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Sophia Deeg
 

Texte von Sophia Deeg

Sophia Deeg - Karawane für Palästina 2005
Israels falsche Freunde

Israels falsche Freunde

 Als Experte in Sachen Antisemitismus machte unlängst ein unbekannter Diplompolitiloge bei einem öffentlichen Gespräch Furore, zu dem alle Fraktionen des Bundestages geladen hatten. Es handelte sich um eine Diskussionsrunde, zur Umsetzung der Beschlüsse, die auf der Berliner Antisemitismus-Konferenz vom April letzten Jahres gefasst worden waren. Bundestagsabgeordnete, hochrangige Beamte aus dem Innen- und dem Außenministerium sowie namhafte Wissenschaftler wie Prof. Alfred Grosser und Prof. Bryan Klug saßen auf dem Podium und Vertreter verschiedener NGOs in der Runde.

Nun wäre es durchaus zu begrüßen, wenn ein noch nicht durch zahlreiche Veröffentlichungen hervorgetretener und mit Titeln ausgestatteter junger Akademiker als Experte ernst genommen würde, hätte er tatsächlich seriös zum fraglichen Thema gearbeitet. Davon ist allerdings nichts bekannt, und seine Äußerungen in dem besagten Expertengespräch lassen dies noch weniger vermuten. Dennoch wurde er vom Vorsitzenden, dem SPD-Abgeordneneten Weisskirchen als „glänzend ausgewiesen“ in der Runde begrüsst, „seine wissenschaftliche Arbeit“ habe das dokumentiert. Herr Weisskirchen verwechselte offenbar den hochgelobten Jörg Rensmann mit Dr. Lars P. Rensmann, der eigentlich als Ersatz für den verhinderten Prof. Micha Brumlik hätte eingeladen werden sollen – ein Versehen, das von Jörg R. dem einladenden Gremium gegenüber jedoch nicht aufgeklärt wurde. Auch einem Teil der anwesenden Experten war die Verwechselung bekannt, aber auch sie schwiegen.

Bei der „wissenschaftlichen Arbeit“, durch die der abwesende Dr. Rensmann sich so „glänzend ausgewiesen“ hat, handelt es sich um eine wissenschaftliche Buchveröffentlichung, in der der Bonner Publizist Ludwig Watzal in plumper Weise falsch zitiert wird, um ihm die Rechtfertigung des Hamas-Terrorismus und „die Befreiung Palästinas von Juden“ unterstellen zu können. Inzwischen hat sich Dr. Lars Rensmann “angesichts der Androhung gerichtlicher Schritte außergerichtlich verpflichtet, unzutreffende Behauptungen über Dr. Ludwig Watzal (...) zu unterlassen bzw. nicht weiter zu verbreiten.“ (siehe Freitag, 36/05). Zahlreiche Bibliotheken haben daraufhin diese inkriminierenden Stellen geschwärzt. Auch Honestly Concerned und andere Internetseiten mussten die Textstellen aus dem Netz nehmen. Das Landgericht Hamburg hat dem Betreiber der Internetseite „juedische.at“, Herrn Samuel Laster, am 19. August 2005 die Weiterverbreitung dieser falschen Tatsachenbehauptungen durch ein Versäumnisurteil untersagt. Prüft man jeweils das Original, kann man feststellen, dass Watzal sich immer nur für das Ende der israelischen Besatzung der Westbank und des Gaza-Streifens eingesetzt hat.  Auch die Befürwortung des Terrorismus kann weder aus den fraglichen Textstellen noch allgemein aus der publizistischen Tätigkeit von Dr. Watzal herausgelesen werden. 

