Berner Perspektive
Internationale Konferenz
zum israelisch-palästinensischen Konflikt
Bern, am 13. September 2008
Im
„Amman-Aufruf“, der im Juni 2007 als Ergebnis der internationalen
Friedenskonferenz in Amman, Jordanien, des Weltkirchenrates
herausgegeben wurde, findet der dringende Appell der
palästinensischen ChristInnen an ihre Schwestern und Brüder in
Christo Ausdruck: „Genug ist genug. Keine Worte mehr ohne Taten. Es
ist Zeit zu handeln!“ Durch diesen Aufruf werden die Kirchen
herausgefordert, nicht mehr still zu sein angesichts des Leidens.
Die heurige internationale und breit ökumenisch angelegte Konferenz
im Rahmen des ökumenischen Israel-Palästina-Forums – in
Zusammenarbeit mit dem Weltkirchenrat, des Schweizer Evangelischen
Kirchenbundes und den Reformierten Kirchen in Bern-Jura-Solothurn –
entschloss sich, verschieden ausgerichteten Gliedern des „Leibes
Christi“ zu gemeinsamen biblischen und theologischen Aussagen zur
christlichen Diskussion über den Konflikt in Israel-Palästina zu
verhelfen. Das Thema der Konferenz – „Das verheißene Land“ gab
sowohl Stoff für den Umgang mit der Bibel her wie auch für die
materielle Grundlage zum Engagement im derzeitigen Konflikt zwischen
Israelis und Palästinensern.
Die 85 KonferenzteilnehmerInnen entdeckten die Notwendigkeit, Zeit
und Energie für die Diversität der Perspektiven innerhalb der
Familie der Christen aufzuwenden. Im frühen Planungsprozess wurde
beschlossen, das Kontingent der TeilnehmerInnen aus Israel-Palästina
und dem Mittleren Osten beträchtlich zu erhöhen. Ausschlaggebend
dafür war u.a. die Gelegenheit, palästinensische Christen über ihre
Erfahrungen und auch über ihr theologisches Verständnis zum Land und
zu Gottes Versprechen zu hören.
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Nach Dekaden der Enteignung, Diskriminierung, illegalen Besetzung,
von Gewalt und Blutvergießen in Palästina-Israel werden Christen
gefordert, Theologien über das Land weiterhin zu studieren,
kritisch zu lesen und neu zu interpretieren, um lebensbejahende
christliche Visionen und Antworten auf den Konflikt zu geben. Dieser
Prozess legt sowohl den Kontext klar, in welchem diese Theologien
geschaffen wurden wie auch deren Konsequenzen für Millionen von
Menschen.
In
dieser Konferenz kamen in erster Linie die Stimmen von christlichen
Theologen aus Palästina und dem Mittleren Osten zur Sprache. An
verschiedenen Punkten wurde den Teilnehmerinnen schmerzlich bewusst,
dass sie, weil Christen weltweit in ihren Berufungen, Situationen,
Perspektiven, Interessen und Solidaritäten voneinander abweichen,
auch unterschiedliche Vorstellungen von „Land“ haben. Wegen der von
uns geteilten Hoffnung auf den auferstandenen Christus sind wir
zuversichtlich, dass diese Unterschiede gegenseitige Veränderung
nicht ausschließen
Während der Konferenz präsentierten christliche Gelehrte aus
verschiedenen Perspektiven Diskussionspapiere über eine Vielzahl von
Themen, einschließlich „Land“ und Gottes Versprechen, das
Abraham-Paradigma, die Kirche und Israel und das „Volk Gottes“.
Gemeinsam wurden wir Zeugen des Potentials zur Veränderung bei einem
Treffen von Christen, die weit auseinander liegende Vorstellungen
haben.
