Sehr geehrte Organisatoren der 9.
Konferenz der Palästinenser in Europa,
ich
begrüße Sie herzlich und danke Ihnen für die Einladung und die
Möglichkeit, ein Gastwort sagen zu dürfen und mit Ihnen zusammen
sein zu können.
Ana saïda dschiddan wa katir
mamnuna akun ma’akum.
Uhayyikum dschamie’an tahia
qalbiah!
Liebe Freunde,
ich war als Kind und Jugendliche ein
Flüchtling, und das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge ist
mir sehr nah. Israel hat circa 800.000 Palästinenser aus ihrer
Heimat vertrieben und circa 530 Dörfer zerstört. Eine echte
ethnische Säuberung. Wie das funktionierte, berichtete einer der
Offiziere, Yitzhak Pundak (Haaretz 2004, Ilan Pappé, S. 25): „Es gab
200 Dörfer (an der Front) und sie sind verschwunden. Wir mussten sie
zerstören, sonst hätten wir hier (im Süden Palästinas) Araber gehabt
wie in Galiläa. Wir hätten eine weitere Million Palästinenser
gehabt.“ Das ist der genetische Code der Zionismus. Und das ist
die NAKBA der Palästinenser, die Israel leugnet. Das Völkerrecht
ist in der Sache klar. In einer Resolution der Vollversammlung der
UNO (Nr. 194(III) vom 11. Dezember 1948) findet sich der Beschluss,
„dass Flüchtlingen, die in ihre Heimat zurückkehren und in Frieden
mit ihren Nachbarn leben wollen, die Rückkehr zum frühestmöglichen
Zeitpunkt erlaubt werden soll; dass eine Entschädigung gezahlt
werden soll für das Eigentum derer, die sich nicht zur Rückkehr
entschließen, sowie für den Verlust oder die Beschädigung von
Eigentum, für die nach Völkerrecht und Billigkeitsrecht die
Regierungen oder zuständigen Behörden Wiedergutmachung leisten
sollen“. (Ilan Pappé. S. 306)
Diese historische Resolution wurde
nur einen Tag nach der berühmten Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte der UNO verabschiedet. Artikel 13(2) dieser
Erklärung besagt, dass jeder das Recht hat, jedes Land,
einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land
zurückzukehren.
Israel ignoriert seit Jahren
UNO-Resolutionen, auch die eben erwähnte, und man muss die Welt
bewegen, sich einzumischen, Druck auf Israel auszuüben. Auch
Deutschland ist hier gefordert, den Verstoß Israels gegen die
Menschenrechte, die universell sind, anzuprangern.
Im Jahre 1950 habe ich nach meiner
Einwanderung nach Israel im Rahmen von Familienzusammenführung
das erste Mal die zerstörten Dörfer der Palästinenser gesehen und
über das Schicksal der Flüchtlinge erfahren. Das prägt mich bis zum
heutigen Tag. Ich habe damals begriffen, dass Frieden nur möglich
sein wird, wenn wir unsere Schuld bekennen und das Recht der
Flüchtlinge auf Rückkehr als ein elementares Menschenrecht
anerkennen.
Aber Israel hat weiter erobert,
zerstört - und entrechtet die Palästinenser, auch die in Israel, die
israelische Staatsbürger sind, und hat alle Friedensinitiativen und
Bemühungen abgelehnt. Israel hat dabei zweifelhafte Rekordzahlen
erreicht: 44 Jahre kolonisatorische Besatzung, 20 Jahre leere,
trügerische Friedensgespräche,
und die Liste der Rekorde ist noch
lang…
Auf den Ruinen der drei
palästinensischen Dörfer Yalu, Beit Nuba und Amwas, von der
israelischen Armee 1967 zerstört, habe ich den Schwur abgelegt, die
Rechte der Palästinenser bedingungslos zu verteidigen.