Warum eigentlich muss man – nicht nur im Fall von Ludwig Watzal – Antisemitismus erst herbeireden? Der zunehmend zu beobachtende Antisemitismus auf deutschen Straßen und an deutschen Stammtischen bereitet offenbar nicht die Sorge, die dazu motivieren würde, sich mit aller Kraft dagegen zu stellen, anstatt Menschen zu diskreditieren, die schlicht die israelische Politik anders beurteilen als man selber. Der real existierende Antisemitismus ist solchen „Experten“ offenbar gleichgültig genug, um den schwerwiegenden Vorwurf durch inflationären Gebrauch zum leeren Allgemeinplatz zu machen, der alles und nichts beinhaltet.

Der eigentliche Skandal jedoch ist das Verhalten von „höchsten Stellen“ der Bundesrepublik, von Parlamentariern wie in diesem Fall Professor Weisskirchen. Skandalös ist die sträfliche Leichtfertigkeit, mit der das Thema Antisemitismus verhandelt wird, wenn man diesen „Experten“ in Gremien, die sich vorgeblich dem Kampf gegen den Antisemitismus verschrieben haben, ein Forum bietet. Wie kann es sein, dass in einem solchen Gremium ein Jörg Rensmann unwidersprochen haltlos und verhetzend herumschwadroniert: „Wir haben es wie z.B. in Frankreich mit dem Phänomen zu tun, dass sowohl islamischer als auch arabischer Antisemitismus in gewisser Weise nach Europa zurücktransportiert wird... und hier vor allem von linken Basisbewegungen aufgegriffen wird.“ – Tendenziöse, suggestive Äußerungen, die keiner Überprüfung allein schon der darin verwendeten Begrifflichkeiten und postulierten Zusammenhänge standhalten. Ein Phänomen, das genuin europäischer Provenienz und Prägung ist, soll „islamisch“ oder „arabisch“ sein und nach Europa „zurücktransportiert“ werden? Falls es, selten belegt, in Frankreich, Deutschland oder anderswo Übergriffe auf jüdische Einrichtungen oder Menschen und anti-jüdische Äußerungen durch arabischstämmige Europäer oder – was wiederum deutlich abzugrenzen wäre - aufgrund religiöser (muslimischer) Motive gegeben hat, wäre dies, wissenschaftliche Redlichkeit vorausgesetzt, nicht unbesehen mit dem Begriff des Antisemitismus (christlich-europäischer Tradition) zu belegen. Dass irgendwelche „linken Basisbewegungen“ diesen von Rensmann behaupteten „arabischen“ oder „islamischen Antisemitismus“ „aufgreifen“ würden, wird auch durch wiederholte Behauptung nicht wahr. 

Die Ausführungen zweier der geladenen Experten, beide nicht in Deutschland lebend, atmeten allerdings einen anderen Geist – die von Alfred Grosser (Frankreich) und von Brian Klug (U.S.A. bzw. GB). Während Experten und Diskutanten immer wieder für klare Definitionen und Kriterien als Grundlage einer Bekämpfung des Antisemitismus plädierten, jedoch mit ungeklärten Begriffen und unbelegten Behauptungen hantierten, war es vor allem Brian Klug, der tatsächlich einen konstruktiven Beitrag zur Klärung leistete, indem er den häufig diffus verwendeten Begriff vom „Existenzrecht Israels“ auf seine verschiedenen möglichen Bedeutungen hin abklopfte und auf dieser Grundlage der Frage nachging, ob es antisemitisch sei, das Recht Israels auf Existenz zu verneinen. Jörg Rensmann antworte, Professor Klug verkenne den Vernichtungswillen der Hamas. Mit dieser Antwort offenbarte er sein schlichtes Unvermögen, eine Begriffsklärung von einer Aussage über real existierende politische Akteure zu unterscheiden.

Alfred Grosser sprach als erster Experte und wurde in erschreckender Weise von fast allen, die sich im Laufe der Diskussion zu Wort meldeten, ins Abseits gestellt und vom Vorsitzenden nicht in Schutz genommen. Vielmehr distanzierte sich dieser sofort, nachdem Grosser gesprochen hatte. Ralf Schröder (ebenso wie Jörg Rensmann von „die Jüdische“, Berlin) zeigte sich „befremdet“, dass eine Position wie die Grossers „tatsächlich ernsthaft und relevant in diesem Hause diskutiert wird“.

