Haddad – Das Wunder von Dschenin
Von Hakam Abdel-Hadi
Das weitverbreitete
Bild von den Palästinensern als ein Volk von
leidendenden, jammernden Flüchtlingen und
Bittstellern, verblasst, wenn man Ibrahim Haddad in
seinen prächtigen Park- und Industrieanlagen
besucht. Er verkörpert die Erneuerung und
Unabhängigkeit in Palästina und hebt sich von den
vielen, oft trägen offiziellen Geldempfängern ab,
von diesen gewissen
Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), die von
der Bevölkerung oft als „Dakakien“ (arabisch :
Shops) abqualifiziert werden.
Wer ist dieser
62-jährige Mann, der nicht einmal einen Pkw besitzt,
sondern nur einen kleinen Laster fährt? Welche
Erfahrungen prägen sein Leben, und wie gehen Israel
und die Autonomiebehörde mit ihm um? Wie beurteilt
er die internationalen Entwicklungsprojekte für die
Region, in denen Deutschland eine wichtige Rolle
spielt?
Für mich persönlich
bedeutet Haddad sehr viel, denn ich konnte in
Dschenin, meiner alten Heimatstadt, nicht einmal
übernachten. Vergebens suchte man bis zu den 90-er
Jahren ein ordentliches Hotel in dieser
Kleinstadt (etwa 50.000 Einwohner), die im
äußersten Norden des von Israel seit 1967 besetzten
Westufers liegt. Oft musste ich daher zum
Übernachten nach Nazareth (etwa 25 km nördlich
von Dschenin) fahren. Für das bäuerlich geprägte
Städtchen, das gleichzeitig Verwaltungs- und
Handelszentrum des Bezirks ist, der ihren Namen
trägt und in dem 285.000 Menschen leben, war nämlich
Tourismus ein Fremdwort, bis Haddad dort eines
seiner Projeke im Angriff nahm.
Er trägt entscheidend
dazu bei, diese Gegend zu modernisieren. Mit seinen
verschiedenen erfolgreichen Projekten zeigt er, dass
trotz Besatzung, Absperrungen und sonstigen
Erschwernissen eine Entwicklung möglich ist. Im sog.
Qaryat Haddad (Haddads Dorf) baute er, knapp vier km
von Dschenin entfernt, ein Tourismus-Zentrum, eine
riesige Parkanlage, mit Schwimmbad, Theater und
Restaurants. Neben den bestehenden 15 gepflegten
Appartments baut er derzeit ein Fünf-Sterne- Hotel
arabischen Baustils, das im nächsten Sommer
fertiggestellt sein wird.
Wenn beispielsweise ein
hoher Gast , wie etwa der EU-Nahostbeauftragte Tony
Blair, diese ziemlich vernachlässigte Region
besucht, dann kann er in einem prunkvollen Gästehaus
übernachten, das neben vier anderen Villen die
Parkanlage säumt.
Haddad ist stolz auf
seinen erfolgreichen Tourismuskomplex, aber das ist
eigentlich gar nicht sein Metier. Hier seine
Geschichte:
Haddad – Der Schmied
Sein Name bedeutet
Schmied, der Beruf seines Vaters, den er von ihm
übernommen hat. Drei Lehrzeiten, das geht aus meinem
langen Gespräch mit ihm hervor, hat er absolviert:
Die Schule seines Vaters, die Berufsschule in Nablus
und die Lehre durch die israelische Konkurrenz.
In Dschenin kennt jeder
die christliche Familie Haddad, die im Schweiße
ihres Angesichts ihr Brot verdiente. Der Vater war
schon sehr früh auf die Herstellung von
landwirtschaftlichen Geräten, vor allem auf den Bau
von Pflügen spezialisiert. Er schickte später
seinen besten Lehrling Ibrahim nach Nablus, wo er
seine Kenntnisse in einer sog. Industrieschule
vertiefen konnte.
