Noch eine
Mauergeschichte: Mitten in Bethlehem
Rund um
Rachelsgrab bald eine jüdische Siedlung?
Lili
Galili, 11.7.04 (Haaretz)
Am letzten Mittwoch saßen 10
ultra-orthodoxe Männer in der Nähe des Rachelgrabkomplexes und
diskutierten eifrig halachische ( jüdisch-rechtliche) Probleme.
Sie saßen in einem langen Korridor, der das Grab mit dem neuen
Gebäude verbindet, das bis vor kurzem einem Palästinenser aus
Bethlehem gehörte, der dies Haus kleinen Geschäftsleuten zu
vermieten pflegte.
Vor ein paar Monaten verkaufte
er dies Haus an Bethlehems Hauptstraße an private israelische
Käufer. Innerhalb kurzer Zeit hat es sich sehr verändert. Seine
Fassade zur palästinensischen Straße hin wurde völlig
abgeschlossen/ versiegelt und seine Rückseite dem Grabkomplex
angeschlossen. Das Ergebnis: ein seltsames architektonisches
Produkt. Der anschließende Straßenrand ist nun ein Teil des
Inneren des angeschlossenen Gebäudes.
Die Soldaten, die mit der
Sicherheit um Rachels Grab beauftragt sind, leben im unteren
Stockwerk, das in eine Kaserne umgewandelt wurde. Die
Eingangshalle wurde zu einer improvisierten Yeshiva
(Bibelschule). Der große Plan des Käufers ist, eine Art kleiner
Siedlung in dem sich expandierenden Komplex zu bauen.
Die frühere Knessetabgeordnete
Hanan Porat weiß eine Menge darüber: „Mit Gottes Hilfe kommen
wir voran, um eine permanente jüdische Gegenwart und eine feste
Yeshiva an Rachels Grab zu halten, wie Rabbi Kook es forderte
und bringen so die Israelis dorthin, wo sie hingehören.
Das schon annektierte Haus wird
nicht das letzte sein. Im anschließenden Gebäude auf
palästinensischer Seite ist ein kleiner Humusimbiss – aber wegen
der Situation kommt kaum einer dorthin. „Dank sei Gott, wir
werden uns dieses Kiosks auch annehmen“, sagt Porat. Die Käufer
haben einen guten Preis dafür, freiwillig. Es ist ein privater
Kauf, ohne dass die Regierung hier mitmischt. Aber alle
offiziellen Stellen in Israel wissen davon, aber sie wissen
auch, dass alles legal ist. Andere Grundstücke auf der andern
Straßenseite in diesem Areal gehören schon Juden.
Ob man das Ziel habe, eine
jüdische Siedlung in diesem Teil Bethlehems zu schaffen wie in
Hebron, beantwortet Porat mit einem Seufzer : „Später und
kleiner, aber sicher. Es wird Zeit, die Bedeutung des Verses
„Deine Kinder werden zurückkehren zu ihrem Land.“ zu
verwirklichen. (Jeremia 31,17)
Dieser auf Schiefer
eingeritzte Vers wurde an die Wand des neuen Gebäudes im
Grabkomplex bei einer kleinen Einweihungsfeier angebracht. Der
offizielle Name der Hauptstraße - einmal Efratstraße – bis zur
Intifada Jerusalem-Hebron-Straße genannt , heißt heute Yasser
Arafat Straße. Dieser Name steht noch immer auf dem
Straßenschild. Die zukünftigen Bewohner müssten dann als
Adresse: Rahels Grab/ Ecke Arafat angeben.
Jerusalems Grab
Viele wollen hier einziehen.
Aber es wird erst bewohnt, wenn die Mauer südlich von Jerusalem
fertig gebaut ist. Die sich schlängelnde Mauer kommt von ihrem
Kurs ab und will den ausgedehnten Grabkomplex mit einschließen
und ihn in eine eingemauerte Enklave verwandeln. Die Mauer
erstreckt sich so einen halben Kilometer weit auf Bethlehemer
Stadtgebiet, das so von Jerusalem annektiert wird.
„Es war nie entschieden worden,
dass Rachels Grab im C-Gebiet sein soll“ sagte Shaul Arieli,
einer der Initiatoren der Genfer Initiative. Das
Interim-Abkommen von 1995 hatte eine Klausel, dass Israel
freien Zugang zu Rachels Grab hat ... Als sie die Grenzen von
Jerusalem festlegten, haben sie darauf verzichtet, Rachels Grab
zu annektieren, weil es mitten in Bethlehem liegt. Mit der
Mauer wird das Grab tatsächlich annektiert. Die Mauer wurde
während der traumatischen Ereignisse 2001 in Bethlehem und Beit
Jala gebaut . Mit dem Wahnsinn, der dann folgte, kamen die
Traktoren und schafften neue Faits accomplis.