Was hatte Herr Grosser Ungeheuerliches geäußert, das derart inkompatibel mit den Einstellungen der anderen TeilnehmerInnen der Runde war, dass sie nicht einmal darüber reden wollten?

Er hatte aus seiner Sicht die Frage beantwortet, was es heiße, Israel zu kritisieren, da die Abgrenzung von Israelkritik und Antisemitismus eine der Aufgaben der Gesprächsrunde war. Es gehe, so Grosser, nicht nur um die Politik Israels, es gehe um Verbrechen. Damit sprach er etwas aus, was auch viele Israelis, selbst führende Vertreter des israelischen Establishments inzwischen glauben aussprechen zu müssen, gerade weil ihnen ihr Land, ihre Gesellschaft am Herzen liegt und sie deren Absturz nicht ruhig mit ansehen können. Alfred Grosser begründete sein kritisches Engagement im Zusammenhang mit Israel mit seiner jüdischen Identität, so wie er sein kritisches Engagement in Bezug auf den Algerienkrieg mit seiner französischen Identität begründete und sein kritisches Engagement in Bezug auf das Nachkriegsdeutschland mit seiner deutschen Herkunft und seinen republikanischen Überzeugungen, die ihm geboten sich einzumischen, wenn ihm die Bundesrepublik von grundlegenden demokratischen Prinzipien abzuweichen drohte (so seinerzeit im Zusammenhang mit den Berufsverboten).

Des weiteren warf Grosser die Frage auf, was Juden gegen Antisemitismus tun könnten und kam zu dem Schluss: „Es ist Antisemitismus fördernd, wenn man nicht zugleich (mit dem Kampf gegen Antisemitismus) andere Rassismen bekämpft.“ Dies sei Aufgabe von Juden und jüdischen Organisationen. Mit dieser Auffassung steht er unter französischen Juden durchaus nicht allein. Die Union Juive Francaise pour la Paix beispielsweise arbeitet eng mit der Association des Travailleurs Maghrebin de France zusammen und ist wie diese selbstverständlich Teil verschiedener antirassistischer Bündnisse, weil sie den Kampf gegen Antisemitismus und andere Formen von Rassismus und Diskriminierung als ein gemeinsames Anliegen von Juden, Arabern/Muslimen und anderen BürgerInnen der Republik verstehen.  

Grossers Argumentation, die man als humanistisch und republikanisch beschreiben könnte, ein politisches Selbstverständnis jenseits partikularer Interessen oder Ambitionen war für die Teilnehmer einer Gesprächsrunde bundesrepublikanischer Parlamentarier und Experten in Sachen „Antisemitismus“ unerträglich - sie sprechen eine g r u n d s ä t z l i c h andere Sprache. Eine wahrlich gespenstische Situation, vor allem für den mit wenigen dämonisierenden Worten als Gesprächpartner Ausgeschlossenen. Immerhin durchbrachen zwei Abgeordnete das menschlich vollkommen inakzeptable Verhalten der Runde einschließlich ihres Vorsitzenden; Frau Pfeiffer und Frau Philipp, beide CDU/CSU, gestanden Grosser das Recht zu, eine abweichende Auffassung zu äußern und bedauerten, dass sich niemand argumentativ mit ihm auseinandergesetzt hatte. Auch die Grünen-Abgeordnete Claudia Roth wies die unflätigen Einlassungen von Ralf Schröder („Die Jüdische“) zurück.

Es bleibt die Frage: Wie kommt es in der Bundesrepublik und in einem solchen für ihre politische Kultur einigermaßen repräsentativen Gremium zu einer derart monolithischen, geradezu totalitär verfestigten Ideologie zum Thema Antisemitismus und Israel (denn es handelt sich um Ideologie - im Marx’schen Sinne: falsches Bewusstsein - und nicht um  rational begründbare Einschätzungen oder Standpunkte)? Wie kommt es dazu, dass die Mitarbeiterin eines anerkannten Instituts wie des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, Frau Dr. Juliane Wetzel sich in teils nebulösen, teils schlicht falschen Behauptungen verlor, und das ausgerechnet im Zusammenhang mit der so schwerwiegenden Problematik des Antisemitismus, bei deren Diskussion die größte Sorgfalt angebracht ist?

