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Kommentar
des Monats Oktober 2011
für: "Das Palästina
Portal"
von Abraham Melzer
Die „ausgewogenen Reden“
von Barack Obama und
Benjamin Netanjahu vor
der UNO
Wie
zionistisch muss man
sein, wie verlogen und
ideologisch vernagelt,
um zu behaupten, dass
Obamas
Rede vor den Vereinten
Nationen „ausgewogen“
gewesen sei und sich
„gleichermaßen an beide
Konfliktparteien
gerichtet“ habe?
Wie vermessen muss man
denn sein, um so zu tun,
als ob „beide
Konfliktparteien“
ebenbürtige Gegner
seien, die um Gebiete
„verhandeln“, auf die
beide Völker gleiches
Anrecht besäßen, und wie
viel Chuzpe muss man
haben, um seinen Lesern
gegenüber vorzutäuschen,
dass „beide
Konfliktparteien“ gleich
fair behandelt würden?
Und wie dumm muss man
schließlich sein, um
Obamas Rede nicht als
das zu erkennen, was sie
war: verlogen, zynisch
und voller Unwahrheiten?
Obama und Netanjahu
benutzten genau die
gleichen Politphrasen,
und man könnte sogar auf
die Idee kommen, dass
beide den gleichen
Redenschreiber gehabt
haben.
„Ausgewogen“? Noch bei
der letztjährigen
UN-Generalversammlung
erklärte Obama
vollmundig, dass bis
Ende 2011 ein Staat
Palästina das Licht der
Welt erblicken könne –
er vergaß
offensichtlich,
hinzuzufügen: Wenn
Israel damit
einverstanden ist! 2010
war er noch der Meinung,
dass die Palästinenser
einen Staat verdienten.
Davon war jetzt keine
Rede mehr. Obamas
Hauptinteresse gilt der
Sicherheit Israels, die
Sicherheit der
Palästinenser, die nach
seiner Vorstellung die
stärkste Militärmacht im
Nahen Osten und die
viertstärkste der Welt
bedrohen, interessiert
ihn dagegen nicht die
Bohne. Obama hat in
seiner „ausgewogenen“
Rede leider nichts
anderes getan, als den
zionistischen Narrativ
zu wiederholen, auch
wenn dieser nur aus
Mythen besteht.
Mit keinem Wort erwähnte
Obama die Besatzung, die
gewaltsame
Judaisierungspolitik in
Ostjerusalem und alle
anderen Verletzungen des
Völkerrechts und der
Menschenrechte. Was
würde Obama wohl sagen,
wenn die Indianer
Nordamerikas ihre
Rückkehr in ihr
„historisches
Heimatland“ verlangten?
Würde er ihnen
Washington oder Long
Island zurückgeben? Die
historischen Rechte der
Indianer sind wohl
realer als das religiös
verbrämte und
mythologisch
unterfütterte Anrecht
der Juden auf Palästina.
Und was würde passieren,
wenn die Deutschen
Ostpreußen oder das
Sudetenland zurückhaben
wollten? Israel ist doch
für solche Fälle ein
Präzedenzfall, auf den
man sich noch in
Jahrhunderten berufen
kann.
Wie besessen und blind
vor lauter Zionismus
muss man sein, wenn man
sich nicht einmal
schämt, zu behaupten,
dass diejenigen, die
Obama übertriebene
Rücksichtnahme auf die
jüdischen Wähler in den
USA vorwerfen,
Antisemiten seien? Wer
soll diesen Blödsinn
glauben, wenn selbst
viele prominente Juden,
israelische Journalisten
und bekannte
US-amerikanische
Kommentatoren das
behaupten, und welchen
anderen Grund sollte
Obama gehabt haben,
seine Vorsätze vom
Frühjahr so auf den Kopf
zu stellen, dass aus
ihnen das glatte
Gegenteil geworden ist?
Aus welchem anderen
Grund hätte Obama seinen
guten Ruf in weiten
Teilen der Welt so
ruinieren sollen? Etwa,
weil er die israelischen
Siedlungen plötzlich für
legitim und
völkerrechtskonform
hält? Bill Clinton
meinte dazu, dass
Netanjahu der
„Friedenswille“ fehle.
Es gibt also solche, die
das so sehen und damit
den Nagel auf den Kopf
treffen, und solche wie
z.B. Broder, die es
einfach nicht sehen
wollen.
