Werden sie
weiter vor Integration
warnen? Werden sie
wieder das
Schreckensgespenst einer
Gesellschaft an die Wand
malen, die vor dem Islam
kapituliert und dabei
ist sich aufzugeben. In
Norwegen ist es
jedenfalls trotz der
schrecklichen
Katastrophe nicht so
gekommen. Die
Bevölkerung ließ sich
nicht aufhetzen und die
rechtsradikale
Fortschritts-Partei
schweigt vor Scham und
Angst das Falsche zu
sagen und noch mehr
Mitglieder zu verlieren.
Wie will Broder noch
sein „Hurra – wir
kapitulieren“
rechtfertigen? Selbst
das Innenministerium
bestätigt, dass nur ein
Prozent der muslimischen
Bevölkerung in
Deutschland
radikalisiert sei. Bei
der jüdischen
Bevölkerung ist es mit
Sicherheit viel mehr,
die die rechtsradikale
Politik in Israel
unterstützen.
Wenn Sarrazin und Broder
echte Integration
propagieren und vor
falscher warnen, dann
ist es doch auch an der
Zeit, sich zum Beispiel
mit der jüdischen
Minderheit in diesem
Land zu beschäftigen,
die von einem Zentralrat
repräsentiert wird, der
den Eindruck erweckt,
Sprecher des
israelischen
Hasbara-Ministeriums zu
sein. Warum fand Broder
die nationalistische
Rede des türkischen
Ministerpräsidenten so
grauenhaft, während fast
zeitgleich die
Ex-Vorsitzende des
Zentralrats der Juden,
Charlotte Knobloch, bei
einer öffentlichen
Solidaritätsveranstaltung
mit Israel gesagt hat:
„Israel ist unsere
geistige Heimat“ und
während sein Kollege und
Bruder im Geiste, Ralph
Giordano öffentlich
sagt, dass Israel sein
„Mutterland“ sei. Dürfen
die in Deutschland
lebenden Juden neben dem
deutschen Vaterland auch
noch Israel als
Mutterland haben?
Eigentlich ist eine
Doppelnationalität nach
deutschem Recht
verboten. Oder ist sie
nur den Türken verboten?
Während man hohe Hürden
für „gewöhnliche“
Immigranten aufbaut,
bevor sie die deutsche
Staatsbürgerschaft
erhalten, wirft man die
deutsche
Staatsbürgerschaft
jüdischen oder
israelischen Migranten
nach und gestattet bei
ihnen sogar die doppelte
Staatsbürgerschaft. Über
diese „Sonderbehandlung“
von Juden und Israelis
verliert man von
Regierungsseite kein
Wort.
Norwegen hat gegen die
Gewaltexzesse eines
faschistischen und
islamophoben
Massenmörders die
richtige Antwort
gegeben. Sie sind alle
Norweger, alle dort
geborenen und dort nicht
geborenen, die in der
Sprache von Broder und
Sarrazin „Immigranten“
heißen. Für die Norweger
und für
Ministerpräsident
Stoltenberg sind sie
Menschen wie du und ich,
die lediglich die
Pflicht haben die
Gesetze so zu achten,
wie jeder andere
Norweger auch.
Bei Broder haben wir es
aber mit einem seelisch
und charakterlich
deformierten und
paranoiden Menschen zu
tun, der offensichtlich
Spaß am Töten hat. Als
ich im Mai 2011 einen
Beitrag über ihn
veröffentlicht hatte mit
dem Titel „Broder macht
es Spaß ´Mörder` zu
sein“ und darin
behauptet habe, dass
sich der SPIEGEL endlich
von diesem grauenhaften
Islamophoben getrennt
habe, da ließ er eine
einstweilige Verfügung
nicht etwa wegen den
Angst machenden Titel,
sondern weil ich mich
einer „unwahren
Tatsachenbehauptung“
schuldig gemacht habe.
Nicht der SPIEGEL hat
sich von Broder
getrennt, sondern Broder
vom SPIEGEL. Das nicht
beachten dieser
Reihenfolge hat mich
einige hundert Euro
gekostet. Broder
brauchte das vor Gericht
nicht nachzuweisen. Eine
von ihm unterschriebene
eidesstattliche
„Ehrenerklärung“ hat
gereicht. Er hat auch
nicht begründet warum er
sich vom SPIEGEL
getrennt hat, ob aus
finanziellen Gründen,
weil dem
Springer-Konzern der
inzwischen
rechtskonservative und
fast schon
rechtsradikale
Islamophobe viel Geld
wert war, oder weil er
sich schlicht und
einfach mit dem SPIEGEL
ideologisch überworfen
habe. Offensichtlich war
ihm der SPIEGEL zu
liberal.
(...)
Sei es wie es ist,
Broder ist jedenfalls
nicht mehr beim SPIEGEL
und das ist gut so.
