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Israel: Noch 20 Jahre - vielleicht
auch weniger?
Lawrence Davidson
Eine Analyse Truth-out
[1]
27. Oktober
2011
Kürzlich hielt ich einen Vortrag zum
palästinensischen Antrag auf Aufnahme [in die UNO]. Im Publikum befand
sich ein hier lebender aus Rußland stammender Israeli, der höflich
Anstoß an meiner Kritik israelischer Politik und israelischen Verhaltens
nahm. Es ging ihm hauptsächlich darum, dass ich seiner Ansicht nach die
Israelis nicht glaubwürdig kritisieren könne, da ich ihre Erfahrungen
nicht mitgemacht hätte und nicht wüsste, was sie wissen, oder – um es
etwas familiärer auszudrücken – ich sei nicht in ihren Schuhe gegangen.
„Die Israelis bemühen sich seit mehr als 60 Jahren um eine Lösung des
israelisch-palästinensischen Dilemmas. Wo nehmen Sie also Ihre Kenntnis
her, sie zu kritisieren und ihnen zu sagen, was sie tun sollten?“ Dies
ist ein alter und oft vorgebrachter Einwand, und wenn man ihn
berücksichtigen würde, liefe es darauf hinaus, dass eine von außen
kommende Vermittlung prinzipiell unmöglich ist.
Meine Antwort war ziemlich dezidiert: gerade weil die
Israelis so lange in diesem Dilemma verstrickt seien und darüber hinaus
sich selbst und anderen ihre versteckten expansionistischen Ambitionen
als „Sicherheits“-Erfordernis verkauften, seien die meisten unfähig,
sich eine gerechte und ausgewogene Lösung überhaupt vorzustellen. Sie
bräuchten daher dringend Leute, die von außen und relativ objektiv ihr
Verhalten kritisierten.
Im Grunde leben die meisten Israelis in einer
„geschlossenen Informationsumwelt“. Das ist so trotz ihrer Behauptung,
sie hätten schließlich eine freie Berichterstattung. Die Medien mögen
formal frei sein, aber sie werden dennoch beherrscht von der
zionistischen Ideologie des Landes und den politischen und
gesellschaftlichen Annahmen, die diese Ideologie anbietet. Gegenteilige
Ansichten mögen in der Tat existieren, dabei handelt es sich aber um
seltene Ausnahmen oder Randerscheinungen. Die zionistische
Interpretation der Welt ist derartig schlüssig, dass sie für die
jüdischen Bürger Israels ein geschlossenes „Gedankengebäude“ errichtet
und als solches die Koordinaten ihres Denkens bestimmt. Unter diesen
Umständen kann nur jemand, der außerhalb dieses „Gedankengebäudes“ steht
und hineinschaut, klar sehen (so wie einige wenige hellsichtige,
fortschrittliche Leute am Rande der israelischen Gesellschaft), was
eigentlich vor sich geht, die selbstdestruktiven Aspekte Israels
identifizieren und eine rationale Kritik vorbringen. Natürlich wird in
den Ohren eines entschiedenen Israel-Ideologen, der gefangen ist im
Innern dieses Gedankengebäudes, eine solche Kritik völlig abwegig und
gefährlich klingen.
Man schaue sich beispielsweise die tapferen
Bemühungen von Gideon Levy an [4],
dem Journalisten von Ha’aretz, eine jener raren Persönlichkeiten in der
Randzone des israelischen Journalismus. Irgendwie ist es ihm gelungen,
sich den Auswirkungen dieses erdrückenden Gedankensystems zu entziehen
oder – wie er es nennt [5]
– „den Mechanismen der Gehirnwäsche, denen wir alle
von früher Kindheit an unterworfen sind.“
Levy ist eine Ausnahmeerscheinung, weil er fähig ist,
die einfachen Fragen zu formulieren, die nichtsdestoweniger von der
überwältigenden Mehrheit nicht gestellt werden. Etwa den folgenden
Kommentar, den er anlässlich der selbstverherrlichenden israelischen
Feiern nach der Entlassung Gilat Shalits veröffentlichte: „Wer ist nicht
gegen den Terrorismus und für Shalits Freilassung? Aber genau diese
schluchzende israelische Gesellschaft stellte sich keinen Moment mutig
und ehrlich der Frage, warum Shalit überhaupt in Gefangenschaft geriet.