Im großen, vielleicht
ein wenig zu voll und mit selbst hergestellten
Möbeln eingerichtetem Wohnzimmer seiner Villa,
betonte er: „Entscheidend für mein Fortkommen
waren jedoch meine Erfahrungen mit den israelischen
Konkurrenten. Die Landwirtschaft in Israel war Ende
der 60-er Jahre in Hochform; das traf auch für die
hochentwickelten landwirtschaftlichen Geräte
zu. Nach dem Juni-Krieg von 1967 konnten wir
Palästinenser uns dort aufhalten, und ich schaute
mir diese Geräte genau an und entwickelte sie
ein wenig in meinem kleinen Betrieb weiter , was mir
fast immer gelang“.
Es kam Haddad zugute,
dass die Löhne der Arbeitskräfte in der Westbank
sehr viel niedriger als in Israel waren. So
konnte er langsam seine Umsätze in der Westbank
ausbauen und dadurch seinen kleinen Handwerksbetrieb
zu einem großen industriellen Betrieb mit einer
Fläche von 12.000 Quadratmeter ausbauen. Dort
produziert er neben modernsten
Landwirtschaftsmaschinen, auch riesige
Benzinbehälter für Tankstellen, Sauerstoff für
Krankenhäuser und Industrie usw. Später fand
er Absatz für seine Produkte auch in Israel selbst,
was ihm Probleme beschert hat, wie wir noch sehen
werden.
Er ist immer ein
Vorbild: „ Ich verlange niemals von einem Arbeiter
etwas, was ich nicht vormachen kann. Ja, das tue
ich. Ich habe keine Angst davor, meine Hände
schmutzig zu machen. So bin ich aufgewachsen“, sagte
er, und seine Mitarbeiter bestätigen dies.
Israel will Haddad eine Grenze setzen
„Die Öffnung des
Israelischen Marktes erfolgte Ende der 70-er Jahre
als ich mich an einer Ausstellung für
landwirtschaftliche Maschinen in Tel Aviv
beteiligte. Die Israelis kamen aus dem Staunen nicht
heraus, und der Ausstellungsleiter fragte mich: `Wo
haben Sie sich bisher versteckt`. Ich denke, wenn
sie mich frühzeitig entdeckt hätten, dann hätten sie
mich bestimmt nicht hochkommen lassen“, erklärte
Haddad, der mir leckere Mandarinen aus seiner
eigenen Ernte servierte.
„ Die israelischen
Konkurrenten begannen zu schreien, da meine Produkte
billiger und weiter als die israelischen entwickelt
waren. Sie behaupteten, ich bekäme Unterstützung von
Arafat, um die israelische Wirtschaft zu zerstören“.
Der für Landwirtschaft in den besetzten Gebieten
zuständige Offizier (Quasi Landwirtschaftsminister
für die Westbank und Gaza) kam in Begleitung
seiner Buchhalter in Haddads Betrieb. Sie prüften,
wie er ausführlich berichtete, alle Bücher und
fanden heraus, dass alles korrekt gewesen sei, und
dass die israelischen Agrarbehörden aber von den
israelischen Firmen, die vom Staat massiv
subventioniert wurden, um Millionen betrogen worden
seien. Ein gewaltiger Konflikt brach zwischen dem
israelischen Landwirtschaftsministerium und den
israelischen Produzenten von landwirtschaftlichen
Maschinen aus. „Dadurch waren sie, Gott sei Dank,
von mir zeitweilig abgelenkt“, fügte Haddad hinzu.
Nach einer Weile wurde jedoch eine Kampagne gegen
ihn gestartet, um „Arafats Mann“ klein zu kriegen.
Seine Produkte wurden von den israelischen
Genossenschaften im Zuge einer Verleumdungskampagne
boykottiert. Schließlich gewann er den Prozess und
ein israelisches Gericht bestätige, dass er
keinerlei Unterstützung von der PLO bekommen hatte.
