Elektronische Besetzung
Von Ghazi Hamad
Palestine
Report, 22. Juni 2005
Die
Menschen im Gazastreifen haben nach dem Rückzug vielleicht
keine Panzer mehr auf ihren Straßen, aber das Gebiet wird
weiterhin unter Kontrolle einer ausländischen
Besatzungsmacht stehen. Bewertet man die Verlautbarungen von
Israels Premierminister Ariel Sharon und von
Armeeoffiziellen sowie die Sicherheitsvereinbarungen, die in
dem von der Knesset abgesegneten Rückzugsplan festgelegt
wurden, wird Israel seine Anwesenheit in der Luft, zu Wasser
und an Gazas Grenzen nach seinem Rückzug aus dem
Gazastreifen aufrechterhalten.
Gaza wird
in einem durchaus wahrnehmbaren Nach-Rückzugszustand sein.
Es wird nicht vollständig unabhängig aber gleichzeitig nicht
länger Checkpoints, Straßensperren und anderen Maßnahmen der
Bewegungsbehinderung, welche für die Besetzung der Westbank
typisch sind, unterworfen sein.
Mohammed Dahlan, palästinensischer Minister für Zivile
Angelegenheiten, äußerte sich gegenüber Palestine Report:
„Ganz klar will Israel den Gazastreifen nicht sich
selbst überlassen. Was für eine Art Unabhängigkeit und
Staatshoheit wird es geben, falls Land, Meer und Grenzen
unter Israels Kontrolle verbleiben? Es wäre besser, sie
blieben einfach hier als die Welt an der Nase herumzuführen
und in dem Glauben zu wiegen, sie hätten sich wirklich
zurückgezogen!“
Laut
israelischer Presse plane Israel den Einsatz von
Hightech-Einrichtungen sowie verschärfte
Sicherheitsmaßnahmen entlang Gazas Grenzen und ghettoisiere
damit weiterhin das dicht bevölkerte, winzige Scheibchen
Land.
Arnon
Zuaretz, israelischer Brigadegeneral, erklärte am 11.
Juni in einem Interview mit der Voice of Israel:
„Israel will nach dem Rückzug die Lage im Gazastreifen
vollständig kontrollieren, und das mit der ausgereiftesten,
technologischen Ausrüstung der Welt.“ Er fügte hinzu,
dass digitale Kommandostationen es Israel ermöglichten, die
Lage auf dem Boden zu überwachen, und damit wiederum die
IDF-Luft- und -bodentruppen voll zu koordinieren
In der Tat
plant Israel die Umfassung des Gazastreifens mit
mehr als einem elektronischen Zaun –
zusätzlich zu der gegenwärtigen Grenze, die sich auf 60 km
erstreckt – um damit jegliche Bewegung über die Grenze zu
verhindern. Das für den Bau des Zaunes verantwortliche
Transport- und Technologiewesen der israelischen
Armee schätzt die Kosten dieses Projekts auf annähernd 6,5
Milliarden NIS (AE = NIS 6.5 billion). Das israelische
Verteidigungsministerium legt die Materialkosten pro
Kilometer Zaun auf etwa 10 Millionen NIS fest.
Der
elektronische Zaun, der sich größtenteils an der
1967er-Grenze entlang zieht - mit ein paar Abweichungen in
das palästinensische Gebiet hinein - schließt eine Reihe
Beobachtungsposten ein, die aus Schützengräben, tiefen
Kanälen, hohen Zementmauern, elektronischen Zäunen und
digitalen Überwachungssystemen bestehen. Es gibt auch
Pufferzonen, welche die Beobachtungsposten von der
Waffenstillstandslinie trennen.
Umstritten ist die Aufrechterhaltung und der Ausbau der
israelischen Militärpräsenz entlang der Philadelphi-Route.
Vom Rafah-Flüchtlingslager und dann der ägyptischen Grenze
entlang war dieses Gebiet den schlimmsten israelischen
Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt – insbesondere den
Hauszerstörungen. Wo einst hunderte Flüchtlingshäuser
standen, erstreckt sich nun parallel zur Grenze eine
ausgedehnte und etwa 200 m tiefe Pufferzone. Dieses Gebiet
ist nun als für Palästinenser verbotene Militärzone
deklariert.
Wie in der
Ausgabe vom 17. Juni der Jerusalem Post berichtet
wurde, baut Israel gegenwärtig eine Seebarriere nahe der
Gaza-Meeresküste unter dem Vorwand, palästinensischen
Kämpfern dabei zuvorzukommen, den Rückzugsprozess zu
behindern und in die 21 zur Evakuierung vorgesehenen
Siedlungen einzudringen.
Die
Absperrung wird sich 950 m ins Mittelmeer erstrecken und aus
einer mit einem Eisenzaun ummantelten Schicht Zement
bestehen. 150 m der Befestigung werden in den Meeresgrund
gerammte Stahlsäulen bilden, die verbleibenden 800 m werden
ein „schwimmender Zaun“ sein – 1,8 m tief im Wasser.
Dieses
ganze Instrumentarium bedeutet, dass Gaza rechtlich seinen
Besatzungsstatus beibehalten wird.
Wie in
Artikel 42 der Hager Konvention festgelegt „ist ein
Territorium als besetzt zu betrachten, wenn es sich
eigentlich unter der Befehlsgewalt einer feindlichen Armee
befindet. Die Besetzung erstreckt sich nur auf das Gebiet,
in dem eine solche Befehlsgewalt errichtet wurde und
ausgeübt werden kann.“
Israel
besteht darauf, dass es nach dem Rückzug jegliche Ansprüche
betreffend seiner Verantwortung gegenüber den Palästinensern
im Gazastreifen zurückweisen könne. Aber internationales
Recht widerspricht dem. Falls Israel sogar alle seine
Truppen und Überwachungshilfsmittel abzöge, besagt Artikel 6
der Vierten Genfer Konvention, dass eine Besatzungsmacht
noch während eines Zeitraumes von einem Jahr, nachdem die
Besatzung beendet wurde, an die Konvention gebunden sei.
Bis zu
diesem Zeitpunkt werden die Palästinenser also geschützte
Personen bleiben, und Israel wird die Verantwortung
behalten.
10.07.2005,
Übers. v. Gabriele Al Dahouk