Die Aktivisten von Sheik Jarrah: ein neuer
Weg für die Linke
Ronen
Medzini
Einer kleinen Gruppe von jungen Leuten ohne jede juristische
Erfahrung gelang es, die Jerusalemer Polizei matt zu setzen und sie
dahin zu bringen, eine große Demonstration zu genehmigen. „Dies ist
nur noch ein Beispiel für den Kampf gegen die Besatzung, gegen
Rassismus und Diskriminierung“, sagten sie. Auf der Linken spricht
man von ihnen als einer neuen Hoffnung.
Was mit einem Marsch von 20 jungen Leuten anfing, die dagegen
protestierten, dass jüdische Siedler in einen Ost-Jerusalmer
Stadtteil kommen, ist in den letzten paar Monaten zu einem
politischen Phänomen geworden, das nicht ignoriert werden kann.
Mehrere hundert Aktivisten, Intellektuelle und Politiker
versammelten sich jeden Freitagmittag, um gegen die „ Missetaten des
Bürgermeisters“ zu demonstrieren. Das brutale Benehmen der Polizei
verstärkte nur den Kampf und verwandelte ihn in ein symbolisches
Zentrum, auf das sich die Linken aus dem ganzen Land konzentrierten.
Sie brachten sogar den Staat vor den Obersten Gerichtshof. Dort
erreichten sie einen Meilenstein, als die Richter eine große Demo
für Samstagabend genehmigten.
Diese rechtliche Errungenschaft ist drei Studenten zu verdanken, die
vorher keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet hatten. Einer von ihnen
ist Avner Inbar (29), ein Student der Philosophie an der
Chicago-Universität. Er erzählte Ynet, wie es zu der Petition
gekommen ist. „Uns war bald klar, dass wir uns keinen Anwalt leisten
können. Also schrieben wir die Petition selbst. Wir verbrachten
damit zwei oder drei Tage und befassten uns sehr intensiv damit, Tag
und Nacht. Wir befassten uns intensiv mit dem Problem. Wir lasen
frühere Urteile zu dem Thema von Versammlungsfreiheit. Wir gingen
dorthin, wo die Demo stattfinden soll und wir fotografierten das
relevante Gebiet. Wir sammelten eidesstattliche Erklärungen von
Demonstranten und den Bewohnern des Stadtteils und schrieben die
Petition.
Als es klar wurde, dass die Polizei nicht die Absicht hatte, die
Demo zu genehmigen, wurde der Kampf stärker. „Wir planen für
Samstagabend eine größere Sache,“ sagte Avner Inbar zu uns. Von der
Polizei kam eine sofortiges Verbot ohne irgendwelche Erklärungen und
Begründungen – obwohl sie gesetzlich verpflichtet sind, diese zu
geben. Wir erkannten, dass dies eine Polizeikampagne gegen den
Protest an dieser Stelle war. Wir legten am Sonntag die Petition
vor und stellten uns selbst am Donnerstag vor. Nach ihr stellte
sich die Selbstdarstellung des Sheik Jarrah-Kampfes als
unorganisiert, unabhängig und an keine Institution gebunden vor.
Der Kampf wird weitergehen, bis die Besatzung beendet ist.
Hinter dem umstürzlerischen Kampf, der wiederholt die Jerusalemer
Polizei matt setzte, steht eine Gruppe junger Leute in den 20ern.
Sie sind jetzt seit anderthalb Jahren aktiv – ohne Budget, ohne
Sachkenntnis und Erfahrung und ohne Anwalt, oder dass politische
Parteien hinter ihnen stehen. Im Augenblick vom Erfolg der Kampagne
beim Obersten Gerichtshof ermutigt, versprechen sie, den Kampf
fortzusetzen. „Der Kampf geht weiter, bis wir das Ziel erreicht
haben, das Ende der Besatzung.“
Sahar Vardi, eine der Initiatoren des Kampfes, eine 19 Jährige aus
Jerusalem: „Es begann vor anderthalb Jahren, als die al-Kurd-Familie
aus ihrem Haus vertrieben wurde. Es war ein kleiner Kampf in einem
Protestzelt,“ erinnert sie sich. Im letzten August, als zwei weitere
Familien vertrieben wurden und sich jüdische Familien dort
einnisteten, begann der Kampf von neuem. „Wir waren eine Gruppe von
Aktivisten, die immer wieder nach Sheik Jarrah kamen. Wir haben uns
dann immer mehr mit den Problemen befasst.“
Nach der letzten Vertreibung im November hatten wir ein Treffen. Wir
überlegten, was wir noch tun könnten. Eine der Ideen war, eine Demo
zu halten. Innerhalb einer Woche begannen wir - wir waren nur 20
und marschierten vom Zionsplatz zu diesem Stadtteil. Eine Woche
später schlossen sich uns Trommler an – und wir waren 40. Dann
sandten wir Einladungen hinaus.