Frau Dr. Wetzel behauptete, neben anderen bedienten sich „Teile der globalisierungskritischen Bewegung und der pro-palästinensischen Linken in ganz Europa“ heute „neu geschaffener antisemitischer Stereotypen“. „Antisemitische Konnotationen haben sich insofern grundlegend geändert, als an Stelle der Juden der Zionismus und insbesondere Israel getreten sind...Der Begriff Jude wird durch Zionist ersetzt...“. Dies tun tatsächlich Rechtsextreme, da ist Frau Dr.Wetzel zuzustimmen, und man merkt es auch sehr schnell; denn sie reden abwechselnd von „Israel“ und „den Juden“, etwas, was niemals in der globalisierungskritischen Bewegung oder in der „pro-palästinensischen Linken“ in Europa geschieht, die die Expertin offenbar nur vom entfernten Hörensagen kennt. Beide Bewegungen oder Strömungen kämpfen für gleiche Rechte aller Menschen, überall (insofern dürfte es schwerfallen, eine „pro-palästinensische Linke“ überhaupt ausfindig zu machen, da es kein linker Standpunkt ist, „für“ irgendwelche Völker zu sein).

In der europäischen Linken und in der globalisierungskritischen Bewegung arbeiten besonders zahlreich Juden und Araber zusammen. Das könnte Frau Wetzel erleben, wenn sie einmal ein europäisches oder ein Weltsozialforum besuchen und dort diese Bewegungen genau beobachten würde. Auch die Aussagen der Expertin über die Konferenz „Stop the Wall“, die im Frühjahr in Köln stattfand (und übrigens entgegen Frau Dr. Wetzels Behauptung nicht von attac veranstaltet wurde), sind nicht nur unzutreffend, sondern darüber hinaus eine Zumutung gegenüber den israelischen Teilnehmern. Juliane Wetzel unterstellt, „bewusst oder unbewusst“ würden bei solchen Veranstaltungen die geladenen israelischen Referenten „missbraucht, um die eigene Haltung, die durchaus nicht frei ist von antisemitischen Vorurteilen, zu legitimieren.“ Sie unterstellt also beispielsweise Prof. Zuckermann oder Prof. Raz-Krakotzkin, die auf der bewussten Konferenz aufgetreten sind, sie seien derart unbedarft, dass sie sich in einem antisemitischen Kontext missbrauchen lassen würden.

Was mich an dem Protokoll jener Gesprächsrunde erschreckt hat, ist ein Ungeist, der in Deutschland durchaus salonfähig ist und sogar die öffentlichen Diskurse dominiert. Eine derart fanatische Parteinahme für „Israel“, für ein abstraktes, monolithisches „Israel“ jenseits aller Facetten der israelischen Gesellschaft, jenseits ihrer lebendigen, kritischen und selbstkritischen Debatten, eine Parteinahme fernab von den Menschen, Israelis und Palästinensern, die dort leben, wird natürlich diesen Menschen und Israel oder Palästina in keiner Weise gerecht und scheint mir in ihrer Kälte und schlechten Abstraktion einer Geisteshaltung zu entspringen, wie sie in Deutschland traurige Tradition hat. Gegenüber diesen falschen Freunden möchte man die israelische Gesellschaft verteidigen. Sie ist nicht totalitär und menschenverachtend wie sie von diesen an die Wand gemalt wird! Und alles sträubt sich angesichts rassistischer Verallgemeinerungen, als seien nicht nur „die Israelis“, sondern auch „die Juden“ als solche alle gleich in ihren Interessen, ihren Ambitionen, ihren politischen Einstellungen und unmittelbar zu identifizieren mit dem israelischen Staat und dessen Politik oder dem zionistischen Projekt. Wie kann man so verächtlich sein, die vielen Juden in Israel und weltweit zu ignorieren oder als „self-hating Jews“ abzustempeln, die rufen „Not in my name!“     
(Sophia Deeg)