Arafats
Autonomiebehörde ist eher ein Hindernis
Nachdenklich erzählte
Haddad weiter: „Als Arafat 1994 kam und die
Autonomiebehörde etabliert wurde, lief bei mir
zunächst alles optimal. Ich diversifizierte die
Produktion und nahm beispielsweise die Herrstellung
von Idustrietanks und die Wartung von Gasflaschen
auf, die bei uns sehr verbreitet sind“.
Dann kam die schwere
Zeit: Die Camp David-Verhandlungen unter der
Schirmherrschaft von US- Präsident Clinton
scheiterten im Jahre 2000. Clinton machte Arafat für
das Scheitern verantwortlich, und der
palästinensische Führer sagte ihm: „Ohne Jerusalem
kann ich kein Abkommen unterzeichnen, es sei denn,
sie wollen an meiner baldigen Beerdigung
teilnehmen“. Die Palästinenser und Israelis
glaubten, die letzte Friedenschance verpasst zu
haben. Jede Seite hielt die andere für nicht
friedensfähig. Der erprobte Kriegsherr Scharon wurde
gewählt, kurz davor brache die zweite Intifada . Die
Ereignisse sind bekannt.
Das Geschäft von
Ibrahim Haddad hatte Probleme, zumal die
Autonomiebehörde – so der Industrielle - sich kaum
um die Interessen des privaten Sektors kümmerte. Für
die Produktion in bestimmten Bereichen – Haddad
zählte beispiele auf – war es erforderlich, dass
Fragen der Industrienormen geklärt wurden, was aber
überhaupt nicht geschehen sei. Dadurch wurde der
Verkauf seiner Produkte unmöglich. Dazu kamen die
unendlichen Absperrungen, die den Zugang zum Markt
in der Westbank erschwerten, und außerdem durften
die israelischen Araber, die wichtige Käufer
für die Westbank-Produkte sind, keine Einkäufe in
den palästinensischen Gebieten tätigen. Israel
machte seinen Markt für palästinensische
Arbeitskräfte und Produkte dicht. Haddad musste sich
um neue Auswege bemühen.
„Der
israelisch-palästinensische Industriepark ist kein
Ausweg“
Mit deutscher und
amerikanischer Hilfe und Finanzierung sollte unweit
von Dschenin an der palästinensisch-israelischen
Grenze ein israelisch-palästinensischer
Industriepark - gemäß einem Vorschlags von Shimon
Peres-aufgebaut werden. Solche großspurigen
Projekte sind bei dem derzeitigen israelischen
Präsidenten Gang und Gäbe. Immer, wenn es um eine
Friedensidee geht, denkt der schlaue Fuchs
„gerechterweise“ an beide Seiten, so als ob die
Israelis sich auch in der Klemme befinden würden.
Deutschland nimmt in der Regel solche Ideen mit
Begeisterung auf. Haddad meint jedoch, eine solche
Idee sei so nötig wie ein Kropf. Er präzisiert: „Wir
haben bereits in Jenin eine Industriezone mit einer
Fläche von 300 Dunum (Ein Dunum ist 1000
Quadratmeter), die ausreichend mit Wasser und
Elektrizität und sonstiger Infrastruktur
ausgestattet ist. Außerdem stellen die Amerikaner
Bedingungen, die nicht wirtschaftlich sind.
Beispielsweise müssen mit den von ihnen zur
Verfügung gestellten Geldern ausschließlich
amerikanische Maschinen gekauft werden. Die Hälfte
des Kaufpreises würde von den USA übernommen, aber
- und da liegt der Hase im Pfeffer, wie Haddad
sagt - , unsere Leute könnten mit viel weniger Geld
als die von ihnen beigesteuerte andere Hälfte des
Geldes billigere Maschinen z.B. in der Türkei
kaufen. Die Rechnung geht also nicht auf.