Mehr als 100 Leute kamen zur nächsten Demo – und dann kam die
Polizei und verhaftete das erste Mal Leute. Es wurde irgendwo
veröffentlicht. Das gab dem Kampf noch mehr Schwung. Dann kam es in
die Presse, und die Menschen wurden sich dieses Problems noch
bewusster.“ Seitdem kamen mehrere hundert Linke zu jeder Demo,
einschließlich Intellektueller und Politiker. Unter ihnen David
Grossman, der frühere KM Abraham Burg und Yossi Sarid und Uri
Avnery – aber die meisten sind Studenten aus Jerusalem,“ sagen die
Aktivisten.
Dies ist nur ein Beispiel des Kampfes gegen die Besatzung
Die Initiatoren des Kampfes haben ganz verschiedene Hintergründe.
Vardi ist eine der ersten Unterzeichner des Briefes der Shministim,
die sich weigerten, zum Militär zu gehen und sie ist nun seit Jahren
eine Aktivistin für die Rechte der Palästinenser. Eine andere
Führerin des Kampfes Maya Wind (20) kommt aus der
Menschenrechtsarbeit.
Bei einem Gespräch mit Ynet sagt Wind, dass sie es sich nicht
vorstellen konnte, dass der Protest auf einmal so viel Schwung
bekommt. „Wenn man mir vor sechs Monaten gesagt hätte, dass das
halbe Land um Sheik Jarrah Bescheid wissen würde, ich hätte nur
gelacht,“ sagte sie, „Wir fingen mit fünf oder sechs Aktivisten in
dem Stadtteil an – wir gingen nur hin und lebten eine Weile dort.
Unser Kampf ist sehr populär, dynamisch und spontan und immer mehr
Unterstützer schließen sich uns an. Wir haben eine Art permanentes
Komitee auch mit Leuten aus dem Stadtteil. Wir treffen uns einmal
die Woche, um gemeinsam zu beraten, Demos zu planen. Es wundert
mich, dass es uns gelungen ist, solch einen gemeinsamen Kampf wie
diesen zu organisieren.“
Nach Maya Wind hat der Kampf mehrere Ziele, die nicht auf diesen
Stadtteil beschränkt sind.
„das erste und wichtigste Ziel ist, Gerechtigkeit in diesen
Stadtteil hier zu bringen, weitere Vertreibungen zu verhindern,
vertriebene Familien wieder in ihre Wohnungen zurück zu bringen und
Siedlungsunternehmen dort einzufrieren. Aber es ist nicht nur Sheik
Jarrah; Dies ist einer von vielen Kämpfen für die Befreiung von
Ost-Jerusalem und Palästina. Sheikh Jarrah ist nur noch ein
Beispiel gegen die Besatzung, Rassismus und Diskriminierung. Und an
das israelische Rechtssystem haben wir viele Fragen, wie es sich
gegenüber Juden und Palästinensern verhält,“ erklärte sie.
Das Vakuum auf der Linken füllte sich langsam
Die jungen Leute, die in dem Kampf engagiert sind, sagen, dass es
für sie sehr wichtig sei, das Gefühl zu haben, dass es ihnen
gelungen sei, den traditionellen kleinen Kreis der Linken in Israel
zu durchbrechen. Und tatsächlich haben die letzten paar Monate den
Eindruck hinterlassen, dass das Vakuum, das bei den Linken
geschaffen worden ist, sich langsam wieder füllt. Dies ist das
Beste, was der israelischen Linken in den letzten Jahren geschehen
konnte,“ sagte Mossi Raz zu Ynet, ein früheres Meretzmitglied in der
Knesset und ein regelmäßiger Demonstrant in Sheik Jarrah. „Sie sind
zweifellos die größte Hoffnung heute im Kampf gegen die Besatzung
und für eine gerechtere Gesellschaft.“
Sheikh Jarrah ist der Anfang eines neuen Weges für die Linke
geworden. Wir haben seit vielen Jahren keine so junge und
standhafte Gruppe gesehen“, fügt Raz hinzu. „Sie werden nicht
bezahlt, sie gehören zu keiner Organisation oder Partei. Es sind nur
Leute mit Prinzipien, die nur fest gegen die schrecklichen
Ungerechtigkeiten sind, die Leute einfach auf die Straße werfen,
und sie sind gegen die israelische Blödheit, Siedler mitten in
einen arabischen Stadtteil zu setzen. Der Kampf wird gelingen.
Punkt. Selbst wenn es Jahre dauern wird und sie noch mehr Siedler
bringen und es weiter Ungerechtigkeiten geben wird. Anders kann es
nicht sein. Der Staat Israel wird nicht überleben, wenn er nicht die
Besatzung aufgibt. Dies jungen Leute verdienen einen Preis,“
schließt das frühere Knessetmitglied.
(Aus dem Hebr. übersetzt: George Malent und Sol Salbe; dt. Ellen
Rohlfs)
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