 

Im Detail etwas anders erschien dieser Artikel im Freitag.
Sophia
Deeg
Israels falsche Freunde

 Erschienen im Freitag am 5.8.2005

Die 2., berichtigte Fassung des Artikels

Interessant sind die Erkenntnisse einer Berichtigung die der Freitag daraufhin abdruckte:

Berichtigung des "Freitag" vom 8.9.2005

Dr. LARS RENSMANN KORRIGIERT SICH - UNZUTREFFENDE BEHAUPTUNGEN WERDEN UNTERLASSEN; NICHT MEHR WEITER VERBREITET, GESCHWÄRZT......................

Der Freitag schreibt (ausschnittweise zitiert): ""...

Es trifft nicht zu, dass Dr. Lars Rensmann kürzlich zu einer Unterlassung von Behauptungen über den Publizisten Dr. Ludwig Watzal verurteilt wurde. Richtig ist, dass sich Dr. Lars Rensmann angesichts der Androhung gerichtlicher Schritte außergerichtlich verpflichtet hat, unzutreffende Behauptungen über Dr. Ludwig Watzal in seiner wissenschaftlichen Buchveröffentlichung Demokratie und Judenbild (Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden) zu unterlassen bzw. nicht weiter zu verbreiten.

Dr. Lars Rensmann hat sich danach verpflichtet, nicht mehr zu behaupten, Dr. Ludwig Watzal streite »für die Befreiung Palästinas von Juden«. Er werde in seinem Buch dies dahingehend ändern, dass Dr. Watzal für »die Befreiung der von Israel besetzten Gebiete des Gaza-Streifens und West-Jordan-Landes« streite. Ferner verpflichtet er sich, in seiner Unterlassungserklärung, nicht weiter zu behaupten und zu verbreiten: »... er (Dr. Watzal - die Red.) habe noch im Juni 2003 den Terrorismus als »Befreiungskampf« im völkischen Jargon gerechtfertigt mit den Worten:

 

»Ein Volk, das so in die Hoffnungslosigkeit getrieben wurde, das eingemauert wird, dessen Existenzgrundlagen man zerstört, dessen Territorium man kolonisiert, greift zu solchen Verzweiflungstaten

 

ohne hinzuzufügen, dass es an der zitierten Stelle/Satz weiter heißt:

 

»Das heißt nicht, dass die willkürlichen Terroranschläge im israelischen Kernland gerechtfertigt sind - ich halte sie für abscheulich und unmoralisch -, aber man muss das ganze Bild sehen. Der Terror muss gestoppt werden, ja - aber zuerst muss die Besatzung beendet werden, denn das eine ist die Ursache des anderen.«...."  Quelle und mehr >>>: Freitag vom 8.9.05

 

Sophia Deeg
 Ich bin als Mensch gekommen


Internationale Aktivisten für einen Frieden von unten

Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin

ISBN 3-7466-7043-8; 9,50 Euro

 

 

  "Ich bin als Mensch gekommen, der sich der Lehren des zwanzigsten Jahrhunderts bewusst ist  - dass nämlich jeder von uns über seine Verantwortung nachdenken muss und dass die Menschen als Individuen handeln und nicht auf die Politiker warten sollten." Daniel Barenboims Aussage anlässlich eines Solidaritätskonzert, das er im Sommer 2002 im besetzten Ramallah gab, bringt die Einstellung der internationalen AktivistInnen auf den Punkt, die seit Sommer 2001 permanent an der Seite der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank und im Gazastreifen präsent sind. In der direkten gewaltfreien Aktion und dadurch, dass sie über die täglichen Schikanen und die schweren Menschenrechtsverletzungen der Besatzung berichten, praktizieren sie eine Solidarität, durch die sie die Isolierung der eingeschlossenen palästinensichen Bevölkerung durchbrechen.

