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Eine optimistische
Perspektive des palästinensisch-israelischen
Konflikts
von Hakam Abdel-Hadi*
(* Hakam Abdel-Haid ist palästinensischer Publizist
und Journalist. Von ihm ist kürzlich die
biographische Erzählung: „Der hungrige Suleiman –
Vom Lachen und Weinen in Palästina,
Aphorisma-Verlag, erschienen)
Es war, glaube ich, Ben Gorion, der in den dreißiger
Jahren gesagt hat: Wer nicht träumen könne, sei kein
Realist. Die nüchtern-pessimistischen Analysen des
palästinensisch-israelischen Konflikts kann man
inzwischen nicht mehr aufzählen. Hier soll eine
Vorstellung im Sinne von Ben Gorion entwickelt
werden. Es darf jetzt vom Frieden im Nahen Osten
geträumt werden.
Es tut sich etwas in Europa und der Welt. Für mich
ist der jüngste Brief (vom Dezember 2010) der 26
prominenten Ex-Politiker an die Staats- und
Regierungschefs der 27-EU-Staaten ein Indiz für eine
historische Wende. Die Absender des Schreibens sind
u. a. Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt,
Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Felipe
Gonzalez (Spanien), Andreas van Agt (Niederlande),
Thorvald Stoltenberg (Norwegen) sowie
Ex-EU-Chefdiplomat Javier Solana. Sie verlangen in
ihrem Brief, dass die Europäische Union Druck auf
Israel ausüben müsse. Israel solle veranlasst
werden, den Siedlungsbau zu stoppen, um die
Zwei-Staaten-Lösung nicht in Gefahr zu bringen. Die
12 Beschlüsse des EU-Rats vom Dezember 2009 werden
in diesem Schreiben bekräftigt, und es wird dazu
aufgefordert, sie in die Tat umzusetzen.
Beispielsweise: keine Importe von Produkten aus den
illegalen israelischer Siedlungen, Abbau der
israelischen Mauer und der Absperrungen in der
Westbank und der Blockade gegen den Gazastreifen.
Nun könnten „realistische“ Betrachter dagegen
einwenden, dass es sich zwar um führende europäische
Politiker handele, aber leider seien sie als Rentner
einflusslos. Man könnte noch weitere prominente
Namen, beispielsweise den von Ex-CDU-Minister
Norbert Blüm und des verstorbenen
CDU-Kanzlerkandidat Rainer Barzel hinzufügen. Aber
das ändert nichts daran, dass sie alle Rentner sind
oder waren, als sie es wagten, Israel zu
kritisieren. Dieses Argument ist aber nur bedingt
richtig, weil es die moralische Macht unterschätzt,
die von solchen Politikern ausgeht, besonders, wenn
sie in großer Zahl auftreten.
Nach meiner Beobachtung fassen sich auch immer mehr
Kollegen bei den Fernseh- und Rundfunkunkanstalten
sowie den anderen Medien ein Herz und riskieren mehr
Kritik an Israel. Es wäre ein Leichtes, mehrere
prägnante Beispiele zu erwähnen.
Für mich gibt es ein weiteres Indiz: Früher war es
fast ein Ding der Unmöglichkeit, dass ein Wunsch des
Zentralrats der Juden in Deutschland von einem
deutschen Politiker abgelehnt würde, wenn es um eine
jüdisch-deutsche Angelegenheit ging. Als der besagte
Zentralrat gegenüber der Frankfurter
Oberbürgermeisterin Petra Roth sein Befremden
darüber äußerte, dass der Israel-kritische jüdische
Prof. Alfred Grosser eine Ansprache zum Gedenken an
die Reichspogromnacht in der Paulskirche halten
sollte, sagte ihm Frau Roth mit aller Deutlichkeit:
Alfred Grosser wird seine Rede halten. Alfred
Grosser hielt seine Ansprache; er durfte am 9.
November 2010 in der Paulskirche sagen:
„Heute sage ich, wenn es auch schockieren mag, dass
man von keinem jungen Palästinenser erwarten kann,
dass er das Schreckliche der Attentate einsieht,
wenn man nicht ein echtes Mitgefühl zeigt für das
große Leiden in Gaza und in den „Gebieten“… Diese
Anerkennung der Gleichheit aller, des Respekts für
alle scheint mir wichtiger für den Frieden zu sein
als die Waffengewalt.“
Dies ist auch ein Indiz für mich, dass sich
hierzulande etwa geändert hat, wenn beispielsweise
der ehemalige israelische Botschafter, Avi Primor,
in seinem jüngsten Buch ( An allem sind die Juden
und die Radfahrer schuld), das er mit der deutschen
Journalistin, Christiane von Korff, verfasst hat,
unterstreicht, dass der Antisemitismus in
Deutschland nicht zu- , sonder abnehme, und dass man
Israel-Kritiker nicht mit dem Antisemitismus-Vorwurf
zum Schweigen bringen dürfe.
Ja, welcher Israel-Kritiker wurde nicht vom
Zentralrat der Juden, von Henryk Broder und anderen
zu Antisemiten gestempelt: Menschen wie der Humanist
und Menschenrechtler Rupert Neudeck (s. sein Buch:
„Ich will nicht mehr schweigen“), der engagierte
CDU-Ex-Minister Norbert Blum und selbst auch Juden
wie Alfred Grosser blieben nicht verschont, nur,
weil sie partielle Kritik an Israel zum Ausdruck
brachten. Auch der angesehene Völkerrechtler und
ehemalige Abgeordnete, Prof. Norman Paech, der sich
nicht nur für die Menschenrechte der Palästinenser,
sondern auch der Kurden einsetzt, wurde von Broder
auf der Liste der Antisemiten gesetzt.