Ein zentrales Anliegen der Konferenz war, wie die Bibel gelesen
wird. Wir wurden angefragt, den Kontext unserer Interpretationen
wahrzunehmen und Unterscheidungen zwischen biblischer Geschichte
und biblischen Geschichten zu erkennen und zwischen dem Israel der
Bibel und dem modernen Staat Israel zu unterscheiden. Dabei sind
wir gefordert, die philosophischen Hintergründe unserer
Interpretationen und ihre ethischen Folgerungen zu verstehen. Der
derzeitige Konflikt von Israel und Palästina tönt von biblischen
Metaphern. Es gab in der Konferenz jedoch einen weitgehenden Konsens
darüber, dass die Bibel nicht gebraucht werden dürfe, um
Unterdrückung zu rechtfertigen oder für ein simplifizierendes
Kommentar der derzeitigen Geschehnisse zu sorgen und damit den
Konflikt zu heiligen und seine sozialpolitischen, wirtschaftlichen
und historischen Dimensionen zu ignorieren. Wir sind berufen, nicht
nur, um Manipulationen der Heiligen Schrift aufzudecken, die Kontext
und Komplexität ignorieren, sondern auch, ein Lesen des Textes
anzubieten, das die Werte des Reiches Gottes darstellt:
Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung, Vergebung.
Während der Konferenz wurde uns der beträchtliche Beitrag der
europäischen und nord-amerikanischen Theologien für eine Heilung
zwischen Juden und Christen und die Öffnung von neuen Horizonten für
die christliche Theologie nahegebracht. Unsere Hoffnung ist, dass
diese Theologien reicher würden durch den weitergehenden Dialog mit
den Realitäten der Situation in Palästina-Israel und dem Dialog mit
dem weltweiten Islam. Christen im israel-palästinensischen
Zusammenhang, die auch familiäre Beziehungen zu Juden haben, müssen
als Mitdenker in die theologischen Überlegungen hineingenommen
werden, weil wir miteinander im Geiste der gegenseitigen
Bereicherung die Mission entdeckt haben, zu der wir aufgerufen sind.
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Wie es mit vielen ehrgeizigen Konferenzen geht, haben auch wir
geglaubt, viel zu viel in einer zu kurzen Zeit zu schaffen. Daher
wurde es mehr Information als Transformation.
Wir wollen daher weiter arbeiten und vertrauensbildende Beziehungen
schaffen, die Veränderungen erlauben, die sich nur aus dem ständigen
Dialog und konstruktiver Konfrontation im Geiste der christlichen
Einheit ergeben können.
Wir wollen weiter arbeiten an der Entwicklung eines theologischen
Diskurses über Land, Leben im Land und Zusammenleben im Land, die
einfühlsam ist, Respekt fördert zwischen uns und mit anderen
innerhalb sowohl im zwischenchristlichen wie auch im interreligiösen
Kontext, besonders im Dialog mit Juden und Muslimen, bei dem jeder
Hauch von Verachtung vermieden wird. Ein wichtiger Brennpunkt dieser
Entwicklung wird die theologische Reflektion über internationales
Recht und Menschenrechte sein.
Wir wollen daran festhalten, dass ein neuer Diskurs über diese
Inhalte sich entwickle, wenn eine neue Generation auftaucht. Daher
sollten sich unsere Kirchen zu ökumenischem und interreligiöser
Ausrichtung bekennen.
Wir wollen weiterhin Hinweise auf das „Versprochene Land“ kritisch
und kreativ prüfen, und in der Bibel und in unseren Traditionen
lebengebende Metapher für die Förderung von Gerechtigkeit, Frieden,
Versöhnung und Vergebung für die Fülle der Erde und aller ihrer
Bewohner wieder entdecken.
Wir wollen diesen Dialog eröffnen, um Annäherungen zum Lesen der
Bibel und Betreiben von Theologie einzuschließen, die aus anderen
Zusammenhängen von Konflikt, Landlosigkeit, Enteignung,
Unterdrückung und Ausschluss erkennbar sind, damit wir rigoroser den
Konflikt analysieren und Ideologien, wie Antisemitismus und
christlichen Zionismus hinterfragen, und zur Friedensstiftung und
Friedensbildung in Palästina und Israel beitragen können.
(übers. Gerhilde Merz)
Quelle: www.oikoumene.org/de/dokumentation
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