 Für Tausende AktivistInnen aus den sozialen Bewegungen ist Palästina ein zentraler Ort des weltweiten Widerstands gegen die neoliberale Globalisierung und deren Kriege geworden, für brasilianische Landlose ebenso wie für die Mitglieder der Union Juive Francaise pour la Paix oder für italienische Disobedienti. Auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre 2002 wandte sich die globalisierungskritische Bewegung angesichts des von der US-Administration proklamierten globalen "Krieges gegen den Terror" verstärkt dem Thema Krieg und Frieden zu und postulierte: "Eine Welt ohne Kriege ist möglich", im wesentlichen durch eine internationale Widerstands- und Solidaritätsbewegung, die sich weigert, das Recht des Stärkeren anzuerkennen oder angesichts seiner Übermacht zu resignieren.

 Es lag nahe, dass sich die "Bewegung der Bewegungen" besonders Palästina zuwandte. Die palästinensische Bevölkerung kämpft seit Jahrzehnten um die Anerkennung ihres Selbstbestimmungsrechts und die Umsetzung internationalen Rechts. Seit Beginn der zweiten Intifada und besonders seit "dem" 11.September wird sie kollektiv unter Terrorverdacht gestellt und entsprechend bestraft und durch eine hochgerüstete Armee bekriegt. Die internationale Diplomatie, Regierungen, Institutionen lassen dies zu oder fördern es sogar. Die politischen Strukturen der palästinensischen Gesellschaft sind weitgehend zerstört, und die Besatzungsmacht setzt alles daran, sämtliche zivilgesellschaftlichen Grundlagen ebenfalls zu vernichten. Doch es existiert in Palästina eine starke Bewegung "von unten" gegen die Besatzung, die dringend der Unterstützung und des Schutzes durch die Verbindung zu den sozialen Bewegungen anderer Länder und durch die Präsenz von Internationalen vor Ort bedarf. Auch in Israel selber wächst besonders unter jungen Leuten die Solidarität mit den Palästinensern und der Widerstand gegen Besatzung, Kolonialisierung und Militarisierung.

 Über diese neue Allianz von Palästinensern, Israelis und Internationalen informiert das Buch. Darüber hinaus werden Aspekte des Konflikts (so das Scheitern des Friedensprozesses, die Rolle der Autonomiebehörde, das Phänomen der Selbstmordattentate u.a.) beleuchtet. "Ich bin als Mensch gekommen" ist auch ein persönlicher Erfahrungsbericht, der die Überlebensbedingungen der Bevölkerung unter Besatzung, ihren Widerstand und die Wirksamkeit der unmittelbaren Solidarität anschaulich darstellt.Quelle

Die Karawane für Palästina - Reisende in Sachen Völkerrecht - Ein Zwischenbericht - Sophia Deeg

Israels falsche Freunde

 

Widmung zu Sophia Deegs Buch
 

 

Für die Menschen in Palästina

    die trotzdem

 

für die Frau die am Morgen in den Trümmern

nachsieht was geblieben ist

für das Kind das am Panzer vorbei

zur Schule geht

für die Mutter die

es losschickt

für den Alten in Djenin der

den Gemüsestand aufbaut

für den Gefangenen

für seine Tat

 

für die Studentin die am Checkpoint

die Prüfung versäumt

für das Kind das im Visier des Soldaten

das Licht der Welt erblickt

für den Sanitäter der die Soldaten

überlistet, den Verblutenden rettet

für Rachei, Tom und Brian

für die Flüchtlinge

die im Exil die

den Blick nie abwenden

für die Gefangenen,

ihr Verbrechen

Palästinenser zu sein

Freitag 16 - Freitag-Telefongespräch

... ; 16 12.04.2002   Thema Freitag-Telefongespräch   Start Service Recherche WER SCHüTZT YASSIR ARAFAT? * Julia in Ramallah Im belagerten PLO-Hauptquartier haben sich Friedensaktivisten aus vielen Ländern zu dem isolierten und von ...

