http://www.bethlehemmedia.net/feat139.htm
Die
Mauer rund um Bethlehem Zack Sabella, 14.3.05
Diejenigen, die den andern die Freiheit verwehren, verdienen sie selbst
nicht; und unter einem gerechten Gott kann sie nicht lange
vorenthalten werden. Abraham Lincoln.

Es
bricht mir das Herz, wenn ich jeden Morgen nach Bethlehem fahre und
Zeuge werde, wie wieder ein neuer Betonblock der sog. israelischen
Sicherheitsmauer hinzugefügt wird. Zoll um Zoll blockiert die Breite der
Mauer die Hauptstraße, die ins Herz der Stadt Bethlehem, dem
Geburtsort von Jesus Christus hineinführt. Wenn ich meinen Blick zu den
Hügeln rund um Bethlehem und den benachbarten Orten schweifen lasse,
finde ich sie: eine 8 Meter hohe Mauer starrt mich an und lässt in
meinen Erinnerungen die letzten vier Jahre des Konfliktes an mir
vorbeiziehen und wie Bethlehem, die Wiege der Christenheit, nun zu
einem großen, übervölkerten Gefängnis geworden ist.
„Eine Mauer?“ fragte ich mich selbst. „Ist das die Lösung für den
palästinensisch-israelischen Konflikt?“ Jeden Morgen kommen mir die
Tränen, wenn ich den Schatten beobachte, den die Mauer rund um die
grünen Hügel von Bethlehem wirft. In mir kommt Zorn und Wut auf, da ich
mich macht- und hilflos fühle. An wen kann ich mich wenden? Bei wem kann
ich protestieren? Ist das Frieden und Gerechtigkeit? Fragen beginnen
meine Logik herauszufordern, während es mir nicht gelingt, meine
Neugierde mit Scheinantworten zu überzeugen. Während ich meine Augen zum
wolkigen Himmel erhebe und mich mit Tränen in den Augen an Gott
wende: „Wie lange noch? Bis wann? Gibt es dich denn?“ Ich wiederhole das
Wort „Frieden“ – und schüttle meinen Kopf voller Schmerz. Es ist ein
Wort, das ich seit meiner Kindheit immer wieder höre, vermischt mit
politischer Propaganda von beiden Seiten des arabisch-israelischen
Konfliktes. Nichts mehr ist logisch.
Während
ich nach Bethlehem hineinfahre, befinde ich mich bald mitten in einer
Gesellschaft, die in einer vom Rest der Welt abgeschnittenen Stadt ums
Überleben kämpft. Das wird eine der Hauptstädte des zukünftigen
palästinensischen Staates sein - von einer Betonmauer
umgeben, die die Bewegung der Menschen, ihren wirtschaftlichen Handel
und ihre Verbindungen zur Außenwelt sehr, sehr einschränkt. Während ich
durch die Straßen gehe, schaue ich in die Gesichter der Menschen. Ich
sehe Anzeichen von Frustration, aber auch den Willen zu überleben.
Die patriotische Sehnsucht, einen lebensfähigen Staat zu
errichten, und der mühsame Kampf, die palästinensische Wirtschaft
anzukurbeln, werden angesichts der die Stadt umgebenden Mauer,
beiseite gelegt. Langsam wird den Bewohnern klar, dass sie nur noch ums
Überleben kämpfen können und dass die Starken die Schwachen
überholen – und das in einer Welt des Hasses und der Ungerechtigkeit.