Große Befestigungsanlagen aus
Beton rund um Rachels Grab sperren nun die Hauptstraße ab und
schreiben neue Geschichte. Die direkte Straße von Jerusalem nach
Hebron gibt es nicht mehr. Die Palästinenser, die nach Bethlehem
wollen, müssen kleine Nebenstraßen nehmen. Die Israelis kommen,
von Soldaten begleitet, in Bussen und werden in die ummauerte
Enklave geführt. Der Checkpoint 300 zwischen Jerusalem und
Bethlehem wurde nach Bethlehem umgelegt und wird in Zukunft ein
Terminal wie der in Erez (Gaza) werden.
Der palästinensische Partner
der Genfer Initiative, Yasser Abed Rabu weist auf Rachels Grab,
um zu demonstrieren, wie die Israelis betrügen.
In der Mitte
von nirgendwo
Fuad Ahmad Jado sitzt am
Eingang seines Hauses, neben dem Aida-Flüchtlingslager. Seine
Adresse ist schwer zu bestimmen. Bevor es die Mauer gab, bekam
er den Strom aus Jerusalem, das Wasser aus Bethlehem. Er gehört
weder da noch dort hin und die Mauer, die auf den Eingang seines
Hauses zukriecht, wird die Dinge noch komplizierter machen.
Jados Geschichte ist ein Test
für das Oberste Gericht, das über den Verlauf bestimmt. Seine
Geschichte demonstriert die „Verhältnismäßigkeit“, von der das
Gericht als einer „aufgeklärten Besatzung“ redet. Drei Familien
leben in diesem Haus. Die Mauer wird ihr Leben unmöglich machen.
Sind drei Familien in der Mitte von nirgendwo, genug um wegen
Sicherheitsgründen abzuwägen. Ist die Tatsache, dass Jado vor
kurzem nach einer Auseinandersetzung mit einem Grenzpolizisten
eine Herzattacke hatte, und dass ihm nun eine Herzoperation
bevorsteht, etwas, das berücksichtigt werden muss?
Nach den Dokumenten seiner
Großvaters gehört der Ort zur Jerusalemer Gemeinde. Nach
Unterlagen von 2003 gehört er zu Bethlehem. Nun kam jemand von
der Militärbehörde und teilte ihm mit, er gehöre wieder zu
Jerusalem. Als Jerusalemer Bürger ist es ihm aber verboten
Bethlehem zu betreten, und nach Jerusalem darf er auch nicht –
er hat keinen Passierschein. Jado sitzt auf dem Land, auf dem
seine Familie seit 60 Jahren lebt – und gehört nirgendwo hin. Er
muss für seine medizinischen Tests illegal nach Ost-Jerusalem
ins Krankenhaus schleichen.
Die bis zu seiner Hausschwelle
gebaute Mauer wird ihn im eigenen Haus einsperren – ohne einen
Ausgang. Ursprünglich war der Verlauf der Mauer westlich vom
Haus geplant, so dass es zu Bethlehem gehört. Aber da das Haus
neben einem armenischen Kloster liegt und die Mönche nicht von
ihrem Land getrennt werden wollen, und sie - ungleich Jado –
Macht und Verbindungen hatten, so wurde die Route der Mauer
umgeleitet.
Jado ist also von der Mauer
umgeben und wenn sie fertig ist, ist nicht klar, wie Jado in der
Lage sein wird, für seine Familie Lebensmittel einzukaufen.
„Vielleicht setzten sie extra für mich hier einen Supermarkt
hin“, spöttelt er. „Aber wenn ich eine Ambulanz brauche oder die
Feuerwehr – wie soll die hierher kommen?“
Vor zwei Monaten war nämlich
im augenblicklich unbewohnten armenischen Kloster ein Feuer
ausgebrochen. Die von Jado gerufene Feuerwehr brauchte zwei
Stunden für eine Entfernung von zwei Minuten, weil sie durch die
Absperrungen fahren musste.
Der Plan ist ihm klar: Israel
macht ihm das Leben unerträglich, um ihn von seinem Land zu
vertreiben. Vor sechs Monaten war schon ein hochrangiger
Offizier zu ihm gekommen. Er befahl ihm, auszuziehen. Jado
antwortete ihm, dass in einem Rechtsstaat ein Bewohner nicht
einfach auf die Straße gesetzt werden kann. „Bringen Sie ein
Dokument!“ sagte er dem Offizier, der nicht wieder kam. Jemand
schlug ihm vor, eine Petition beim Obersten Gerichtshof
einzureichen. „Red keinen Quatsch!“ sagte er . „Ich lebe in
diesem Land. Der Shin Beth (Geheimdienst) und die Polizei
regieren es. Ich würde nur Geld verlieren.“
(Aus dem
Englischen und gekürzt: Ellen Rohlfs)