Deutscher Emile Zola erwünscht
Reuven Moskovitz: Klare Aussage Berlins ist nötig
Reuven
Moskovitz ist nach Deutschland gekommen, um eine Lobby zu gründen
für Frieden in Palästina: Der 75-Jährige ist Träger des Aachener
Friedenspreises 2003. Mit dem israelischen Autor und Gründer
mehrerer Friedensorganisationen sprach René Gralla.
ND: Der Plan von Israels Ministerpräsident Ariel
Scharon liegt auf dem Tisch: die Räumung aller israelischen
Siedlungen im palästinensischen Gaza-Streifen. Sucht der Hardliner
nun doch ernsthaft nach einer Friedenslösung?
Moskovitz: Nein. Scharon ist Israels König der Lügner, und er
ist davon überzeugt, dass er die ganze Welt belügen kann.
Das ist ein harter Vorwurf.
Ich sage es noch einmal: Scharon lügt. Seine Spezialität ist
es, angeblich sensationelle Initiativen zu starten und eine neue
Ente durchs Dorf zu treiben, wie wir das in Israel nennen. In
Wahrheit hat Scharon immer wieder versucht, jeden Friedensvorstoß zu
erledigen, ganz gleich, ob der aus den USA, aus Westeuropa oder aus
Saudi-Arabien gekommen ist.
Aber Scharon hat doch nun davon gesprochen, dass
es innerhalb von zwei Jahren keine Juden mehr im Gaza-Streifen geben
werde.
Dazu wird es doch gar nicht kommen! Und selbst wenn Scharon
tatsächlich damit beginnen sollte, seine Ankündigungen wahrzumachen
und Siedlungen aus Gaza auf die Westbank zu verlegen, dann soll mir
doch bitte jemand denjenigen Palästinenser zeigen, der bereit wäre,
sich allein mit Gaza als Heimstatt zu begnügen.
Scharon will also eigentlich keinen einzigen
Quadratmeter des palästinensischen Territoriums aufgeben?
Die Welt muss wissen: Wenn es überhaupt eine Chance für
Frieden geben soll, dann muss man sofort die gesamte Westbank räumen
und die israelischen Truppen abziehen. Und es müssen dort
internationale Einheiten stationiert werden.
Der israelische Publizist Uri Avnery wertet
Scharons Räumungsplan als ersten Schritt zur völligen Abtrennung der
Palästinensergebiete. Den Palästinensern blieben nicht mehr als zehn
Prozent des ursprünglich palästinensischen Territoriums. Halten Sie
das für realistisch?
Mögen es 15 Prozent sein – die ganze Geschichte ist doch ein
Witz! Es gibt eine konsequente Politik Israels, die darauf abzielt,
die Hoffnungen der Palästinenser auf Selbstbestimmung zu vernichten.
Bereits im Sommer soll die einseitige Abtrennung
von den Palästinensergebieten beginnen, falls es keine Fortschritte
im Friedensprozess gibt. Das hat Vizeregierungschef Ehud Olmert
angekündigt.
Das kann sein. Aber das wird die Palästina-Frage eben gerade
nicht lösen. Weil die Palästinenser das niemals akzeptieren werden.
Unser Problem ist doch der Terror – aber wer will, dass der Terror
endlich aufhört, der muss den Palästinensern wenigstens den Zipfel
Land lassen, der ihnen heute noch geblieben ist: neben Gaza ungefähr
20 Prozent der Westbank. Wenn man den Palästinensern nicht einmal
das geben will, dann wird man mit dem Terror nicht fertig werden.
Man kann zwar eine Zeitlang versuchen, die Palästinenser kaputt zu
machen – aber man wird sie nie endgültig in die Knie zwingen.
Die Regierung Scharon strebt eine andere Lösung
an. Sie forciert den Bau von Sperranlagen, um Israelis und
Palästinenser voneinander zu separieren.
Dieses Unternehmen wird ähnlich ausgehen wie die Geschichte
der Berliner Mauer. Die Maßnahme soll nur vom Kern des Problems
ablenken – und das sind die israelische Besatzung und die
Erniedrigung der Palästinenser.
Muss sich Israel denn nicht mit der Betonbarriere
vor dem Terror schützen? Erst gestern gab es wieder ein
Selbstmordattentat in Tel Aviv.
Ich bin kein Befürworter von Hamas. Das ist eine Bande von
Mördern und Fanatikern. Aber jeder Militärschlag Israels gegen Hamas
oder den islamischen Dschihad zieht eben unweigerlich einen
Gegenschlag nach sich – und verurteilt unschuldige Israelis zum
Tode.
Wie sollte denn Deutschland agieren?
Berlin sollte verlangen, dass Israel die Bereitschaft zur
Räumung der Westbank erklärt.
Aber Sie wissen doch: Die Erblast des Holocaust
führt dazu, dass es den Deutschen besonders schwer fällt, gegen die
Politik Israels Stellung zu beziehen, weil jedes kritische Wort als
antisemitisch abgestempelt werden kann.
Diese Situation ist nur ein weiterer Beweis für diese
Krankheit, die der Nationalsozialismus den Deutschen und uns Juden
hinterlassen hat. Und die die klare Aussage verhindert: »Wir
erwarten von Israel, dass es seine Nachbarn so behandelt wie auch
wir unsere Nachbarn behandeln.«
Sie sind nach Deutschland gekommen, um eine
Friedenskampagne für Palästina auf den Weg zu bringen. In einem
Aufruf wünschen Sie sich »einen deutschen Emile Zola, der mutig jede
Unterdrückung und mörderische Politik anprangert«.
Noch leben in der Bundesrepublik Menschen, die versuchen, die
Weichen der Geschichte neu zu stellen. Diese Politik führt direkt in
den Abgrund: Bei den Palästinensern ist so viel Hass gewachsen, dass
dieser nicht in zehn oder 15 Jahren verschwinden wird. Aber es kann
einfach nicht sein, dass das bis zum bitteren Ende so weitergeht.
Ihr Markenzeichen ist eine Mundharmonika, die
Ihnen ein kleines Mädchen schenkte, als Sie im Sechs-Tage-Krieg 1967
als Besatzungssoldat nach Ramallah kamen. Haben Sie sie noch?
Ja. Meine Mundharmonika aus Ramallah ist immer dabei.
Reuven
Moskowitz wurde 1928 in Rumänien geboren. Er ist
Holocaust-Überlebender. 1947 wanderte er nach Palästina aus, wo er
zum Mitbegründer des Kibbuz Misgav nahe der libanesischen Grenze
wurde. Er engagiert sich von Anfang an in der israelischen
Friedensbewegung.
Sein aktuelles Buch »Der lange Weg
zum Frieden« kann im Direktvertrieb bezogen werden über: Dorothea
Tettenborn, Mariendorfer Damm 342, 12107 Berlin (Tel.: (030)
74105056).
(ND 23.02.04)
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=49226&IDC=2
Neues Deutschland -
23.02.04 |