Keinen Moment sagte sie sich mutig und ehrlich, dass es – falls sie auf
dem einmal eingeschlagenen Wege fortfährt – noch viel mehr Gilad Shalits
geben wird – tote oder lebende. Wieder und wieder hat sie Regierungen
der Mitte oder der Rechten gewählt, die eine Garantie dafür sind, dass
Shalit nicht der letzte gewesen sein wird....Niemand hat je darauf
hingewiesen, dass Shalit der unvermeidliche Preis ist, den ein Staat
bezahlen muß, der sich entschlossen hat, auf immer mit dem Schwert zu
leben.“ In der Folge dieser öffentlich vorgetragenen Einsicht geriet
Levy wiederholt in die Schusslinie der israelischen Armee, man drohte
ihm an, ihn auf der Straße krankenhausreif zu schlagen, und Minister der
Regierung forderten, daß er, als „Sicherheitsrisiko“, scharf überwacht
werden solle. Im englischen Independent
[5]
hieß es, Levy sei womöglich der „bestgehasste oder einfach der
mutigste Mann in Israel“.
Manchmal ist die von außen kommende Kritik so
unakzeptabel, dass sie unterdrückt werden muß. Ein schönes Beispiel ist
kürzlich ans Licht gekommen. Es scheint, dass am 12. Februar 2009 der
damalige CIA-Direktor (und gegenwärtige Verteidigungsminister) Leon
Panetta eine geheime CIA-Studie [6] absegnete, die
„den Untergang des zionistischen Israels innerhalb von zwanzig Jahren“
voraussagte, „wenn die allgemeinen politischen Trends sich fortsetzen“.
Die primäre Annahme des Berichts war, „dass es unwahrscheinlich ist,
dass die israelische Führung auch nur zu minimalen Konzessionen bereit
ist, um zu einer Verständigung mit ihren Nachbarn und deren zunehmend
desillusionierten und rasch wachsenden, Würde und Gerechtigkeit
verlangenden Bevölkerungen zu gelangen.“
Diese Einschätzung von außen war politisch derartig
unwillkommen, daß sie von Zionisten innerhalb der US-Regierung sofort
unterdrückt wurde. Nach Berichten im Internet
[6] existieren
gegenwärtig nur sieben Kopien (zumindest eine muss in den Tiefen eines
CIA-Depots vergraben sein). Obwohl eine weite Verbreitung des Reports
verhindert wurde, ist er nicht vergessen worden. Als Leon Panetta sich
also im Oktober 2011 aufmachte, um der israelischen Führung einen Besuch
abzustatten, holte er den Report wieder hervor. In privaten Gesprächen
sagte er den Israelis, daß die Zeit gegen sie arbeite und daß sie die
Wahl hätten, entweder mit ihren palästinensischen und arabischen
Nachbarn Frieden zu schließen oder ihre nationale Stabilität zu
gefährden. In der Öffentlichkeit las sich seine Botschaft so: die
Israelis mögen einen militärischen Vorsprung haben, aber langfristig
dürfte dies nicht ausreichen, um ihr Überleben zu sichern. Die Dinge
ändern sich schnell im Nahen Osten, aber Israel paßt sich dieser sich
wandelnden Wirklichkeit nicht an. Im Gegenteil, besonders in der
diplomatischen Arena isoliert es sich zusehends - eine Situation, in
der es nur verlieren kann. Zusätzlich versuchte Panetta der israelischen
Führung klarzumachen, daß die finanzielle Unterstützung durch die USA
sich, besonders in der gegenwärtigen Höhe, vermutlich nicht auf Dauer
aufrecht erhalten lassen wird. Die Einstellungen gegenüber Israel in der
amerikanischen Öffentlichkeit verändern sich, und die wirtschaftlichen
Schwierigkeiten könnten die amerikanische Unterstützung in der
vorhersehbaren Zukunft untergraben.
Wie es heißt, reagierte die israelische Führung
verärgert auf Panetta. Die herkömmliche zionistische Einstellung ist
die, daß der Westen Israel wegen des Holocausts Unterstützung schuldet,
und man erwartet vom Westen, daß er sie gewährt – unabhängig von den
damit verbundenen Opfern und Unannehmlichkeiten. Diese Haltung scheint
immer noch - nicht nur in Israel, sondern auch im amerikanischen Kongreß
(wo es eine ähnliche geschlossene Informationsumwelt gibt) -
vorzuherrschen. Panettas Botschaft war, daß Israels Erwartungen das
amerikanische Gefühl der Verpflichtung irgendwann überfordern könnten.
