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20 Jahre danach
Felicia Langer
Kirchheimbolanden, eine kleine Stadt in
Rheinland-Pfalz. Eine Nakba-Ausstellung wird eröffnet, im Rahmen von
Friedenstagen. Ich war dort vor 20 Jahren, auch während
Friedenstagen. In meinem ersten Buch, „Brücke der Träume“, 1993 in
Deutschland geschrieben, habe ich diesen Besuch geschildert.
Jetzt, am 6. November 2013, sind wir, Mieciu und ich, eingeladen.
Mieciu als Zeitzeuge des Holocaust ins Gymnasium Weierhof, und ich
als eine Referentin über die Lage in den besetzten palästinensischen
Gebieten und über die Nakba. Die Friedenstage und auch die
Nakba-Ausstellung hat der Kreisverband der Partei Die Linke
organisiert.
Die Mutter der Nakba-Ausstellung ist Ingrid Rumpf, die Vorsitzende
des Vereins „Flüchtlingskinder im Libanon“, dessen Schirmfrau ich
bin. Die Ausstellung wurde schon an 100 Orten gezeigt. Ingrid Rumpf
hat uns nach Kirchheimbolanden gefahren.
Der
Saal in der Kreisverwaltung ist voll, es sind meist junge Leute
gekommen, was mich sehr freut und berührt. ,Wir werden nicht müde,
Friedenstage zu veranstalten, bis der ersehnte Frieden kommen wird‘
– denke ich.
Ich erzähle über die fortdauernde Nakba, über die Entrechtung der
Palästinenser heutzutage. Über die verhafteten Kinder und über
Folterungen, über eine stille ethnische Säuberung, über das Ghetto
von Gaza und mehr, eine volle Stunde lang. Wie gut, dass die Wut
mich nie verließ… Es war eine Stunde des Grauens. Helmut Schmidt,
Gymnasiallehrer und Organisator der Friedenstage bedankt sich sehr
herzlich bei mir, und auch das Publikum.
Ingrid Rumpf erklärt ausführlich die Ausstellung, und die Tochter
von Helmut Schmidt, Friederike , liest eine Geschichte von Ghassan
Kanafani über Flüchtlinge . Sehr traurig und sehr zutreffend.
Meine guten Freunde, Ruth Asfour, ihr Mann Marun und Abi Melzer sind
aus der Gegend von Frankfurt gekommen, was mir große Freude bereitet
hat. Wie köstlich Freundschaft sein kann!
Und noch etwas: Ich habe einen Ausschnitt aus dem Buch „Brücke der
Träume“ vorgelesen, das vor 20 Jahren in Kirchheimbolanden
entstanden ist.
Es ist bei mir ein Pflichtzitat bei meinen Veranstaltungen: „ Zu
guter Letzt kam die Frage aller Fragen, die bei jeder Veranstaltung
gestellt wird: Wie können wir, die Deutschen, mit unserer
Vergangenheit und unserer Schuld den Juden gegenüber, es wagen,
Israels Taten zu kritisieren? Ich beantwortete sie besonders
ausführlich, gerade weil sie von entscheidender Bedeutung ist. … In
der Tat sind die Deutschen, gerade wegen ihrer Vergangenheit, dazu
verpflichtet, sich überall dort einzumischen, wo Menschenrechte
verletzt werden. Sie haben schon einmal geschwiegen, wenn auch in
einer anderen Zeit und unter anderen Umständen. Das Schweigen
angesichts von Unrecht hat vor allem dann, wenn es den Opfern helfen
könnte, die Stimme zu erheben, einen Beigeschmack von
Mittäterschaft.
Wir, die Israelis, die Juden, können keinerlei Recht beanspruchen,
als Opfer von gestern Täter von heute zu sein. Das Testament unserer
Toten, der Toten des Holocaust, macht eine klare Aussage. Wir haben
auch kein Recht, die Schuldgefühle der Deutschen zu
funktionalisieren, so wie Israel das tut, und sie, was unsere Taten
angeht, zum Schweigen zu verurteilen, damit wir ungestört, jeder
Einmischung und Kritik entzogen, die Palästinenser unterdrücken
können. Wer behauptet, daß man die Menschenrechtsverletzungen
Israels, die dem Völkerrecht zuwiderlaufen, nicht anprangern dürfe –
also etwas nicht tun dürfe, was die Menschenrechtsorganisationen in
Israel und in der Welt schon seit Jahren tun –, weil das
Antisemitismus sei, wer das behauptet, der lügt wissentlich, frech
und erpresserisch, um die Stimmen der Kritik zum Schweigen zu
bringen.
Substanzlose Anschuldigungen wie diese müssen mit allem Nachdruck
zurückgewiesen werden, ebenso die Einschüchterung, eine Kritik an
Israels Verhalten könnte den Applaus der falschen Seite
herbeiführen. Die Deutschen müssen ihre Verpflichtung, die aufgrund
ihrer Vergangenheit im Vergleich mit anderen Völkern doppelt und
dreifach wiegt, ganz entschieden wahrnehmen und gegen jedes
Anzeichen von Rassismus, Menschenrechtsverletzungen, Antisemitismus
oder Fremdenhaß, in welcher Form auch immer, ankämpfen. Darin ist
auch eine äußerst klare Botschaft an jene »falsche Seite« enthalten.
Denn nicht diese ist es, welche Menschen mit Gewissen ihre Position
diktiert. … Wir Israelis und Juden haben auch kein Recht, die
Deutschen wegen ihrer Vergangenheit über Generationen hinweg für
untauglich zu erklären, ihren Standpunkt in Fragen der Moral zu
äußern, oder aber sie kollektiv eines quasi angeborenen
Antisemitismus zu bezichtigen. Das ist Rassismus, und dieser bleibt
häßlich wie jede andere Form von Rassismus, auch wenn seine
Vertreter die Opfer von gestern sind.
Die besten unserer Töchter und Söhne in Israel und außerhalb
verurteilen die Unterdrückung und wenden sich an die Gemeinschaft
der Welt, inklusive der Deutschen, ihre Solidarität mit den Opfern
auszudrücken.
Freundschaft mit Israel, ja, aber eine kritische Freundschaft,
anderenfalls ist sie reiner Betrug. Solidarität ist die schönste
Blume der Menschheit, sagten die Frauen Guatemalas – und ich ebenso.
Am Schluß meiner Ausführungen in Kirchheimbolanden hatte ich das
Gefühl, daß dieses Publikum, das seinen Teil der Prüfungen im Kampf
für den Frieden im Laufe der Jahre bestanden hatte, nicht zulassen
wird, plötzlich einer Deformierung seiner Moral zu unterliegen, wenn
von Palästinensern die Rede ist.“
Dieses Publikum in Kirchheimbolanden, 20 Jahre danach, am 7. 11.
2013, hat meine Gefühle von damals völlig bestätigt.
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