Zum
Tod von Reuven Moskovitz
Ekkehart Drost
Reuven
Moskovitz wurde am 27. Oktober 1928 in Frumusica,
einem Schtetl in Rumänien, geboren. Am 4. August
2017 starb er im Kreise seiner Familie in Jerusalem.
Reuven war mit einer prophetischen Gabe bedacht. Er
hat frühzeitig die Katastrophe erkannt, hat gemahnt,
vor falschen Hoffnungen gewarnt und Visionen für
einen gerechten Frieden in Israel/Palästina
entwickelt. Früher als viele andere Beobachter hat
er darauf hingewiesen, dass es die israelischen
Regierungen waren, die „keine Gelegenheit
verpassten, um den Frieden zu verpassen.“
Er
war ein Weiser und ein politischer Mensch, der zur
Staatsgründung eine konträre Position zu der des in
Deutschland so populären und verklärten David Ben
Gurion einnahm. Bereits in seinen frühesten
Berichten appelliert er an seine Regierungen, er
klagt an und beschwört sie, den Weg der
Konfrontation mit den Palästinensern zu verlassen.
Ebenso wie der jüdische Philosoph Leibowitz beruft
sich Reuven Moskovitz, der „Rufer in der Wüste“, auf
Franz Grillparzer (1855):
„Die Menschheit geht den Weg vom
Humanismus zum Nationalismus und vom Nationalismus
zum Bestialismus.“
In
seiner „Chronik einer vorhersehbaren Katastrophe“
weist er auf die Instrumentalisierung von
vermeintlichen oder tatsächlichen Gefahren zum
Zwecke der Ab- und Ausgrenzung durch die jeweiligen
israelischen Regierungen hin und erhebt deutlich
seine Stimme dagegen.
Reuven Moskovitz´ Überlegungen für sein letztes Buch
„Ein Leben für Gerechtigkeit, Liebe und Versöhnung“
waren auch bestimmt von seinem Abscheu vor einer
Regierung, die das schrecklichste Verbrechen der
Menschheit dazu missbraucht, das rücksichtslose
Bestreben nach einer dominierenden Rolle als
Regionalmacht zu legitimieren. In vielen Gesprächen
mit den Herausgebern des Buches, Martin Breidert und
Ekkehart Drost, hat Reuven auf die verheerenden
Maßnahmen, die die gerade erst gewählte Regierung
bereits getroffen hat, hingewiesen. In diesem Sinne
hätte der ursprünglich von ihm vorgesehene Titel
des Buches „Auf den Schwingen der Shoah. Israels
berauschender Aufstieg und sein unaufhaltsamer
Untergang“ eindeutiger Position bezogen.
Er
hat die Gefahr einer Erosion der Demokratie in
Israel vorausgesehen und seine Besorgnis in
zahlreichen Vorträgen, Aufsätzen und Interviews
einer entsetzten, erschrockenen deutschen
Öffentlichkeit präsentiert. Viele israelische
Wissenschaftler und Publizisten sind ihm inzwischen
auf diesem Weg gefolgt. Die jüdisch-israelische
Soziologin Eva Illouz wird in einer Besprechung
ihres neuen Buches „Israel“ in der Wochenzeitung „Der
Freitag“ vom 25. Juni 2015 mit den Worten
zitiert: „Die israelische Gesellschaft ist vor
langer Zeit der heiligen Dreieinigkeit von Siedlern,
Religiösen und Reichen in die Hände gefallen. Können
wir uns den Tyranneien widersetzen, die den
demokratischen Geist Israels ausgelöscht haben?“
Seit Mitte der 70er Jahre hat Reuven Moskovitz Jahr
für Jahr Deutschland bereist. Es gibt für ihn „ein
Deutschland, das ich liebe,“ wie er einen Brief im
Jahr 1974 überschrieb. Als Jude, der seine Heimat
Rumänien verlassen musste, wurde er nicht müde, auf
die Verantwortung Deutschlands für eine israelische
Friedenspolitik, die ihren Namen verdient,
hinzuweisen. Er beklagte die Nibelungentreue, mit
der die meisten Deutschen, zumal die Spitzen in
Staat, Gesellschaft und Kirche, die verbrecherische
Politik Israels gegenüber den Palästinensern wenn
nicht verteidigen, so doch zumeist verharmlosen und
relativieren.
Reuven Moskovitz ist für unzählige Menschen, die
sich für einen gerechten Frieden in Israel/Palästina
einsetzen, ein Leuchtturm, an dem sie sich bei ihren
oft deprimierenden Bemühungen orientieren können.
Ich habe ihn 2013 bei einer Kundgebung am
Unabhängigkeitstag in Jerusalem kennen gelernt, zu
der mich Judith Bernstein eingeladen hatte. Zusammen
mit anderen Menschen aus der israelischen
Friedensbewegung wie Arik Ashermann von den
Rabbinern für Menschenrechte, Hanna Barag und
Roni Hammermann von Machsom Watch, Angela
Godfrey-Davis von der Jahalin Association
wollten sie ein Zeichen setzen für ein friedliches,
demokratisches Israel an der Seite der Palästinenser
– inmitten all des nationalistischen Trubels an
diesem Feiertag. Damals war ich zum zweiten Mal für
drei Monate als Menschenrechtsbeobachter im
Westjordanland tätig. Reuven begrüßte mich mit den
Worten: „Eines Tages werden eure Berichte die
Geschichte der Besatzung schreiben.“
Wir
hoffen, dass Reuvens Engagement Nachahmer findet und
zum Handeln im Sinne des Theologen Fulbert
Steffensky auffordert: „Hoffen heißt: handeln, als
hoffte man. Hoffen lernt man dadurch, dass man
handelt, als sei Rettung möglich.“
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