Israels Reaktion auf ideologisch unakzeptable
Botschaften ist natürlich nicht ungewöhnlich. Alle Nationen bemühen sich
um die Etablierung eines für sie vorteilhaften maßgeblichen Narrativs
und schärfen es den folgenden Generationen ein. Und die meisten tun dies
mit Erfolg. Aber die anhaltende Intensität des nicht nachlassenden
palästinenischen Widerstands hat das zionistische Narrativ der Israelis
verwundbar gemacht, und anstatt sich den sich wandelnden Umständen
anzupassen, schlossen sie die Wagenburg und beharrten auf ideologischer
Reinheit. Sie haben sich neuerdings sogar bemüht, palästinensische
Schulbücher zu zensieren [7],
als ob ein solches Vorgehen die alltäglichen Erfahrungen
palästinensischer Kinder auf der Straße aufheben könnte.
Halsstarrigkeit birgt im Falle Israel Risiken in
sich. Panetta hob die regionalen Gefahren für Israel hervor, aber dies
sind nicht die einzigen. Wie erwähnt, sind - wirtschaftlich gesehen -
die Zeiten hier in den USA hart. Die Defizite sind hoch – womöglich hoch
genug, um Auswirkungen auf den Verteidigungshaushalt zu haben. Täglich
werden soziale und kulturelle Programme zurückgefahren. Und dennoch
schüttet der Kongreß, unter dem hypnotisierenden Einfluß zionistischer
Ideologen, jährlich Milliarden Dollar in die israelischen Kassen. Wie
lange wird es wohl nach Ansicht der verärgerten Männer in Jerusalem
dauern, bis dies der amerikanischen Öffentlichkeit auffällt? Und wenn es
dazu kommt, wenn die Hilfe für Israel ein Wahlkampfthema wird, dann
werden die Politiker, von denen dieses Land so abhängig ist, die ihm
seit Jahrzehnten die Treue halten, ganz schnell bereit sein, es im Stich
zu lassen.
Aber das ist noch nicht alles. Zumindest ein Teil der
Empörung über die Abzweigung von Ressourcen für Israel wird
zwangsläufig die Form des Antisemitismus annehmen. Das israelische
Verhalten hat es fertig gebracht, den Nahen Osten, eine Gegend, die im
Großen und Ganzen bis zum Auftauchen des Zionismus frei von
Antisemitismus war, in eine potentielle Brutstätte für dieses
widerwärtige Ressentiment zu verwandeln. Und vielleicht wird den
Israelis dies auch im amerikanischen Hinterland gelingen. Das nennt man
wohl einen Schuß, der nach hinten losgeht. Aber die führenden Männer in
Jerusalem werden ihre Verantwortung dafür niemals zugeben. Sie haben
schon immer gewußt, daß die Welt im Grunde genommen antisemitisch
eingestellt ist, und dann werden sie lauthals verkünden, sie hätten
Recht gehabt. Den Antisemitismus habe es immer schon gegeben, sogar im
Herzen ihres wichtigsten Verbündeten. Hier zeigt sich die Realitäten
verzerrende Kraft eines in sich geschlossenen Gedankensystems.
Übersetzung: Jürgen Jung
Prof. Lawrence Davidson ist Historiker an der
West Chester University, Philadelphia. Ein Forschungsschwerpunkt: Middle
East History und US-amerikanische Nahostpolitik
URL:
http://www.truth-out.org/israel-twenty-years-and-counting-analysis/1319726618
[1]
http://www.truth-out.org/print/8213
[2] http://www.truth-out.org/printmail/8213
[3] http://www.tothepointanalyses.com/
[4] http://www.haaretz.com/print-edition/opinion/shalit-is-returning-to-a-state-in-psychosis-1.390155
[5] http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/is-gideon-levy-the-most-hated-man-in-israel-or-just-the-most-heroic-2087909
[6]
http://www.foreignpolicyjournal.com/2011/10/10/panetta-to-netanyahu-israel-may-not-survive-the-current-arabislamic-awakening/
[7]
http://972mag.com/israeli-authorities-impose-censored-palestinian-textbooks-in-east-jerusalem/26137/
[8] http://www.truth-out.org/printmail
[9] http://www.truth-out.org/content/lawrence-davidson
[10]http://org2.democracyinaction.org/o/6694/p/salsa/web/common/public/signup?signup_page_KEY=2160
[11] https://members.truth-out.org/donate
[12] http://www.truth-out.org/?q=economic-reasons-israel-us-should-support-palestinian-statehood/1316619263
[13]
http://www.truth-out.org/?q=palestinian-nonviolence-and-israels-reaction/1311859193
S ALAM SHALOM Arbeitskreis Palästina-Israel e.V.
www.salamshalom-ev.de
salamshalom.ak@googlemail.com
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