An 10. 1. wurde
die israelische
Kriegdienstverweigerin Taïr Kaminer
verhaftet, nachdem sie den
Wehrdienst bei der
Musterungszentrale verweigert hat.
"Warum
ich verweigere" - Erklärung von
Ta"ir Kaminer
- Ich heiße Tarr Kaminer, ich bin
19. Vor kurzem haben ich mein
freiwilliges Jahr bei den
Pfadfindern in Sderot beendet. In
ein paar Tagen werde ich wohl ins
Gefängnis kommen.
Ein ganzes Jahr war ich als
Freiwillige in Sderot, ich habe mit
Kindern gearbeitet, die im
Kriegsgebiet leben, und dort habe
ich mich entschlossen, den Dienst im
israelischen Militär zu verweigern.
Ich verweigere, weil ich für meine
Gesellschaft einen Beitrag leisten
und sie verbessern möchte, als Teil
eines langwierigen Kampfes für
Frieden und Gleichberechtigung.
Die Kinder, mit denen ich gearbeitet
hatte, wuchsen im Herzen des
Konflikts auf und hatten von klein
auf schockierende Erlebnisse -
Erfahrungen, durch die viele von
ihnen großen Hass ausbildeten; man
kann das verstehen, besonders bei so
kleinen Kindern. Wie sie lernen
viele Kinder, die in Gasa oder den
Gebieten aufwachsen - in noch
schwierigerer Lage -, die andere
Seite zu hassen. Auch ihnen kann man
dafür nicht die Schuld geben. Wenn
ich all diese Kinder gemeinsam
betrachte, die kommenden
Generationen beider Seiten und die
Umstände, unter denen sie
aufwachsen, dann sehe ich eine Kette
von Trauma und Schmerz. Und ich
sage: Es reicht!
Seit Jahren gibt es keine Aussicht
auf politischen Fortschritt, es gibt
keinen Versuch mehr, Frieden nach
Gasa und Sderot zu bringen. Aber
solange der militärische, gewaltsame
Weg weiter beschritten wird,
produzieren wir auf beiden Seiten
Generationen voll Hass, die die Lage
weiter verschlimmern werden. Man
muss damit aufhören.
Darum verweigere ich: Um nicht eine
aktive Rolle an der Besatzung der
palästinensischen Gebiete zu spielen
und am Unrecht, das dem
palästinensischen Volk unter der
Besatzung zugefügt wird. Um nicht
teilzuhaben am Kreislauf des Hasses
in Gasa und Sderot.
Das Datum meiner Einberufung ist auf
den 10. Januar 2016 festgelegt. An
diesem Tag werde ich mich bei der
Musterungszentrale einfinden und
werde erklären, dass ich den
Wehrdienst verweigere und daher
zivilen Ersatzdienst leisten möchte.
In Gesprächen haben mich mir
nahestehende Menschen beschuldigt,
dass ich der Demokratie schade, wenn
ich nicht die Gesetze des Staates
einhalte. Aber die Palästinenser in
den besetzten Gebieten leben unter
Herrschaft der israelischen
Regierung, obwohl sie sie nicht
gewählt haben. Solange Israel weiter
ein Besatzerstaat bleibt, wird es
sich weiter davon entfernen, ein
demokratischer Staat zu sein. Daher
ist die Verweigerung Teil des
Kampfes um Demokratie und kein Akt
gegen die Demokratie.
Man sagt mir, dass ich mich der
Verantwortung für die Sicherheit des
Staates Israel entziehe. Aber mir,
als einer Frau, die alle Menschen
als gleich betrachtet und deren
Leben für gleich wichtig hält, fällt
es schwer an das Sicherheitsargument
zu glauben, solange es einzig und
allein für die Juden gelten soll.
Besonders jetzt, wo die Terrorwelle
weiter wächst, wird klar, dass das
Militär nicht einmal die Juden
schützen kann, denn es gibt keinen
Weg zur Sicherheit inmitten des
Besatzungszustands. Wirkliche
Sicherheit wird dann entstehen, wenn
das palästinensische Volk . in Würde
und Freiheit in einem unabhängigen
Staat Seite an Seite mit Israel
leben wird.
Manche drückten ihre Sorge über
meine persönliche Zukunft aus, in
einem Staat, in dem das Militär eine
solche Bedeutung hat. Sie rieten
mir, trotz meines Standpunkts bei
der Armee zu dienen oder wenigstens
nicht in solch öffentlicher Form zu
verweigern. Aber trotz all dieser
Fragen und Sorgen habe ich mich
dafür entschieden, offen zu
verweigern, denn dieser Staat,
dieses Land, diese Gesellschaft sind
mir zu wichtig als dass ich bereit
wäre zu schweigen. Auch bin ich
nicht so erzogen worden, dass ich
mich nur um mich selbst sorgen soll,
mein ganzes bisheriges Leben bestand
aus Engagement und Verantwortung in
gesellschaftlichen Dingen.
Möge meine Verweigerung dazu
beitragen, auch wenn ich einen
persönlichen Preis bezahlen muss,
das Thema Besatzung auf die
Tagesordnung in Israel zu bringen,
denn viele Israelis merken nichts
von der Besatzung oder vergessen sie
in unserem Alltag, der so sicher ist
verglichen mit dem der Palästinenser
oder dem der Israelis im Westen des
Negev [im Grenzgebiet zu Gasa].
Man möchte uns davon überzeugen,
dass der Weg von Militär und
Gewaltalternativlos sei. Aber meiner
Meinung nach ist dies der
zerstörerischste Weg, und es gibt
andere Wege. Ich möchte uns alle
daran zu erinnern, dass es eine
Alternative gibt: Verhandlungen,
Frieden, Optimismus, ehrlicher Wille
auf ein Leben in Gleichberechtigung,
Sicherheit und Freiheit.
,
Man möchte uns davon überzeugen,
dass das Militär nichts mit Politik
zu tun hat. Aber im Militär zu
dienen ist eine schwerwiegende
politische Entscheidung, genauso wie
die zu verweigern. Wir junge Leute
müssen sie und ihre Bedeutung sehr
genau abwägen und ihre Konsequenzen
für unsere Gesellschaft begreifen.
Als ich das tat, habe ich mich dazu
entschieden zu verweigern. Das
Militärgefängnis macht mir weniger
Angst als der Verlust der Humanität
in unserer Gesellschaft.
Ich möchte nicht Dinge tun, hinter
denen ich nicht stehen kann, und
dann im nachhinein das Schweigen
brechen. Ich verweigere, und auch
Ihr solltet darüber nachdenken.
(Übersetzung aus dem Hebräischen:
Rolf Verleger, 9.1.16) |