Die Träume vom eigenen Staat und von Freiheit stehen im Widerspruch zu
den Sorgen der einzelnen, die sich nur noch fragen: wie schaffen wir es,
für unsere Kinder das tägliche Brot auf den Tisch zu bringen? Und
ich frage mich selbst: „Verdient mein Volk, das nur frei und unabhängig
leben will, dies?“
Angesichts der Mauer kann ich euch, die ihr sie noch nicht gesehen
habt, versichern, dass dies keine Mauer ist, die Sicherheit
bringt. Dies ist keine Lösung für den andauernden Konflikt. Das ist
nicht der Weg, um dem palästinensischen Volk seine Rechte zu geben, frei
in einem eigenen Staat zu leben. Es ist für mich sehr schwer
verständlich, wie die internationale Gemeinschaft und die Länder
der Welt nicht lautstark ihre Stimmen erheben, um dies zu stoppen,
noch dazu in einer Zeit, in der sie aus der Geschichte hätten
lernen sollen, um sie nicht zu wiederholen. Das israelische Volk, ein
Volk, das einer entsetzlichen Verfolgung durch das Nazi-Regime
ausgesetzt war, sollte gerade den Schmerz und das Leiden kennen,
das jahrelang als psychische und physische Unterdrückung auf ihren
Familien lag durch Lager, soziale Isolierung, Massenmorde und
andere Methoden, um ihnen das Recht auf Leben zu verweigern. Ist das
tägliche Leben der Palästinenser nicht wie eine Reflektion davon ? Von
allen Völkern der Erde erwartet man vom israelischen Volk am ehesten,
dass es diese Art von Ungerechtigkeit versteht, die täglich den
Palästinensern zugemutet wird. Doch all dies wie Flüchtlingslager,
tägliches Töten, dauernde militärische Besatzung, Kontrollpunkte, Bau
von Mauern und Zäunen geschieht seltsamerweise im Namen der
Sicherheit.
Wie
kann ich Hoffnung und Optimismus für Frieden und Koexistenz
bewahren, wenn ich dies täglich auf meinem Weg zur Arbeit erlebe?
Wie kann ich als Palästinenser, der in der israelischen Gesellschaft
lebt, wirklich ein Sprecher über Friedensaussichten meinen
Freunden und meiner Familie gegenüber sein, wenn ich täglich am Rande
Bethlehems einen neuen Betonblock sehe? Was für ein Staat wird Palästina
sein? Welche Art von Frieden wird der Nahe Osten haben? Wenn ich über
die richtigen Antworten auf diese Fragen nachdenke, dann fällt mir dazu
nichts ein. Mehr oder weniger bewusst weiß ich, dass sich mein ganzes
Leben auf einer Lüge aufbaut und dass die Verwirklichung meiner
Träume weiterhin von den neuen israelischen Sicherheitsmaßnahmen wie der
Mauer hinausgezögert werden.
Eingang
Bethlehem Foto: R.T.
Ein Weiser sagte einmal: „Es gibt keinen Weg zum Frieden, Frieden ist
der Weg.“ Frieden an sich kann nicht angefasst werden – doch beginnt er
in jedem von uns. Man kann nichts Immaterielles erhalten, indem
man ein materielles Hindernis aufbaut wie das, was Israel jetzt mit dem
Bau der Mauer tut. Frieden ist nicht wie ein Spaziergang durch einen
Park – er ist nur schwer zu erlangen und fordert Opfer und Kompromisse.
Er wird weder durch Kontrollpunkte noch durch Mauern, weder durch
Wirtschaftssanktionen noch durch die Kontrolle eines ganzen Volkes
erreicht. Es geht nicht darum, mit gutem Willen und Entschlossenheit
Israelis und Palästinenser zu beruhigen - im Wesentlichen geht es darum,
uns untereinander mit dem zu verbinden, das uns allen gemeinsam
ist, das Menschsein.
Ich bin Palästinenser. Von der Kultur und dem Erbe meines Volkes
soll die Geschichte erzählen; wir sind weder Terroristen noch Wilde. Wir
sind ein wunderbares Volk, das nach nichts anderem trachtet, als nach
dem, was andere Völker haben: Freiheit und Unabhängigkeit. Wir haben es
nicht verdient, in einem Gefängnis zu leben und dort zu träumen – bei
Gott! - dies sollten wir nicht. Eine Sonne der Hoffnung bricht
jeden Morgen in Bethlehem an, wenn ich eine lebendige Stadt mit all den
Menschen sehe, die eine klare Botschaft an die Welt haben: „Keine
Mauer wird unsere Visionen und Träume blockieren. Sie wird auch unseren
Willen nicht brechen, unser Land mit unseren bloßen Händen
aufzubauen. Wir werden auch nicht weggehen und unsere geliebte Heimat
verlassen. Sie wird nur unsere Sehnsucht nähren zu bleiben und unsre
Einigkeit als Volk stärken.
Ich möchte mit einem
Zitat aus dem Rechtsgutachten des Internationalen
Gerichtshofs (Den Haag) zum israelischen Mauerbau schließen: „Israel
kann sich nicht auf ein Recht der Selbstverteidigung oder auf
Umstände von Notwendigkeit berufen, um die Unrechtmäßigkeit des
Mauerbaus auszuschließen.“
(dt. Ellen Rohlfs) |