19.4.2011
Sehr geehrter Richter Goldstone,
zur deutschen Ausgabe des „Goldstone-Berichtes“ habe ich einige
persönliche Gedanken vorgetragen, die in der Zeitschrift „SEMIT“
(Nr. 4, Juli-August 2010) erschienen sind.
Der Artikel beginnt folgendermaßen:
„Als erstes möchte ich der Untersuchungskommission unter Leitung von
Richter Richard Goldstone meine Dankbarkeit und Hochachtung
aussprechen für die gründliche Untersuchung der feststellbaren
Fakten und deren stringente Würdigung, aber insbesondere auch dafür,
dass der Bericht die historischen Hintergründe deutlich gemacht hat,
da ein Verständnis der gegenwärtigen Lage nur im Zusammenhang der
historischen Entwicklung möglich ist. Auch dem Melzer Verlag und
allen, die dazu beigetragen haben, dass der Bericht auf Deutsch
erscheinen konnte, möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen.“
Mit Entsetzen habe ich nun in der „Washington Post“ vom 1.
April 2011 Ihren Artikel gelesen, in dem Sie u.a.
schreiben: ″We know a lot more today what happened in the Gaza War
of 2008 – 09 than we did when I chaired the fact-finding mission
appointed by the UN Human Rights Council that produced what has
become to be known as the Goldstone Report. If I had known then what
I know now, the Goldstone Report would have been a different
document.”
Es ist nicht klar, worauf Sie diese Erklärung basiert haben, die Sie
mit den anderen drei Mitgliedern der Kommission offensichtlich nicht
abgesprochen haben (Christine Chinkin, Professorin für Völkerrecht
an der London School of Economics and Political Science,
ehemaliges Mitglied der hochrangig besetzten Untersuchungskommission
für Beit Hanoun im Jahre 2008, Frau Hina Jilani, Verteidigerin am
Obersten Gericht Pakistans und ehemalige Sonderbevollmächtigte des
UN-Generalsekretärs zur Situation von Menschenrechtsverteidigern
sowie 2004 Mitglied der internationalen Untersuchungskommission zu
Darfur, sowie Oberst Desmond Travers, ehemaliger Offizier der
irischen Streitkräfte und Vorstandsmitglied des Institute for
Criminal Investigations), denn diese drei hoch qualifizierten
Experten teilen Ihre Meinung nicht. Im April haben sie dem
„Guardian“ erklärt, dass sie alle drei zum Goldstone Report stehen,
ohne wenn und aber. Sie, Richter Goldstone, haben gesprochen, als ob
der Bericht Ihre Privatdomäne wäre…..
Uri Avnery schrieb, dass nach der Veröffentlichung des
Goldstone-Berichtes die israelische Armee tatsächlich umfangreiche
Untersuchungen zu einzelnen Vorfällen durchgeführt hat. Die Zahl ist
vielleicht eindrucksvoll, das Ergebnis nicht. Etwa 150 Fälle wurden
untersucht (Sie sprechen von über 400), bislang wurden zwei Soldaten
verurteilt, einer der beiden wegen Diebstahls; ein Offizier wurde
angeklagt, weil er aufgrund eines Irrtums eine ganze Großfamilie
ausgelöscht hat. „Das schien Goldstone zufrieden zu stellen“,
schrieb Avnery. Erstaunlich, denke ich.
Sehr geehrter Richter Goldstone, ich wage es festzustellen, dass Sie
die israelische Gerichtsbarkeit, was die Palästinenser betrifft und
die israelische Armee, offenbar nicht kennen. Ich aber kenne
sie, sogar sehr gut, nach 23 Jahren juristischer Tätigkeit, als
Anwältin der Palästinenser, Opfer der israelischen Besatzung. Ich
habe Folterer zur Rechenschaft zu ziehen versucht, viele Male,
leider vergeblich. In einem Fall waren die Spuren so klar und ein
Agent der
Shin Bet hat sie in meinem Beisein selbst gesehen, aber
danach hat er vor Gericht alles bestritten. – Die Armee hat sich
immer selbst untersucht, sich selbst gerichtet und sich am Ende für
unschuldig erklärt….Ähnlich war es mit Fällen von Misshandlung und
Tod während der Ersten Intifada (1987…). Ich habe mich bemüht, die
Täter unter den Soldaten zur Rechenschaft zu ziehen, deshalb hat man
mich mitunter „Anwältin der Toten“ genannt. Alles war vergeblich.
Weil es kein gerechtes, unabhängiges Verfahren gab.
Auch die Verfahren über Vorfälle während „Operation Gegossenes
Blei“ waren sicher ähnlich, weil sich an der Gerichtsbarkeit gar
nichts geändert hat. „Militärjustiz hat mit Justiz so viel gemeinsam
wie Militärmusik mit Musik“, so soll es Clemenceau einmal formuliert
haben.
1990 habe ich aus Protest gegen diese Justiz meine Anwaltskanzlei in
Westjerusalem geschlossen, weil ich den Palästinensern nicht helfen
konnte, im Rahmen einer Justiz, die zur Farce geworden war. Ich habe
damals in Israel und im Ausland Interviews über die Lage und meine
Entscheidung gegeben, u.a. auch mit „The Washington Post“, um den
Mythos von einem gerechten israelischen Justizsystem zu entlarven.
Die pro-israelische Lobby hat Sie offensichtlich ernorm unter Druck
gesetzt, was eine Schande ist. Uri Avnery schreibt, dass Sie jetzt
nach der Erklärung wieder in jeder Synagoge beten können! Ich bin
mir da nicht so sicher, denn Sie haben die Befunde der Kommission
nur in Teilen eingeschränkt, und der Bericht wird auf keinen Fall
zurückgezogen werden, so Erklärungen von offizieller Seite wie auch
von Ihnen persönlich.
Die Wahrheit ist hartnäckig, Richter Goldstone, und ihre Verfechter
unermüdlich. Vergessen Sie das nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Felicia Langer, Jur.