Broder reagiert wie ein
Pawlowscher Hund, der
jedes Mal bellt, wenn
ein bestimmtes Zeichen
kommt. Broder bellt
immer, wenn irgendwer es
wagt, Israel oder die
US-amerikanische Politik
zu kritisieren. Was
legitime Kritik ist,
bestimmt freilich er,
und wenn irgendeine
Nachricht ein
ungünstiges Licht auf
Israel oder auf
bestimmte zionistische
Machenschaften wirft,
dann ist das für ihn
sofort ein Grund,
„Gewalt“ zu bellen und
die Antisemitismuskeule
aus der Schublade zu
holen. Ich denke
inzwischen, dass diese
Keule bei ihm gar nicht
in der Schublade liegt,
sondern immer
griffbereit ist, weil er
sie so oft benutzt, dass
er keine Zeit und wohl
auch keine Lust hat, sie
immer wieder in die
Schublade zu stecken.
Die Behauptung, der
amerikanische Präsident
tanze nach der Pfeife
der Juden, ist natürlich
wieder so ein Fall für
unsere selbsternannten
Antisemitismusjäger.
Denn es sind nicht die
amerikanischen Juden,
nach deren Pfeife Obama
tanzt, sondern nur ein
Jude, nämlich Benjamin
Netanjahu, und deshalb
ist es antisemitisch,
von „den Juden“ zu
schreiben. Da kennt
Broder kein Pardon und
ist schnell dabei, der
ARD Rechtsradikalismus
vorzuwerfen.
Rechtsradikal und
linksradikal sind alle,
die Broders
Interpretation der
Nahostpolitik nicht
teilen, die Netanjahus
„Wahrheit“ nicht glauben
wollen, die Empathie für
die Palästinenser
aufbringen und der
Meinung sind, dass Obama
vollkommen falsch
beraten war, als er bei
seiner Ermahnung des
palästinensischen
Präsidenten Abbas, es
gebe keine Abkürzung zum
eigenen, unabhängigen
Staat und ein solcher
würde nicht in der UNO
geboren, Netanjahus
eigene Worte benutzte.
Seltsam, erst vor
wenigen Wochen kam es
fast zu einer
Frühgeburt, als der
Südsudan Mitgliedsstaat
Nummer 193 der UN wurde,
gerade wenige Tage
nachdem man den Antrag
gestellt hatte. Und
Obama scheint auch
vergessen zu haben –
offensichtlich weil
Netanjahu ihn nicht
daran erinnert hat –,
dass der Staat Israel
selbst auch nach einer
Abstimmung in der
UN-Vollversammlung das
Licht der Welt erblickt
hat. Aber, aber,
Palästina ist doch nicht
Israel, und was den
Juden zusteht, davon
dürfen die Palästinenser
nicht einmal träumen.
Nachdem sie nun seit
mehr als sechzig Jahren
auf einen eigenen Staat
warten, spricht Obama
davon, dass sie den Weg
dahin nicht verkürzen
dürften. Nicht umsonst
und nicht zufällig
brachte die „New York
Times“ eine Titelseite
mit Obama, auf der sie
ihn „The first Jewish
President“ nannte. Auf
sein leicht ergrautes
schwarzes Haar setzte
man eine weiße Kippa,
damit auch der letzte
Analphabet merkt, was
Sache ist.
Sollen etwa die
Palästinenser auf
Avigdor Lieberman hören
und weitere
neunundneunzig Jahre
warten, wobei Lieberman
keinen Zweifel daran
gelassen hat, dass er
selbst nach
neunundneunzig Jahren
keinen palästinensischen
Staat haben möchte. Er
hofft nur, dass in
neunundneunzig Jahren
das Problem sich von
selbst gelöst haben
wird. Da mag er sogar
Recht haben, nur eben
nicht so, wie er sich
das denkt. In
neunundneunzig Jahren
wird das demografische
Damoklesschwert Israel
schon längst eliminiert
und die Palästinenser
die Juden längst ge-
oder sogar verschluckt
haben. Diese Zeitbombe
tickt seit Jahren, und
auch dieses Jahr zum
Neujahrsfest, bei der
Veröffentlichung der
statistischen Zahlen des
vergangenen Jahres,
müssen wir feststellen,
dass die
palästinensische
Bevölkerung im
Verhältnis zu den Juden
weiter gewachsen ist.
