Ein Blick von Innen nach außen
(Bericht 50, CPT, Mai 2005)
Während wir abwesend waren:
Absperrungen, Enteignungen, stillschweigende Duldung, Habgier (
Hebron, Westbank, Palästina 17. Mai 2005)
Jedes Mal, wenn Sis, meine
Frau, und ich Palästina verlassen, weil unser Visum abgelaufen
ist, denken wir, die Situation kann nicht schlimmer werden,
während wir abwesend sind. Aber sie kann. Und wenn wir
zurückkommen, denken wir, es kann nicht schlimmer werden,
solange wir da sind – aber es wird schlimmer. Und unsere
augenblickliche Periode ist nicht anders. Sie wird geprägt von
noch mehr Absperrungen, noch mehr Enteignungen, noch mehr
stillschweigender Duldung und noch mehr Habgier. Dieser Bericht
handelt von Absperrungen und Enteignungen.
Als wir den bekannten
Kontrollpunkt beim Ökumenischen Zentrum Tantur, im Norden von
Bethlehem wieder passierten, war es schrecklich bedrückend, zu
sehen, welch erschreckenden Fortschritt Israels Konstrukteure
der Annexions-/Bantustansmauer während dieser wenigen Wochen
unserer Abwesenheit gemacht haben und besonders, seitdem ich den
heimtückischen Prozess vor einem Jahr beschrieben habe ( Bericht
37: „Friedensprozess“) . Die unbarmherzige Abtrennung Bethlehems
von Jerusalem und zur restlichen Westbank ist fast komplett.
Und so ist es auch besonders mit Israels unverschämter,
einseitiger Annexion von Bethlehems Wohn- und Geschäftsbereich
in der Nähe von Rachels Grab an Jerusalem.
Als wir im frühen Januar das
Land verließen, verlief die 8 Meter hohe Mauer langsam und
unverschämt den Hügel hinunter östlich der großen israelischen
Nord-Süd Schnellstraße 60 (nur für Siedler), die direkt
westlich der großen jüdischen Siedlung Gilo und Bethlehems
Westbanknachbar Beit Jala, verläuft. Damals fehlte noch eine
Viertel Meile zur Straße, die den Tantur-Kontrollpunkt mit
Rachels Grab verbindet.
Jetzt war diese Lücke
geschlossen. Dieser neueste Abschnitt der Annexionsmauer endet
herausfordernd an der Zubringerstraße genau zwischen dem
Kontrollpunkt ( der von bis zu den Zähnen bewaffneten Soldaten
bewacht wird) und Rachels Grab ( und seinen gleichfalls
waffenstrotzenden militärischen Außenposten ... gegenüber dem
Grab auf Bethlehemer Grundbesitz)
Zusätzlich hat dieser neue
Mauerabschnitt ein extensiv landwirtschaftlich genütztes Areal
Bethlehems enteignet, das zwischen der Straße und Gilo auf der
Neu-Jerusalemer Seite der Mauer liegt.
Dieser neue Abschnitt des
Annexionsmauersystems ist verbunden mit dem viele Meilen langen
Teil der Mauer bzw des Zaunes, der von Abu Dis kommt, und der
nun hier bei Bethlehem den großen, wohl durchdachten
Kontrollpunkt/ Terminus/ Grenzübergang schützend einschließt.
Noch ist er im Bau – wird aber bald eröffnet werden. Er wird wie
der Erez-Kontrollpunkt bei Gaza und anderen ähnlichen wohl
geschützten Kontrollpunkten ausgestattet sein, die das
israelische Militär weiträumig mit Schutz versehen, in dem
seine Enteignungsbürokratie die unterdrückerischen
Regulierungsmittel hat, um je nach Bedarf, den Strom
palästinensischer Menschen oder Waren, die hinein oder hinaus
wollen, vollständig abzublocken. Die Westbank wird immer mehr zu
einem Gulag-ähnlichen Gebiet.
Bevor wir im Januar nach den
USA zurückflogen, gab es noch die Lücken in der Mauer rund um
den Terminus. Wir fragten uns, was wohl in diese Lücken gesetzt
wird. Nun sind diese Lücken mit vorgefertigten runden Wach- und
Beobachtungstürmen ausgefüllt, die einige Meter höher als die
Mauer sind. Sie erinnern uns an die Türme der
Sicherheitsgefängnisse, die es in jedem US-Staat gibt.
