Es gibt keinen post-traumatischen
Stress in Gaza, weil der Stress
weitergeht
John Soos
PhD Vancouver - 28.1.
16 -
Der Würgegriff Gazas
geht 2016 ins 10. Jahr. Das Leiden
aus einem Jahrzehnt der
Menschenrechtsverletzungen, Armut
und dreier gewaltiger militärischer
Angriffe schaffen für die
Bevölkerung einen psychologischen
Tribut, der nicht einzuschätzen
ist. Obdachlosigkeit, viele
Todesfälle in einer einzigen
Familie, schwere Verletzungen und
die ständig gegenwärtige Bedrohung
von neuen israelischen
Bombenangriffen schaffen ein
psychologisches Klima eines
anhaltenden, weitergehenden
kollektiven Traumatas.
Post-traumatic Stress
Disorder als medizinischer Ausdruck
berührt kaum das ungeheuerliche
Ausmaß der lähmenden psychischen
Belastung, die die Realität des
täglichen Lebens hier durchdringt.
Da gibt es kein „Post“ (danach) bei
einer fortgesetzten,
unerbittlichen, vielfältigen
Katastrophe. Da gibt es auch keine
„Disorder“ (Verwirrung) im Sinne,
dass eine intrapsychische Krankheit
vorliegt, die individuelle
Behandlung erfordert. Die
Anormalität sind die unverminderten
Kriegsverbrechen, die der
gefangenen, hilflosen, zivilen
Bevölkerung Leiden zufügt. Der Rest
der Welt wendet außerdem dieser
politischen Gewalt seinen Rücken zu
und ermöglicht so die Traumata
verursachende Besatzung und
andauernde Blockade.
Ärzte und Ärztinnen
für psychisch Kranke in Gaza sind
mehr als belastet. Von den fast 2
Millionen Bewohnern des 360 qkm
Gebiets großen Gazastreifens gibt es
keine einzige Person, die nicht
vielfache Traumatas hat. Ständige
Trauer, Alpträume, lähmende
Ängstlichkeit, Hoffnungslosigkeit
bestimmen das tägliche Leben von
jedem. Die Therapeuten, die die
Aufgabe haben, diese Verletzungen zu
heilen, sind selbst Opfer aufgrund
ihres Lebens in dieser traumatischen
Umwelt. Ihre Belastungen sind also
doppelt: Ihr eigenes Trauma, das
sie mit ihren Patienten teilen wird
noch verschlimmert, da sie
wiederholt dem klinischen Material
ihrer Patienten ausgesetzt sind.
Als klinischer
Psychologe aus Vancouver schloss
ich mich der Delegation der
Washingtoner Ärzte für soziale
Verantwortung in Gaza an, um das
nachempfundene zweite Trauma, das
die psychosozialen Fachkräfte zu
bewältigen haben, anzusprechen. In
einem Workshop von zehn Therapeuten
waren von vieren die Häuser zerstört
worden, und drei sprachen davon,
dass ihre Familienangehörige im
Massaker im Sommer 2014 getötet
worden waren. Von diesen
traumatischen Verlusten überlagert
entfalten sich die schmerzlichen
Ereignisse ihrer Patienten den
ganzen Tag und die Größe der Bürde
für die Psychologen wird
verdeutlicht.
Das Ziel unserer
Seminarübung war, Kenntnisse über
die Burnout-Prävention und die
entsprechende Fachliteratur über
Traumata und psychische
Belastbarkeit zu vermitteln.
Die Kognitive
Verhaltenstherapie, Selbsthypnose,
das Tagebuch-Schreiben und die
Peer-Überwachung zur beständigen
sozialen Unterstützung waren unter
den therapeutischen Fähigkeiten, die
besprochen wurden. In einem
Versuch, das Material kulturell
relevant und subjektiv
aussagekräftig zu halten, wurde ein
Entspannungsskript in arabischer
Sprache für jeden Teilnehmer
kreiert, indem man persönlich
erzeugte heilende Bilder benutzte.
Die Visualisierung wurde dann von
jedem Therapeut auf ihren Handys
aufgezeichnet , um als
maßgeschneiderte „tragbare“
Stressbewältigungsstrategie abrufbar
zu sein. Widerstand gegen
Unterdrückung wurde als adaptive
Copingstrategie (Verarbeitung eines
schlimmen Ereignisses) konzipiert,
war ein psychologischer Weg, um
Hoffnungslosigkeit entgegenzuwirken
und die Belastbarkeit zu fördern
angesichts eines Leids – sowohl für
den Therapeuten, als auch für den
Patienten. Das Gegenteil ist auch
wahr. Die Selbstsorge zu
praktizieren fördert die
Belastbarkeit, was auch Widerstand
bedeutet. („Ich werde meine
psychische Gesundheit (Verfassung)
trotz all eurer Versuche, mich und
meine Kultur zu zu vernichten,
bewahren.“)
Es dauerte nicht
lange, um eine vertrauensvolle
Umgebung zu schaffen, so dass die
Menschen Einzelheiten ihrer eigenen
traumatischen Erfahrungen
miteinander teilen konnten. Wir
arbeiteten mit diesem Material als
Weg, um den therapeutischen Wert der
Peer-Unterstützung
(Gruppen-Unterstützung) zu
gestalten, um neue klinische
Methoden zu lernen und zu helfen,
sich kognitiv zu integrieren und im
Gegenzug etwas von dem akkumulierten
emotionalen Leid zu lösen, das das
Leben und Arbeiten hier mit sich
bringt. Wir planen, über Skype
weiter zusammenzuarbeiten.
Ich lernte viel von
meinen palästinensischen Kollegen
aus der Psychiatrie und bin dankbar,
diese außergewöhnliche Gruppe
getroffen zu haben. Möge die Zeit
bald kommen, wo die Quelle dieses
Traumas versiegt und wir beginnen
können, ehrlich über die Heilung von
post-traumatischen Verletzungen zu
sprechen.
http://mondoweiss.net/2016/01/there-is-no-post-traumaic-stress-is-
( Dt .E. Rohlfs –I.
Gelsdorf) |