Kurz: Dieses häufig in
den Medien diskutierte Friedensprojekt von Shimon
Peres besteht – nach Auffassung von Haddad - bis
jetzt nur aus schönen Worten. Auf der dafür
vorgeschlagene Fläche wird derzeit Getreide
angebaut.
Der Tourisms als Ausweg aus der Krise
Haddad holt tief Luft
ein: „Ja, es war eine schwere Zeit während der
zweiten Intifada und danach, aber ein Unternehmer
sollte nicht jammern, das macht die Lage nur noch
schlimmer. Ich schaute nach neuen Möglichkeiten und
entdeckte den lokalen - vielleicht später auch den
internationalen - Tourismus“.
Ich habe acht Tage in
einem der 15 Appartments gewohnt , das aus zwei
kleinen Zimmern mit Bad besteht. Es ist nicht
extravagant, aber sauber und ausreichend
ausgestattet. In der riesigen, grünen Parkanlage,
die mit hohen Palmen und Blumen geschmückt ist,
konnte man noch im November draußen essen und ganz
gemütlich Wasserpfeife rauchen. Während meines
Aufenthalts dort gab es ein Fest aus Anlass der
Olivenernte. Etwa 800 Menschen, unter ihnen
solidarische Gruppen aus dem Ausland, nahm die
Parkanlage ohne Probleme auf. Für Haddad ist das
eine gute Einnahmequelle. In der gleichen Woche trat
eine Rap –Gruppe aus Ostjerusalem im Haddad-Theater
auf. Es war ein Erlebnis. Sie rapten Texte gegen die
israelische Besatzung und gegen die Korruption der
Autonomiebehörden. „Sagt uns: Wofür sind unsere
Leute gestorben?“,
wollten sie wissen.
Bewaffnete palästinensische Sicherheitskräfte
sorgten auf beiden Festen für Ordnung. „Für einen
Westler ist das ein schreckliches Bild“, sagte
der leicht untersetzte Hausherr, aber man müsse hier
nach zwei Intifadas das Temperament der jungen Leute
ein wenig zügeln.
Haddad darf als Christ
alkoholische Getränke genießen, aber er passt sehr
auf, dass solche Getränke in seinen Restaurants
nicht angeboten werden, weil
dies in einer
islamischen Gegend seinen Ruf ruinieren würde.
Selbst seine Hausbar hat er für alle Fälle
abgeschafft.
Während meines relativ
langen Aufenthalts im Haddad-Dorf befreundete ich
mich ein wenig mit manchen Kellnern, deren Zahl in
der Saison bis auf 80 Personen steigt. Sie
übernachten und essen in der Anlage. Ich fragte
einen jungen Mann: „Was haben Sie gerade
gegessen“. Er sagte, „Reis mit Joghurt“. Ich hakte
ein: „Ohne Fleisch?“ „ Ja“, erwiderte er, „wir
bekommen ganz selten Fleisch und die Haddads schauen
genau auf unsere Teller.“
In Palästina gibt es ,
wie die Weltbankberichte zeigen, eine
Arbeitslosigkeit von etwa 50 Prozent. Die Arbeiter
sind in der Regel gewekschaftlich organisiert. Die
Wirtschaftskrise ist allerdings keine gute Zeit für
Forderungen der Arbeiter und Gewerkschaften nach
mehr Gerechtigkeit . Haddad weißt das und nutzt
diese Lage aus, denn er versteht sich nicht als
Sozialreformer, sondern als Unternehmer, der Gewinne
erzielen will. Für mehr soziale Gerechtigkeit
müssten Parteien und Politiker sorgen, und es wäre
daher nicht gut für Palästina, wenn man solche
dynamischen Unternehmer wie Haddad bekämpfen
würde. Im Gegenteil, er verdient unterstützt zu
werden, und dann kann man von ihm erwarten, dass er
die Lage der Arbeiter verbessert.
......... Ende .........
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