Autobiografie eines Grenzgängers

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Israel und die Palästinenser an deutschen Schulen

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Maulkorb für die Friedensbewegung! - "Eine Zensur findet nicht statt." Art. 5 Abs. 2 Grundgesetz. Pressemitteilung
Kassel, den 17. Mai 2002  mehr >>>

Verdächtiges Friedensengagement - ND 21.05.02 - Lehrerin soll sich vor Behörden verantworten -  Von Peter Nowak

Fahl die Gesichter - HOSPITAL IN RAMALLAH AM 7. APRIL 2002 - Die Toten sind mitten unter uns - Ein gradliniger Politiker, steht Ariel Sharon zu dem, was er tut. Er habe die Absicht, die zivile Infrastruktur der Palästinenser zu zerstören, verkündet er unverblümt, und wir hören von den Palästinensern, vor allem den Ärzten des Palestinian Medical Relief Center, die entsprechenden Hiobsbotschaften: Das Center wurde zerstört, die Panzer sind nur deshalb in der Nacht wieder abgerückt, weil sie im Nachbarviertel einerseits das Hauptquartier des palästinesischen Sicherheitschefs Rajub, andererseits ein anderes Hospital angegriffen haben. Als wir die Nachricht über unsere ständig gestörten Handyverbindungen empfangen, brennt das Krankenhaus immer noch, Feuerwehr und Ambulanzen wird von den Israelis der Zugang verwehrt, gängige Praxis in diesen Tagen des "totalen Krieges". Die eingeschlossenen Patienten ersticken, verbrennen, verbluten. Damit nun allerdings wird mehr zerstört als zivile Infrastruktur.

"Aber, was würdet ihr denn tun ...

... wäret ihr in euren Städten täglich von Selbstmordattentätern heimgesucht?" fragte uns ohne Aggressivität der israelische Soldat, mit dem wir am Tag zuvor, draußen vor der Mukata(*), ins Gespräch kommen. Eine legitime Frage, selbstverständlich.

Der Soldat will auch wissen, was wir eigentlich hier wollten - wir, diese verrückten Europäer mit ihren weißen T-Shirts der Mission civile pour la Protection du Peuple Palestinien. Wir erklären ihm, dass wir hier seien, um palästinensische Zivilisten zu schützen, die in diesem Augenblick der Militärgewalt ohne Zeugen, ohne Verteidigungsmöglichkeit ausgesetzt seien. Ahmad, ein junger Franzose maghrebinischer Herkunft aus unserer Gruppe, hat bisher nur zugehört. Die kleine Gesprächsrunde löst sich auf, aber Ahmad bleibt bei dem Soldaten stehen. Es stellt sich heraus, dass ihre Familien aus Marokko kommen, sogar aus der gleichen Gegend. Sie unterhalten sich weiter, ich sehe auf ihren Gesichtern Freude und Trauer. Zwischendurch fordern andere Soldaten "unseren Freund" auf, das Gespräch abzubrechen. "I must stop now", sagt er, aber dann fängt er doch wieder an, genau wie zwei, drei andere von seinen Kameraden. Einer von ihnen, erfahre ich später, soll erzählt haben, er würde am liebsten den Kriegsdienst verweigern, aber er schäme sich zu sehr vor seiner Familie und seinen Freunden, die keinerlei Verständnis dafür hätten. Den Wehrdienst in Israel zu verweigern, tut nicht wirklich weh. Man muss ein paar Wochen ins Gefängnis, das größere Problem für die Verweigerer ist die Stigmatisierung angesichts der enormen Bedeutung, die der Armee als unverzichtbarer Verteidigerin des Staates Israel zugesprochen wird. Als unsere Gruppe schließlich abzieht, sehe ich Ahmad dem Soldaten, mit dem er sich so intensiv unterhalten hat, zuwinken, sehe wie sich ihre Abschiedsblicke verbinden.