Manche Journalisten und Staatsbedienstete hatten
bisher Angst vor dieser „Keule“ und vor allem davor,
Ihre Jobs zu verlieren. Ein ehemaliger Mitarbeiter
des Auswärtigen Amtes (auch ein Rentner) erzählte
mir kürzlich, dass einige deutsche Minister und
Staatessekretäre im kleinen Kreis die israelische
Politik gegenüber den Palästinensern anprangert
hätten, in der Öffentlichkeit jedoch das Gegenteil
sagten.
Ich behaupte, dass diese Ängste, insbesondere nach
dem Schreiben der Sechsundzwanzig, stark
abgeschwächt werden.
Vor einigen Jahren brachte ich meine große
Verzweiflung über den palästinensisch-israelischen
Konflikt gegenüber einem alten Freund, Prof. Werner
Goldschmidt in Hamburg, zum Ausdruck. Ganz ruhig
sagte der Philosoph: „Die Lage wird nicht so
bleiben, weil sie absurd ist.“ Er fügte hinzu:
“Absperrungen, Mauern, die Inhaftierung von
Tausenden von Gefangenen, Diskriminierungen,
Menschenrechtsverletzungen, Landraub und Blockaden
können nicht ewig bleiben.“ Damals leuchtete mir
diese Argumentation nicht ein, weil ich davon
ausging, dass die Macht des Faktischen stärker sei,
aber es zeigt sich doch, dass die Menschen
Ungerechtigkeiten nur bis zu einer gewissen Grenze
aushalten können. So war es auch mit Südafrika: Ich
sehe durchaus Parallelen zwischen Israel und
Südafrika. Die öffentliche Meinung in den westlichen
Ländern lehnte schließlich die Apartheid ab, und den
westlichen Geschäftsleuten und Politikern blieb
nichts anderes übrig, als den Sanktionen gegen das
Regime beizutreten.
Wir erleben selbst in der Bundesrepublik
Deutschland, in anderen europäischen Ländern ist
dieser Prozess fortgeschrittener, eine Wende in der
Einstellung zu Israel. Ich beobachtete dies während
der Akademie- Tagungen, die ich besucht habe. Es
gibt fast immer einen Konsens zwischen allen
Seminarteilnehmern darüber, dass die israelische
Politik nicht dem Frieden dient, und dass die Rechte
der Palästinenser massiv verletzt werden.
Zum ersten Mal sah ich vor wenigen Tagen im
Deutschen Fernsehen einen in Deutschland
produzierten Film, zur besten Sendezeit und mit
hervorragenden Schauspielern, der eine
deutsch-palästinensische Liebesgeschichte mit einem
happy end erzählt: „Zimtstern und Halbmond“. Es ist
eine Komödie mit ernstem Hintergrund; der
palästinensische junge Mann und seine muslimische
Familie finden schließlich den Weg zu den Herzen der
deutschen Zuschauer.
Im Bereich Kino hat sich überhaupt viel getan. Eine
Reihe von Filmen, wie Elia Suleimans Film „
Göttliche Intervention – Eine Chronik von Liebe und
Schmerz“, Nazareth 2002 ) und der Film von Stefanie
Landgraf und Johannes Gulde „Hiphop und
Kalaschnikow“ (2010) zeigen Palästinenser, die sich
friedlich für die Unabhängigkeit und Freiheit
Palästinas einsetzen.
Ja, es tut sich viel in der Öffentlichkeit in der
Bundesrepublik Deutschland und in der westlichen
Welt im allgemeinen und dies wird mittelfristig
Auswirkungen auf die Politik in der EU, den USA und
schließlich Israel haben.
Die Strategie des palästinensischen Präsidenten,
Mahmoud Abbas, geht auf. Als Schüler haben wir von
der Geschichte des islamischen Heeresführers Tariq
Ibn Ziyad erfahren, der im Jahre 711 Spanien
eroberte. Der Legende zufolge ließ er die Schiffe
der arabischen Flotte verbrennen und sagte seinen
berühmt gewordenen Spruch: „Wohin wollt ihr fliehen?
Das Meer ist hinter euch, der Feind ist vor euch …“
Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu kämpfen.
Mahmud Abbas ging anderes herum vor; er ließ die
alten palästinensischen Gewehre verbrennen und sagte
seinem Volk: Die gewaltige Israelische
Kriegsmaschinerie ist hinter uns, das Völkerrecht
ist vor uns. Lasst uns die Weltgemeinschaft
gewinnen. Viele, auch ich, haben ihm diese Strategie
nicht abgenommen. Ich vertrat die Auffassung, dass
er einen Plan B bräuchte. Aber wenn man die Schiffe
verbrannt hatte, denn kann es keinen Plan B geben.
Es ist noch viel zu tun. In wenigen Jahren wird es
für die Palästinenser wahrscheinlich noch günstiger
werden. Vielleicht hat Ben Gorion Recht gehabt mit
seinem Ausspruch.
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