Ein Portal wurde nun dort
geschaffen, wo die Annexionsmauerabschnitte von entgegen
gesetzten Seiten auf die Zubringerstraße stoßen. Dies war
einmal die Jerusalem-Hebron-Straße, die seit 1000 Jahren in
Jerusalem begann, ihren Weg durch Bethlehem nahm ( und nicht
drum herum) und dann durch eine Reihe arabischer Orte nach Süden
führte, bis sie Hebron erreichte. Nun ist sie wie alle
palästinensischen Straßen abgeblockt und wird von
Umgehungsstraßen –„nur für Israelis“ überquert. Diese einst
bedeutende Landstraße endet nun abrupt an Rachels Grab. Dann
schon ziemlich verkleinert, beginnt sie auf der anderen Seite
um, noch innerhalb Bethlehems, an einem Erd- und Steinwall zu
enden, um Fahrzeugen von der Schnellstraße den Zugang zu
verwehren. Das ist nun Bethlehems westliche Grenze, die damit
auch jede weitere Ausdehnung absolut begrenzt.
Es scheint unvermeidlich, dass
ins Portal ein Tor eingebaut werden wird...schwer bewacht und
nur für militärischen Gebrauch. Internationale Touristen werden
wohl zum Grabareal einen Zugang über eine frühere
palästinensische Straße haben, die am Aida-Flüchtlingslager
vorbeiläuft. Als ich im vergangenen Winter einmal dort entlang
ging, um die Mauer in Augenschein zu nehmen, schrie mich ein
dort als Wache stehender israelischer Soldat besorgt an : „ Nimm
dich in Acht! Du bist hier in Gefahr!“ „Wieso, vor den
Palästinensern?“ fragte ich ungläubig.
Wenn dieser kleine
aufdringliche Militärposten, der Rachels Grab bewacht – bis vor
kurzem durch hohe Zäune und 3m hohe Zementbarrikaden geschützt –
schon ein unverschämter Schandfleck war, so wurden seine
schützenden Barrieren auf drei Seiten jetzt von einer viel
massiveren, etwa 10 m hohen dicken Zement-Annexionsmauer
ersetzt und mit jenen scheußlichen runden Wachtürmen ergänzt.
Womöglich werden Siedler wieder ein oder mehrere der
angrenzenden palästinensischen Häuser innerhalb der
Sicherheitszone übernehmen, wie sie es zeitweise schon ein paar
Mal getan haben, und werden nun die Erlaubnis erhalten zu
bleiben. Es wäre dann das zweite Mal, dass Siedlungen innerhalb
ursprünglicher Grenzen einer größeren Westbankstadt errichtet
werden. Hebron war die Erste.
Bethlehems Taxis wird es noch
erlaubt, auf der Grabseite des Portals zu parken, um Passagiere
ein- und aussteigen zu lassen. Vom Tantur-Kontrollpunkt aus sind
es 5-7 Minuten zu laufen. Es ist schon lange her, dass Fahrer
sowie Verkäufer von allem Möglichen innerhalb von etwa 25 m
Abstand vom Kontrollpunkt ihre Waren anbieten durften. Auch das
ist vorbei. Da man noch nicht weiß, wie die Sicherheitszone um
Rachels Grab versiegelt, blockiert und vom Annexionsmauersystem
von Bethlehem getrennt werden wird, scheint es unvermeidlich,
dass die Taxis zwei Blöcke weiter nach Osten in die
Charitasstraße (dort ist das Charitas Baby Hospital) verbannt
werden - zu einer Stelle genau unterhalb des schwer bewaffneten
Mauertores, das zur neuen Kreuzung am Terminus führt, durch den
die Palästinenser und Besucher bald gezwungen sein werden, nach
Bethlehem zu kommen - nicht ins Areal von Rachels Grab – dies
wird dann auf der andern Seite des Mondes liegen.
All diese massiven und kleinen
Absperrungen begünstigen und beschleunigen den offensichtlich
vorsätzlich geplanten Prozess der weniger werdenden
palästinensischen Existenz . Das Leben für die Menschen wird
härter und härter. Hotelbesitzer, Veranstalter, Ladenbesitzer,
Taxifahrer warten umsonst auf Touristen und Pilger. Und wenn
ein Taxifahrer endlich ein paar Touristen hat, wird denen von
einem Soldaten gesagt: „Dieser Fahrer ist ein schlechter Mensch.
Ihr solltet nicht mit ihm fahren.“
Erzählte mir unser
palästinensischer Freund Sami.
Am Eingang zur
Grabsicherheitszone kann man eine ironische Botschaft des
Abscheus lesen, die auf dem eben fertig gestellten
Mauerabschnitt auffallend mit Schablonen geschrieben wurden:
„Willkommen im Ghetto!“
In Hebron konnte ich einen
Tag später in der Nähe der besonders virulenten jüdischen
Siedlung Tel Rumeida an einem palästinensischen Haus das
untilgbare Graffito lesen: „Alle Araber ins Gas! JDL“ (Jüdische
Verteidigungsliga). (Siehe:
"Photo Albums ::
Settler Graffiti in Hebron" Webmaster)
(dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs
) |