Ein verwirrendes Déjà-vue ...

... am nächsten Tag, als wir ungläubig, tatsächlich die Mukata betreten und von palästinensischen Soldaten empfangen werden, ist das erste Gesicht, in das ich blicke, das von Ahmads "Freund" von gestern, dem israelischen Soldaten. Es ist natürlich nur eine Täuschung von Sekunden. Die Israelis, die aus den arabischen Ländern stammen (Mizrahi), sehen Palästinensern und anderen Arabern zum Verwechseln ähnlich. Sie gehören in der israelischen Gesellschaft eher der Unterschicht an - die Täuschung von Sekunden, das Ineinanderfallen der Gesichter des israelischen und des palästinensischen Soldaten lässt mich an den Bob-Dylan-Song denken: "But the thing that scared me most was when my enemy came close and I saw that his face looked just like mine."

Als wir diesmal, merkwürdigerweise ungehindert, lediglich eingeschüchtert durch Panzer und Scharfschützen, in die Mukatta gelangen, haben wir bereits eine Begegnung mit israelischen Soldaten hinter uns, eine deutlich beklemmendere als am Tag zuvor. Ein Krankenhaus hatte uns um Hilfe gebeten: Panzer seien vorgefahren, einer stünde bereits in der Einfahrt der Notaufnahme, die Soldaten seien im Begriff in das Gebäude einzudringen, das (palästinensische) Klinikpersonal habe sich vor die Eingänge gestellt und versuche zu verhindern, dass die Soldaten hereinkämen, um Verwundete, angebliche "Kämpfer" herauszuholen, wie mehrfach in diesen Tagen bereits geschehen. Aber natürlich, die palästinensischen Ärzte können auf Dauer nichts verhindern.

Unser "europäisches Leben" hingegen ist den Israelis weniger antastbar. Wir können es immerhin wagen, ohne kugelsichere Westen, dafür mit unseren schützenden Pässen auf dem Herzen uns als eng geschlossene, schweigende Gruppe mit erhobenen Händen und weiße Tücher schwenkend auf den kurzen Fußweg zum Krankenhaus zu begeben, um uns dort zwischen die israelischen Panzer und die palästinensischen Ärzte zu stellen.

Wir haben alle Angst, die wir dicht an dicht gedrängt stehen, unmittelbar vor einem Panzer und den Soldaten, die heute unseren Blicken ausweichen. Während mit dem Kommandeur über einen Abzug des Militärs verhandelt wird, rast eine Ambulanz in die Einfahrt und wir weichen zurück, so dass die beiden Verletzten hereingetragen werden können, junge Männer in Zivil, blutig überall, fahl die Gesichter.

Plötzlich entsteht unter dem Klinikpersonal eine Bewegung, Schreie kommen von dort und dann sind plötzlich die Verwundeten - nein Toten - mitten unter uns, vor unseren Füßen. Die Palästinenser haben sie vor den Panzer gelegt, vor die Israelis, die verlegen wegsehen. Die Ärzte und Pfleger schreien und ringen die Hände. Ich brauche ihre Worte nicht zu verstehen, um zu verstehen: "Seht, seht, was ihr anrichtet!" Man war mit den Ambulanzen viel zu lange nicht an die Verwundeten herangelassen worden, die Hilfe kam zu spät. Philippe neben mir hält meine Hand ganz fest, wir starren entsetzt auf das junge Gesicht des Toten vor unseren Füßen. Die Verhandlungen gehen weiter und schließlich - ein wunderbarer Moment - zieht sich das Militär zurück.  -
Sophia Deeg

(*) Arafats Amtssitz -
Quelle: Freitag 16 - 12.4.02

Die Karawane für Palästina - Reisende in Sachen Völkerrecht - Ein Zwischenbericht - Sophia Deeg

 

 

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