Jedermann weiß es, die
Politiker in Israel
wissen es, und dennoch
wird der Kopf in den
Sand gesteckt und man
tut so, als ob es diese
„Gefahr“ nicht gäbe,
bzw. man wartet auf ein
Wunder, welches aber
nicht kommt. Stattdessen
beruft sich Netanjahu in
seiner Rede vor der
UN-Vollversammlung auf
den „Lubawitscher Rebbe“,
einen
fundamentalistischen,
messianischen Rabbi, der
ihn und alle anderen
israelischen Politiker,
die nach ihm kommen
werden, beschworen, wenn
er es ihm nicht sogar
befohlen hat, nicht
einen Quadratzentimeter
des Heiligen Landes an
die Araber zurückzugeben
– wobei sich das Heilige
Land für ihn, den Rabbi,
vom Nil bis zum Euphrat
erstreckt. Netanjahu
sieht auch das
Haupthindernis für den
Frieden nicht in der
fortwährenden
Kolonialisierung
palästinensischen Landes
durch Israel, sondern
darin, dass die
Palästinenser sich
weigern, Israel als
„jüdischen Staat“
anzuerkennen. Als ob
irgendein anderer Staat
auf der Welt Israel
anders als als „State of
Israel“ anerkannt hätte.
Selbst US-Präsident
Harry S. Truman strich
in dem vom US Department
of State vorgefertigten
Anerkennungsschreiben
seinerzeit eigenhändig
die Bezeichnung „Jewish
State“ durch und
ersetzte sie durch die
Bezeichnung „State of
Israel“. Dieser „State
of Israel“, der von fast
aller Welt anerkannt
wird, wird auch von den
Palästinensern –
inoffiziell seit 1988,
offiziell seit 1993 –
anerkannt. Es gibt also
für sie keinen Grund,
Israel als „jüdischen
Staat“ anzuerkennen, es
sei denn, man würde in
Zukunft Staaten nur noch
nach ihrer religiösen
Bevölkerungsmehrheit
definieren und
anerkennen.
Aber zurück zu Obama und
seinem Fan. Obama
verlangte vor einiger
Zeit einen Baustopp in
den Siedlungen und
erwartete, dass „kein
einziger Betonmischer“
mehr in den Siedlungen
stehe. Die Israelis
lachten sich darüber ins
Fäustchen und bauten
fleißig weiter. Schon
wieder haben sie den Bau
von weiteren 1100
Wohneinheiten genehmigt,
und zwar in Gilo, das
zwar fünf Minuten vom
Stadtzentrum Jerusalems
entfernt ist, aber
trotzdem immer noch auf
besetztem
palästinensischen Gebiet
liegt. Für Netanjahu und
seine Wähler in Israel
ist das aber so, als
müssten sie bei Obama um
Erlaubnis fragen, wenn
sie ihre Terrasse in
Ramat Gan oder Haifa
erweitern wollen. Da
hilft natürlich nicht,
dass die
US-amerikanische
Administration dagegen
protestiert und mahnt.
Leere Drohungen nützen
nie etwas. Schon im
letzten Jahr habe ich
geschrieben, dass die
Amerikaner für jeden
Betonmischer, den Obama
Anfang 2010 in den
Siedlungen nicht mehr
sehen wollte und der
trotzdem noch dort
steht, hundert Millionen
Dollar Militärhilfe
stornieren müsste. Wie
sagt man? Wer nicht
hören will, muss fühlen.
Und die Israelis wollen
nicht hören.
Bei ihrem Autismus
gegenüber der Welt
werden die Israelis
überall von solch
politisch völlig
inkompetenten
Klamaukkaspern wie einem
Henryk Broder in
Deutschland oder einem
Alan Dershowitz in den
USA unterstützt, die
schon längst alle
moralischen und
rechtlichen Bedenken
haben fallen lassen,
damit nicht das
passieren kann, was
nicht passieren darf.
Israel, Israel über
alles, über Recht und
Moral, denn mit solchen
Lächerlichkeiten wie
Recht und Moral
beschäftigen sich solche
Zionisten nicht. In
Israel macht man nicht
Karriere, indem man an
der richtigen
Universität studiert
hat, sondern indem man
in der richtigen
Armeeeinheit gedient
hat. „Wo haben Sie
gedient“, ist dort die
meistgestellte Frage.
Schade, dass dies so
sehr an Preußen und an
Nazideutschland
erinnert. Man ist Täter,
und man ist
gewissenloser Täter,
denn Täter sein macht
doch so viel Spaß. Zum
Totlachen, nur dass die
Opfer nicht lachen
können, weil sie tot
umfallen, und das ist
eben der Spaß. Einen
solchen Spaß hatten
auch die KZ-Wärter in
Auschwitz, Maidanek und
Buchenwald. Moral ist
etwas für Weicheier, und
Netanjahu ist kein
Weichei. Und von Zeit zu
Zeit zeigt er dem
amerikanischen
Präsidenten, wer das
Sagen hat.