Broder ist es
gleichgültig wenn man
von ihm behauptet, dass
es ihm Spaß mache
„Mörder“ zu sein.
Genauso gleichgültig war
ihm auch der Mord an
mehr als siebzig
Jugendlichen auf der
kleinen Insel Utoya in
Norwegen. Ersatzteile
für seinen Oldtimer
waren ihm wichtiger, um
das Schicksal der Opfer
machte er sich keine
Sorgen. Warum auch? Wenn
man seit Jahren solchen
„Tätern“ wie Anders
Breivik geistige
Munition liefert,
braucht man sich auch
nicht zu wundern oder
gar aufzuregen, wenn
solche ein geistig
labiler und andererseits
willensstarker Fanatiker
das in die Tat umsetzen,
was man ihm „empfohlen“
hatte.
Die Norweger haben aber
allen Islamophoben,
Antisemiten,
rechtsradikalen
Antidemokraten und
gewissenlosen
Schreibtischtäter eine
Ohrfeige erteilt. Sie
lehnen diesen Weg ab und
bevorzugen die Toleranz,
ausgerechnet die
Toleranz, die Broder als
Schwäche und Dummheit
interpretiert. Statt
über das Geschehene
nachzudenken, eine Weile
innehalten und
überlegen, ob der Weg
richtig sei, den man
gegangen ist und immer
noch geht, entscheidet
sich Broder für den
Angriff oder für die
Flucht nach vorne. Mit
seinem Galgenhumor und
Zynismus gibt er dem
Stern die flapsige
Antwort: „Ein paar Namen
kommen dagegen gar nicht
vor: Ich habe mit meinen
Freunden Leon de Winter
und Hamed Abdel-Samad
vor kurzem gesprochen,
die beiden sind
beleidigt, weil sie in
dem ganzen Komplex nicht
angemessen erwähnt
werden.“ Dabei wird
Broders Namen neun Mal
erwähnt, die eiserne
englische Lady Margaret
Thatcher dagegen nur
sechs Mal und der
national-muslemische
türkische
Ministerpräsident
Erdogan nur fünf Mal.
Milosevic, von dem
Broder so viel gehalten
hat nicht einmal halb so
oft wie er, nur vier
Mal. Und seine beiden
oben erwähnten Freunde
werden nicht nur „nicht
angemessen“ erwähnt,
sondern überhaupt nicht.
So kann der jüdische
Clown und
selbsternannter
Reaktionär ganz allein
die Ehre für sich
einstreichen und
natürlich den damit
verbundenen Ruhm. Sein
Name wird (hoffentlich)
für ewig mit dem Namen
des Massenmörders Anders
Breivig verbunden sein.
Hoffentlich werden sich
bald noch mehr deutsche
Zeitungen von ihm
distanzieren
und selbst
der Tagesspiegel aus
Berlin, wo er jahrelang
manch peinlichen Artikel
veröffentlichen durfte,
betrachtet kritisch und
distanziert seine
Rundumschläge, mit denen
er sich befreien möchte.
Dabei befindet er sich
wie ein Sinkender im
Moor…je mehr er um sich
schlägt, desto schneller
versinkt er. Hoffentlich
auf nie mehr
wiedersehen.
Und was dieser
Massenmörder uns allen
weggenommen hat, das
haben viele in Norwegen
sofort verstanden: er
nahm uns den Glauben
weg, dass es in der Welt
das „absolute Böse“
gibt. Für Broder und
seine Kameraden sind
Islamisten,
Antizionisten und linke
Faschisten das „absolute
Böse“. Für viele
Norweger ist aber ihr
Landsmann Anders Breivik
das „absolute Böse“. In
dem Augenblick, in dem
allen Menschen klar sein
wird, dass das absolute
Böse immer in Relation
zu ihnen selbst steht
und immer nur in ihren
Augen zu sehen ist, wird
das absolute Böse, das
sie bis dahin
beherrschte, anfangen,
sich zu relativieren und
aufzulösen. Dann bekommt
alles im Leben eine neue
Bedeutung: Die
Zugehörigkeit
verschwindet, der Stolz
fehlt, der Glaube gibt
nach, die Reue nimmt zu,
Entschuldigung entsteht.
So kann die Achse des
Bösen auch die Achse des
Guten sein und
umgekehrt.
Broder bestätigt diese
These in seinem Buch
Hurra – wir kapitulieren:
"Um ein Haar wäre auch
ich ein Terrorist
geworden. Alle
Voraussetzungen waren
gegeben." (S. 7) "Ich
wäre der idealtypische
Amokläufer gewesen." (S.
8) Aber es konnte
aus dieser Traumlaufbahn
nichts werden, "weil mir
schon im
Biologieunterricht beim
Sezieren eines
Regenwurms schlecht
wurde. Da ich nicht
Terrorist werden konnte,
blieb mir nichts anderes
übrig, als Journalist zu
werden." (S. 9)
Der Semit"
- Heft 4 August/September
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