Nach der Besatzung von 1967 habe ich
das Leid und auch den Kampf gegen die Entrechtung der Palästinenser
als Zeitzeugin und als Augenzeugin kennen gelernt. Die Gefolterten,
die Verletzten mit gebrochenen Beinen und Armen, dem Befehl Yitzhak
Rabins entsprechend; die toten palästinensischen Jugendlichen, Opfer
der ersten Intifada, und die hunderten von Verhafteten sind Teil
meines Lebens geworden. So wie die Enteignung des Landes der
Palästinenser für die israelischen völkerrechtswidrigen Kolonien,
sogenannte „Siedlungen“. Jahrelang habe ich juristisch gegen den
Landraub gekämpft, aber vergeblich. Wenigstens konnten wir das
verrottete Rechtssystem der Besatzer entlarven.
Die Besatzer wollten der Jugend
Palästinas die Zukunft stehlen, den Mut und die Hoffnung. Sie sind
gescheitert. Man kann diese Jugend heute beobachten, wenn sie für
die Einheit der Palästinenser kämpft, für die Einigung zwischen
Fatah und Hamas, was ich von Herzen begrüße! Sie kämpft auch gegen
die Apartheidsmauer, zusammen mit ausländischen Solidaritätsgruppen
und der israelischen Friedensbewegung. Der Kampf dieser
Palästinenser ist gewaltfrei, aber nicht so die Reaktion der
israelischen Armee, die gewalttätig und aggressiv ist, in Bi’ilin,
Ni’ilin, in Ost-Jerusalem und überall. Wir werden auch nie die
Menschen in Gaza vergessen, die unter einer unmenschlichen Blockade
leiden. 1 ½ Millionen Menschen im größten Freiluftgefängnis der
Welt, noch in Trümmern nach dem letzten israelischen Massaker (vom
27. Dezember 2008 bis zum 18. Januar 2009), der sogenannten
Operation „Gegossenes Blei“, mit 1.444 palästinensischen
Todesopfern, Tausenden Verwundeten,
Hunderte von ihnen Kinder und
Jugendliche, die meisten Opfer Zivilisten. Dazu eine gezielte
Zerstörung der Infrastruktur.
Liebe Freunde, wir haben das Glück,
uns heute hier zu treffen, während im Nahen Osten sich der arabische
Frühling ausbreitet. Ein epochales Ereignis, das uns alle betrifft,
das uns erfreut und ermutigt.
Mein palästinensischer Adoptivsohn
Sami, der in den USA lebt, schrieb mir am 2. Februar 2011 die
folgenden Zeilen unter dem Titel „Born again!“:
Our mother, the
feelings amongst Arab-Americans, whether from Palestine, Syria,
Tunisia, Lebanon, Iraq is one of “Born Again!” It is just amazing to
see these people a few weeks ago and today! People feel like they
were in a deep sleep. Your dedicated and hard work and standing
steadfast to principles of justice and equality and freedom through
all these decades were not in vain! Let us hope that Egypt and
Tunisia lead the way for the people of the region to live in
democracy and freedom. I wrote to an Egyptian friend in Cairo
telling her that “I feel like an Egyptian!” Her response was:
“Yesterday we were all Tunisians; today we are all Egyptians, but WE
ARE ALWAYS PALESTINIANS!”
Die Demonstranten in Kairo haben
keine palästinensischen Fahnen getragen, aber in ihren Herzen hatten
und haben sie Palästina! Israel muss sich damit abfinden, dass seine
freundlichen bezahlten Tyrannen nunmehr der Vergangenheit angehören.
Die arabischen Völker werden die Entrechtung der Palästinenser durch
Israel, mit Hilfe der USA und Europa, nicht dulden!
Die Alternative zu Frieden mit
Gerechtigkeit, was auch für das israelische Volk ein Segen wäre, ist
eine Existenz als israelische Insel der Apartheid in der Region
Nahost. Das sagt auch unsere Friedensbewegung und Menschen mit
Gewissen überall auf der Welt.
Liebe Freunde, der Kampf geht
weiter, und ich bin immer mit Ihnen!
Elkifah mustamer, wa ana daïman
maakum!
Schukran dschasilan!
Danke!
Felicia Langer
organisiert von
der Palästinensischen Gemeinschaft in Deutschland (PGD) unter dem
Motto „Die Generation der Rückkehr kennt ihren Weg“.