Geholfen haben ihm diese
taktischen Spielchen
wahrscheinlich nicht.
Die jüdischen Wähler
werden ihm nicht mehr
vertrauen, es sei denn,
sie sind keine Anhänger
von AIPAC und
kritisieren selbst die
israelische Politik, wie
z. B. die Mitglieder der
Jewish Voice for Peace.
Andererseits wäre es
gut, wenn Obama trotzdem
für eine zweite Amtszeit
gewählt werden würde,
denn dann hätte er
Gelegenheit, sich zu
revanchieren und
Netanjahu spüren zu
lassen, wie es sich
anfühlt, wenn ein
mächtiger US-Präsident,
der auf jüdische Wähler
keine Rücksicht mehr
nehmen muss, seinerseits
Israel an der
empfindlichsten Stelle
anfasst.
Noch
immer tobt derweil unter
den Aktivisten an der
Palästinafront die
Auseinandersetzung
zwischen Befürwortern
der Ein- und denen der
Zweistaatenlösung.
Da liest
man dann von sogenannten
„Experten“, dass die
Zweistaatenlösung
„wirklich zu einer Farce
geworden ist, durch den
Flickenteppich und den
Landraub der Israelis“.
Übersehen wird dabei
freilich, dass weder
Abbas noch irgendein
anderer
palästinensischer
Politiker einen solchen
„Flickenteppich“ als
Staat akzeptieren will
oder kann und dass die
Hauptforderung schon
immer in einem
vollständigen
israelischen Rückzug aus
der Westbank bestanden
hat. Einverstanden ist
man mit marginalem
Gebietstausch, aber
nicht mehr. Das allein
ist die Voraussetzung
für einen eigenen Staat
Palästina, und nicht die
momentan vor Ort
herrschende Situation.
Grundsätzlich finde ich
jedoch auch, dass eine
Einstaatenlösung der
Idealzustand wäre, doch
der Weg zu dieser Lösung
kann nur über eine
Zweistaatenlösung
führen. Die „sofortige
Anerkennung eines
Palästina/Israel“, wie
von diversen Aktivisten
gefordert wird, ist mehr
als absurd – sie ist
lächerlich naiv, zumal
im israelischen
Parlament zur Zeit genau
das Gegenteil angestrebt
wird. So hat der
stellvertretende
Knesset-Sprecher Danny
Danon am Dienstag
angekündigt, das
israelische Parlament
werde Ende Oktober eine
von ihm verfasste
Gesetzesvorlage
diskutieren, die
Cisjordanien in das
Staatsgebiet Israels
integrieren würde. Dabei
muss man wissen, dass es
sich bei Danon um einen
Likud-Politiker handelt,
also einen Parteifreund
Netanjahus. Damit würde
Israel für alle Welt
sichtbar ein
Apartheidstaat werden.
Sollte es zu einer
Zweistaatenlösung
kommen, was auch noch
nicht sicher ist, dann
kann man hoffen, dass
daraus am Ende ein
gemeinsamer Staat wird –
inschallah.
Nun habe ich schon
wieder an dieser
verdammten
Schnittstelle, an der
„der Antiamerikanismus
und der Antisemitismus
sich die Hände reichen“,
geschrieben. Bin ich
deshalb nun ein
Antisemit? Oder bin ich
nur ein „jüdischer
Selbsthasser“, der von
einer gewissen Tochter
ihres Vaters und einem
gewissen Vater seiner
Tochter um seine
geistige Unabhängigkeit
beneidet wird? Es gibt
nun mal jüdische
Publizist/innen, die
sich selbst als „Clown“
bezeichnen, und andere,
die immer nur als
„Tochter des…“
eingeführt werden. Ich
selbst bin nur ein
armer, jüdischer
Verleger, der Sohn
meines Vaters und der
Vater meines Sohnes, der
auch „Publizist“ ist und
seit mehr als 40 Jahren
versucht, reich zu
werden, sich dafür
leider aber das falsche
Betätigungsfeld
ausgesucht hat. Mit dem
Einsatz für Palästina
ist eben „kein Staat zu
machen“, und schon gar
kein Geld.
"Der
Semit" - Heft 4 August/September
2011
Inhalt >>>
Im Verkauf ab 5. Oktober 2011.
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